Anterhaltmigsblatt des vorwärts Nr. 115. Donnerstag, den 17. Juni. 190S (Nachdruck verboten.). 12� Der Hrbeiter Scbewyrjoff. Revolutionsgeschichte von M. Artzibaschew. Autorisierte Uebersetzung von A. V i l l a r d u. S. B u g o w. ' Der Krämer lächelte selbstgefällig. Was heißt es mit nichts! Die feinen Fräuleinchen lieben eS. sich zu zerstreuen I Das kann ich in keinem Fall glauben entschuldigen Sie, daß sich ein so ausgezeichnetes Fräulein wie Sie den ganzen Tag die Augen an der Arbeit verdirbt. Ihre Aeuglein sind überhaupt nicht dafür ge- schaffen!" Oljenka schlug wieder ihre großen hellen Augen zu ihm auf. Ihr kam plötzlich der naive Gedanke, daß er mit ihr Mitleid hätte. Und sie war überzeugt, daß er wirklich ein guter, anständiger Mensch sei. ..Ich. sehen Sie..» lese Bücher.. Aie lächelte schüchtern. Ach was, was ist das... Bücher!... Also, wenn wir so mit Ihnen erst näher bekannt sind, dann werden Sie mir erlauben... zum Beispiel-- ins Theater! Das wird Interessanter sein als hinter Büchern zu hocken!" Oljenka belebte sich unvermutet. Ueber ihr Gesicht, das schon wieder erblaßt war, flog eine neue leichte Röte. O nein, wie können Sie das sagen. Es gibt sehr schöne Bücher.... Nun das. zum Beispiel Tschechosf..., Ich, wenn ich etwas von Tschechoff lese, weine ich immer-,. bei lihm sind alle Menschen so arm, so bemitleidenswert..." Der Krämer hörte zu, den Kopf mit der engen Stirn und den trüben Augen zur Seite geneigt. Dann überlegte er. Als ob alle wirklich so unglücklich wären..." meinte er in dem süßlichen Tone,es gibt auch Glückliche.... Frei- sich, wer nichts zum Fressen hat.,,, Aber wenn ein Mensch »... Ich nehme bloß mich..." Er rückte den Stuhl näher an Oljenka heran, schielte auf ihren Schoß und holte zu einer längeren'Rede aus. Auch seine Haltung wurde etwas bedeutsamer. Aber Oljenka be- gann naiv und träumerisch, mit feuchten Augen: O nein, die Menschen sind alle unglücklich.... Auch die, die sich für glücklich halten, sind in Wirklichkeit Unglück- sich. Ich möchte barmherzige Schwester werden, um allen Unglücklichen zu helfen... oder Nonne..." Na, warum denn gleich Nonne!" unterbrach sie der Krämer mit zweideutigem Ausdruck, der in seiner Frechheit furchtbar war.«Gibt es denn zu wenig Männer auf der Welt?" Oljenka sah ihn verständnislos an. Die Taubheit hatte sie das ganze Leben vor solchen Worten bewahrt, und sie be- griff nichts. So blickten ihre Augen ruhig: sie waren voll- kommen durchsichtig. O nein... was sagen Sie!" fragte sie zerstreut:eine Nonne zu sein, ist so schön!... Ich war einmal zwei Wochen lang bei meiner Tante auf Besuch, in Woronesh ... im Kloster. Meine Tante ist Nonne... ganz alt... schweigt schon vierzehn Jahre... eine Heilige!... Da war es so schön! In der Kirche ist es so still still, die Kerzchen leuchten.... Man singt so schön.... Du stehst und weißt nicht, ob du auf der Erde oder im Himmel lebst. Oder du gehst vor die Mauer. Das Kloster steht auf einem Berg, und unten der Fluß und dahinter die Felder. Man sieht weit weit! Auf den Wiesen schreien die Gänse, und die Schwalben zwitschern nur so herum. Ich war dort im Früh- ling, da blühten im Kloster die Apfelbäume.... Da wirds manchmal so schön, daß der Atem still steht. Manchmal, scheint mir, hätte rch mich vom Berg losgerissen, wär' fort- geflogen wie ein Vogel weit weit!" Oljenkas Stimme zitterte vor Entzücken: in den großen hellen Augen standen stille Tränen, und die Lippen bebten. Sie glich ganz einer Weißen Nonne. Der Krämer hörte zu, indem er die Lippe ein wenig herabhängen ließ und den Kopf auf den dicken roten Hals wieder wie ein Stier zur Seite neigte. Hm," meinte er,das sind, selbstverständlich, so Ideen. ... Im Leben aber... da kann ein hübsches Fräulein