an.«in Netz, das melirere hundert Meter lang und ebenso breit ist, also das Fjordende ganz sperren kann. Die ärmeren Fischer betreiben den Fischfang in Gruppen von 5 bis 7 Mann, wobei sie mit kleineren in das Wasser herabgelassenen Netzen einen Teil des Heringszuges abschöpfen. Die Unbestimmbarkeit der Fangorte und die Notwendigkeit des— sozusagen— Handbetriebes verhinderten bisher, daß dieser Fischfang industrialisiert wird. Doch wird der Ertrag der Fischer durch einen anderen Umstand sehr geschmälert. Ein Teil des Ufers ist Privatbesitz. Strandet der Heringszug nun in einer Fjordecke, deren Ufer Privatbesitz sind, so verlangt der Besitzer, da der Fisch„auf seinem Grunde gefangen" wurde, ein Drittel der Beute als Gewinnanteil und erhält ihn auch, da er sonst das Be- treten seines Bodens verbieten kann. Wohlgemerkt: der Fischer verfolgt unter Lebensgefahr den Heringszug, lauert ihm bei Sturm und Wetter manchmal tagelang auf. Er hebt ihn an das Land, verarbeitet ihn. Der Bodenbesitzcr, der in dem Lofotengebiet zum größten Teile auch zugleich der Kaufmann ist, leistet dabei keine Arbeit, erlaubt nur, daß die Fischer zur Bergung des Fanges das Ufer betreten und erhält dafür ein Drittel des Fanges.— Ver- steht man nun, weshalb die Fischer der sozialistischen Agitation zugänglich, weshalb sie Klassengegner der Kaufleute und Gegner des Privatbesitzes an Grund und Boden sein müssen? Ganz ähnlich, wie der Heringsfischfang im Sommer, vollzieht sich der D o rs ch f i s ch f an g im Winter, nur find da die Fisch- bänke bekannt und die Vcrkünder der Dorschzüge sind da die Vögelschwärme, die ihnen folgen. Er ist auch ein ständiger Be- wohner dieser Gewässer, während der Hering den Ozean nur im Sommer verläßt, um in den Buchten zu laichen. Die Grundbasis der wirtschaftlichen Existenz der Nordlandfischer ist der Hering, und niemand weiß» woher er kommt, wohin er geht. Er ist das Manna, das aus dem Meere kommt.— IVeuc GrzablungsUtcratur. A. H. v. Kohl: Im Palaste derMikroben. Ueber- setzt von Math. Mann.(Verlegt bei Haupt u. Hammon, Leipzig .) Der Palast der Mikroben— das ist jene Schreckens- und Schmerzens-Arinada, die sich zu dem unglücklichen Zug Roschdestwenskis nach Ostasien rüstete. Nicht viel mehr als diese Todesfahrt der Russen gegen die Japaner auf schlechtgebautcn und übelbemannten Schiffen schildern die drei dicken Bände des RomanS. In der Reihe der Bücher, die vom Kriege handeln, lodert gemeiniglich die flammende Begeisterung, die die Menschenschlächterei für Gott, König und Vaterland verherrlicht, oder es wird die Verdammnis über die Mordgreuel ausgesprochen, wie in den Friedenspropaganda- schriften einer Berta v. Suttner und Genosien. Die Verwüstungen am Leibe und am materiellen Wohl der Menschheit stehen da im Mittelpunkt— hier aber wird der S e e l e n m o r d des Krieges gezeigt, jene fürchterliche Seuche, die die Gedanken und Gefühle der Menschen vergiftete, die bestimmt waren, ihr Leben einem un- bekannten Feinde zu opfern unter einer elenden und unsinnigen Strategie. A. H. v. Kohl— man wird sich den Namen dieses dänischen Schriftstellers merken müssen, denü er ist einer von der Rasse Johannes B. Jensens, der mit vergrößerndem Spürsinn und einer eminenten Mitteilungskraft das Labyrinth der Pfyche entwirrt— zeigt in unheimlich beklemmendem Naturalismus, in dem sich doch wieder geistige, ethische und poetische Strahlen faszinierend brechen, die grauenvolle Degeneration der Besatzung des Schiffes, das nichts anderes bedeutete, als eine demonstrative Parade. Infolge der Ge- wißheit, daß die miserable Flotte und der jammervolle KriegSzug nur ein zweckloser Humbug ist, erkranken Offiziere und Mannschaft an dem Bazillus der Hoffnungslosigkeit. Und in dieser Hoffnungs- lofigkeit kriecht über