„Dem War nicht beizukommen, antwortete Gustav. Aberden kann man ja schließlich kaufen, während man Seehundenicht alle Tage kriegt."»Ja, so sprichst Du immer, Gustav! Aber es ist wirklichSine Schande, drei Tage auszubleiben und nicht einen ein-eigen Fisch heimzubringen. Was sollen wir denn diesenWinter essen?"Sie fand aber keine Zustimmung vom Strömling hatteMan genug bekommen, und Fleisch war Fleisch; außerdemhatten die Jäger durch ihre Erzählung des merkwürdigenJagdabenteuers alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.„Ja," benutzte Carlsson die Gelegenheit, indem er sichSin Stück vom Aas abhieb,„hätten wir jetzt nicht den Acker-bau, so kriegten wir nichts zu essen!"An diesem Tag fischte man nicht mehr; der große Wasch-kessel wurde aufs Feuer gesetzt, um den Tran auszukochen:in der Küche wurde gebraten und geschmort; dazwischen trankman Kaffeehalbe. Auf der südlichen Wand der Scheune wurdedas Fell wie ein Siegeszeichen ausgespannt; Leichenredenwurden, dabei gehalten, und alle kommenden und gehendenKleingläubigen mußten ihre Finger in die Schußlöcherstecken und anhören: wie das Blei dahin gekommen; wo derSeehund auf den Stein gekrochen war; was Gustav im letztenAugenblick, als der Schuß losgehen sollte, zu Norman sagte;wie sich der sterbende Seehund im letzten Augenblick benahm,als ihm das„Leben wie ein Faden abgeschnitten wurde".Carlsson war kein Held in diesen Tagen, aber erschmiedete heimlich sein Eisen; und als das Fischen zu Endewar, setzte er sich mit Norman und Lotte ins Boot, um nachder Stadt zu fahren.(Fortsetzung folgt.)lNachdruir verboten.)21 6in Pogrom.Von Aage Madelung.,� Klawdia Alexandrowna war mit einem Beamten verheiratet,der außerhalb der Stadt zu tun hatte. Er hieß Posctin und hattenicht viel Interesse für seine Frau. Es war viel freier und frischerauf dem Lande. Die Wiesen waren grün und weich, und dieMädchen rot und frisch und rund in den Hüften.Das konnte man von seiner Frau nicht sagen. Ja, eS warschwierig, in der Beziehung etwas über sie zu sagen. Wenn Posekinetwas über den Durst getrunken hatte, konnte er auf peinlicheEinzelheiten kommen; und man muß gestehen, daß sie nicht an-ziehend war. Sie war ein langes, dürres Frauenzimmer mitmännlichen Bewegungen. In ihrem Gesicht lag oft ein Ausdruck,als zöge etwas die Mundwinkel herab und die Augenlider hinauf.Es sah aus, als hätte sie plötzlich und unerwartet in eine seltsameFrucht mit scharfem und stechenden Nachgeschmack gebissen.Sie war nicht mehr jung, hatte aber starke Neigungen, unddiese suchte sie in dem Brüllen der„Schwarzen Bande" nach Ge-walt und Blut zu dämpfen. Sie war eine der Frauen, deren Ge-schlecht nicht auf der breiten Karawancnstraße wandert, wo in ge-messcnen Zwischenräumen gute Oasen und Brunnen liegen in derWüste der Lust.Sie war nie erlöst worden, hatte in keiner Seligkeit geschwelgtUnd war also zum Satan und seinen Taten nicdergestiegen.Vorläufig hatte sie nur in den grauenvollen Berichten überPogrome in anderen Städten schwelgen können; aber es befielensie heftige Träume von der Möglichkeit eines gleichen oder nochtausendfach wahnsinnigeren gerade hier dicht bei ihr, daß Blut undGeheul über alle Nerven rieseln könne. Sic diente Gott und