Sie ging weiter und kam zu den Hühnern; die waren auf ihre Pflöcke gepflogen und glucksten etwas, als seien sie eben geweckt worden. Die Tür stand offen, und sie kam wieder in den Mond - schein hinaus. Zwei Paar Schuhe, ein kleineres und ein größeres, hatten Spuren im Schnee hinterlassen; diese Spuren waren blau in den Schatten, und sie führten nach der Hagtür, die abgehoben war. Sie ging nach, als werde sie von jemandem geschleppt; wie eine Kette lagen die Spuren am Boden; an dieser Kette war sie angemacht und wurde nun von einer unsichtbaren Stelle im Hag gezogen. Und die Kette zog und zog, zog sie in denselben Hag, an demselben Zauntritt vorbei, unter dieselben Haselbüsche, wo sie ein anderes Mal, ein schreckliches Mal, eine Abendstunde erlebt hatte, an die sie sich nicht erinnern wollte. Jetzt standen die Haselbüsche nackt und trugen nur ihre neuen Knospen, die kleinen Kohlraupen glichen; an den Eichen raschelte das braune harte Laub im Wind; aber so dünn war das Laub, daß man die Sterne und den grünschwarzen Himmel sehen konnte. Und immer weiter erstreckte sich die Kette; schlängelte sich durch die Fichten, die ihr Schnee auf ihr graues, dünnes Haar warfen, wenn sie gegen die Zweige kam; auf Hals und Ztücken stäubte der Schnee, fiel über ihre gestreifte Bluse, kühlte und feuchtete. Immer weiter und weiter gings in den Wald hinein; das Auerhuhn flog von seinem Nachtzweig auf und erschreckte sie; über Moore gings, deren Schollen schwankten; über Feld- zäune, die krachten, wenn sie darüber setzte. Zu Zweien liefen die Spuren, die eine klein, die andere groß, Seite an Seite, bald ineinander tretend, bald»mein- ander, als ob sie getanzt hätten; über Stoppelfelder, von denen der Schnee abgeweht war; über Steinhaufen und Gräben, über Buschzäune und Windbruch. Sie wußte nicht, wie lange sie ging; aber ihr fror der Kopf und ihre Hände waren klamm; sie steckte die mageren, roten Hände bald unter den Rock, bald blies sie darauf. Sie wollte umkehren, aber es war zu spät; auch war der Rückweg jetzt wohl ebenso weit, als wenn sie geradeaus ging. Also vorwärts durch ein Espenwäldchen, dessen letztes Laub zitterte und raschelte, als friere es im Nordwind. Tann kani sie zu einem Zauntritt. Der Mondschein war klar und scharf; sie konnte deutlich sehen, dort hatten sie gesesien. Sie sah den Eindruck von Claras Rock, von der Jacke mit der Schafpelzverbrämung. Hier war es also gewesen! Hier! Sie zitterte in den Kniekehlen, fror, als sei ihr Blut Eis geworden; brannte, als habe sie kochendes Wasser in den Adern. Erschöpft setzte sie sich auf den Zauntritt nieder, weinte, schrie; plötzlich ward sie ruhig, stand auf und ging hinüber. (Fortsetzung folgt.) �Nachdruck verLoten.) 51 fcttchcn. Erzählung von Guy de M a u p a s s a n t. Deutsch von E."W. Herr und Frau Follendie aßen ganz am Ende des Tisches. Der Mann, der wie eine zersprungene Lokomotive ächzte, hatte viel zu viel Arbeit mit seiner Brust, um beim Essen reden zu können. Aber seine Frau schwieg nicht einen Augenblick. Sie er- zählte von allen ihren Eindrücken bei der Ankunft der Preußen: was sie taten, was sie sagten; verfluchte sie erstens, weil sie Geld kosteten, dann weil sie zwei Söhne bei der Armee hatte. Sie wandte sich vornehmlich an die Gräfin; es schmeichelte ihr, mit einer Dame von Stand plaudern zu können. Sie dämpfte ihre Stimme, um heikle Tinge zu erzählen; ihr Gatte unterbrach sie von Zeit zu Zeit:«Du tätest besser, zu schweigen, Madame Follenvie." Aber sie kehrte sich nicht daran und fuhr fort: Ja, gnädige Frau, das Volk frißt nur Kartoffeln und Schweinefleisch, und Schweinefleisch und Kartoffeln. Und glauben Sie ja nicht, daß sie sauber sind. Wahrhaftig nicht! Sie misten überall hin, mit Respekt zu sagen. Na, und Sic müßten sie stunden- und tagelang exerzieren sehen; sie sind immer auf einem Haufen:> das geht vorwärts, das geht rück- wärts, das dreht sich links und dreht sich rechts. Wenn sie noch wenigstens den Acker bebauten, oder an ihren Straßen arbeiten würden, bei ihnen daheim. Aber nein, gnädige Frau, dies Militär ist zu nichts nutz! Da muß das arme Volk sie füttern, dasür, daß sie nur morden lernen! Ich bin nur eine alte ungebildete Frau, gewiß, aber wenn ich sie sehe, wie sie sich die Seele im Leibe schinden, um von früh bis spät herumzutrampeln, frage ich mich: Wo es Menschen gibt, die so viel erfinden, um zu nützen, müssen sich da andere so anstrengen, um Schaden zu stiften! Wahrhaftig, ist's nicht eine Schande, Menschen zu töten, egal ob sie Preußen sind, oder Engländer, oder Polen oder Franzosen? Wenn