Auch tm Verkehr mit Hamburg  -- hier freilich nur, soweit Süddeutschland   in Frage kommt ist durch die neue Verbindung das bisherige Verhältnis zu Trieft wesentlich verschoben. Für Karls- ruhe ist der Entfcrnungsunterschied gegen früher um 27 Proz. ge- ringer, von Stuttgart   um 25 Proz., von Aschaffenburg   um 33 Proz., von München   um 21 Proz., von Nürnberg   um 31 Proz. und von Regensburg   um 28 Proz. Ulm  , Lindau  , München  , Passau   und Regensburg   liegen nun ein bedeutendes näher zu Trieft, als zu Hamburg  , und früher lagen nur Lindau  , München   und Passau  um 10, 8 und 11 Proz. des Entfernungsunterschiedes näher zu Trieft. AuZ diesen Angaben allein erhellt schon, welche grohe Um- wälzung im Verkehrsleben durch die neuen At'penbahnen hervorgerufen werden. Aus der politischen Not Oester- reichs zu Zeiten Körbers geboren, sind sie bestimmt, nicht nur die Völker Oesterreichs   untereinander näher zu bringen, sondern Oesterreich auch noch fester mit seinem natürlichen Bundesgenossen zu verketten. Zu diesem Ende mußten fast alle Alpenkronländer, die voneinander durch mächtige Gebirgszüge getrennt waren, anstatt des bisherigen Weges über die Berge den Weg durch die Berge suchen. Oberösterreich   und Steiermarl wurden im Laufe der Pyhrnbahn durch den Bosrucktunnel verbunden, Kärnten   und Krain   durch den Karawankentunnel, und der ebene Weg zwischen Krain   und dem Küstenland wurde mit Hilfe der Durchbohrung der Julischen Alpen  bei Wocheiner-Feistritz erzielt. Aber noch ein mächtiger Stock, der mächtigste von allen, lagerte, Gletscher gekrönt, zwischen der blauen Adria   und dem Zuge des Rheins der Zug der Hohen Tauern. Dieses letzte Stück, das selbständig unter dem Namen Tauernbahn  in Erscheinung tritt, und das die österreichischen Kronländer Salz- bürg und Kärnten   auf kühnem Wege miteinander verbindet, dieses letzte Stück wird nun eröffnet. Die Tauernbahn   beginnt bei Schwarzach-St. Veit in Salzburg  und endet in Spital a. d. Drau   in Kärnten  . Drei Etappen treten uns in ihrem Zuge beutlich vor Augen. Der Nordaufstieg von Schwarzach bis Böckstein  , die Scheitelstrecke, die durch den Tauernstock führt und bis Mallnitz   in Kärnten   reicht, und der Südabstieg von Mallnitz abwärts zum Drautal. Nur ein kleines Stück dieser Strecke, der Weg von Schwarzach bis Gastein  , war bisher eröffnet. Das nun zu eröffnende Stück der Alpenbahnen beginnt hier. Die Trace fetzt gleich kühn ein. Ueber Brücken und Viadukte klimmt sie zur Höhe der ersten Station B ö ck st e i n, mit der sie, aus dem Gasteiner Tal kommend, den für sie höchsten Punkt des ronrantischen Anlaufs- talS erreicht. Das letztemal war von diesem Tal die Rede, als im heurigen Frühjahr ein Lawinensturz, von der Höhe zu Tal sausend, eine Arbeitergruppe beim Frühstück überraschte und 12 Pioniere des großen Kulturwerkes in Sekunden dahinraffte. Mächtige Berge umschließen das Tal. Aus dem Hintergrunde grüßen die Gletscher der Ankogelgruppe herüber. Friede liegt nun auf dem Gelände. Vor einem Jahr noch pochten hier tausend Hämmer und zischten die Lokomotiven und Dampfauslässe und ächzten die Karren und erfüllten den weiten Platz, auf dem nun das Stationsgebäude mit seinen, dem Charakter der Gegend angepaßten grauen Stein- mauern, freundlichen grünen Holzbalkonen und Giebelwänden steht, die tausend Stimmen der Arbeit. Hier war der große Jnstallations- platz für den 8550,5 Meter langen Tauerntunnel, dem längsten im Zuge der neuen Alpenbahnen, dem zweitlängsten der Monarchie. Rur der Arlberg-Tunnel ist um 1700 Meter länger. 