Nr. 126. Freitag, den 2. Juli. 1909 -(Nachdruck becSpttn.) 2] Die Inselbauern. vioman von A ü g u st S t r i n d ö e r g. Deutsch von Emil Schering  Vom Pfleger der Gerechtigkeit weit entfernt, hat der Schärenmann in der Notwehr sein eigenes Lynchgesetz, und aus wirtschaftlichen Gründen spricht er lieber frei, als daß er verurteilt: auch in der Hoffnung, selbst freigesprochen zu werden, wenn sein Unglück kommt. Diese Nachsicht mit den Werbrechen anderer habe ich nie schöner ausdrücken hören als damals, als die Nachbarn erzählten, ein Mörder habe einmal, als er seine Frau ertränkte, einenFehltritt" be gangen. Der Schärenmann ist ein Einsiedler: hat weit zum Gericht, weit zur Kirche, weit zur Schule: weit zu den Nach darn und weit zur Stadt. Der Badeort ist sein nächster Kulturmittelpunkt: dort aber lernt er den Luxus kennen und beneidet Menschen, die er drei Monate Feste feiern sieht: denn die arbeitenden Mitglieder, die in der Stadt sind, sieht er nicht. In der Einsamkeit würde er Denker werden, wenn er Anleitung hätte: statt dessen wird er Phantast, und wie geschickt er in seinem Gewerbe sein kann, wie klarsehend im Alltagsleben, wird er leicht ein Raub subjektiver Wahr- nehmungen, wirdfernsichtig", ein Sonderling: macht fehler hafte Schlußfolgerungen, sehr oft Ursache und Wirkung der wechselnd: z. B. wenn es sich gut fischt, nachdem das� Geld stück unter den Stein gelegt worden, ist das Geldstück die mächtige Ursache. Er ist abergläubisch, und das Heidentum sitzt so tief in ihm, daß die Symbole der christlichen Kirche sür ihn noch gleichbedeutend mit Beschwörungen, Besprechun gen, Zauberei sind. Die Familie baut sich selbst nach alter Sitte und den einfachen Forderungen der Nawr auf, wo nicht wirtschaftliche Berechnung als Faktor mitspricht. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist ungezwungen: die Ehe wird gewöhnlich mit dem Kind geschlossen, wenn das Mädchen Wort hält und zur Gründung einer Familie geneigt ist. Ist das aber nicht der Fall, entstehen zuweilen schwere Verwicklungen, die mit dem vollständigen Verschwinden des Kindes und anderen Ge- schichten enden können: die kommen der ganzen Welt zu Ohren, nur nicht dem Länsman(Verwaltungsbeamten), der übrigens nichts machen kann, da er keine Zeugen findet. Beginnen, weit entfernt von Nachbarn, die Familien- bände zu zerreißen und werden starke Leidenschaften lange unterdrückt, erfolgen zuweilen unheimliche Ausbrüche der Naturkräfte: da nimmt es der an Tod und Verderben ge- wähnte Schärenmann mit den Mitteln nicht so genau. Dann werden dort draußen stille Trauerspiele aufgeführt, von denen man nur Andeutungen zu hören bekommt: in einigen meiner Erzählungen habe ich davon gemunkelt. Da reißen Bluts- bände entzwei, verbotene Schranken werden übersprungen: die Natur greift mit harter Hand, was sie kriegen kann: und sür Hunger und Liebe existieren nicht mehr Rücksicht noch Gesetze. Das Lichte, Lächelnde im Leben der Schärenleute, wenn es sich licht gestaltet, habe ich in diesem RomanDie Insel- dauern" geschildert: in den NovellenDas Jnselmeer" habe ich die Halbschatten gegeben: vielleicht kann ich später, wenn die Verhältnisse für die Literatur günstiger werden, auch die Schlagschatten geben(Am offenen Meer"), die nicht fehlen dürfen, soll das Bild vollständig sein. Erstes Kapitel. jlTarlsson geht in Dienst und wird für einen Schwätzer gehalten.) Er kam wie ein Schneegestöber eines Aprilabends und hatte eine Kruke aus schwedischem Ton an einem Hunger- riemen um den Hals. Klara und Lotte waren mit dem Netzboot nach dem Badeort Dalarö   gefahren, um ihn zu holen: ober es dauerte Ewigkeiten, ehe sie ins Boot kamen. Sie mußten zum Kaufmann, um eine Tonne Teer zu besorgen, und zurAbtheke", um graue Salbe fürs Ferkel zu kaufen: und dann