Anterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 147. Sonnabend, den 31. Juli. 1909 (Nachdruck verboten.) es] Die Infelbauern* Roman von August Strindberg . Deutsch von Emil Schering . Dann begann der Pastor: ..Teure Christen, die Ehe ist von Gott selber ge- stiftet..- . � Eine gute Weile war vergangen, die älteren Frauen kochen an ihrem Lavendel und weinten, als plötzlich ein Knall vom Hof zu hören war. und das Geklirr von Glasscherben. Man horchte einen Augenblick auf. ließ sich aber nicht weiter stören: nur Carlsson rührte sich etwas unruhig und schielte zum Fenster hinaus. Bald aber kam ein neues puffl puff! puff!, als entkorke man Champagnerflaschen: die Jungen, die an der Tür standen, fingen an zu kichern. Als sich die Unruhe wieder legte, fragte der Pastor den Nräutigam: „Vor Gott 'dem Allwissenden und in Gegenwart dieser Gemeinde frage ich Dich. Johannes Edvard Carlsson. ob Du diese Anna Eva Flod zur Ehefrau haben und sie in Lust und Leid lieben willst?" An Stelle der Antwort schmetterte eine neue Salve Flaschenkörke. Glasscherben klirrten und der Hund fing an ganz toll zu bellen. „Wer zieht denn da draußen Flaschen auf und stört den heiligen Akt?" brüllte Pastor Nordström wütend. „Danach wollte ich gerade fragen," platzte Carlsson her aus, der seine Neugier und Unruhe nicht länger zurückhalten konnte.„Ist es Rapp. der diesen Spektakel macht?" „Was soll ich machen," rief Rapp, der in der Tür stand und sich von der Zumutung verletzt fühlte. . Puff! puff! puff! knallte es unaufhörlich. '„Geht doch um Himmels willen hinaus und seht nach. was los ist, damit nicht noch ein Unglück geschieht," schrie der Pastor:„nachher fahren wir fort." Einige Hochzeits�äste stürzten hinaus, andere drängten sich an die Fenster. .„Das ist das Bier!" schrie jemand. /„Das Bier platzt!" wiederholte der Professor. „Wie kann man aber auch das Bier in den Sonnen- schein legen!" . Wie Kugelspritzen lagen die Bierflaschen in ihren Haufen pnd knallten und brausten, daß der Schaum auf die Erde rann. Die Braut war über die unerwartete Unterbrechung der heiligen Handlung erregt: das bedeutete nichts Gutes! Der Bräutigam wurde gescholten, weil er seine Anordnung schlecht getroffen hatte: beinahe wäre er in eine Schlägerei mit dem Bootsmann gekommen, auf den er die Schuld schieben wollte. Der Pastor war zornig, daß die heilige Handlung von den Flaschen gestört worden. Draußen aber standen die Jungen und tranken die Reste aus den Flaschenböden: während ihrer Rettungsarbeit bargen sie auch einige halbvolle Flaschen, aus denen nur die Korke herausgesprungen waren. Als sich schließlich der Sturm gelegt hatte, versammelte man sich von neuem im Saal, allerdings nicht mehr so an- dächtig wie vorher. Nachdem der Pastor die Frage an den Bräutigam wiederholt hatte, ohne daß sie von etwas anderem unterbrochen wurde als dem Kichern, das die Jungen im Flur nicht zu unterdrücken vermochten. Die Glückwünsche regneten auf die Neuvermählten «nieder: und so schnell man konnte, verließ man den Saal. der nach Sckiwciß, Tränen, feuchten Strümpfen. Lavendel und welken Blumensträußen roch. Eilig gings an den Kaffcetisch.. Carlsson nahm zwischen Professor und Pastor Platz: aber die Braut hatte nicht die Ruhe zum Sitzen, sondern mußte hierhin und dorthin eilen, um nach den Zurüstungen äU � Die Sonne schien glänzend an diesem Juliabend, und unter den Eichen plauderte und lachte man. Der Brannt- wein floß in die Kaffeetöpfe, als die zweite Tasse kam. in die man nicht mehr den Kuchen tauchte. Doch oben am Kopf- ende beim Bräutigam wurde Punsch geboten: weder Bauern noch