Sie waren alle aufgestanden und stimmten ein, selbst die Schwestern fügten sich der Einladung der Damen und netzten ihre Lippen mit dem moussierenden Wein, den sie bisher niemals ge- kostet hatten. Sie erklärten, das schmecke wie Brauselimonade, nur sei es feiner. Loiseau fand das Schlußwort für den Augenblick: Schade, daß wir kein Klavier haben, sonst könnten wir eine Quadrille quetschen." Cornudet hatte kein Wort geredet, keine Bewegung gemacht; er schien in sehr ernste Gedanken versunken und zerrte zuweilen, mit einer wütenden Geberde, seinen großen Bart, als ob er ihn noch verlängern wollte. Als man schließlich gegen Mitternacht sich trennen wollte, klopfte ihm der schwankende Loiseau plötzlich aus den Bauch und sagte lallend zu ihm:Sie sind heute abend nicht bei Humor; Sie sind stumm, Bürger!" Cornudet erhob jäh den Kopf und überflog die Gesellschaft mit einem erschreckend funkelnden Blick:Ich sage Ihnen allen, daß Sie eine Gemeinheit verübt haben!" Er stand auf, ging zur Türe, wiederholte nochmals: Eine Gemeinheit", und verschwand. (Schluß folgt.) (Nachdruck verboten.). Kannibalismus. Ans Deutsch-Ostafrika   wurde vor einiger Zeit von einem Menschenfresserbunde berichtet, dessen Mitglieder wegen der verübten Morde von den Gerichten zum Tode verurteilt worden seien. Noch viel häufiger kommen solche Nachrichten aus einem anderen deutschen Kolonialgebiet: aus dem Bismarckarchipel. Wir lesen es dann schaudernd und beklagen solche Vorgänge, die wir als traurige Ver- irrungen des Menschen anzusehen uns gewöhnt haben. Aber auch unsere eigenen Vorfahren haben Kannibalismus geübt. Nicht etwa die alten Germanen oder andere erst spät ins Licht der Geschichte getretene europäische   Völker. Jene Zeit liegt viel weiter zurück; es ist dieUrzeit", als der Mensch in Europa   auf der allerniedrigsten Stufe der Entwickelung stand. Funde von Röhrenknochen mit Verletzungen, die nur das Herausziehen des Markes bezweckt haben können, beweisen prähistorische Anthropophagie (Menschenfresserei) auch in unserem Erdteil. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die meisten fleischfressenden Tiere vor dem Fleische ihresgleichen nicht zurückschrecken und der Mensch auf niedriger Stufe den tierischen Gewohnheiten noch nicht allzu weit entrückt war, so werden uns diese Tatsachen nicht in Erstaunen setzen. Ueberhaupt ist der Kannibalismus wohl einmal sozusagen Gemein- gut aller Rassen gewesen. Tröstlich ist für uns Weiße dabei nur das Bewußtsein, daß er bei uns ohne Zweifel am frühesten verschwunden sein dürfte. Soweit sich die europäischen   Strafgesetze zurückverfolgen lassen, fehlt die Erwähnung des Delikts des Mcnschenfraßcs voll­ständig; kein Gesetzgeber ist also aus die Vermutung verfallen, er könnte vorkommen. Auch bei primitiveren Völkern, als wir eS sind, ist die Anthro- pophagie im Abnehmen begriffen. Den Grund dafür vermögen wir nicht immer zu erkennen. Wie in den Kolonien die Regierung oder eine höhere Religion nachhaltig Einfluß oder Aufsicht ausüben, oder wo auch nur das Beispiel des Weißen wirksam ist, liegt die Ursache klar zutage. Als zum Beispiel die Fidschi  -Jnsulaner, ehedem berüchtigte Kannibalen, durch die Berührung mit den Engländern soweit gebracht waren, daß sie eine Art von Verfassungsstaat bildeten, hörte auch ihr Kannibalismus auf. Aber wir wissen anderer- seit? von südamerikanischen Indianern, daß sie seit etwa hundert Jahren ihre kannibalischen Liebhabereien aufgegeben haben, ohne daß hier von außen her eine Einwirkung sich geltend gemacht haben kann. Von einem Aufhören der Unsitte ohne das Zutun der Weißen berichtet auch Mansfeld   aus Kamerun  : die Ekoi im Croßflußgebiet haben sie