AnterhaltungsSlatt des vorwärts Nr. 143. Donnerstag, den 29. Juli. 1909 '(Nachdruck verbotea.) 20 Die Inlelbauern. Roman von August Strindöerg. Deutsch von Emil Schering . Es war eine felsige Insel, einige Morgen groß, mit einer Talmulde in der Mitte. Einige kahlköpfige Ebereschen standen zwischen den Steinen; auch wuchs der prachtvolle Spindelbaum mit seinen feuerroten Beeren in den Klüften: und die Talmulde war mit einer dichten Matte aus Heide- kraut. Krähenbeere, Multcbeere bedeckt; die letzten hatten angefangen, gelb zu werden. Vereinzelte Wachholderbüsche lagen wie platt getreten an den Felsen und schienen sich mit den Nägeln festzuhalten, um nicht fortgeweht zu werden. Hier war Gustav zu Hause; kannte jeden Stein; wußte. welchen Wachholderbusch er heben mußte, um die brütende Eider zu finden, die sich den Rücken streicheln ließ und ihn ins Hosenbein biß. Er steckte seine Gabelstange in einen Bergspalt und zog die Alke heraus, um ihnen den Hals um- zudrehen, da er sie zum Frühstück haben wollte. Hier draußen fischten die Hemsöer ihre Strömlinge. Hier hatten sie zusammen mit einer anderen Fischergescll- schaft einen Schuppen gebaut, in dem sie Nachtherberge zu nehmen pflegten. Dorthin lenkte auch Gustav feine Schritts, nahm den Schlllsiel von seinem gewöhnlichen Ort unterm Dachbart und trug seine Gerätschaften hinein. Der Schuppen bestand aus einem Raum ohne Fenster, hatte aber Bettkojen,. die fachförmig übereinander aufgeschlagen waren; einen Herd, einen Tisch, einen Dreifuß zum Sitzen. Nachdem er seine Sachen verstaut hatte, kletterte er nach dem Dach hinauf, um die Schornsteinluke zu öffnen. Als er wieder herunter kam, holte er die Streichhölzchen von ihrem Nlatz unter einem Balken und machte Feuer im Herd; dort hatte der letzte Besucher, nach altem Brauch, einen Arm voll Brennholz für seinen Nachfolger zurecht gelegt. Dann setzte er den 5kartoffelkcssel auf und legte einige gesalzene Fische über die Llartoffeln. Während er wartete, rauchte er eine Pfeife. Als er gegessen und getrunken hatte, nahm er die Flinte und ging zum Boot hinunter, wo er die Lockvögel hatte. Ruderte die hinaus und verankerte sie vor einer Landzunge. Kroch dann in die Schicßkoje, die aus Steinen und Reisig gebaut war. Die Lockvögel schaukelten auf den langen Wellen, die hereinbrachen, aber keine Eidcr fielen ein. Das Warten wurde ihm lang, und er ermüdete. Trieb sich auf den Strandsteinen umher, um eine Otter aufzuscheuchen; sah aber nur schwarze Nattern und Wespennester zwischen glänzendem Weiderich und vertrocknetem Sandhafer. Es schien ihm auch nichts daran zu liegen, etwas zu be- kommen: er trieb sich mehr herum, um sich herumzutreiben: um nicht daheim sein zu müssen; es machte ihm Vergnügen, sich hier draußen herumzutreiben, wo niemand ihn sah, nie- wand ihn hörte. « Nach dem Mittagessen legte er sich in den Schuppen nieder und schlief. Zur Vesperzeit ruderte er mit der Dorschleine hinaus, um sein Glück auf diese Art zu versuchen. Die See lag jetzi blickstill, und er sah, wie sich das Land gleich dünnem Rauch in der goldenen Straße der sinkenden Sonne ausstreckte. Es war still um ihn wie in einer windstillen Nacht, und er härte das Dunken der Ruderdollen meilenweit. Die Seehunde badeten in gehöriger Entfernung, steckten ihre Schwachköpfe aus dem Wasser, blökten, pusteten und tauchten wieder unter. Der Dorsch biß wirklich; es gelang Gustav, einige Weiß- bauche heraufzuholen, die mit ihrem großen, aber ungefähr- lichen Schlund nach Wasser schnappten und mit ihren Augen in der Sonne blinzelten, als sie aus ihrer dunklen Tiefe hervorgeholt wurden und über die Reling ins Boot sprangen. - Gustav hatte auf die nördliche Schäre zu gehalten; als es schnell Abend wurde und er wendete, um zurückzufahren, merkte er erst, daß der Schornstein des Schuppens rauchte. Er fragte sich, wer das sein könne, und machte, daß er so schnell wie möglich hinkam. «Bist Du's?" hörte er von innen und erkannte die Stimme des Pastors. �- ..Nein, Sie sind's, Herr Pastor," rief Gustav erstaunt, als er den Geistlichen am Herdfeuer fitzen und Heringe braten sah.