seinemStellvertreter auf Erden. Die Welt sollte die Knie vor ihnenbeugen, und sie wollte die Geißel schwingen über die Gottlosen.Als Pilgerin oder als Handelsfrau verkleidet predigte sie dieDogmen der„Schwarzen Bande" auf dem Markt und in den Gassen.Sie tauchte mitten zwischen den trunkenen und rasenden Bauern inden Kneipen auf und hetzte sie auf die studierende Jugend, auf dieJuden und alle anderen Träger von Freiheitsideen...Von ihnen käme alles Unglück über Rußland. Sie wallten denBauern die Scholle nehmen. Sie seien des Volkes und des ZarenFeinde!...Zu Haus bei sich versammelte sie eine kleine Gemeinde derunwissendsten Spießbürger, verteilte Embleme und schrieb dieGläubigen in ihre Bücher ein.Es war leicht für sie, Anhänger unter den orthodoxen Kauf-teuten und Handwerkern zu gewinnen. Sie waren von einem un-heilbaren Haß gegen die Revolution und ihre großen Losungen er-füllt. Worte wie: Achtstündiger Arbeitstag, Expropriation desLandes, der Vermögen und Produktionsmittel brachten sie zumRasen, und sie gingen zu den Flußarbeitcrn, Lastträgern und ihreneigenen Arbeitern und Leuten, um ihnen auf ihre Weise die Nieder-lagen im Kriege, die Revolution und die herrschende Not zu er-klären. Sie führten ihre Sache gut. We?n's die Zunge nicht tat,>2—brauchten sie Branntwein und Geld. Das konnten die Sozialistennicht bieten. Gefängnis und Hunger war alles, was von denenkam, wenn man nicht gar niedergeschossen wurde wie die Hundeaus der Straße.Vor einem Jahre, unter der ersten revolutionären Begeiste-rung, hatten diese nackten und verrückten Leute mit entblößtenHäuptern tote Verbannte zu Grabe geleitet. Jetzt waren sie jeder-zeit bereit,„die Feinde des Zaren" niederzumetzeln. Sie hattendie Geduld verloren. Die Revolution hatte nicht sogleich haltenkönnen, was sie versprach. Und die Hefe des Volkes hat sich vonjeher sklavisch dem angeboten, der für den Augenblick die Oberhandhatte.Die Bauern waren nicht so leicht umzustimmen. Sie konntensich in den Gang des Spiels hineinbuchstabicren und verstanden,wer in Wirklichkeit Freund und Feind war. Aber sie waren leichtbeweglich wie alle Kinder Asiens. Kam ihnen etwas in den Weg,so wälzten sie es fort, ohne Ansehen der Person. Sie waren zuScharen in Europa eingerückt, wohnen noch in Dörfern zusammenund nutzen die Erde gemeinschaftlich. Wenn sie sich erheben undin Zug kommen, rücken sie vor wie Horden, ins Blinde hinein,ohne des einzelnen Mannes Ueberlegung, jeder für sich...Frau Posekin verließ ihr Haus. Es lag in der Adelstraße, woin alten Tagen die Gutsbesitzer ihre Wintcrwohnungcn aus desWaldes schwersten Föhrenstämmen errichtet hatten. Sie hattendamals die Mittel dazu, als sie Leibeigene hielten. Nun war e9mit ihnen zurückgegangen, und die Kaufleute hatten ihre altenHäuser in der Stadt gekauft.Posekins Haus war auch zu jener Zeit erbaut. Es stand etwagschief, aber das Holz war frisch, als wären IlX) Jahr für es ge«Wesen wie ein Tag. Zwischen den vier dicken Holzfäulen an derFassade war in halber Manncshöhe vom Erdboden ein großerBalkon mit Glastüren, die ins Haus führten.Gerade gegenüber, hinter der Birkenallee, lag ein großes,rotes Backsteingebäude mit weißem Portal. Das war das„Volks-haus", errichtet von der