vor vierzig Jahren aufgegeben, d. h. 20 Jahre vor Ankunft der Europäer  . ManSfeld   nieinte, manche Eingeborene seien wohl von selbst auf das Unwürdige des Kanni- baliSmus aufnrerksam geworden, hätten von ihm abgelassen und schließlich den ganzen Stamm nach sich gezogen. Auch Parkinson  verweist für den Bismarckarchipcl darauf, daß bei einer der Rasse nach einheitlichen und in den Anschauungen über Recht und Unrecht völlig gleichgearteten Bevölkerung die Ausfassung der einzelnen Stämme von» Kannibalismus ganz verschieden fei:Es muß wohl eine Eigentümlichkeit der Menschheit fein, daß man auf Anthro- pophagen als auf eine tiefere, verkommene und verachtenswerte Stufe des Geschlechts herabblickt." Auf den Fidschiinseln hat es nach Basil Thomson   auch zur Blütezeit des Kannibalismus immer ein- zelne Häuptlinge gegeben, die ihren Widerwillen gegen Menschenfleisch nicht überwinden konnten. Wenn nun auch aus verschiedenen Ursachen das Verbreitungs- gebiet des Kannibalismus sich überall mindert, so herrscht er doch noch in sehr großen Teilen der Erde. Hierbei ist allerdings zu bemerken, daß unsere Nachrichten darüber nicht immer einwandfrei sind. Dem Kannibalismus wird namentlich dort, wo ihm religiöse Vorstellungen zugrunde liegen, im geheimen gehuldigt, bcnach- barte Stämme werden nicht eingeweiht, und auch die eigenen Weiber dürfen meistens nicht teilnehmen. Da kommt es denn häufig besonders in Südamerika   und Afrika   vor, daß ein Stamm den andern ohne Grund der Anthropophagie verdächtigt, und je ferner ein verdächtigter Stamm wohnt, je weniger man also von ihm weiß, zu um so schlimmeren Kannibalen stempelt ihn die Fama. Nicht selten haben Stämme, zu denen ein ForschungSreisender kam, diesen am Vordringen land» einwärts durch die Erzählung zu verhindern gesucht, dort wohnten die denkbar wildesten Menschenfreffer. Gelang das, so wurden in der wissenschaftlichen Literatur ganz harmlose Leute zu Kannibalen. Man hatte dem Reisenden ein Märchen erzählt, um ihn ganz für sich selber zum Ausbctteln zu behalten. So weiß man wenig Sicheres über die heutige Verbreitung des Kannibalismus unter den südamerikanischen Indianern(Tupi  , Karaiben  ; diese, spanisch Canibes, haben zu der Entstehung der Bezeichnung«Kanni- baten" die Veranlassung gegeben). In den Waldgebieten WestafrikaS von Liberia bis zum Ogowe, wo weder Christentum noch Islam   viel Eingang gefunden haben, herrscht fast überall Kannibalismus, und im westlichen Aequatorialafrika bis zu den Seen und dem Nil hin ist er sogar weiter verbreitet, als man ursprünglich angenommen hat. Hier leben die sogenannten Pygmäen, die als die Reste der Ur- bevölkerung Afrikas   angesehen werden. Ueber die interessante Frage, ob sie Anthropophagen sind, gehen die Nachrichten aus- einander. Einige Horden sollen es sein, andere nicht. Ein Wambutti- ziverg, den Dr. David darüber befragte, verneinte es mit allen Zeichen des Abscheues. In Ostafrika   kommt Kannibalismus nur sehr vereinzelt vor. In Asien   ist er heute eine noch viel seltenere Erscheinung, und sicher festgestellt ist er eigentlich nur bei den Bat als auf Sumatra  . Anders wieder auf dem Aistralkontinent und auf den Inseln des Großen Ozeans. Wohl alle wilden Stämme des Erdteils Australien   sind Anthropophagen, soweit nicht die Aufsicht der Weißen reicht. Die Papuas auf Neu- guinea   sind es zum Teil ebenfalls; ferner die Melanesier in unserem Schutzgebiet, oblvohl es dort sogar innerhalb kleiner Archipele, wie der Admiralitätsgruppe,.einzelne Stämme gibt, die im Gegensatz zu ihren Nachbarn Menfchenfleisch nicht genießen. Die durch viele sympathische Eigenschaften ausgezeichneten Polynesicr u. a. die Bewohner