,815er, was Sie nit denken! Wann'S Frühjahr kommt«nd dieliebe Sonne, da setzen Sie Ihnen in an lomoten Winkel aufn Hof,nacher kommen scho die Kräfte aa."„Naa." sagte die Kranke eigenfinnig,.naa, das Frühjahr nemmtmich mit."„Frau Kleinert, unser Herrgott braucht Ihnen noch lang nit.Ter bat eine Menge andre zum Gurkeusäen."So sprach Grete— leichtfertig, wie man zu Sterbenden redet,wenn man sie trösten will.Sie wandte fich um und herrschte die Buben an:„Was klurstdenn noch. Franzi? Mach ins Bett, Hannes!" Sie schob beideenergisch hinter die spanische Wand.„Franz," sagte die Frau und wartete, bis ihr Mann an ihremBett stand,„Franz, wann ich im Frühjahr stirb— dann, waastt,nach die Ostern, nach der heiligen Fastenzeit, dann nimm die Grete.Sie geht so schö mit die Fratzen um. Wie a richtige Mutter."„Jo, na jo, murrte der Mann.Grete aber wand einen Zipfel der Schürze in den Händen undwar verschämt.Die Turmuhr der Sankt-Stefans-Basilika schlug dröhnend dieMitternacht. Da knickste die alte Grete und sagte:„Gesegnetesnenchs Jahr l" Sie füllte drei Gläschen mit Schillerwein, und manstieß miteinander an: der Hausmeister, die Hausmeisterin und Grete.„Bis zum Frühjahr," sagte die Frau.ES dauerte länger. Bis in den Sommer hinein. Im Früh-ling hatte die Frau noch im Hof gesessen— ein schiefer Sonnen-strahl traf sie, schief wie der Blick eines Geizhalses. Frau Kleinertwärmte sich in der kargen Sonne und sah gedankenvoll vor sich hin.All die Jahre hatte das Leben grausam schwer aus ihren Schulterngelegen, eine eiserne Bürde. Sorgen und Kummer. Und die Kinder.Jedes kostete Plage und brennende Schmerzen. Wollte gewiegt undgenährt sein. Und der Mann mit seinen Forderungen. Ja, und dasHaus. Der Mann ging am Morgen weg— er hatte seinen Dienstals Bankdiener. Sie, die Frau, kehrte und scheuerte und putzte— immerin Angst vor des Hausherrn prüfendem Auge. Sommers in wägdrückender Glut und Winters, wenn die eisigen Treppensteine unterder heißen Lauge, unter Bürste und Wischtuch dampften.Das war nun lang vorbei. Jetzt saß Frau Kleinert in ihremsoimendurchwärmten Eckchen und genoß endlich einmal ihr Leben.ES war zuletzt für sie noch hübsch auf der Welt geworden— alssollte ihr der Abschied recht schwer gemacht werdcu. Alle drei Stock-werle wetteiferten in Liebesgaben. Grete gar, die leistete Ueber-menschliches. Bei Tag räumte sie und kochte für ihre Herrschaft unddie Nächte widmete sie der Hausmeisterin und wusch und flickte.Alle waren so fteundlich gegen Frau Kleinert. Sie mußte ge-rührt lächeln. Gegenüber orgelte ein Klavierwerlel„Ich war einMädel jung und lieblich..." Im dritten Stock ein Zeiserl sangsüß und fein und sehnsüchtig. Frau Kleinert bemühte sich sehr,dieses armen, gefangenen Bogels Liebchen zu verstehen. Und dachteplötzlich an eine Wiese voll Gänseblümchen, Priemeln und Maiglockenund dachte an weidende Lämmer und Glockenklang.„Bim bam.bim bam," dröhnte es ihr in den Ohren und rauschte plötzlich aufzu einer großen, mächtig surrenden Welle, daß ihr der Scheinvor den Augen erblich, als hätt» die große Welt sich über sie gestürzt.Das Begräbnis der Frau Kleinert war sehr schön. Me weinten.am bittersten die Grete.Drei Wochen später wollte die junge, rosige, glückliche Gnädigemit Mann und Bubi zu ihrer Frau Mama aufs Gut— da sagtesie zu Grete:„Ich lasse Sie natürlich in der Wohnungmit Kostgeld und allem Nötigen."„Ich küß die Hand," sagte Grete,„indem daß ich mich der-ander. Ich bab nur auf der Gnädigen ihre Abreise gewart.'