Nnt«rhaltungsblatt des HorwärtsNr. 141.Freitag� den 23. Juli.1909�Nachdruck tz«rboten.jIT]Die Infelbauern*Hloman von A u g u st Strindberg. Deutsch von Emil Schering.Die Alte nahm den ledernen Proviantsack und holte einschwarzes Buch mit goldenem Kreuz heraus. Wie ein Reise-kästchen, aus dem alten Frauen und Kranken stärkendeTropfen geboten werden, pflegte man dieses Buch vorzu-nehmen. Andächtig, als habe sie ein Stiick von der Kirchein ihre niedrige Hütte gebracht, trug sie das geheimnisvolleBuch, behutsam wie ein warmes Brot, auf ihren beidenHänden: schob vorsichtig die Tasse des Pastors beiseite: wischteden Tisch mit ihrer Schürze ab und legte das heilige Buchvor den schweren Kopf.„Lieber Pastor," flüsterte die Alte, während der Windim Schornstein lärmte,„da ist das Buch."„Gut, gut," antwortete der Pastor wie im Schlaf: streckteden Arm aus, ohne den Kopf zu heben, tappte nach der Kaffee-tasse und fuhr mit dem Finger so gegen den Henkel, daß erdie Tasse umstieß: in zwei Bächen floß der Branntwein überden fettigen Tisch.„Oh oh," klagte die Alte und rettete das Buch:„das gehtnicht I Sie sind schläfrig, Herr Pastor, und müssen sich nieder-legen."Aber der Pastor schnarchte schon: er ruhte mit dem Armauf der Tischplatte und hatte den langen Finger zu eineralbernen Gebärde ansgestreckt, als zeige er nach einem unsicht-baren Ziel, das augenblicklich unerreichbar war.„Wie sollen wirs nur anfangen, ihn ins Bett zu bringen?"klagte die Alte den Mädchen..Sie wußte, in welch furchtbare Laune er geraten konnte,wenn er aus dem Rausch geweckt wurde. Ihn in der Küchezu lassen, ging nicht der Mädchen wegen: auch in die Stubedurfte er nicht, denn dann hätte man darüber geklatscht.Die drei Frauen gingen um den Schlafenden herum, wieRatten die Katze umkreisen, um ihr Schellen anzuhängen,ohne es jedoch zu wagen.Inzwischen war das Feuer im Herd erloschen, und derWind drang durch Fenster und undichte Wände. Der Alte,der ja in bloßen Strümpfen dasaß, mußte kalt geworden sein,denn eins, zwei, drei erhob sich der Kopf, der Mund öffnetesich gähnend, und drei Aufschreie, die klangen, wie wenn derFuchs seinen Geist aufgibt, ließen die Frauen zusammen-fahren.„Ich glaube ich habe geniest." sagte der Pastor, erhob sichund ging mit geschlossenen Augen zu einem Fenstersofa: dortsank er nieder, streckte sich auf den Rücken aus, faltete dieHände über die Brust und schlummerte mit einem langenSeufzer ein.Ihn von dort weg zu bringen, daran war nicht zu denken.Auch Carlsson und Robert, die jetzt zurückkamen, wagtennicht, ihn anzurühren.„Er schlägt! Nehmt Euch in acht," sagte Robert.„Gebtihm nur ein Kissen unter den Kopf und werft eine Deckeüber ihn, dann schläft er bis zum Morgen."Die Alte nahm die Mädchen mit in die Stube. Robertmußte auf den Heuboden über dem Vorratsschuppen schlafen.Carlsson ging auf seine Kammer. Die Lichter wurden ge-löscht und es ward still in der Küche.Bald lag das ganze Haus im Schlaf, der mehr oderweniger ruhig war. �Am nächsten Morgen, als der Hahn krähte und FrauFlod aufstand, um ihre Leute zu wecken, waren der Pastorund Robert fort. Der Sturm hatte sich etwas gelegt, kalteweiße Herbstwolken zogen von Osten ins Land hinein und derHimmel war wieder blau.Gegen acht begann die Alte ihre Wanderungen nach deröstlichen Landspitze hinunter, um nachzuschauen, ob sich keinBoot draußen auf dem offnen Meere zeige. Draußen in derRinne zwischen den Kobben tauchte das eine und das anderegereefte Rahsegel auf, verschwand und kam wieder züm Vor-schein. Die See lag da blau wie Stahl, und die äußerstenSchären dämmerten, hingen wie an luftfarbigen Tüchern, alsseien sie aus dem Wasser in die Höhe geflossen und im Be-griff, sich wie Nachtnebel zu