auch ohne Kloster ihr Vergnügen haben!" Er kicherte und zwinkerte Oljenka verlangend zu. Sie bemerkte es nicht und schaute gerade aus ins Blaue, als sähe sie wirklich weite Felder und den blauen Himmel, breite Flüsse und die Weißen Klostermauern. Die Maksimowa kam init dem Ssamowar. Der Krämer, ganz aufgelöst und schweißig, war wie mit Oel gesalbt. Ich liebe es, wenn Fräuleins eine so feine Taille haben wie Sie, Olga Jwanowna.... Wie bringen es die Frauen bloß fertig: Da scheint es, kannst du alles mit den Fingern umfassen, da unten aber, verzeihen Sie meine Freiheit, ist's so rundlich..." Die letzten Worte kamen ihm ganz plötzlich eigentlich hatte er etwas anderes sagen wollen, daß ihm die Röte ins Gesicht stieg und den Atem verschlug. Unwillkürlich hatte er sogar die Hand ausgestreckt, sah aber die Maksimowa ein- treten und zog sie zurück. Darauf wischte er sich umständlich den Schweiß von der Stirn. Er trank mit der Maksimowa Wodka, Hering und riß Witze darüber, daß alle Mädchen vom Kloster träumen. Sind sie aber verheiratet und ist der Mann erst alt oder unfähig, dann graben sie ihm, sozusagen, das Grab." Freilich!" antwortete die Alte unnatürlich dienstbeflissen. Von Ihnen, Wassilij Sstepanowitsch, kann man das nicht sagen.... Sie würden noch jede in Schweiß bringen." Der Krämer brach in Lachen aus und betrachtete darauf. hin Oljenka mit unverhohlen lüsternen Blicken. Jawohl! Das kann ich, ohne zu renommieren, zugeben! Meine Frau braucht sich nicht zu beklagen! Meine Selige, die wurde manchmal ärgerlich! Du Bulle, Du unersättlicher Du, pflegte sie zu sagen!" Er lachte immer noch und starrte Oljenka unverwandt an. Unter seinem Blick sank des Mädchens blasses Gesichtchen immer tiefer und tiefer das satte triumphierende Lachen dieses Viehes war schrecklich. Als der Krämer fortging und die etwas angeheiterte Maksimowa ihn hinausbegleitete, brach Oljenka plötzlich in Schluchzen aus. Sie weinte lange. Ihr hellblonder 5iopf lag auf den Knien, ihre weichen Schultern zitterten, die herabhängenden Haarsträhnen bewegten sich wie Flaumfedern. Ueberall roch es nach Hering, nassem Leder und Schweiß. Die Luft war schwer und die Gestalt des Mädchens erschien seit- sam klein und zerbrechlich. 9. Aladjew war nach Hause gekommen. Er saß am Tisch und schrieb, als Oljenka zu ihm hereintrat. Das ganze Zimmer war voll Tabaksrauch. Sie trat scheu und lautlos ein, wie immer. Wie immer, drückte sie schwach die zärtliche große Hand Aladjews und setzte sich so an den Tisch, daß ihr Gesicht im Dunkel blieb und nur die blassen Hände grell von der Lampe beleuchtet wurden. Also, was bringen Sie, Olga Jwanowna?" fragte Aladjew mit behutsamer Freundlichkeit in Blick und Stimme. Oljenka schwieg. Haben Sie meine Bücher gelesen?," fragte Aladjew wieder.Gefielen sie Ihnen?" Ja." Das Wort siel klanglos von Oljenkas Lippen, dann schwieg sie wieder, während ihre Hände kraftlos auf den Knien ruhen blieben. Na, das ist schön!" sagte Aladjew.?,Jch habe hier noch 'was Hübsches für Sie zurechtgelegt. Die Heldin glxicht Ihnen, ist ebenso lieb und still, ist ins Kloster gegangen, wie Sie es vorhaben." Oljenka zog die Schultern zusammen, als ob sie friere. Ich werde nicht ins Kloster gehen" sie sprach kaum vernehmlich: ihre Lippen zitterten so, daß es sogar Aladjew auffiel. Na, Gott sei Dank," sagte er scherzend und blickte dem Mädchen ins Gesicht.Und warum so?" Oljenka sah zu Boden:Ich werde heiraten..." ant- wartete sie fast unhörbar. Heiraten? Das ist eine Uebcrraschung! Wen?" rief Aladjew zurückfallend. Sein Gesicht zuckte zusammen. Wassilij Sstepanowitsch... der den Laden in unserem Hause hat..." Den?" fragte Aladjew nochmals verwundert: eine Grimasse des Mitleids und Widerwillens glitt über sein Ge-.