„Also wirklich?"„Ja, Gnädige," sagte die Grete, und eine Blutwelle bemühtesich, ihr Antlitz zu röten.„Zeit zum Warten is nit— wegen dieKinderln und zwegen dem Haus. Acht haben wer ich schon auf dieWohnung der Gnädigen."Im Herbst kam die Gnädige heim. Kaum hatte sie Hut undMantel abgelegt, lief sie hinab zur Hausmeisterin.Grete kam ihr strahlenden Angesichts entgegen. Das Kleinstehielt sie ans dem Arm, die Emmi hing an ihrer Schürze.„An Kohl-suppen koch ich." sagte Grete.„Bubi hat ein Zähnchen gekriegt," rief die Gnädige alsWichrigstes.„Uj je l Da faan mir scho weiter." antwortete Grete und kochtevergnügt.„Der Tonerl haben die Barmherzigen gestern an Backen-zahn gerissen."In der Stube war'S hell und fteundlich aufgeräumt. DaSBett, in dem Frau Kleinert gelegen hatte, war hoch geschichtet, miteiner gehäkelten Decke geschmückt.Sind Sie recht glücklich, Grete?"„Des will ich mannen", antwortete Grete stolz. Dann, nacheiner Sekunde des Schweigens:„Alle Zeit amal, gnä Frau, geh icham Friedhof und bring der armen Frau a Kranzl. Sie hat sich dochfür meiner plagt. Gott Hab sie selig. Ich Hab da immer därtenwarten und zählen und mei Kraft sparen. Sie hat indessen dieKinder geboren und sich die Gesundheit verruiniert. Ich, gnä Frau,bin am Zaun gsessen, und derweil saan nur da im Garten driimetmeine siinf schönen Blümcrln derblüht."Und Grete küßte das Kleine, das sie am Arm trug und putztedem andern, das an ihrer Schürze hing, die Stupsnase.Sine Landeskunde der provinzBrandenburg*)Die immer weiter sortschre'tende Arbeitsteilung ist auch daZCharakteristikum der heutigen Wissenschast. Selbst für den Fachgelehrtenist eS gegenwärtig bereits schwer, sein ganzeSSpezialgebiet einigermaßenzu übersehen und von allen neuen Ergebnissen, die in den zahlreichin allen Ländern erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschriften überallzei'treut veröffentlicht werden, Rottz zu nehmen. Daher mehren fichvon Jahr zu Jahr die Monographien, die eine Ueberficht überEinzelgebiete der Forschung geben, besonders da, wo fich ein durchden gesteigerten Verkehr, die Technik-usw. hervorgerufenespraktisches Bedürfnis nach ihnen geltend macht, wie überWirtschaftsleben, Kunst, Technik, Länder- und Völkerkunde.Neben vielen sehr oberflächlich gehaltenen über einzelnedeutsche Städte und Landesteile sind so in letzter Zeit aucheinige Werke erschienen, die vor dem Forum der Wiflenfchast mitFreuden begrüßt werden konnten, z. B. Andrees vorbildliche„Braunschweigische Volkskunde", denen sich nun die ProvinzBrandenburg'mit einer auf breiter Grundlage angelegten Landes-künde anschließt, deren erster Band vor kurzem im Buchhandel aus-gegeben worden ist. Um eS gleich vorweg zu sagen: Trotz derstark byzantinisch gefärbten Widmung— ohne derartigen Firlefanzscheint es neuerdings auch in der Wissenschaft nicht mehrzu gehen— und trotz' verschiedener Mängel, über die im folgendenzu sprechen sein wird, kann das Werk, soweit man aus dem InhaltdeS ersten Bandes und dem Prospekt auf das Ganze zu schließe»vermag, sowohl den Bibliotheken, wie seines relativ niedrigenPreises wegen auch dem Laien, besonders allen Freunden der Mark.zur Anschaffung empfohlen werden.AlS Herausgeber des Werkes, zu dem die Anregung in der Ge-sellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg von dem be-kannten, inzwischen verstorbenen märkischen Geschichtsforscher Prof.Dr. Friedrich