Unterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 134. Mittwoch, den-14. Juli. 1909 (Nachdruck herbolen.) 10] Die Inrdbaucrn. Roman von August Strindöerg. Deutsch von Emil Schering  . ' Die Ankunft der Städter unterlieb nicht, ihren Einfluß auf Sinne und Sitten der Jnfelbauern auszuüben. Täglich Menschen vor sich zu sehen, die festtäglich gekleidet waren, jeden Tag zum Sonntag machten, ohne Ziel spazieren gingen und ruderten, badeten und musizierten; sich die Zeit der- trieben, als gebe es keinen Kummer, keine Arbeit in der Welt das erregte anfangs keinen Neid, sondern nur Er- staunen; Erstaunen darüber, daß das Leben sich so gestalten könne; Erstaunen über Menschen, die ihr Dasein so ange- nehm und ruhig, so rein und fein vor allem einzurichten der- mochten, ohne daß man sagen konnte, sie hätten anderen Un- recht getan oder Arme geplündert. Ohne sich dessen bewußt zu werden, fingen die Insel- dauern an, sich stillen Träumen hinzugeben; verstohlene Blicke nach der Großstuga zu werfen. Sahen sie ein Helles Sommer- kleid auf der Wiese aufleuchten, blieben sie stehen und weideten sich an den Anblick wie an etwas sehr Schönem. Gewahrten sie einen weißen Schleier um einen italienischen Strohhut, ein rotes Seidenband um einen schlanken Leib, in einem Boot auf der Bucht, zwischen den Fichten des Waldes, wurden sie still und andächtig vor Sehnsucht nach einem unbekannten Etwas, daß sie nicht zu hoffen wagten, zu dem sie sich aber hingezogen fühlten. Gespräch und Lärm unten in der Küche und der alten Stuga nahmen eine stillere Art an. Carlsson erschien be- ständig in reinem, weißem Hemd, hatte auch wochentags eine dlaue Tuchmütze auf und nahm allmählich das Aussehen eines Verwalters an; hatte einen Bleistift in der Brusttasche ader hinterm Ohr und rauchte oft eine leichte Zigarre. Gustav zog sich dagegen zurück, hielt sich so abseits wie möglich, um nicht zu Vergleichen Anlaß zu geben; sprach bitter von Städtern im allgemeinen; mußte sich und andere öfters als früher an das Geld auf der Bank erinnern; machte weite Bogen, um an der Großstuga vorbeizukommen und den hellen Kleidern auszuweichen. Rundqvist ging mit finsterem Gesicht umher, hielt sich meist in der Schmiede auf und erklärte, er frage den Teufel flach der ganzen Welt, und sei es die Königinwitwe selber. Norman dagegen holte seine Soldatenmütze hervor, schnallte den Hungerriemcn über das Wams und schlug Haken um den Brunnen, wohin die Mägde der Herrschaft morgens flnd abends zu kommen pflegten. Am schlimmsten kamen Clara und Lotte weg; die sahen bald alle Mannsleute feige abfallen, um zu den Mägden der Herrschaft überzugchen, die sich auf Briefen Fräulein nennen ließen und im Hut nach Dalarö  , dem Badeort, fuhren. Clara und Lotte mußten barfuß gehen; im Viehstall war es so schmutzig, daß sie ihre Stiefel bald verdorben hätten; auf der Wiese und in der Küche war es zu heiß, um beschuht zu sein. Sie trugen dunkle Kleider und konnten sich nicht einmal eine weiße Passe erlauben, infolge von Schweiß, Ruß, Spreu. Clara machte einen Versuch mit Manschetten, kam aber übel im; sie wurde sofort entlarvt, und man lachte lange über sie, daß sie sich in Wettstreit eingelassen. Doch am Sonntag hielten Clara und Lotte sich schadlos; da legten sie einen Eifer für den Kirchengang an den Tag, wie man seit Jahr und Tag nicht gesehen; nur um ihre besten Kleider anziehen zu können. Carlsson machte sich immer etwas beim Professor zu schaffen: blieb stets am Vorbau stehen, wenn jemand dort saß; fragte nach dem Befinden; sagte schönes Wetter voraus; schlug Ausflüge vor; gab Ratschläge und Aufschlüsse über die Seefischerei. Dann und wann bekam er ein Glas Bier oder einen Kognak. Die anderen beschuldigten ihn bald, halblaut, er schmarotze. Am Sonnabend, wenn die Köchin der Herrschaft nach dem Badeort Dalarö   fuhr, um einzukaufen, entstand ein Meinungsaustausch, wer sie rudern solle. Carlsson ent- schied die Sache ganz einfach zu seinen Gunsten, denn das kleine, schwarze, weißhäutige Mädchen hatte es ihm angetan. Ms die Alte ihm Borstellungen machte, der erste und wich- tigste Mann auf dem Hof dürfe sich nicht mit solchen kleinen Diensten befassen, antwortete