„Lieker Gott ! Mgütiger!" stöhnte er und blickte flehend zum Himmel empor.„Rechne mir meinen Tod nicht als Sünde anl Ich will keine Sünde begehen, ich will sterben für den Frieden meiner Eltern. Mein Tod ist ein Opfertod." Ein Opfertod! An dieses Wort klammerte er sich: es brachte ihm Trost. Er verwandelte die Tat der Verzweifelung in eine Heldentat und schwerste Schuld in ein Märtyrertum. Es ging auf vor dem armen, irrenden, suchenden Kinde wie ein Stern in der Nacht. Keine Erwägung, keine Ueberlegung, kein Zweifel mehr, nicht die geringste Fähigkeit, sich etwas anderes vor- zustellen, nur die rasende, unbezwingliche Sehnsucht, Erlösung zu erfahren und Erlösung zu bringen. ''Schluß solgt.)� Die Taroler Volkserbedung im Jahre 1809. L Der Tiroler Volkskrieg, auS dem jedermannn zum mindesten den Namen Andreas H o f e r S kennt, ist bloß zu begreifen, wenn man die damaligen wirtschaftlichen, politischen und geistigen Kultur- zustände dieses Landes und die Hauptzüge der allgemeinen Geschichte jenes Zeitalters studiert. Tirols Erhebung im Jahre 1809 war ein Kapitel aus der Ge- schichte des RcvolutionSzeitalters und des ersten Napoleon . Wie ge- hört der Tiroler Volkskrieg in diesen Zusammenhang? Tirol war seit 1363— seit den Tagen jener Gräfin Margarete Maultasch von Tirol— eine ö st erreicht s che Provinz. Als Ende des 18. Jahrhunderts die französische Revolution ausbrach, stellte sich der österreichische Kaiser Franz II. an die Spitze einer reaktionären europäischen Fürstensolidarität, die es sich zur Aufgabe machte, die demokratischen Prinzipien der französischen Revolulion mit der Logik der Waffen zu bekämpfen. In die Kriege, die Oester- reich mii seinen Bundesgenossen gegen das revolutionäre Frankreich führte— die sogenannten Koalitions-, das heißt Bundeslriege—, war naturgemäß auch Tirol verwickelt, das einen strategisch sehr wichfigen Vorposten der habsburgischen Macht darstellte. Aus Gründen, die wir kennen lernen werden, war das Tiroler Klein- bauernvolk ein heftiger Gegner der französischen Revolution, ein eiftiger Anhänger der sogenannten Legitimität, das heißt des Prinzips der Unantastbarkeit der„angestammten" Fürstenhäuser. Oesterreich führte jedoch seine Kriege gegen das republikanische Frankreich mit wenig Glück. Die Republik hatte den geübten Heeren des Kaisers Franz die stürmende Leidenschaft ihrer demokratischen Milizen, den klugen Generalen Oesterreichs die Genialität des jungen Bonaparte gegenüberzustellen. In drei Kriegen wurde Oesterreich von den Franzosen überwunden. Die härtesten Schläge trafen Oesterreich im dritten Koalitionskriege, im Kriege deS Jahres 1805, der nur von dem furchtbaren Feldzuge des Jahres 1809 über- boten wurde. Napoleon Bonaparte hatte sich 1804 zum Kaiser der Franzosen aufgeworfen. Das kontinentale Europa konnte dem Militärdiftator nicht widerstehen. Die einzige europäische Macht, die dem Kaiser der Franzosen sich mit dauernder HarMäckigkcit entgegen- setzte, war die englische Handelsbourgeoisie. Sucht man den tiefsten Grund des ftanzösisch-österreichischen Konfliktes von 1803, so stößt man auf den altüberlieferten wirtschaftlichen Jntereffengegenfatz zwischen England und Frankreich . Die ökonomische Konkurrenz zwischen England und Frankreich hatte schon im Zeitalter des sieben- jährigen Krieges kriegerische Formen angenommen. Als Frankreich von der Revolution im Innern erschüttert war, glaubte der englische Kapitalismtis die Zeit gekommen, sich auf Kosten Frankreichs zu be- reichern— die französischen Kolonien anzugreisen und die englische Secherrschaft zu