Nnterhaltungsblalt des HorwärtsNr. 153.Dienstag, den 10. August.1909lNachdruck verboten.)29ZDie Inlelbauern.Roman von August Strindöerg. Deutsch von Emil Schering.Carlsson fing an fett zu werden: ging den Tag über ineinem leichten Rausch umher, ohne sich jedoch zu überladen.Wie ein einziges langes Fest verging der Sommer für ihn,da er seine Zeit zwischen Gcmeindesachen, Grubenbau undNaturverschönerungen verteilte.Jetzt im Herbst war er acht Tage auf Feuerschau fort-gewesen. Als er eines frühen Morgens nach Haus kam, wurdeer von der Alten empfangen, es müsse etwas draußen auf demRoggenholm geschehen sein. Es sei dort nämlich vier Tagelang still gewesen: nicht ein Schuß sei gelöst worden und keineDampferpfeife habe man gehört. Die Leute feien mitDreschen beschäftigt gewesen: deshalb habe niemand Zeit ge-habt, die Grube zu besuchen. Der Verwalter habe sich auchnicht sehen lassen: und die Arbeiter hätten aufgehört, abendsden Hof zu umkreisen. Es miisse also etwas geschehen sein.Um sich Bescheid zu holen, ließ Carlsson anspannen: sonannte er es, wem» er sich nach der Grube rudern ließ. DasBoot hatte er weiß streichen und mit einem blauen Rand ver-sehen lassen: und damit es mehr herrenmäßig aussah, wenner am Steuerruder saß, hatte er sich aus einer alten Gardinen-schnür eine Talje gemacht; nun konnte er beim Steuerngerade sitzen. Auch hatten sich Rundqvist und Normann inmarinemäßigem Rudern üben müssen, damit es stattlich aus-sah, wenn er angefahren kam.Die Fahrt legten sie rasch zurück, da Neugier und Angstsie spornten. Als sie auf die Höhe des Noggenholms kamen,erstaunten sie über die Oede, die dort herrschte.Es war still wie im Grab und kein Mensch war zusehen. Sie stiegen ans Land und kletterten die Steintreppezur Grube hinauf. Das Haus des Verwalters war fort; alleWerkzeuge und Geräte verschwunden; nur die Kaserne, wieder Schuppen genannt wurde, stand auf ihrem Platz, aberausgeräumt und geplündert; alles, was nicht niet- und nagel-fest war, hatte man mitgenommen: Türen, Fenster, Bänke,Betten.„Ich glaube beinahe, sie haben eingepackt I" meinteRundqvist.„Es sieht so ausl" erwiderte Carlsson und ließ wiederanspannen: aber dieses Mal gings nach dem Badeort Dalarö;dort mußte ein Brief für ihn auf der Post liegen.Ganz richtig, dort lag ein großer Brief vom Direktor,der verkündete, die Gesellschaft habe ihre Tätigkeit eingestellt,weil sich das Rohmaterial als untauglich erwiesen habe. DaCarlssons Forderung von viertausend Kronen sich geradegegen die vierzig Aktien aufhebe, die er bisher noch nicht ein-gezahlt, so seien alle Geschäfte zwischen der Gesellschaft undCarlsson erledigt.„Also um viertausend geprellt," dachte Carlsson. Nun,man muß sich zufrieden geben.Er besaß die Natur eines Seevogels, wenn er auch vomLande war; er schüttelte sich und war ebenso trocken wie vor-her. Noch trockener fühlte er sich, als er in einer Nachschriftlas. alles, was man zurückgelassen, falle den Jnselbauern zu,wenn sie Lust hätten, es fortzuschaffen.Etwas kleinlaut kam Carlsson wieder zu Haus an,einer Menge Geldes und eines ehrenvollen Titels beraubt.Gustav wollte Salz in die Wunde streuen, aber Carlssonmachte mit einer Gebärde einen großen Strich durch alles.„Ach, das ist nicht der Rede wert! Darüber braucht mankein Wort zu verlieren."Aber am nächsten Tage war er mit seinen drei Mannin voller Tätigkeit, um mit der großen Fähre Bretter und'Ziegel vom Roggenholm zu holen.Ehe man sichs versah, hatte er sich ein Sommerhäuscheuvon einem Zimmer nebst Küche errichtet; und zwar untenam Sund an einem Platz, an den niemand gedacht, von demman aber eine Aussicht sowohl aufs Dorf wie aufs offeneMeer hatte.Der Sommer mit seinen luftigen Traumen war vorbei.Der Winter nahte: die Luft wurde schwerer, die Träumedüsterer, und die Wirklichkeit nahm ein neues Aussehen an«Heller für die einen, drohender für die anderen.Siebentes Kapitel.