Keispiel, als er sich eines Tages in Gesellschaft von einigen Schlaf-genossen im Restaurant der„Kolonien" ein Mahl leistet, das einenKranken und 75 Centimes kostet. Hemerh, sein Freund, hat eineUnterstützung von 100 Franken beim Ministerium des öffentlichenClnterichts erhoben: deswegen diese„Ausschweifui gen". Hemerytvar einst Schullehrer und hatte I ur das Unglück, als er einmal,betrunken, von seinen Schülern bis zum Hals mit Sand der-schüttet wurde, von dem Schulinspektor in dieser armseligen Lagegefunden zu werden. Zuweilen hebt Hemerh den Kopf seinerPfeife in die Höhe:„Da, seht, da habe ich den Kopf dieses Idioten«eingemeißelt." Und dann fügt er fast wütend hinzu:„Und sagen,i>aß ich seit jenem Tag nicht mehr trinke." Hemerh ist sehr ge-schickt und voller Einfälle. Er hat„einen Verleger" gefunden, der!ihm deutsche Ueberfetzungen abnimmt, und der Paria, der aufseine Kosten lebt, liebt ihn wie ein Hund. Unglücklicherweise fängtvie Arbeit an, ihnen zu fehlen. Hemerh wird krank. Es ist un-rnöglich, den dunkeln Unterschlupf in der Rue Brise-Miche zu be-«halten. Es muß noch billiger sein. In der Rue Simon-le-Franc«kostet es weniger. Diese Wohnungssuche ist in dem Tagebuchfolgendermaßen geschildert:„Der Besitzer bat uns, ihm zu folgen. Wir mußten eine TreppeHinaufklettern, der mehrere Stufen fehlten, und dann über einenTangen Gang gehen, der voll von Unrat und Kot war. VieleLimmer hatten keine Türen mehr. Ein triefäugige Frau im Hemdbegegnete uns, die ein mit Papier gefülltes Gefäß in ihren ArmenHielt; aber kaum hatte sie den Hausherrn erkannt, als sie sich be-seilte umzukehren mit ihrer kostbaren Last.... Auf der Klinke«iner Tür hing ein vor Eiter und Blut schimmliger Verband. Undauf dem Boden lagen Apothekerflaschen, Pflaster und die ResteDines Mahls. Das Zimmer, in das wir geführt wurden, war einweiter Saal, dessen Parkett sich ungleichmäßig wellt und in demzehn numerierte Betten stehen, von denen jedes einen Stuhlhat, auf dem sich eine Kanne befindet.p„Ihr habt die Nummern 9 und 10," sagt uns der Hausherr.J!E»ie Wasche wird jeden Monat und das Handtuch alle vierzehnTage gewechselt." Sobald ich Hemery untergebracht hatte, gingsich wieder fort. Als ich auf den Schlag 19 Uhr nach Haus kam,Eand ich in meinem Bett einen Betrunkenen, dessen veilchenblauertopf auf den Boden hing; ein Speichelfadcn rann aus seinem halb-»offenen Mund. Ich dachte nicht einmal daran, ihn zu stören undJfchlüpfte zu Hemery, der fest schlief. Die ganze Nicht war in demHotel ein fürchterlicher Tumult, ein ununterbrochenes Getöse zu-geschmetterter Türen. Aus dem oberen Stockwerk drang der Lärmseines heftigen Streites zu mir, der mit einem dumpfen Fallendigte. Dann brach eine Menge angetrunkener Weiber undMänner in die Stube. Sie legten eine Masse von Nahrungs-Mitteln auf die Betten und begannen nach dem Schmaus eineÄartenpartie, die sie mit Liebesflüchen und Anreden würzten.Als ich am Morgen aufstand, war mein Körper steif, wie beiseinem Menschen, der nicht schlafen kann.... Im Gang suchte einalter Hinkefuß, der von draußen hereingekommen war, unter demUnflat und den zertretenen Resten Krümel.Und in diesem entsetzlichen Milieu kosten die Betten immernoch 39 Centimes(25 Pf.) die Nacht. Alles mögliche wohnt da:Chrano, der Apache; Herr de Meritens, der sich rühmt, ein Adligerzu sein, und seine treue Gehilfin, Madame Juliette. Die meistenjfind vom Alkohol schon völlig zerfressen: Brian, der davon träumt,Unterleutnant gewesen zu sein; Ducasse, dessen Nase nur nochaus einem kleinen Fleischsetzen besteht(wofür man ihn Liebesaffenennt); Grumcau, der täglich