Wagner ausging, zeichnen Ernst Friede! und RobertMielle verantwortlich, denen zur Bearbeitung der einzelnen Spezial-fächer ein zahlreicher Mitarbeiterstab zur Seite steht. Die„Landes-künde der Provinz Brandenburg" zu der die Vorarbeiten über einenZeitraum von acht Jahren zurückreichen, soll„kein trockenes Nach-schlagewerk sein, sondern ein lebensvolles Buch, das in alle Kreisedas Wissen von unserer Heimat hmeinträgt und in frischem, leichtfaßlichem Vortrag Auskunft gibt über ihr Klima und ihreGeologie, über Pflanzen- und Tierwelt, Bevölkerung. Geschichte,Kunst, Industrie, Sitten, Volksleben und Sprache, das aber auch eindurchaus wissenschaftliches Buch sein wird". Also eine Enzyllopädie derMark Brandenburg. Sie soll in fiinf Bänden zu 25 Bogen mitzirka 1000 Illustrationen erscheinen und bis 1911 fertig vorliegen.Inhaltlich sollen sich die ftmf Bände derart gliedern, daß im erstendie Natur behandelt wird, im zweiten die Geschichte, im drilten dieKultur, im vierten die Volkskunde und im fünften die Spracheder Mark.Der vorliegende erste Band zerfällt in vier Unterabteilungen:Das Klima, bearbeitet von Dr. G. Schwalbe, der Boden von Prof.Dr. Ed. Zache, die Pflanze von Dr. Paul Graebner und das Tiervon Prof. Dr. Karl Eckstein. Wie bei allen derartigen Sammelwerken sind die Beittäge der einzelnen Mitarbeiter von ungleichemCharakter und zum Teil sehr verschiedenem Wert. Auch eine gewisseEinseitigkeit ist häufig zu konstatieren, da naturgemäß bei den vielfach divergierenden Ansichten jeder Forscher seine eigene Mei-nung zum Ausdruck zu bringen geneigt ist und von anderenentgegengesetzten wenig Notiz nimmt. So entsteht häufig eine denLaien verwirrende und lückenhafte Darstellung. Gerade in solchenFällen ist es zur Wahrung der nötigen Objektivität durchaus angebracht, auch einmal zwei Fachleute für ein bestimmtes Gebiet heran-zuziehen Oder wenigstens sollte die Vorbesprechung einem Ausschußvon mehreren Fachleuten obliegen.Sehr interessant ist der ersteÄbschnitt des Buches über das K l i m ader Mark. Die Meteorologie ist bekanntlich eine noch sehr jungeWissenschaft, die bislang auf sehr unsicherer Basis zu arbeitengenötigt ist. Sie ist auch, da fie hier und da allzu präteytiös auf-trat und allerhand Pfuscher unter ihrer Flagge mit ProgiBsen allerArt ihr Wesen trieben, stark in Mißkredit gekommen; neuerdingsgewinnt fie allerdings mit der sprunghaften Ausbildung der aero-nautischen Technik, der lenkbaren Luftschiffe und Flugapparate wiedererhöhtes JMeresse. Ohne noch ungelöste meteorologische Probleme anzn-schneiden, beschränkt sich Prof. Sch walbe auf das Tatsächliche und gibtan Hand eines reichen statistischen Material? eine umfaffende llebersichtüber die Temficratur- und Feuchtigkiits-, die Wind- und Luftdruck-Verhältnisse in der Mark. Einzig daS Kapitel über„Witterung derMark bei verschiedenen Wetterlagen" hätte eine breitere Behandlungverdient; statistische Unterlagen tvären gerade hierbei äußerst will-kommen gewesen.") Landeskunde der Provinz Brandenburg mite«Mitwirkung hervorragender Fachleute herausgegeben von ErnstFriede! und Robert Mielke. 5 starke Bände gr. 8° zu je400 Seiten mit etwa 1000 Abbildungen, zahlreichen Spezialkartenund der großen mehrfarbigen Karte der Provinz Brandenburg.1: 300 000. Preis brosch. 20 M.. in Leinwand geb. 25 M, für deneinzelnen Band brosch. 4 M., geb. 5 M. Bd. 1:„Die Natur".Berlin 1909, Verlag Dietrich Reimer(Ernst Vohsen).