(Carlsson wahrträumt; der Sekretär wird bewacht, aber der Todkommt und macht einen Strich durch alles.)Carlssons Ehe war, obwohl sie erst kurze Zeit bestand,nicht gewesen, was man glücklich nennt. Die Alte war beiJahren, wenn auch nicht steinalt, und Carlsson stand imBegriff, in sein gefährliches Alter einzutreten. Bis zu seinenjetzt begonnenen vierzig Jahren hatte er sich abgearbeitet, umsein Brot zu verdienen und vorwärts zu kommen; und dasMädchen, das er hatte haben wollen, hatte er nicht be-kommen. Jetzt, da er am Ziel war und ein ruhiges Altervor sich sah, fing das Fleisch an zu pochen, vielleicht stärkerals sonst, weil er im letzten Jahr nicht so streng gearbeitethatte; vielleicht auch, weil er das Fleisch stärker gefütterthatte, als es vertrug. Seine Gedanken begannen daher zuspielen, wenn er in der warmen Küche saß, und seine Augengewöhnten sich daran, dem jungen Körper Klaras zu folgen,wie sie aus und ein ging. Die Blicke blieben allmählichhaften, ließen sich nieder und ruhten, machten kleine Aus-fliige hierhin und dorthin, flogen fort, kamen wieder. Schließlich saß das Mädchen ihm im Auge: wohin er auch ging,iminer sah er sie.Aber eine andere, die sah auch; aber nicht Klara, sonderndie Augen, die ihr folgten; und je mehr sie sah, desto mehrglaubte sie zu sehen; wie ein Gerstenkorn schlug es sich aufihr Auge, das schmerzte und floß.Es war einige Tage vor Weihnachten. Es war dunkelgeworden, aber der Mond war aufgegangen und schien klarüber schneebedeckte Fichten, auf die blanke Bucht und de»weißen Boden. Ein karger Nordwind fegte trockenen Schneevor sich her.In der Küche stand Klara und heizte den Backofen.während Lotte am Backtrog arbeitete. Carlsson saß in derSchrankecke, rauchte seine Pfeife und spann wie eine Katzein' der Wärme. Seine Augen waren draußen auf Spiel undsie erwärmten sich und ergötzten sich, als sie auf Klarasweißen Armen haften blieben, die aus dem Hemd heraus-ragten.„Willst Du nicht erst melken, che wir auffegen?" fragteLotte.„Ja, das muß ich," antwortete Klara und zog eine Jackeaus Schafpelz an, nachdem sie Kratze und Wedel fortgelegthatte.Dann steckte sie die Stallaterne an und ging hinaus.? Als sie gegangen war, stand Carlsson auf und ging nach.� Nach einer Weile kam die Alte aus der Stube und fragtenach Carlsson.„Er ist Klara in den Stall nachgegangen," antworteteLotte.Ohne auf näheren Bescheid zu warten, nahm die Alteeine Laterne und ging auch hinaus.Draußen blies ein scharfer Wind; aber sie wollte nichtumkehren, um sich etwas anzuziehen, da sie nur einen Stein-Wurf weit zu gehen hatte. Auf den Steinen rutschte sie ausund der Schnee wirbelte wie Mehlstaub, aber sie kam dochziemlich schnell nach dem Stall und ging sofort zum Viehhinein, wo es warm war. Dort stellte sie sich hin, um zulauschen, und hörte, daß in der Schafhürde jemand flüsterte.In dem schwachen Mondschein, der durch die Spinngelvebeund Heuhalme der Scheune fiel, sah sie, wie die Kühe ihreKöpfe nach hinten drehten und sie mit großen, im Dunkelgrün leuchtenden Augen anguckten. Der Schemel stand daund der Eimer auch. Aber nicht das wollte sie sehen; etwasanderes, etwas, das sie um alles in der Welt nicht hätte sehenmögen: etwas, das sie lockte wie eine Enthauptung: etwas.das das Leben aus ihr scheuchte.Ueber die Streuhaufen ging sie durch den Kuhstall undkam zu den Schafen. Da war es dunkel und still; die Laternestand da, sie war gelöscht, aber das Talglicht rauchte noch. DieSchafe standen aus und raschelten mit trockenen Laubzweigen.Nein, das wollte sie nicht sehen.