7'/3 Jahre rangen hier die Menschen mit dem Berge, und nun durchfahren wir mit dem Eilzug in ebensoviel Minuten den Stock der 2828 Meter hohen Gamskarspitze, selbst mehr als 1200 Meter über dem Meere. Wie könnten wir in den Minuten dieser Fahrt durchs Dunkel er- fassen, welche Riesensumme von Arbeit hier zu leisten war, welcher Berg von Gefahren zu überwinden war, ehe Salzburg   mit Kärnten   durch den Schienenstrang vermählt wurde, wie viel Opfer gebracht werden. Eines Tage? trat in der finsteren Röhre Knall- 8 est ein auf. Ohne vorherige Anzeichen sprangen plötzlich Platten iS zu 150 Millimeter Stärke von den Wänden des freigelegten Ge- birges. Nur ein schußähnlicher Knall flog durch den Berg, manch- mal gefolgt von dem Auffchrei eines Getroffenen. Auch die Wasserquellen sendete der Berg dem Menschen als gefährliche Soldaten entgegen, so der Arbeit ernste Hindernisse bereitend. Und das Gebirge selbst teilte, dank der hohen Ueberlagerung dem Ge- stein Temperaturen mit, die für die arbeitenden Menschen fast unerträglich waren. In der Scheitelstrecke des Firststollens wurden 83 Grad ZelsiuS gemessen. Gleich den Pionieren, die den Gebirgs- stock des Simplon durchbohrten, mußten auch hier die Italiener und Montenegriner, die Kroaten und Serben, die man als Arbeits- fräste zu Hilfe gerufen hatte, halb nackt ihr mühseliges Werk vollbringen. Erst als man durch Wasserzerstäubungsapparate die Temperatur auf 20 Grad herabgedrückt hatte, war auch dieses schwerste Stück der Arbeit Jju überwinden. Im September 1904 überschwemmte eine Hochwasserkatastrophe im Gebiete des Anlauf- tales auch den Tunnel, auf den tagelang durch Sickerwasser 4000 Sekundenliter einstürmten. Auch der Südstollen hatte seine Leidens- geschichte durchzumachen. Dieselben Helfer deS Berges stellten sich auch hier den Menschen feindlich entgegen. Einige Ziffern mögen dt« Riesensumme der Arbeit beleuchten. DaS im Tunnel aufgeführte Mauerwerk erforderte etwa eine Million Kubikmeter Bruchsteine und ebenso viel merrische Zentner Zement. Zur Sprengung des Gesteins mußten 580 000 Kilo Dynamit und 125 000 Kilo Sprenggelatine verwendet werden. Auf der Nordselte des Tunnels allein wurden bei der Bohrung während zwei Schichten bis zu 20 000 Stück Bohrer ab- genützt. Im Fluge_ der Fahrt gedenken wir der Tausende Mit» arbeiter aus dem Süden und Südosten Europas  , der Ungenannten, denen für ihre Mühsal und Opferfreudigkeit kaum mehr wurde als ein wenig Brot, Speck und Schnaps. Und wir gedenken derer, die hoch über dem Tunnel auf dem einsamen Friedhofe von Böckstein  ihre letzte Stätte gefunden haben. Die Sonne Kärntens  , die uns mit heißem Zauber umfängt, scheucht diese Gedanken und alle unsere Sinne nimmt nun die grandiose Bilderreihe gefangen, die an unserem Auge vorüberfliegt. Das malerische Seebachtel mit seinem schönen Ausblick auf die Berghäupter des Ankogels, des Felsseekopfes und der Gamskarspitze durcheilen wir zuerst, dann kommen wir an den Mallnitzbach und fortwährend durch Tunnels, über kühne Viadukte bald an steiler Berglehne dahinsausend, bald Schluchten überspringend, Weiler über den Dössenbach in das Gebiet des Kaponikbaches, und endlich ins Mölltal. Ueber den Sattel des Danielsherges, auf dessen lichtumflossener Spitze einst ein Tempel des Herkules stand, sausen wir weiter, der Talsohle zu, die ivir nach Ueberschreitung der romantischen Klinzerschlucht und des Taborgrabeus hei der Station Mühldorf am Lurnfeld   erreichen. Eine kurze Strecke noch und die neue Strecke mündet bei der Süd- bahnstation Spital-Millstädtersee in den alten Strang ein. Ueber Villach, Tarvis