sich wer rächt, weil ihm einer unrecht getan hat, so ist das schlecht, denn man verurteilt ihn ja; wenn man aber unsere Jungen er- schießt wie Wild, dann ist das recht, denn wer am meisten ausge- rottet hat, kriegt ja Orden! Nein, sehen Sie, das werde ich nie verstehen!" Cornudet sagte mit erhobener Stimme: Krieg ist Barbarei, wenn man einen friedlichen Nachbar angreift; er ist heilige Pflicht, wenn man das Vaterland vcr- teidigt." Die alte Frau senkte den Kopf: Ja, wenn man sich verteidigt, ist's etwas anderes; aber sollte man nicht lieber alle Könige töten, die das zu ihrem Vergnügen machen?" Cornudets Auge erglühte: Bravo , Bürgerin l" sagte er. Herr Carre-Lamodon versank in tiefes Nachsinnen. Er war zwar begeistert für die berühmten Feldherren, aber der gesunde Menschenverstand dieser Landfrau ließ ihn an den Reichtum denken, den so viel beschäftigunglose und folglich zerstörende Arme» so viel teuer brachliegende Kräfte in einem Lande schaffen könnten, wenn man sie bei den großen industriellen Werken verwenden würde, die Jahrhunderte zu ihrer Vollendung brauchen. Loiseau verließ seinen Platz und verhandelte ganz leise mit dem Wirt. Ter dicke Mann lachte, hustete, spuckte; sein ungeheurer Bauch hüpfte vor Freude über die Witze seines Gastes, und er kaufte ihm sechs Fäßchen Bordeaux für das Frühjahr ab. sobald die Preußen abgezogen wären. Gleich nach dem Essen ging man zu Bett, so erschöpft war man vor Müdigkeit. Loiseau aber, der die Vorgänge beobachtet hatte, hieß seine Frau zu Bett gehen und suchte. Auge und Ohr abwechselnd am Schlüflelloch. das, was erFlurgeheimniffe" nannte, zu entdecken. Nach einer Stunde ungefähr hörte er ein Schlurfen, schaute rasch hin und bemerkte Fettchen, die in einem mit weißen Spitzen besetzten Morgenrock von blauem Kaschmir noch doller erschien. Sie hielt einen Leuchter in der Hand und ging auf die große Nummer hinten im Flur zu. Aber eine Tür öffnete sich nebenan. und als sie nach einigen Minuten zurück kam, folgte ihr, in Hosen- trägern, Cornudet. Fettchen schien ihre Tür energisch zu verieidi- gen. Leider verstand Loiseau kein Wort, aber als sie schließlich lauter wurden, konnte er einiges aufgreifen. Cornudet drängte lebhaft. Er sagte: Ach, Sie find komisch, was ist dabei?" Sie schien entrüstet und antwortete: Nein, mein Lieber, es gibt Augenblicke, wo man so etwas nicht macht, und hier wär's gemein." Er verstand offenbar nicht und fragte, warum. Sie wurde wütend und sprach noch lauter: Warum? Sie verstehen nicht, warum? Wo Preußen im Hause sind, vielleicht im Zimmer nehenan?" Er schwieg. Dies patriotische Schamgefühl einer Hure, die sich nicht in der Nähe des Feindes berühren ließ, weckte äugen- scheinlich in seiner Brust die sinkende Würde wieder, denn er küßte sie nur und schlich sich in sein Zimmer zurück. Loiseau verließ ziemlich befeuert das Schlüsselloch, setzte mit einem Bocksprung ins Zimmer, zog sein Nachthemd an. hob das Bettuch, unter dem das feste Gestell seiner Gefährtin mgerte, weckte sie mit einem Kuß und flüsterte:»Hast Du mich lieb, Schatz?" Dann ward das ganze Haus stiS. Aber bald erhob sich irgend- wo, in einer unbestimmten Richtung es konnte im Keller oder im Giebel sein ein mächtiges, eintöniges Schnarchen, ein dumpfes, langgezogenes Geräusch, zitternd wie ein Dampfkesseln Herr Follenvie schlief. Da beschlossen war, daß man um 8 Uhr morgens abfahre» würde, fand sich alles in der Küche zusammen; aber der Wagen» dessen Decke ein Schneedach trug, stand einsam mitten im Hof, ohne Pferde und ohne Kutscher. Man suchte ihn vergeblich in Ställen, Scheunen und Schuppen. Die Männer machten sich sämtlich aus die Suche und gingen fort. Sie trafen sich wieder auf dem Platz, wo im Hintergrunde die Kirche und zu beiden Seiten niedrige Häuser standen, vor denen man preußische Sol- baten bemerkte. Der erste, den sie sahen, schälte Kartoffeln. Der zweite wusch weiter oben die Barbicrstube. Ein dritter mit einem dichten Vollbart küßte einen heulenden Knirps, den er auf den Knien wiegte und zu beruhigen suchte, und die dicken Bäuerinnen, deren Männer bei denKriegssoldaten" waren, verständigten sich mit ihren folgsamen Siegern über die Arbeit, die zu machen war: Holzzerkleinern, die Suppe anrichten, Kaffeemahlen; einer von ihnen wusch sogar die Wäsche seiner Wirtin, einer ganz ge- brechlichen Greisin. Verwundert erkundigte sich der Graf bei dem Mehner, der aus dem Pfarrhause kam. Die alte Kirchenratte antwortete:O, die da sind nicht schlimm; das sind keine Preußen nicht, wie's heißt. Sie sind von weiterher; woher weiß ich nicht, und sie