Mttterhaltimgsblatt des Horwärts Nr. 160. Donnerstag, den 6. August. 1909 (Nachdrück tzervflieiU 26] Die Infelbauem. AoNSn öon August Strindberg . Deutsch von Emil Schering . Carlsscm kam also in die Höhe und wurde ein Licht auf öem Hofe: eine Autorität, die über Dinge Bescheid wußte, welche die andern nicht begriffen. Ein schwacher Punkt aber blieb, und er spürte ihn zuweilen: er war vom Lande, war kein Seemann. Um diesen letzten Rangunterschied auszugleichen, fing er an. sich mehr für die Seegeschäfte zu interessieren, legte eine große Neigung fürs Meer an den Tag. Putzte sich eine ßflinte und fuhr auf die Jagd hinaus; nahm am Fischen keil und wagte sich auf längere Segelfahrten. Mit der Landwirtschaft gehts abwärts, und wir müssen uns aufs Fischen legen," antwortete er seiner Frau, die mit Unruhe Vieh und Feld verkommen sah. Vor allem das Fischen! Das Fischen für den Fischer und das Land für den Landwirt!" verkündigte er jetzt auf eine Art. die keinen Widerspruch duldete, nachdem er vom jSchullehrer im Kirchenrat gelernt hatte, seine Wortepalle- »n entarisch" zu setzen. ' Zeigte sich ein Mangel im Ertrag, so mußte man Holz hauen. Der Wald muß gelichtet werden wenn er reif werden soll! So spricht wenigstens der rationelle Landwirt; ich selber weiß es nicht." Und wenn Carlsson es nicht wußte, wie sollten dann die andern es wissen! Rundqvist wurde die Landwirtschaft überlassen, Klara das Vieh. Nundqvist ließ Gras auf dem Acker wachsen, schlief vom Frühstück bis zum Mittag auf dem Rain, schlief vom Mittag bis zum Abendbrot in den Büschen; warf Stahl über die Kühe, wenn sie keine Milch gaben. Gustav hauste noch mehr auf der See als früher und knüpfte den alten Jägerbund mit Norman wieder an. Das Interesse, das einen Augenblick alle Arme in Be- tvegung gesetzt hatte, war fortgefallen; für einen Fremden arbeiten, war nicht sehr ermunternd. Darum ging das Ganze nachlässig aber ruhig seinen gewohnten Gang. Im Herbst aber, einige Monate nach der Hochzeit, trat ein Ereignis ein. das wie ein Stoßwind auf Carlssons eben mit vollen Segeln ausgelaufenes Fahrzeug wirkte. Seine Frau kam vor der Zeit nieder und gebar ein totes Kind. Die Umstände waren außerdem so beunruhigend, daß der Arzt bestimmt erklärte, jetzt sei Schluß: keine Kinder mehr! Das war verhängnisvoll für Carlsson; denn nun hatte er für die Zukunft keine andere Aussicht, als einmal aufs Altenteil zu kommen. Da die Alte obendrein noch kränklich nach der Entbindung war. drohte diese Veränderung in seiner Stellung früher einzutreten, als er geträumt hatte. Es kam also darauf an, die Zeit gut auszunutzen, in die Scheunen zu sammeln, an den morgenden-Tag zu denken. Neues Leben kam in Carlsson. Die Landwirtschaft -mußte schleunigst gehoben werden; warum, das ging nie- wanden etwas an. Bauholz wurde gefällt; denn jetzt sollte eine neue Stuga gebaut werden; warum, das brauchte er niemandem auf die Nase zu binden. Die Jagdlust mußte bei Norman schleunigst gedämpft werden, und noch einmal wurde Norman seinem Freunde abspenstig gemacht. Rundqvist wurde wieder eingefangen und mit neuen Vorteilen aufge- muntert. Es ward gepflügt, gesäet, gefischt, gezimmert; die Gemeindesachen blieben liegen. Gleichzeitig führte Carlsson ein häusliches Leben; saß bei seiner Alten; las ihr zuweilen vor. aus der Heiligen Schrift oder aus dem Gesangbuch; sprach zu ihrem Herzen und wandte sich an ihre edleren Gefühle, ohne recht erklären zu können, wo er hinaus wolle. Die Alte liebte Gesellschaft und hörte gern Geplauder: sie legte also Wert auf diese kleinen Aufmerksamkeiten, ohne weiter darüber nachzudenken, was diese Vorbereitungen auf den Tod bezwecken könnten, i. Eines Winterabends, als die Bucht unterm Eis lag, die offnen Meeresflächen aber noch nicht fahrbar waren, man schon vierzehn Tage eingeschlossen war, ohne einen