und Pontafel werden wir weiter nach. Ober- italien   getragen, über Villach   durch das Rosenbachtal und den Karawankentunnel nach Krain   und durch die blühenden Gefilde der Wochein zum letzten große» Tunnel, der Krain   mit dem Küstenland verbindet und dann weiter die sonnigen Ufer des Jsouzos entlang an Görz   vorüber nach Trieft, dem durch die neue Verbindung mit der Welt und namentlich mit Süddeutschland   bald die Aufgabe eines Welthandelsplatzes zufallen wird. Aber auch als Ausgangspunkt weiterer Reisen zur See und mithin als Touristenstation wird Trieft unendlich gewinnen. WaS weiß heute das reiselustige Deutschland  von dem sonudurchglühten Dalmatien  , in dem die Orangen reifen und die Myrte blüht, was weiß es von den herrlichen Inseln im Norden und Süden der dalmatischen Gewässer, was von dem lauge noch nicht gehobenen Reichtum dieses südlichsten Krön- landcs Oesterreichs   und des zauberischen Meeres, das es bespült. Das Oel der dalmatischen Olive wird mit Recht gerühmt, der dalmatinische Wein hat sich längst Weltruf erobert und die dalmatinischen Früchte werden ihm folgen. Reicher»och aber als das Land, dem große Entwickelungsmöglichkeiten gegeben sind, ist die See. Die kostlichsten Fischgerichte, die begehrtesten Edelfische birgt die Adria   in reicher Fülle. Auch diese Wunder des österreichischen Südens sind nun der Welt näher gerückt und damit auch die Reste der herrlicken venetianischen Kultur, die in Dalmatien   überall, manchmal ganz unberührt, erhalten sind. Neue große Möglichkeiten, die Menschen einander näher zu bringen und damit wahrer Kultur zu dienen. eröffnen sich. Ein neues Band zwischen Nord und Süd ist ge- schmiedet, möge eS dauern zu Nutz und Frommen der Völkerschafien, die es verbindet. Max Winter. kleines fcuUlcton» Wie sich früher reiche Herren amüsierten. Auf dem Reichstag   zu Augsburg   bestand das größte Vergnügen des Kaisers Maximilian in einem Schwanke, den Kunz   von der Rosen, sein Hofnarr er- sonnen hatte. Es wurden auf dem dortigen Weinmarkte starke Schranken errichtet und in der Mitte de« umhegten Platzes ein Pfahl eingerammt, an dem ein großes, fettes Schwein an einer langen Lerne angebunden war. Zwölf Blinde wurden dann beordert, die mit einem tüchtigen Knüppel bewaffnet, in die Schranken traten. Sie waren mit alten, rostigen Harnischen angetan und sollten gegen das Schwein kämpfen. Der Narr Kunz   von der Rosen leitete den ganzen Roheitsakt. Im Halbkreise wurden die Blinden aufgestellt und wie bei einen, Ritleripiele wurde das Zeichen zum Anfang des Kampfes durch Trompeten gegeben. Die Blinden gingen nun auf das grunzende Tier los, denn wer es erschlug, sollte es als Beute erhalten. Das Schukein empfing einen Schlag, fuhr heftig schreiend auf und fuhr etlichen Blinden durch die Beine, sie dabei umwerfend. Den Höchstgrad dieses widerlichen Vergnügens bildeten natürlich die Szenen, wenn einer der Armen an Stelle des vermeintlichen Schivcines den Leidens- geführten traf. Wie die Hunde bissen sie sich dann ineinander fest, verprügelten sich wütend und mußten gewaltsam getrennt werden. Daß dieseTurniere der Blinden" weil lebensgefährlicher waren als jene, die die feinen Herren ausEhre" auSfochte», versteht sich wohl von allein, uni fo größer aber war auch das Ergötzen der Zuschauer. Zum Beschluß gab der Kaiser denüberlebenden Blinden  " ein reichliches Mahl, um sie so einigermaßen für die ausgestandenen Leiden zu enffchädigen. Berantw. Redakt.: Wilhelm Düwell, Lichtenberg. Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagaanstalt Paul Singer L-Co.. Berlin   SW.