618- Ruhig? Bin ich etwa nicht ruhig!" Langatmige Erklärungen fürchtend, beeilte sich der Pastor zu beteuern, er sei von ihrer Ruhe überzeugt, machte mit einem Streichhölzchen Feuer und fragte, was los sei. Es ruft jemand im Garten! Hörst Du nicht?" Der Pastor lauschte und sehte die Brille auf, um besser hören zu können. Ja, wahrhaftig! Wer kann das sein?" Geh doch und sieh nach!" antwortete seine Frau und gab dem Alten einen neuen Stoß. Der Pastor zog Unterhosen und Pelz an, schob die Füße in seine Ueberschuhe, nahm die Flinte von der Wand und setzte ein Zündhütchen darauf, schüttelte das Zündpulver hinein und ging hinaus. Wer da?" rief er. Flod!  " antwortete eine dumpfe Stimme hinter der Fliederhecke. Was ist denn los, daß Du so spät kommst? Liegt die Alto in den letzten Zügen?" Noch schlimmer!" klang Gustavs mitgenommene Stimme.Wir haben sie verloren." Verloren?" Ja, auf der See haben wir sie verloren." Aber komm doch in aller Welt herein und steh nicht da in der Kälte." Gustav sah beim Lichtschein wie ein ausgeblasenes Ei aus, da er den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken, und außerdem wie ein Hund mit dem Ostwind hatte um die Wette laufen müssen. Nachdem er dem Pastor in einem Atem den ganzen Ver- lauf erzählt hatte, ging er zu seiner Alten hinein; nach einem kleinen Sturm von einigen Minuten erhielt er den Schlüssel zu einem gewissen Schrank in der Küche, in die er den Schiff- brüchigen führte. (Schluß folgt.), V] fcttcbcn. (Nachdruck verboien.) Erzählung von Guy de Maupassant  . Deutsch von E. W. Plötzlich erschien am Ende der Straße der Offizier. Gegen den Schnee, der den Horizont begrenzte, hob sich seine lange Gestalt ab wie eine Wespe in Umform. Er ging mit gespreizten Knien, in jener den Militärs eigentümlichen Bewegung, um sich die sorg- fältig gewichsten Stiefel nicht zu beschmutzen. Er verbeugte sich beim Vorübergehen vor den Damen, und bkickte die Männer verächtlich an, die übrigens Würde genug hatten, nicht zu grüßen, wenn auch Loiseau Miene machte, den Hut zu ziehen. Fettchen war bis in�die Ohren errötet, und die drei verheirate- ten Frauen empfanden eine große Erniedrigung, daß sie der Soldat in der Begleitung dieses Frauenzimmers traf, das er so burschikos behandelt hatte. Tann sprachen sie von ihm,, von seiner Figur und seinem Gc- ficht. Frau Carre-Lamadon. die viele Offiziere gekannt hatte und sie als Kenner beurteilte, fand ihn gar nicht übel; sie bedauerte sogar, daß er kein Franzose sei; er hätte einen ganz hübschen Husaren abgegeben, nach dem sicher alle Frauen verrückt gewesen wären. Zu Hause wußten sie nichts anzufangen. Sie stritten bissig sogar über gleiugültige Dinge. Das Nachtessen verlief schweigend urü> schnell; und alle gingen zu Bett, um ourch den Schlaf die Zeit zu töten. Am nächsten Morgen kamen sie mit müdem Gesicht in ver- zwcifelter Stimmung herunter. Die Frauen sprachen kaum mit Fettckjcn. Eine Glocke läutete zu einer Taufe. Das dicke Mädchen hatte bei Bauersleuten in Avetot ein Kind. Sie sah es nur einmal im Jahr und dachte nie daran; aber der Gedanke, daß ein Kind getauft wurde, erweckte in ihrem Herzen eine plötzliche heftige Zärtlichkeit für ihr eigenes, und sie wollte durchaus an der Feier teilnehmen. Sowie sie fort war, blickte sich alles an; man rückte die Stühle zusammen, denn man fühlte klar, daß man schließlich zu irgendeiner Entscheidung kommen mußte. Loiseau hatte eine Erleuchtung: er wollte dem Offizier vorschlagen, Fetichen allein zurückzuhalten und die anderen abreisen zu lassen. Herr Follcnvie übernahm auch diesen Auftrag, aber er kam alsbald zurück. Der Deutsche, ein Kenner der Natur des Menschen, hatte ihn vor die Tür gesetzt. Er erklärte, sie sämtlich zurückbehalten zu wollen, bis sein Verlangen befriedigt sei. Da brach in Frau Loiseau das Temperament der Gasse hervor: vWir werden doch hier nicht an Altersschwäche sterben! Es ist doch das Geschäft von solchem Luder, das mit allen Männern zu machen, sie hat also gar nicht das Recht, mit einem eine Ausnahme zu machen. Ich bitte Sie, das hat alles genommen, was es in Rouen  gefunden hat, sogar Kutscher! Jawohl, gnädige Frau, der Kutscher der Präsektur! Ich weiß es am besten, er kauft seinen Wein bei uns. Und heute, wo sie uns aus einer Verlegenheit helfen soll, spielt sie die Spröde   diese Rotznase!... Ich finde, daß dieser Offizier sich höchst anständig benimmt. Er leidet vielleicht schon lange Not, und wir waren drei hier, die er sicherlich vorgezogen hätte. Aber nein, er begnügt sich mit der Allerweltsdirne. Er respektiert die verheirateten Frauen. Bitte, er ist der Herr. Er hätte nur