Nachbar begrüßen zu können, ohne einen Brief oder eine Zeitung zu erhalten: als die Einsamkeit und der Schnee das Gemüt be- drückte und der kurze Tag nur wenig Arbeit erlaubte, hatten sich die Leute in der Küche versammelt; auch Gustav war dabei. Das Feuer brannte im Herd und die Burschen saßen und flickten Netze. Die Mädchen spannen und Rundqvist schnitzte an einem Spatenschaft. Der Schnee war den ganzen Tag gefallen und stieg schon über die Fensterscheiben. Wie ein Totenzimmer sah die Küche aus. da die Fenster mit Laken aus Schnee verhängt waren. Jede Viertelstunde mußte ein Mann hinaus und die Tür frei schaufeln, damit man nicht eingeschneit wurde, sondern zum Melken und Futtern nach dem Stall gelangen konnte. Jetzt war die Reihe an Gustav; Oelrock und Südwester über Wams und Ottermütze, so ging er hinaus; stemmte die Tür auf. gegen die sich der Schnee gelegt hatte, und stand draußen im Schneetreiben. Die Luft war schwarz, die Schnee- flocken waren grau wie Motten, groß wie Hühnerfedern; schwebten unaufhörlich nieder, legten sich leise aus einander, erst leicht, dann schwerer: packten sich zusammen und wuchsen an. Schon ein gut Stück ging der Schnee die Wand des Hauses hinauf und nur durch die obere Ecke der Fenster schimmerten die Lichter von innen. Eine Neugier, die ihn schnell überkam, veranlaßte Gustav, den oberen Schnee herunter zu stochern, damit er ein Guckloch erhielt; als er dann auf den Schneehaufen stieg, konnte er ins Limmer sehen. Carlsson saß wie gewöhnlich vor dem Sekretär; er hatte ein großes Papier vor sich liegen; das war oben mit einem großen blauen Stempel bedruckt, der wie die Zeichnung auf den Scheinen der Reichsbank aussah. Die Feder hoch erhoben. sprach er auf die Alte,-die neben ihm stand, ein; er schien ihr die Feder geben zu wollen, damit sie etwas schreibe. Gustav legte das Ohr an die Scheibe; da es aber; Doppelfenster waren, hörte er nur ein Gemurmel. Außer» ordentlich gern- hätte er jedoch gewußt, was da vorging, denn er ahnte, daß es ihn sehr nahe berühre; auch hatte er ge- lernt, daß es sich um wichtige Angelegenheiten handelte, wenn man gestempeltes Papier benutzte. Leise öffnete er die Tür, schob die Strohschuhe ab und kroch die Treppe hinauf, bis er auf den oberen.Flur kam. Dort legte er sich auf den Bauch; und nun konnte er hören« was in der Stube bei der Mutter gesprochen wurde. Anna, Eva," verkündete Carlsson mit einem Ton, der zwischen Reiseprediger und Gemeinderat lag; das Leben ist kurz, und der Tod kann über uns kommen, ehe wir es wissen. Wir müssen also darauf gefaßt sein, von hinnen zu gehen, ob es nun heute geschieht oder morgen; das ist ganz einerlei! Unterschreib also, je eher desto besser!" Die Alte liebte es nicht, so viel vom Tod zu hören; aber Carlsson hatte nun Monate lang so oft davon ge, sprachen, daß sie gegen diese Rede nur noch schwach Widerstand. zu leisten vermochte. Aber, Carlsson, ganz einerlei ist es mir nicht,'ob ich heute sterbe oder in zehn Jahren; ich kann noch lange leben.".' Ich habe ja nicht gesagt, daß Du sterben wirst; ich Habs nur gesagt, daß wir sterben können; und ob das heute oder, morgen, oder in zehn Jahren geschieht, das ist ganz einerlei; einmal muß es geschehen! Also schreib nur!" Das verstehe ich nicht," widerstrebte die Alte, als wolle der Tod kommen und sie holen; es kann doch wohl nicht..." Doch, es ist ganz einerlei, wann es geschieht! Ist es vielleicht nicht so? Ich weiß es nicht! Jedenfalls schreib! Ihr war, als lege er ihr einen Strick um den Hals, wenn Carlsson mit seinemIch weiß nicht" kam; die Alte wußte sich nicht mehr zu helfen und gab nach. Nun, wo hinaus willst Du?" fragte� sie ihn, von dem langen Hinundherrcden ermüdet und erschöpft. Anna Eva, Du mußt an Deine Nachkommen denken; denn das ist die erste Pflicht des Menschen: darum mußt Du schreiben."