Gähnen, Langeweile, allerlei Selbstbetrug und Gefühlsmaskerade langsam und zermürbend die Bestialität hervor. Der Mechanismus der gesellschaftlichen Konvention gerät ins Stocken, brutale Gedanken drängen zu brutaler Handlung, die moralische Zwangsjacke zerreißt und der Kulturmensch schält sich in der ganzen Blöße seiner Seeleninfamie heraus. Luschinsky, der junge Offizier mit der Bravheit eine? guten Jungen wird zum Brennpunkt des Romans. Durch das Beispiel seiner Käme- raden— eS sind vier oder fünf Hauptcharaktere, die jeder ein Kapitel feinster Seelenanalyse für sich bilden— und infolge der Ausfichtslosigkeit auf Rettung und Sieg vollzieht sich in unaufhaltsamer Zerrüttung auch an ihm der Prozeß der Degeneration. Die Seiten über das sadistische Verhältnis zu seinem Diener Iwan sind eine verblüffende Studie bestialischer Verirrung und das spätere Erwachen des Gewissens nach dem Tod des armen Burschen ist mit Tolstoischer Feder geschrieben. Zu plastischer An- schaulichkeit erhebt sich die Schilderung des angestauten VerzweiflungS- gefühlS in Luschinsky, das sich in einem erotischen Peitschen an dem Burschen, in einer Art sexuellen Rache entlädt. Und mit Luschinsky wird auch baS ganze Geschwader zu Perversitäten getrieben. Sie beulen in die Ewigkeit hinein, die Hitze, die ihnen die Mikroben von Madagaskars pesterfüllter Erde eimerweise ins Fleisch pumpt, machte ihr Blut von Krankheiten kochend, und damit ist eine unverstandene Fackel der Begierde angezündet. Sie schwält, brennt, lodert, sengt und Meuterei, Unzucht, Mord ist die traurige Auslösung. Des Burschen blanschinnnerndeS Haufenblasenantlitz verfolgt Luschinsly in seine Träume, die jungen Leiber der Kadetten werden von de, Brunst der Menschenbestie geschändet. Ehe noch Togo der Menschen« zermalmer zu donnern anfängt, ist schon die russische Flotte, im Innersten verfault, verloren. Im Palast der Mikroben ist vom Mann nur daS.Stativ seiner Männlichkeit" übrig geblieben. Delirisien wurden alle und für dieses grausige Delirium findet Kohl Worte von einer ebenso grauenhaften Bildhaftigkeit. Sein Stil er- innert an die heftische Sprache des Russen Brjussoff, der gleichfalls anormale Seelenzustände mit einer Wollust der Grausamkeit schildert, auch der Franzose Brulat hat in seinem Roman„Eldorado" ein ähnliches Thema mit ähnlicher überhitzter Leidenschaft behandelt. Doch Kohl übertrifft beide noch in seiner zerfleischenden und ent- blößenden Ekstase. Es sind darum weniger die Scheußlichkeiten, Verruchtheiten, das Bacchanal flagellierender Degeneration, was in diesem Roman wie mit glühendem Stift sich einbrennt in das Ge« dächtnis des Lesers: es ist vor allem dieser vernichtungswütige, phantastisch-beladene Stil, der wirkt, wie ein einziger unaufhörlicher Krampf I Man müßte zur Kritik dieses Stils ganze Seiten anführen, um ein Bild von seinem Wortreichtum zu geben. Seine quälenden Vergleiche sind fast alle aus der Kloake, aus der Zone der Exkre» mente, die Sprache ist eitrig, voll Schleim und Geschwüre. Nie bin ich so zwischen physischem Ekel und Bewunderung hin und her ge« warfen worden. Doch muß ich gestehen, daß weniger mehr gewesen wäre. Man könnte z. B. fast einen ganzen Band allein mit den Stammellanten füllen, die Kohl im Dia- log zur Nervenfolter des Lesers anbringt. Math. Mann betont in einer Vorrede, daß sie die erste sei, die sich erkühnt habe, den Versuch zu machen, dem deutschen Leser einen Eindruck von der eigentümlichen Kraft der Sprache Kohls zu geben. Mir will aber doch scheinen, als ob in der sklavischen Anlehnung an die individu- ellen Wendungen des Originals manches Forcierte und manche Schief- heit mit unterlaufen ist. Stellen wie:„Grundwasser zu einem Fest legen",„Verpflichtetheit",„Jnwendigkeiten",„vom Schweiß des