Anterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 188. Dienstag, den 20. Juli. 1909 LNachdriul verboten.) 14] Die Xnrclbauem. RMan von AugustStrindberg. Deutsch von Emil Schering . ' Noch einmal knackte der Zauntritt, und wie ein junger Stier kam der Quarnöer Bursche mit dem Fjellonger Mädchen angesprungen. Als sie hoch oben auf dem Zaun stand, das Gesicht vom Tanz gerötet und mit ausgelassenem Lachen die Weißen Zähne zeigend, legte fie die erhobenen Arme über Kreuz hinter den Nacken, als wolle sie sich fgllen lassen: und mit schnaubendem Lachen und aufgeblähten Nasenflügeln warf sie sich dem Burschen in die Arme: der empfing sie mit einem langen Kuß und trug sie in die Dunkelheit hinein. Die Alte stand hinter den Haselbüschen und sah Paar nach Paar kommen, gehen, wiederkehren: ganz wie in ihrer Jugend; und altes Feuer glühte wieder auf, das unter der Asche von zwei Jahren versteckt gewesen. Währenddessen war die Geige allmählich verstummt. Es war über Mitternacht, und die Morgenröte stand im Norden bereits schwach über dem Wald. Die Stimmen auf der Tenne wurden lauter und einzelne Hurrahrufe von der Wiese gaben an. daß sich die Tanzgesellschaft zerstreut hatte und die Heim- fahrt für die Mäher bevorstand. Die Alte mußte zurück, um beim Abschied zugegen zu sein. Als sie in den Hohlweg kam, wo sich die Dunkelheit so zu lichten anfing, daß man das grüne Laub unterscheiden konnte, sah sie Carlsson und Ida ganz hinten auf der Höhe kommen, Hand in Hand, als wollten sie einen neuen Tanz beginnen. Fürchtend, hier imgrünen Gang" getroffen zu werden, kehrte sie um und eilte über den Zauntritt, uni nach Haus zu kommen, ehe die Gäste gingen. Aber auf der anderen Seite des Zauntritts stand Rund- gvist und schlug die Hände zusammen, als er die Alte er- blickte, die ihr Gesicht in der Schürze verbarg, um nicht zu zeigen, wie sie sich schämte. Nein, ist die Tante auch im Wald gewesen? Ich sage ja. auf die Alten ist doch nicht mehr Verlaß als ans..." Sie hörte nicht mehr, sondern eilte, so schnell sie konnte, der Stuga zw Dort hatte man sie schon gesucht und empfing sie jetzt mit Hurrahrufen, Händeschütteln und Dankesworten für gute Bewirtung, um sich dann zu verabschieden. Als alles wieder still geworden und die Flüchtlinge aus Hag und Wiese herbeigerufen waren, ohne daß sich alle ein- stellten, ging die Alte zu Bett: Lange aber lag sie wach und lauschte, ob sie nicht Carlsson die Treppe zur Kammer hin- aufgehen hörte..._ Viertes Kapitel. (Es poltert zur Hochzeit; die Alte wird umS Geld genommen.) Das Heu war unter Dach, Roggen und Weizen geborgen. Der Sommer war zu Ende und er war gut gewesen. 'Er hat Glück, der Kerll " sagte Gustav über Carlsson, dem man nicht ohne Grund die Erhöhung des Wohlstandes zuschrieb. Der Strömling(der kleine Hering) war gekommen, und alle Männer außer Carlsson waren draußen in den äußersten Schären, als die Familie des Profesiors zur Eröffnung der Oper nach Hause mußte. " Carlsson hatte auch das Packen übernommen und lief den ganzen Tag mit der Bleifeder hinterm Ohr herum; trank Bier am Küchentisch, am Anrichteschrank, im Vorbau. Hier kriegte er einen abgelegten Strohhut, dort ein Paar ausge- tretene Segelschuhe: eine Pfeife, ungcrauchtc Zigarren nebst Spitze, leere Schachteln und Flaschen, Angelruten und Licbig- büchsen, Korke, Segelgarn, Nägel alles, was man nicht mitnehmen konnte oder für unnötig hielt. » Es fielen so viele Brosamen von des Neichen Tische, und man hatte allgemein das Gefühl, man werde die Abreisenden vermissen: von Carlsson an, der seine Liebste verlor, bis hinunter zu den Hühnern und Ferkeln, die nicht länger Sonn- tagsessen aus der herrschaftlichen Küche kriegten. Am wenig- sten bitter war der Kummer für die verlassenen Mägde Klara Md Lotte: trotzdem sie so manche gute Tasse Kaffee bekommen hatten, wenn sie Milch hinaufbrachten, fühlten sie doch, ihr Frühling werde wiederkommen, wenn nur der Herbst die Mit» bewerberinncn auf dem Liebesmarkte entfernte. Am Nachmittag, als der Dampfer kam und anlegte, um die Familie