seine zwanzig Absinth trinkt. EinesLlbends kommt ein kleiner, alter Mann, der alle grüßt und eineTafel über sein Bett hängt, auf der ein entsetzlich magerer Menschdargestellt ist, der nur ein Paar Hosen aus grobem Drillich an hatund an dessen Seite viel mcijr Rippen sichtbar werden, als man ge-wohnlich zu haben pflegt. Der Alte gab zu verstehen, daß diesder Christus der Armen sei und daß er ihn selbst gemalt habe.Jeden Abend sprach er sein Gebet davor.In diesem Hotel hielt auch der Tod reiche Ernten. Leute„vomandern Ende der Welt" kommen sterbend nach Paris. Und die»Eingeborenen" sagen ihnen, wie dumm das von ihnen sei, hierherjju kommen, um zu sterben. Besonders ein alter Araber mutz dasöfters hören, wormif er jedesmal seine traurige Geschichte erzählt,ün einem seltsamen spitzigen, kindlichen Französisch: Eines TageSfiel sein Pferd, das seine einzige Habe bildete, auf der Straße totnieder. Er ließ es liegen, ging nach Algier in die Rue Randonezu dem Doudi Jüda Ben Saruk, der jüdische Krapfen verkauft unddessen„moukere" sein Kind erzog, sein„moutchachou".„Was sollnun aus mir und meinem Jungen werden, da ich kein Pferd mehrHabe," fragt er. Der Uoudi verbarg einen Augenblick den Kopfin den Händen und riet ihm dann, nach Marseille zu fahren unddort nach dem Hause seines Freundes Mardochi Ben Uacoub zufragen, der Sardinen verkaufe am alten Hafen und ihn sichersofort anstellen würde. Also nahm der Araber sein moutchachouauf den Rücken. Der Kapitän eines Schiffes nahm ihn auf. Aberals er in Marseille ankam, erfuhr er, daß Mardochi Ben Dacoubschon lange tot sei. Tagelang irrt« er in dem ungeheuren Hasenumher, ernährte sich von den verdorbenen Bananen, die herum-lagen und trank, wider die Gesetze des Korans, eines Abends Wein.Da wurden der Araber und sein moutchachou, der ebenfalls genippthatte, boller Freude, es war ihnen, als ob die Schiffe auf demMeer tanzten und sie sprachen olle Matrosen an. Als tt einschließlich keine Arbeit fand, ging er ins Land. Um ein wenigGeld zu verdienen, tanzte er in den Dörfern, wie der„nigra dtla iasba"... Er sang dazu:„kifkif Ii maboul.. aber es regnet«öfters Steine als SouS. Er fühlte, daß die Thronen seine? Mat-chachou ihm die Haare näßten. Der Kleine rief nach Brot.«Mur-gen. murgcn wirst Du essen," flüsterte er ihm zu. Vor seinenAugen tanzten die großen Hungerflecken und hinderten ihn amGehen. Eines Tages setzte er sich mit seinem Kleinen in denArmen auf einen Stein und schlief ein. Als er aufwachte, rührtesich sein moutchachou nicht mehr. Er rief ihn: Amar, Amar—aber Amar war tot. Die Erde im Umkreis schien ihm eine Wüst«zu sein.... Der Alte weint...."Noch eine Szene aus dem„Hotel": Eines Abends liegt dereinäugige dicke Peter totbesoffen im Gang. Zwei Frauen sitzenauf seiner Brust und vertreiben sich die Zeit damit, daß sie ihmmit einer Nadel ins Auge stechen.„Meine Julie, sagt die eine, ichversickere Dir. daß Du Dich geirrt hast, Du stachst ihm ins gute."—„Aber dann ist er blind.---"Und draußen ertrinkt Paris in einem Meer von Schönheit.kleines Feuilleton.Technisches.Künstliche Kälte im modernen Leben. Die konser-vierende Wirkung der Kälte ist seit Jahrzehnten bereits vielfach beimTransport und zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln aller Artverwandt worden, doch kannte man als Kältequclle nur da? Eis, dashöchstens durch Zusatz verschiedener Salze haltbarer gemachtwurde. Heute gestattet die Technik, die Kälte in unvergleichlichreicherem Maße zu verwenden, und der vor kurzem in Paris abgehalteneKälw-Kongreß, der Fachleute aus über vierzig Staaten vereinigte,verspricht