Vereinigung„Gegenseitige Hilfe". ZwanzigJahre hatte sie zu diesem Heim für Aufklärung und Geistesbildunggesammelt. Tausend Dilcttantcnvorstellungen und Vorträge, kleineund große Beiträge der Intelligenz der Stadt und nun zum Schlußeine Anleihe beim Magistrat hatten den Gedanken, ein eigenesHaus zu bauen, ermöglicht, wo jeder, der nach Bildung dürstete»eintreten konnte und willkommen geheißen wurde.In der letzten Zeit war es durch die natürliche EntWickelungder Dinge die Heimstätte der Freiheitsbewegung in der Stadt ge--worden. Der große Versammlungsfaal, mit der Bühne im Hinter»grund, stand den verschiedenen Parteien offen. Jeder hatte gratisZutritt zur Bibliothek. In der Vorhalle wurden zum besten vonRußlands großer Sache politische und sozialökonomische Schriftenin Zweikopeken-Ausgaben verkauft. Dort las man vor einemhalben Jahre das Freihcitsmanifest taufenden tiefbewegten Zu-Hörern bor. Dort an seiner Mauer hatten die ersten Kämpfe mitder„Schwarzen Bande" stattgefunden, und Revolverkugeln undSteine hatten die Fenster zertrümmert. Schreie und krampfhaftesWeinen waren aus der dichtgedrängten Menschenmasse gedrungen,während zehn bewaffnete Männer den Pöbel zurückgedrängthatten.'Dies Haus war des jungen Rußlands Tempel, und deshalbsah es Frau Posekin mit einem haßerfüllten Ausdruck in ihremmageren und scharfen Gesicht an, als sie auf hie Straße trat.„Dieses Tcufelsnest," dachte sie und knüpfte ihr graues Tuchfest unters Kinn. Sie ging die Birkenallee hinunter. Der sonnen-warme Kies knirschte unter ihren Gummizugstiefeln.An der Verkündigungskirche standen schon die Bauernfrauenund boten ihre Spitzen feil. Die Körbe waren mit feinen Hemd-besätzen, Halskrcmfen und Seidenschals gefüllt. Die Weiber locktendie Käufer mit den besten Proben, legten die fort, die sie eben inden Händen gehabt hatten, und nahmen neue auf. Es wurdetüchtig geklatscht. Neuigkeiten und Gerüchte wurden ausgetauschtzwischen Stadt und Land. Man erzählte sich von Bekannten, diein der Trunkenheit andere Bekannte erschlagen hatten, von Hoch--zeiten und Wochenbetten, von Versetzen und Kalben, von Tee undZucker und anderem einschlägigem Geschwätz, alles während mit den„Madams", die die Spitzen kauften, gefeilscht und gehandelt wurde.„Na, Madamken, wollen Se keine Spitzen heute? Sehen Se.hier sind noch'n paar feine für fünfzehn Kopeken de Arschine."riefen sie zu Frau Posekin, als sie durch die Reihen ging. SiHkaufte auch ab und zu Spitzen, aber heute war keine Zeit dazu.;Sie blieb einen Augenblick bei einer der Frauen stehen undging gleich weiter.„Habt Jhrs gehört?" rief eines der Weiber, als Frau Posekinvorbei war.„Die Studenten wollen die Läden schließen. Wir be»kommen vielleicht auch keine Erlaubnis, heute hier zu stehen. DieSozialisten wollen den Zaren im Volkshaus beschimpfen und aufdie Bauern schießen««, Niederschlagen.sollte man sie, dieRäuber..."Die Weiber steckten die Köpfe zusammen. Das Gerücht gingvon Mund zu Mund und nahm die wildesten Formen an.„Die Studenten und die Sozialisten wollen die Kirchen inBrand stecken und gotteslästernde Lieder singen. Im VolkshauSsoll der Antichrist angerufen werden. Die Bilder des Heilands unddes Zaren sollen von den Wänden gerissen und geschändetwerden.,,