vorigen Mals" usw. klingen unserem Öhr etwas barbarisch. Freilich noch lange nicht so barbarisch, wie zum Beispiel folgende Sätze, an denen die Uebersetzerin allerdings schuldlos ist:„Sie machten ihn stangensteif über den ganzen Leib, schlugen ein Gitterwerk vor seinem Atemholen zu, spalteten seine sämtlichen Muskeln mit ihren kantigen Stöcken, klemmten seine Gedärme hie und da zusammen, sso daß sie jjliedergeteilt und quabbelig wurden wie Bandwürmer und zerrten ihm den Mund rund. Kässj I Kö I... hö... hickste er"... Von solchen Sätzen trieft das Buch und bei allem Respekt vor der Ausdruckskunst der Kohlschen Dichterphantasie mutz die Häufung seiner tropischen Metaphern doch zuletzt als Künstelei empfunden werden. Geistiger Reichtum ist die Stärke des Verfassers, aber eine Verschwendungssucht im Ausdruck ist seine Krankheit. Wir hoffen, daß er sich zu der Disziplin I. V. Jensens, den er übertrumpfen wollte, bekehrt. Vor der Hand behält der Eindruck einer experimen« tierenden Artistik die Oberhand. Henning Berger: Aus dem Tagebuch eines E i u s a m e n.(Verlag S. Fischer, Berlin .) Ein anderer Nordländer aus der Gefolgschaft Joh. V. Jensens. In seinem Roman Asail arbeitete er noch im Volldampf des Gigantensfils, wenn man das Ouadertürmen von gleichnisbeschwerten, koloristischen Sätzen so nennen will und seine Psychologie war gewissermatzen eine kosmische. Nun schreibt er mehr aus einer kulturellen Ruhe heraus, die Psychologie, die das flutende Leben umschlingen wollte, hat sich von den fühllosen Umdingen weg den empfindenden Lebewesen zugewandt. Diesmal ist es nicht die Stadt selbst, oder ein Symbol des Lebens, das ihn beschäftigt, wie in Vsail, diesmal sind es Menschenherzen. Dabei ist sein Stil stiller geworden, die athletische Gebärde, mit der Kohl noch Keulen schwingt, ist bei Berger verschwunden. Man darf mit Freuden konstatieren, daß dieses zweite Buch keinen Abstieg, sondern einen Aufstieg be« deutet. In einer Pariser Studenten- und Künstlerherberge, dem „Gespensterhotel, in dem die Menschen an Raumangst leiden", haust der Autor. Das Wandelpanorama der seltsamen Gäste, die dort hungern, phantastisch träumen, genialisch verderben, lieben und Schmerzen tragen, zieht an dem Leser vorüber. Seine Erlebnisse mit den Insassen, seine Beobachtungen vertraut der weltflüchlige Gast seinem Tagebuche an, seitenlang schaut er nicht nur durch die Wände der Zimmer, sondern auch durch die Wände der(Herzen. Zur Geschichte webt sich Dichterphantasie und Erfahrung, zur Geschichte der Einsamkeit. Neben dem windverwehten einsamen Tagebuch« schreiber wächst die Gestalt Hektars herauf, der verkörperten Melan- cholie, der in seinem öden Hotelzimmer in Einsamkeit trauert. Bettler. Dirne, Hund, Zigarre. Stock macht er auf Augenblicke zu Genossen seiner Verlassenheit, die ganze Marter des liebelosen Men- scheu, den die Nähe keines anderen wärmt, ist mit der feinen bohrenden Analyse weiterlebender Kunst geschildert. Und auf dem dornenvollen Leidenswege dieses Hektor, der seine Einsamkeit gleich- sam nährte mit seinem blinden Willen, findet der Verfasser eine Weisheit: Einsamkeit ist Selbstschuld. Wer einsam sein will,� wird es auch. Denn nicht von außen kommt Hilfe und Gesellschaft! So finden die einsamen Leben in dem Buche die Geschichte ihres Elends, aber auch eine Geschichte des Trostes und Zuspruchs. Wie in den Stellen der Göttlichen Komödie Dante solche in das Inferno verweist, die eigenwillig in Traurigkeit leben, so daß im tiefsten Höllenmoor die hausen, die„in der süßen Luft grämlich" waren, so predigt auch Henning Berger in sein. m Tagebuch eines Einsamen wider die selbstverschuldete Isoliertheit wie die HeltorS. Sie ent«
Ausgabe
26 (14.7.1909) 134
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