„Sind Sie allein draußen?" „Ich bin herausgefahren, um Dorsch zu fischen; ich habe auf der Südseite gesessen, deshalb habe ich Dich nicht gesehen. Aber warum bist Du nicht zu Hause und hilfst die Hochzeit rüsten?" „Ich werde die Hochzeit nicht mitmachen," meinte Gustav. „Ach, Geschwätz, warum willst Du sie nicht mitmachen?" Gustav erklärte, so gut er konnte, seine Gründe, aus denen hervorging: er wollte einmal ein Fest nicht mitmachen, das ihm zuwider war; Zwestens wollte er den brandmarken, der sein Widersacher war. „Aber Deine Mutter?" wandte der Pastor ein;„ist es nicht schade um sie, so bloßgestellt zu werden?" „Das kann ich nicht finden," antwortete Gustav.„Es ist eher schade um mich: ich kriege diesen Knoten zum Stiefvater und kann den Hof nicht erben, solange der darauf fitzt." „Ja, mein Junge, das ist jetzt nicht mehr zu ändern; vielleicht aber kann man später einmal was dabei machen. Jetzt mußt Du morgen ganz früh Dein Boot nehmen und heimsegeln. Die Hochzeit mußt Du jedenfalls mitmachen!" „Daraus wird nichts, da ich's mir einmal in den Kopf gesetzt habe," versicherte Gustav. Der Pastor ließ den Stoff fallen und fing an, auf dem Herdstein seine Heringe zu essen. „Du hast wohl keinen Schnaps bei Dir?" begann er von neuem.„Siehst Du. meine Alte schließt alles Starke ein, und ich kriege so früh nichts." Gustav hatte Branntwein. Der Pastor nahm sich einen gehörigen Schluck. Darauf wurde er gesprächig und schwatzte alles mögliche über die Angelegenheiten des Kirchspiels, sowohl die häuslichen wie die inneren. Auf den Steinen vorm Schuppen sitzend, sahen sie die Sonne untergehen und die Dämmerung sich wie ein melonen- farbiger Nebel über Kobben und Wasser legen. Die Möwen gingen auf der Tangbank zur Ruhe, und die Krähen zogen nach den inneren Schären, um in den Wäldern Nachtquartier zu suchen. Es ward Zeit, zu Bett zu gehen. Erst aber mußten die Mücken aus dem Schuppen verjagt werden. Zu diesem Zweck wurde die Tür geschlossen und der Raum mit„Schwarzem Anker" vollgeraucht; darauf wurde die Tür wieder geöffnet und die Jagd mit Ebereschenzweigen angestellt. Die beiden Fischer warfen die Röcke ab und kletterten in ihre Kojen. „Jetzt mußt Du mir noch einen Flohtrunk geben," bettelte der Pastor, der schon sein gehöriges Teil erhalten hatte. Auf dem Bettrand gab Gustav ihm die letzte Oelung. Dann wollte man schlafen. Es war dunkel im Schuppen; nur der eine und der andere Streifen Tageslicht brach durch die undichten Wände. Doch in dex schlechten Beleuchtung fanden einzelne Mücken ihren Weg zu den Schläfrigen, die sich in ihren Kojen wanden und warfen, um den Quälgeistern zu entgehen. „Nein, das ist doch toll!" stöhnte schließlich der Pastor. „Schläfst Du. Gustav?" „Bewahre! Heute nacht wird wohl nichts aus dem Schlafen werden. Aber womit soll man sich die Zeit der- treiben?" „Wir müssen wohl aufstehen und wieder Feuer machen; einen anderen Rat weiß ich nicht. Wenn wir nur ein Spiel Karten hätten, könnten wir eine„Mariage " machen. Du hast wohl keins?" „Nein, ich nicht, aber ich glaube zu wissen, wo die Qvarnöer ihres haben, antwortete Gustav, kletterte aus dem Bett, kroch unter die letzte Koje und kam wieder heraus mit einem Spiel Karten, das etwas abgegriffen war. Der Pastor hatte Feuer geschlagen, legte Wachholder- reisig auf den Herd und steckte einen Lichtstumpf an. Gustav setzte dm Kaffeekessel auf und zog eine Strömlingstrommel herbei: die wurde zwischen die Knie gelegt und diente als Spieltisch. Man steckte die Stummelpfeifen an. Bald tanzten die Karten-—■"
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26 (29.7.1909) 145
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