begründen. Nichts natürlicher, als daß die englische Bourgeoisie von ihrem Golde nach dem Kontinent schickte, die reaktionären Mächte gegen Frankreich mobilisierte und sich erbot, die Kosten der Legitimitätskriege zu bestreiten. Dies ist der innerste Zusammenhang der damaligen europäischen Politik. Im Frieden von Preßburg , der den französisch- österreichischen Krieg von 1805 beschloß, verlor Oesterreich unter anderem Tirol_ an_ den Kaiser der Franzosen. Der Inhalt dieses Friedens ist. wie wir sehen, im letzten Grunde eine Konsequenz des französisch-englischen Interessengegensatzes, der seinerseits in den Interessen des englischen Kavitalismus wurzelte. Der französisch - österreichische Krieg von 1805 war— wie übrigens schon der Krieg von 1799 und der erste Koalitiouökrieg, der 1792 begonnen hatte— nichts als ein indirekter Ausdruck, eine Umschreibung für jenen ökonomischen Gegensatz zwischen Englands Bourgeoisie und der Frankreichs . ,Das Schicksal Tirols war ein fernstes Echo dieses wahren Hauptkampfes vom Ansang deS 19. und vom Ausgang des 13. Jahrhunderts. Was geschah des weiteren mit Tirol? Vertragsgemäß gab Napoleon Tirol dem bayerischen Landesherrn, den er crwa gleich- zeitig zum König von Bayern erhob. Und wie konnte Bayern « König als Anwärter auf Tirol auftreten? Die Antwort auf diese Frage wird einen zwar abermals allgemeingeschichtlichen, dennoch engeren Zusammenhang aus der Aera Napoleons aufdecken. Gezwungen durch die intrigante Politik des englischen MinistenumS Pitt eröffnete Napoleon den österreichischen Krieg von 1805. Als sich der Kaiser der Franzosen nach BundeSgenoffen umsah, da fiel sein Blick auf die Fürsten des deutschen Südens und Westens, zumal auf den bayerischen Kurfürsten, Maximilian IV. Josef, der bei seiner Thronbesteigung im Jahre 1799 eine mehr� als hundertjährige wittelsbachische Feindschaft gegen das Haus Habsöurg ererbte. In raschem Zuge zwang Napoleon die süddeutschen Fürsten. ihm in den Krieg gegen Oesterreich zu folgen. Max Josef sträubte sich offiziell, weil er glaubte, so den Anschein politischer Moralität zu wahren. Aber es blieb ihm nichts übrig als mitzugehen. Die Königskrone und das Land Tirol waren der Lohn für die mili- tärische Beihilfe, die Max Josef dem Kaiser der Franzosen gewährte. Was war Tirol, als eS von Bayern übernommen wurde? Werfen wir einen kurzen Blick auf die innere Geschichte dieses Landes. Anders als dem Zeitalter der Sommerreisen und der alpen - ländischen Fremdeninustrie erschien Tirol den ftüheren Epochen. Sie sahen in Tirol das unwirtliche Bergland, dem die Bauern in harter Arbeit bescheidene Existenzmittel abrangen. Mühselig gewannen sie auf schlechtem Boden wenig und geringes Getreide: um die Wende des 18. Jahrhunderts bezog Tirol ein Drittel seines GotrcidebedarfS aus dem Auslande, namentlich aus Bayern . Und mühselig gewann der Bauer an den Berghängen das Gras für die Wintcrfüttcrung. Der einzige Reichtum der Dorfbewohner bestand in der Almen- Wirtschaft. ES läßt sich denken, daß dieses Land sehr wenig Ge- legenheit zur Enlwickelung eines feudalen Großgrundbesitzes gewährte. Deutschtirol blieb im Laufe der Jahrhunderte ein lleinbäuerliches Land. Feudale Agrarbetriebe entwickelten sich allerdings in welsch- tirolischen Gebieten, die an die ftuchtbaren Gefilde der Lombardei angrenzen. Es gelang zumal dem südtirolischen Bistum Trient , zahlreiche Bauern zu legen, Landbezirke zu mächtigen Gütern zusammenzufügen und die kleinbäuerlichen Voreigentümer_ in die traurige Lage eines land- und rechtlosen Tagelöhnerproletariats hinabzuprcsien. Wenn