sagen dürfen:Ich will", und er konnte uns gewaltsam mit seinen Soldaten nehmen." Die beiden Frauen durchlief es etwas. Die Augen der hübschen Frau Earre-Lamadon funkelten und sie wurde ein wenig blaß, als wenn sie sich schon vom Offtzier gewaltsam genommen fühlte. Die Männer, die unter sich sprachen, kamen hinzu. Der rasende Loiseau wolltediese Elende" an Händen und Füßen gebunden dem Feinde ausliefern. Der Graf jedoch, der aus der Zucht von drei Botschoftcr-Gcnerationen stammte und eine jDiplomaten-Natur hatte, war für ein geschicktes Vorgehen:Man müßte sie gewinnen". sagte er. Sie konspirierten. Die Frauen rückten zusammen. Man tuschelte, jeder gab seine Meinung zur allgemeinen Debatte, die übrigens durchaus anständig war. Insbesondere fanden die Damen die zartesten Wendungen und reizendsten Feinheiten im Ausdruck, um die schlüpfrigsten Dinge zu sagen. Ein Fremder hätte nichts begriffen, so sorgsam wendeten sie die Schutzvorrichtungen der Sprache an. Aber der dünne Fetzen Schamgefühl, der jede gebildete Frau verhüllt, bedeckt freilich nur die Haut. Sie schwelgten in diesem lüsternen Aden- teuer, und hatten im Grunde ihr tolles Vergnügen. Ganz in ihrem Element, wühlten sie in der Liebe mit der Lust eines leckeren Kochs, der einem anderen die Speise bereitet. Unwillkürlich wurden sie wieder heiter. Die Geschichte wurde am Ende drollig. Der Graf fand ein paar etwas gewagte Scherze, die aber so nett gewendet waren, daß sie zum Lachen zwangen. Loiseau hinwieder riß einige derbere Zoten, ohne jemanden zu verletzen; und der Gedanke, den seine Frau so nackt ausgesprochen hatte, beherrschte alle:Wenns schon das Geschäft von dem Frauen- zimmcr ist, warum verweigert sies dem eher als einem anderen?" Die hübsche Frau Carre-Lamadon dachte vielleicht sogar an ihrer Stelle würde sie den weniger zurückweisen als einen anderen.> Die Blockade wurde von langer Hand vorbereitet, wie bei einer belagerten Festung. Die Rollen, die jeder zu spielen hatte, wurden verteilt, die Berechnungen, auf die man sich stützen sollte, die Bc» wegungen, die auszuführen wären, wurden bestimmt. Der An» griffsplan wurde festgelegt, die Kriegslisten, die Uebcrfälle, um diese lebendige Zitadelle zu zwingen, den Feind in ihrem Schöße aufzunehmen. Cornudet indes blieb beiseite, und mischte sich gar nicht ,n diese Sache. Die Gemüter wären so erregt und gespannt, daß niemand Fettchen kommen hörte. Der Graf flüsterte leise: Est! Alle Augen blickten auf. Da war sie. Man schwieg jäh und eine ge- wisse Verlegenheit hinderte sie anfänglich zu reden. Die Gväfin, die in den Zweideutigkeiten der Gesellschaft gewandter war, fragte sie:War die Taufe lustig?" DaS dicke Mädchen erzählte, noch bewegt, alle Einzelheiten, von den Menschen, ihrem Benehmen, sogar wie die Kirche aus- sah. Sie fügte hinzu:Es tut so gut, manchmal zu beten." Bis zum Essen beschränkte� sich die Damen darauf, lieben?» würdig zu sein, um das Vertrauen und die Nachgiebigkeit gegen ihre Ratschläge zu steigern- Bei der Tafel begannen sie sofort Fühlung zu nehmen. An» fangs war es eine unbestimmte Unterhaltung über die Aufopfe» rung. Beispiele aus dem Altertum wurden angeführt: Judith und Holofernes, Lucretia   mit Sextus, Cleopatra, die durch ihr Schlafzimmer alle feindlichen Feldherren gehen ließ und sie dort zu Sklavendienstcn erniedrigte. Dann entspann sich eine phan- tastische Geschichte, wie sie aus der Vorstellung dieser unwissenden Millionäre erzeugt wurde, von den römischen Bürgerinnen, die nach Capua   gingen, um Hannibal   nebst seinen Offizieren und der.Phalanx in ihren Armen einzuschläfern. Alle Frauen wurden genannt, die Eroberer hemmten, indem sie aus ihrem Körper ein Schlachtfeld schufen, ein Machtmittel, eine Waffe; durch ihre Helden» haften Zärtlichkeiten widerwärtige oder verhaßte Menschen be» siegten und ihre Keuschheit der Rache und der Aufopferung weihten. In verhüllten Wendungen sprach man sogar von jener Eng. länderin aus hervorragender Familie, die sich eine furchtbare ansteckende Krankheit verschaffte, um sie auf Bonaparte zu über» tragen, der nur durch ein Wunder, durch eine plötzliche Schwäche» im Augenblick der verhängnisvollen Schäferstunde gerettet wurde. Das alles wurde in anständiger und maßvoller Form erzählt. und zuweilen brach eine bewußte Begeisterung hervor, geeignet Nachciferung zu wecken. Schließlich hätte man glauben müssen, daß die einzige Aufgabe der Frau hienieden ein unablässiges Opfer ihrer Persönlichkeit, eine unaufhörliche Hingabe an die Lüste der Soldateska sei. Die zwei Schwestern schienen nichts zu hören, tief in Gedanken versunken. Fettchen sagte nichts.