geradezu eine neue Aera anzubahnen. Die Schöpferder industriellen Gestaltung der Kälteverwertung sind dieFranzosen F. Carrs und Charles Tellier, die nach langenfruchtlosen Versuchen gegen Ende der sechziger Jahre endlich brauch-hare Maschinen zu konstruieren vermochten. Carrö arbeitete mitder Absorption von Ammoniak, während Tellier zuerst Aether-Kom-pressionskältemaschinen herstellte. ES gelang ihm etwa um die Mitteder siebziger Jahre, Fleisch in Kühlkammern lange Zeit zu Ion-servieren und bei einer Temperatur von fast genau 9 Grad eine Schiffs-ladung Fleisch in vollkommen genießbarem Zustande aus Argentiniennach Europa zu bringen. Er plante damals schon eine großzügigeVerschiffung von amerikanischem Fleisch nach Ronen, wo große Kühl-Maschinen angelegt werden sollten. Er fand jedoch zur Ausführungdieses Planes kein Geld. Die Amerikaner erkannten dieBedeutung dieser Idee mit größerer Schnelligkeit und griffen sie mitEnergie auf. Im Jahre 1839 brachten die Amerikaner das frischeFleisch von 499 Rindern nach England. Im Jahre 1997 betrugdieser Export nicht weniger als 211 Millionen Kilogramm, eineZiffer, die auch Tellier« kühnste Träume nicht vorhergesehen hatte.Ein derartiger Umschwung hat geradezu eine Revolutionder Ernährungsbedingungen der englischen Bevölkerung ge-schaffen. In London kostet heute 1 Kilogramm gutes gefrorenesFleisch im Großhandel 99 Pf., und zu diesem Fleischkommen Eier aus Austtalien, Lachs von Kanada, Krebse vonMauretanien, Rinderbraten von La Plata, Hammel aus Austtalienund Milch und Käse auS Argentinien. Ebenso werden Früchte ausaller Welt nach den europäischen Zentralpunkten in vorzüglichfrischem Zustande geliefert. Auch Fische kommen schon vielfach ge-froren in den Handel, wenn auch hier die Konservierung noch nichtin vollkommenem Maße gelingt. Ein außerordentlich wichtigesGebiet der künstlichen Kälteerzeugung ist die Kühlung der Luft inheißen Ländern oder in den heißen Sommern unserer Gegenden.Der moderne Kulturmensch wird die Frage auswerfen, ob er nichtebenso gut wie er im Winter seine Wohnung heizt, sie im Sommerkühlen kann. Bereits vor Jahren hat man durch eine Spannungvon komprimierter Luft künstliche Kälte in geschlossenen Räumen zuerzeugen versucht, doch hat dies Verfahren keine Anwendungim großen finden können. Hingegen wird vielfach durch Verdanipfungvon Wasser mittels geeigneter Ventilatoren in öffentlichen Gebäudeneine Temperaturerniedrigung bewirkt. Verschiedene Fabriken inItalien und in den Vereinigten Staaten haben dies System angenommen. Handelt eS sich nur um die Kühlung eines einzelnenRaumes, so genügt es, einen über Eis geleiteten Luftstrom ein-treten zu lassen. In dieser Weise gelingt eS in verschiedenen TheaternDeutschlands auch an den heißen Sommertagen, die Temperaturunter 29 Grad zu halten, und viel große Restaurattonslokale Ber-linS und Londons werden in gleicher Weise temperiert. Auch inder Blumenzucht spielt die künstliche Kälte eine große Rolle.Ch. Engel berichtet in der Wochenschrift„Umschau"(Frankfurt a. M.)über die neue Züchtungsmethode, die darauf beruht, daß die Lebens-bedingungen der Pflanzen künstlich gehemmt werden, wie dies inder Natur durch die Winterkälte der Fall ist. In Deutschland, England.Holland und Dänemark ist dieS Verfahren bereits im großen an-gewandt worden. Die Verwertung der künstlichen Kälte ist sehrniannigfaltig und erfährt täglich eine Bereicherung; namentlich läßtdie flüssige Lust für die Zukunft noch großes erwarten.verantwortl. Redakteur: HanS Weber, Berlin.— Druck u. Verlag: Borwärt« Buchdruckerei u.VerI»a»an>taltPaul Singer«c!lo..BerllnSiV.