Burschen sahen scheel darauf. Es war ein Getränk, das man sich nicht alle Tage leistete, und der Pastor ließ sichs aus feinem Kaffeetopf wohl bekommen. Heute war er ungewöhnlich mild gegen Carlsson und trank ihm unaufhörlich zu. rühmte ihn und zeigte ihm die größte Aufmerksamkeit. Doch vergaß er den Professor nicht, dessen Bekanntschaft ihm mehr Vergnügen machte, weil er so selten einen gebildeten Mann traf. Aber es war nicht leicht, ihn im Gespräch zu finden, da Musik nicht die starke Seite des Pastors war und der Professor aus Höflichkeit das Gespräch auf das Gebiet des Pastors zu bringen suchte. dem dieser gerade entkommen wollte. Da man Äuander so schwer verstand, konnte der eine dem anderen auch nicht näher kommen. Ueberhaupt sprach der Professor, der gewohnt war, seinen Gefühlen in Musik Luft zu machen, nicht viel. Jetzt kam der Spielmann, dem es sehr schwer wurde, unbemerkt dazusitzen, zum Hochsitz hinauf: durch Kaffeehalbe in seinem Mut gestärkt, wollte er mit dem Professor über Musik sprechen. „Bitte um Verzeihung. Herr Kammermusikus ." grüßte er und knipste an seiner Geige:„wir haben ja gewissermaßen etwas gemeinsam, denn ich spiele auch, wenn auch nur auf meine Art." „Geh zur Hölle, Schneider! Sei nicht unverschämt!'� wies ihn Carlsson ab. „Ich bitte um Verzeihung, aber ihn gehts nicht an, Carlsson! Versuchen Sie nur diese Geige, Herr Kammer- nmsikus, und sagen Sie mir. ob die nicht gut ist: sie hat zehn Reichstaler gekostet." Der Professor knippste die Quinte, lächelte und sagte freundlich: „Recht gut!" „Wenn sich nur jemand darauf versteht, dann kann man ein wahres Wort hören! Aber über Kunst sprechen mit diesen— er wollte flüstern, aber die Stimmittel weigerten sich zu nuancieren, und er schrie— Banernlümmeln..." „Gebt dem Schneider einen Tritt in den Hintern!" schrie man im Chor.__" „Hör mal, Schneider, Du darfst Dich nicht betrinken: dann können wir nicht tanzen!" „Rapp, Du mußt auf den Spielmann achten, daß er nicht mehr trinkt." „Bin ich nicht zum Trinken eingeladen? Bist Du viel- leicht geizig. Du Preller?" „Setz Dich, Friedrich, und sei ruhig," meinte der Pastor. „sonst kriegst Du Schläge." Aber der Spielmann wollte unbedingt über seine Kunst schwatzen: um seine Behauptung, daß die Geige vortrefflich sei, zu bekräftigen, fing er an zu quinkcliercn. „Hören Sie nur, Herr Kammermusikus, diese Bässe: die klingen ganz wie eine kleine Orgel..." „Der Schneider soll das Maul halten!.. Um die Tische entstand Bewegung und der Rausch nahm zu. Da schrie jemand: „Gustav ist da!" „Wo? Wo?" Klara sagte, sie habe ihn unten beim Holzhaufen gesehen. „Sag es mir, wenn er drinnen ist," bittet der Pastor; „aber nicht früher, als bis er drinnen ist, hörst Du!" Die Groggläser werden vorgesetzt, und Rapp zieht bis Kognakflaschen auf. „Das geht etwas hitzig," meinte der Pastor abwehren� Carlsson aber fand, es gehe, wie es gehen soll. Rapp forderte alle heimlich auf, mit dem Pastor anzu» stoßen. Bald hatte der seinen ersten Grog geleert und mußt« den zweiten bereiten. Der Pastor beginnt mit den Augen zu rollen und kaut« Er betrachtet so genau, wie er kann, Carlssons Züge und sucht zu ergründen, ob der seine volle Ladung erhalten. DaA Sehen aber fällt ihm schwer, darum beschränkt er sich darauf. mit ihm anzustoßen. Da kommt Klara und ruft: „Jetzt ist er drinnen, Herr Pastor! Jetzt ist er drinnen!" „Nein, was sagst Du, zum Teufel, ist er schon drinnen!'' Der Pastor hatte vergessen, um wen es sich handelte.
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26 (31.7.1909) 147
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