Carlsson, der Professor habe ihn eigens gebeten, weil wichtige Briefe zur Post müßten. Gustav verriet wider Willen, daß auch ihm daran gelegen sei, den Boten zu machen, indem er dorschlug, die Briefe sollten ihm anvertraut werden. Carlsson aber erklärte bestimmt, er könne unmöglich zu- geben, daß der Hausherr Knechtesdienste verrichte; das' gebe den Leuten nur Stoff zum Klatschen. Und dabei blieb es. Den Dalaröbotcn zu machen, hatte seine Vorteile, die der findige Knecht im voraus aufgespürt. Zuerst war man allein mit dem Mädchen auf See und konnte ungestört mit ihr schwatzen und schäkern. Dann folgten Bewirtung und Trinkgelder. Und im Badeorte konnte er sich alle Kaufleute verpflichten, indem er ihnen einen Kunden verschaffte; das brachte immer einen Händedruck ein, einen Schnaps hier, eine Zigarre dort; auch fiel ein gewisser Schein von Ansehen auf den, der Aufträge vom Professor zu besorgen hatte, am Wochentag fein gekleidet war und sich in Gesellschaft eines Fräuleins von Stockholm   befand. Die Fahrten nach Dalarö   fanden jedoch nur einmal in der Woche statt und hatten keinen störenden Einfluß auf den regelmäßigen Gang der ArKit. Carlsson war nämlich so pfiffig, die Tage, an denen er fort war, den Burschen die Ar- beit in Akkord zu geben: Sie mußten so und so viele Klafter entwässern, und so und so viele Aecker pflügen, so und so viele Bäume fällen; dann waren sie frei. Die Leute gingen mit Vergnügen darauf ein, denn auf diese Weise konnten sie schon zur Vesperzeit fertig sein. Bei solchen Gelegenheiten, wenn die Arbeit zugemessen und die geleistete geprüft werden mußte, kam der Bleistift und das jetzt eingeführte Notizbuch zu Ehren. Carlsson ge- wöhnte sich daran, als Verwalter aufzutreten und allmählich die Arbeit auf andere Schultern gleiten zu lassen. Gleichzeitig richtete er sich auf der Kammer wie in seinem eigenen Junggesellenzimmer ein. Tabakrauchen war längst eingeführt: auf den Tisch am Fenster hatte er ein grüneS Taschentintenfaß, Federhalter, Bleifeder, einige Bogen Post- Papier aufgetischt und mit Leuchter und Streichholzgestell geordnet: es sah aus wie ein Schreibtisch. Das Fenster ging nach der Großstuga; daran saß er in seinen Erholungsstunden und beobachtete die Bewegung der Herrschaft; auch konnte er hier zeigen, daß er zu schreiben verstand. Abends machte er das Fenster auf, legte die Ellbogen aufs Fensterbrett und schmauchte eine Pfeife oder einen Zigarrenstummel, den er aus der Westentasche hervorsuchte. Oder er las ein Wochenblatt. Von unten sah das so aus, als sei er der Hausherr selber. Wenn es aber dämmerig wurde und er Licht ansteckte, legte er sich aufs Bett und rauchte. Dann kamen die Träume, Pläne vielmehr; die bauten sich auf Umstände auf, die zwar noch nicht eingetreten wiyren, aber durch eine kleine Befinge- rung sich vielleicht einstellen konnten. Als er eines Abends so auf dem Rücken lag und Schwarzen Anker" qualmte, um die Mücken zu betäuben, während seine Augen sich auf das weiße Laken hefteten, das die Kleider bedeckte, ließ dieses plötzlich los und fiel zu Boden. Wie den Schatten einer Reihe Soldaten sah er die ganze Garderobe des Verstorbenen an der Wand Flankenmarsch machen: gegen das Fenster und zurück zur Tür, je nachdem das Licht im Zuge flackerte. Carlsson glaubte den Toten in all die Gestalten zu sehen, welche die Kleider auf die karierte Tapete zeichneten. Da kam er in Joppe aus blauer Boi und in grauen Tuchhosen, in denen Knie waren, da er mit denen im Trebel   am Steuer gesessen, wenn er mit Fischen nach der Stadt segelte, um dann in derMessingstange" mit dem Fischkäufer Toddy zu trinken. Hier kam er in schwarzem Geh- rock und langen, flatternden Hosen: so ging er zur Kirche, wenn Beichte war; so war er auf Hochzeit, Begräbnis, Kinds- taufe gekleidet. Dort hing die schwarze Jacke aus Schaffell; die hatte er an, wenn er im Herbst und Frühling am Strand stand und Zugnetz zog. Dort brüstete sich der große Seehund- pelz, der noch Spuren vom Weihnachtsschmaus trug. Der Reisegurt, mit grünem, gelbem, rotem Wollgarn gestickt, ringelte sich wie die große Sceschlange bis auf den Boden. Carlsson wurde warm unterm Hemd, wenn er sich in