abzuholen, war große Aufregung auf der Insel, denn noch nie hatte dort ein Dampfer angelegt. Carlsson leitete die Landung, gab Befehle und führte das große Wort, während der Danipfer an die Brücke heran» zukommen suchte. Da aber hatte er sich auf ein Eis begeben, das ihn nicht tragen konnte, denn das Seewesen war ihm fremd: und gerade in dem stolzen Augenblick, als die Leine geworsen wurde und er. in Idas und der Herrschaft Gegen« wart, seine Getvandtheit zeigen wollte, kriegte er einen Arm voll Tau von oben auf den Kopf, daß ihm die Mütze herunter« geschlagen wurde und in die See fiel. In einem und dem- selben Augenblick wollte er die Trosse anziehen und nach der Mütze greifen: aber der Fuß blieb in einer Fuge hängen, er machte einige Tanzschritte und fiel nieder, während der Kapi- tän ihn schalt und die Matrosen ihn auslachten. Ida wandte sich fort, böse über das ungeschickte Benehmen ihres Helden; beinahe hatte sie geweint, so schämte sie sich seinetwegen. Mit einem kurzen Lebewohl ließ sie ihn schließlich am Landungs- steg zurück; und als er ihre Hand behalten und vom nächsten Sommer, von Briefwechsel und Adresse, plaudern wollte, wurde der Landungssteg ihm unter den Füßen fortgerissen: er kippte nach vorn über, und die nasse Mütze rutschte ihm in den Nacken; gleichzeitig brüllte der Steuermann ihm von der Kommandobrücke aus'zu: Wirst Du endlich das Tau losmachen!" Ein neuer Schauer Scheltworte hagelte auf den Unglück» lichen Liebhaber nieder, ehe er die Trosse losbekam.' Der Dampfer fuhr den Sund hinunter, und wie ein Hund, dessen Herr fortreist, lief Carlsson am Strand ent- lang, sprang auf Steine, strauchelte über Wurzeln, um die Landzunge zu erreichen, auf der er seine Flinte hinter einem Erlenbusch versteckt hatte, um den Ehrengruß abzugeben. Aber er niußte mit dem falschen Bein zuerst aus dem Bette gestiegen sein, denn gerade, als der Dampfer vorbeifuhr und er die hoch erhobene Flinte abfeuern wollte, versagte der Schuß. Er warf die Flinte ins Gras, holte sein Taschentuch heraus und winkte; lief am Strand entlang und schwang sein blaues Taschentuch, hurrahte und schnaubte. Vom Dampfer aber antwortete niemand, nicht eine Hand erhob sich, nicht ein Taschentuch bewegte sich. Ida war ver- schwanden.' Aber unermüdlich, rasend lief er über Granitfindlinge, sprang ins Wasser, stürzte gegen Erlenbüsche, kam an einen Fcldzaun und fuhr halb durch ihn hindurch, daß er sich an den Pfählen riß. Schließlich, gerade als das Boot hinter der Landzunge verschwinden wollte, stieß er auf eine Schilfbucht: ohne sich zu bedenken, sprang er ins Wasser, schwang noch ein- mal sein Taschentuch und stieß ein letztes verzweifeltes Hurrah aus. Das Achter des Dampfers kroch hinter die Kiefern, und er sah, wie der Professor mit seinem Hut zum Abschied winkte. Dann fuhr der Dampfer hinter die Waldspitze, die blaugelbe Flagge mit dem Posthorn hinter sich her schleppend, die noch einmal zwischen den Erlen hindurch schimmerte. Dann war alles verschwunden, nur der lange schwarze Rauch lag noch auf dem Wasser und machte die Luft dunkel. Carlsson plumpste ans Land und ging Schritt für Schritt nach seiner Flinte zurück. Er blickte sie mit bösen Blicken an, als sehe er eine andere, die ihn im Stich gelassen; er schüttelte die Pfanne, setzte ein neues Zündhütchen auf und feuerte ab. Darauf kam er an die Landungsbrücke zurück. Er sah den ganzen Austritt noch einmal; wie er gleich einem Hans» Wurst auf den Brückenplanken umhertanzte: hörte das Lachen und Schelten, erinnerte sich an Idas verlegene Blicke und kalten Handschlag: spürte noch den Dunst von Steinkohlen » rauch und Maschinentalg, vom Bratenfett aus dem Küchen- Herd und von der Oelfarbe der Schifssbekleidung. Der Dampfer war hierher in sein künftiges Reich ge- kommen und hatte Stadtmenschcn mitgebracht, die ihn ver» achteten: die ihn in einem Augenblick von seiner Leiter herab- stürzten, auf deren Sprossen er schon ein gutes Stück hinauf« geklettert war: die ihm er schluckte in der Halsgrube sein Sommerglück und seine Sommerfrcude entführten'T.