wir einerseits feststellen dürfen, daß der weit- aus größte— der deutsche— Teil Tirols die Leibeigenschaft des Bauern nie gekannt hat, so müffen wir uns doch auch daran erinnern, daß Welschtirol die Leibeigenschaft und die totale Proletarifierung des Landbewohner? allerdings erlebte. Als der große Bauernkrieg von 1525 Deutschland durckrobte, da blieb das von der Leibeigenschast freie Deutschtirol vollkommen ruhig. während sich die Welschtiroler gegen die Grundherren erhoben. Ein analoger Vorgang wiederholte sich in der Zeit der französischen Re- Volution. Die proletarisierten Welschriroler, die sich in einer un- glaublich elenden Lage befanden, öffneten die Ohren gierig allerlei Propheten, die von der französischen Revolution gehört hatten und nun ihren Landsleuten die Abschaffung aller Stenern verhießen. Die Deutschtiroler, die auf dem Niveau einer einfachen, jedoch nicht armseligen und unbehaglichen kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Demokratie standen, empfanden im allgemeinen nur Widerwillen gegen die französische Revolution, deren Wesen die große Mehrheit freilich nicht von ferne begriff. Tirol fand seine Nahrungsquellen aber nicht allein ini Ackerbau und der Viehzucht. Die Armut der Erdoberfläche zwang die Tiroler früh, sich auch nach uichtlandwirtschaftlichen Erlverbszweigen umzu- schauen. So erlebte Tirol im früben Mittelalter schon eine intensive städtische Kultur. Sie war unter den Faktoren, die eine antiseudale Gesellschaftsverfassung begünstigten, nicht, der unwichtigste. In den schönen Tiroler Städten blühten alle Gewerbe; um die Wende des 18. Jahrhunderts war allerdings die alte gewerbliche Kultur Tirols nicht mehr auf der Höhe— wie ja das 18. Jahrhundert in Deutsch - land überhaupt ein Jahrhundert ökonomischer Stockung gewesen ist. Immerhin waren in den Tiroler Städten noch runde Kleinbürger- vermögen und Großbürgervermögen. Die größten Einkommen stossen aus Jahrhunderte alten Melallbergwerken und Mineral- bergwerlen, die Salz. Silber. Kupfer. Eisenerze, Zink noch immer in beträchtlicher Menge hergaben, und aus dem lombardisch-oberdeutschen Durchgangshandel. Bozen namentlich war noch ein Handelsemporium von europäischer Be- deutung; dort saß eine reiche, privilegierte Kaufmannschaft. Die verhältnismäßig gesunden wirtfchastlichen Zustände und Sozialzustände Tirols drückten sich aucli in verhältnismäßig ge- sunden politischen Einrichtungen aus— Einrichtungen, denen man eine stark demokratische Physiognomie nicht absprechen kann. Das Wesen der Demokratie ist die Selbstverwaltung des Volkes, die Aus- schaltung der Fachbineaukratie und deS Absolutismus . So hatte Tirol zunächst in seiner Wehrverfassung ein unzweifelhaftes Element der Selbstverwaltung. Tirol hatte kein stehendes Heer, hatte nichts, was nur im entferntesten an Militarismus gemahnen konnte. Da gab es keine Kasernen, keine Einziehung zum Dienst im Frieden, keine landesfremdcn Garnisonen; und kein Tiroler konnte gezwungen werden, sein„Landl" wegen eines Krieges zu verlassen, da außer- halb der Tiroler Grenzen— wenn auch vom obersten Landes- Herrn, dem Kaiser — geführt wurde. Bedrohte der Feind die Tiroler Grenzen, dann rückte— auf Geheiß des Tiroler Land- tag«— der Tiroler Bauer als Schütze oder Stürmer an die äußersten Pässe, um dem Gegner den Eintritt zu wehren. Eine Militärhierarchie, wie sie das Offizierskorps jedes stehenden Heeres notwendig darstellt, fehlte dort vollkommen.
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26 (25.8.1909) 164
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