erheben. Die jungen Sägegänselagen auf Buchten und Landspitzen und liefen auf den Seen;tauchten, wenn sie den Meeradler auf seinem schweren Flugüber sich sahen, und kamen wieder in die Höhe; liefen vonneuem, daß das Wasser sprühte.Sah Frau Flod draußen auf einer Schäre die Möwenfliegen und hörte sie sie schreien, dachte sie: da kommt einSegel: und es kamen auch Segel, aber alle zogen an derInsel vorbei, entweder nach Norden oder nach Süden. Derkalte Wind und die weißen Wolken peinigten die Augen derAlten: sie ging in den Wald zurück, des Wartens müde. Siefing an Preißelbeeren in die Schürze zu pflücken, denn siekonnte nicht ohne Beschäftigung sein, sondern mußte etwashaben, mit dem sie sich die Unruhe vertrieb. Der Sohn warihr doch das Liebste: und sie war nicht halb so bekümmert ge-Wesen an jenem Abend, als sie am Zauntritt stand und eineandere dunkle Hoffnung in der Finsternis verschwinden sah.Heute sehnte sie sich mehr nach ihrem Jungen, denn sie hatteein Gefühl, er werde sie bald verlassen. Das Wort des Pastorsgestern abend über das Geschwätz hatte den Pulverfaden an-gesteckt: bald würde es puff! machen. Wem dann die Augen-brauen versengt würden, war nicht zu bestimmen: daß abereinem etwas geschehen werde, war anzunehmen.Schließlich schlenderte sie langsam nach Hause. Als sieauf die Eichenhöhe kam, hörte sie Stimmen unten von derLandungsbrücke. Durch das Eichenlaub sah sie, wie Menschensich um den Seeschuppen bewegten, mit einander sprachen,verhandelten, stritten. Es hatte sich, während sie fort war,etwas zugetragen! Aber was?Die Unruhe jagte die Neugier auf, und sie trabte dieAnhöhe hinunter, um zu erfahren, was geschehen war.Als sie an den Feldzaun kam, sah sie das Achterstück desNetzbootes. Sie waren also um die Insel herum gerudert!Normans Stimme war deutlich zu hören, wie er denVerlauf schilderte:„Er ging auf den Grund wie ein Stein: dann kam erwieder in die Höhe: da aber kriegte er den Tod mitten durchslinke Auge: es war genau so, als lösche man ein Licht aus."„Herr Jesus, ist er tot?" schrie die Alte und stürzte überden Zaun.>Aber niemand hörte sie, denn Rundqvist setzte die Leichen-rede im Boot fort.«Und dann warfen wir die Dregg und als der Anker-flügel ihn im Rücken packte, da..."Die Alte war hinter die Stangen gekommen, an denendie Netze trockneten, und konnte nicht hindurch; aber sie sah,wie durch einen Schleier vor einem Spiegel, hinter den auf-gehängten Netzen, wie alle Leute des Hofes um einen grauenKörper, der im Boot verstaut war, lagen, knieten, krochen.Sie schrie auf und wollte unter den Netzen durch, aber dieSchwimmer blieben in ihren Haarflechten hängen und dieSenker schlugen wie eine Geißel. i„Was haben wir denn da in den FluMernetzen ge-fangen?" schrie Rundqvist, der sah, daß das Garn lebendigwurde.„Nein, ich glaube, das ist Tante!"„Jsts aus mit ihm?" schrie Frau Flod so laut sie konnte.„Jsts aus mit ihm?"„Aus, wie mit einem toten Hund!"Die Alte kam endlich los und eilte an die Landungs-brücke. Da lag Gustav mit bloßem Kopf im Boot auf demBauch, aber er bewegte sich, und unter ihm war ein großerhaariger Körper zu sehen.„Bist Dus, Mama?" grüßte Gustav, ohne sich umzu,drehen.„Sieh, was wir gefangen haben!"Die Alte machte große Augen, als sie einen fetten See-Hund erblickte, dem Gustav gerade das Fell abzog. Seehundegabs allerdings nicht alle Tage; das Fleisch konnte manessen, wie es jetzt war; der Tran reichte zu manchem PaarStiefel: das Fell war wohl seine zwanzig Kronen wert. Abernötiger war doch der Winterströmling, und sie sah nicht eineFlosse im Boot; wurde deshalb etwas verstimmt, vergaß so-wohl den wiedergefundenen Sohn wie den unerwarteten See«Hund und brach in Vorwürfe aus:„Und der Strömling?"-