der Sandwichinseln waren bis vor wenige» Jahrzehnten vielfach Kannibalen, und die gleichfalls polyncsischen Neuseeländer  , die M a o r i, galten ja früher als Menschenfresser schlechthin und waren es auch. Selbst von den Eskimos sind Fälle von Kannibalismus bekannt geworden. RaSmussen ließ sich von den Ostgrönländcrn über eine Art krankhafter Mordmanie be- richten, die unter ihnen zu gewissen Zeiten eingerissen sei; dann sei das Herz des Ermordeten vom Mörder verzehrt worden. Warum ißt man nun das Fleisch seiner Nebenmenschen? Eine für alle Fälle zutreffende Erklärung läßt sich nicht finden, man hat es vielmehr mit verschiedenen Motiven zu tun. Hunger nebst Mangel an Fleischnahrung, Gewohnheit, Genußsucht, Rache, religiöse und abergläubische Vorstellungen spiele» eine Rolle. Auf den Tongan  - inscln wurden Menschen in Zeiten von Hungersnöten verzehrt; so- bald aber diese Nöte behoben waren, hörte auch der Kannibalismus auf. Von den Maori   Neuseelands   glaubt Hochstetter, daß sie erst nach ihrer Einwanderung Kannibalen   geworden seien, lveil eS auf jener Insel an genügende Fleischuahrung bietenden Tieren gefehlt hat. Bald nach 1840 habe die Unsitte aufgehört, nachdem sich dort europäisches Weh verbreitet hätte. Es find aber Fälle denkbar, daß nian zwar nur vom Hunger und Flcischmangel getrieben, sich am Menschen vergriffen, der neuen Kost aber so viel Geschmack abgewonnen hat, daß man bei ihr ver- blieben, der Kannibalismus also zur Gelvohnheit geworden ist. Damit steht dann das Motiv der Genußsucht in Verbindung. Daß Mcnschcnflcisch eine gesunde Nahrung ist und wilden Stämmen des Erdteils Australien   gut schmeckt, wird von allen Anthropophagen behauptet. Der Gouverneur Hahl berichtet ans Ncumccklenburg, man sage, das Fleisch des Menschen komme dem Fleisch des jungen Schweines an Zartheit gleich. Auf Fidschi   wurde das Fleisch junger Leute von bis 20 Jahren für das schmackhafteste gehalten. Eine Delikateste ist Menschenfleisch und namentlich Menscheufett für viele Australier. Aller- dings kommen sie nur selten zu diesem Genuß, weil ihr Erdteil äußerst dünn bevölkert ist. Nachsucht soll das Hauptmotiv für den Kannibalismus der Fidschi  -Jnsulaner gewesen sein.«Ich Ivllrde dich fressen, wenn nicht die Regierung da wäre", ist dort noch heute die schwerste Drohung, die einer gegen den anderen ausstoßen kann. Zum Teil aus der Rachsucht erklären sich die furchtbaren Gransain« leiten, die hier mit den kannibalischen Festen verbunden waren. Am gründlichsten fühlte man seine Rache befriedigt, wenn man das sorgsam zubereitete Fleisch im Ofen verbrennen ließ, weil es für den Genuß zu schlecht wäre. Vom Menschenopfer zum Menschenfraß ist wohl nicht selten nur ein kurzer Weg, auch mag gelegentlich die umgekehrte Eni- Wickelung stattgefunden haben.Nicht um des Fleischgenusses wegen, sondern um das Beste, was man hat, Gott   zu opfern, ist Menschen- fleisch gegessen worden", wurde Mansfeld   auf seine Frage nach dem Grunde der Unsitte erwidert. Aus Zentral-Celebes berichtet Paul Sarasin  , daß man dort nur etwas Hirn und Blut des getöteten Feindes verzehre, was eine rituelle Bedeutung habe,«offenbar ur- sprunglich auf dein Gedanken beruhend, daß ein Teil der Seele des Getöteten dem sich einverleibe, welcher von dessen Fleisch ißt und von dessen Blut trinkt". Diese Leute find eigentlich also nicht Kanni- balen. Aehnlich die Wadoö in Dentfch-.l.)stafrika. Nach Stuhlmann wurde dort beim Tode eines Häuptlings ein fremder Neger mit tiefschwarzcr Haut getötet und in den Wald geschleppt, wo»in eigens dafür bestimmter Mann, dessen Amt erblich war, die Leiche mit Ausnahme der Hände ungesehen verzehren mußte. Aus der