mußten sie auf die Post, um eine Freimarke zu holen: und dann mußten sie zu Fia Löfström, um den Hahn zu borgen, gegen ein Halbpfund dünnes Garn zum Netzbau. Und zuletzt waren sie im Gasthaus gelandet, in das Carlsson die Mädchen zu Kaffee mit Kuchen geladen hatte. Endlich kamen sie doch ins Boot. Carlsson wollte steuern, ab» das konnte er nicht: er hatte noch nie einen Nahsegler gesehen, daher schrie er, sie sollten die Fock hissen, die gar nicht vorhanden war. Auf der Zollbrücke standen Lotsen und Zöllner, die über das Manöver grinsten, als das Boot über Stag ging und ab« getrieben wurde. Hör mal. Du hast ein Loch im Boot!" rief ein junger Lotse durch den Wind.«Stopf zu! Stopf zu!" Während Carlsson nach dem Loch guckte, hatte Klara ihn sortgestoßen und das Steuerruder genommen: und mit den Riemen gelang es Lotte, das Boot wieder in den Wind zu bringen: mit gutem Gang segelte es dem Sund der Insel Aspö zu. Carlsson war ein kleiner viereckiger Wärmländer mit blauen Augen und einer Nase, die so krumm war wie ein Doppelhaken. Lebhaft, spielerisch, neugierig war er, aber vom Seewesen verstand er nichts. Er war auch nach der Insel Hemsö im Stockholmer   Jnselmeer gerufen, um für Feld und Vieh zu sorgen: damit wollte sich nämlich niemand mehr befassen, seit der alte Flod aus dem Leben geschieden war und die Witwe allein auf dem Hof saß. Als Carlsson die Mädchen mit Fragen nach den Ver« Hältnissen auf dem Hof anzapfte, bekam er Antworten, wie sie die Bewohner des Stockholmer   Jnselmeers, derSchären", zu geben Pflegen.-- Ja, das weiß ich nicht! Ja, das kann ich nicht sagen! Ja, das weiß ich wirklich nicht!" Daraus wurde er nicht klug! Der Kahn plätscherte zwischen Holmen(Inseln) und Schären(Klippen) dahin, während die Eisente zwischen den Kobben schnatterte und im Fichtenwald der Birkhahn   balzte. Ueber freie Wasserflächen, dieFjärde", und über Strömun« gen fuhr das Boot, bis die Nacht kam und die Sterne auf- leuchteten. Da gings auf das große Wasser hinaus, wo der Leucht- tum derHauptschäre" blinkte. Bald kam man an einem Stangenzeichen mit Besen vorbei, bald an einer weißen Bake, die wie ein Gespenst aussah: bald leuchteten zurück- gebliebene Schneewehen wie Leinew auf der Bleiche: bald tauchten aus dem schwarzen WasserNetzwächter" auf, die am Kiel schrapten, wenn man darüber fuhr. Eine schlaf- trunkene Mantelmöwe ward von ihrem Riff aufgescheucht und brachte Leben in Seeschwalben und Möwen: ein höllischer Lärm brach los. Weit draußen, wo die Sterne ins Meer tauchten, keuch« teten das rote und das grüne Auge eines großen Dampfers: der schleppte eine lange Reihe runder Lichter, die durch die Ventile der Kajüten schimmerten. Alles war Carlsson neu. und er fragte nach allem: und jetzt erhielt er Antwort, und zwar so viele, daß er einsah, er war auf fremden Boden gekommen.Er war eine Land- ratte", das heißt ungefähr dasselbe, was für den Städter Einer vom Lande" ist. Jetzt segelte der Kahn in einen Sund(Meerenge) und kam in Lee(unter Wind), man mußte das Segel reefen und rudern. Als sie bald darauf in einen neuen Sund kamen, sahen sie ein Licht von einer Hütte leuchten, die zwischen Erlen und Kiefern lag. «Jetzt sind wir zu Hause." sagte Klara. Das Boot schoß in eine schmale Bucht: eine Rinne wat durchs Schilf gehauen, das an den Seiten des Kahns raschelte: dieses Rascheln weckte einen Laichhecht, der sich in den Anblick einer Angelrute vertieft hatte. Der Hund gab Laut, und eine Laterne kam oben in der Hütte in Bewegung. Der Kahn wurde an der Landungsbrücke festgemacht, und die Ausladung begann. Das Segel wurde um die Rahe gerollt, der Mast herausgenommen, und die Stage mit den Tauen umwunden. Die Teertonne rollte man ans Land, und Kübel, Ko snen, Körbe, Bündel lagen bald auf der Landungs« brücke.