Viele Errungenschaften der modernen Zaljnljeilkunde sind frei­lich nur für solche Zeitgenossen da, die, wie kürzlich ein Reichstags- abgeordneter so schön sagte, unter der Last des Reichtums zu leiden liabe»; insbesondere der moderne Zahnersatz durch Brücken und Kronen wird, wohl noch lange sür die wohlhabenderen Klassen re- serviert bleiben, während der Arbeiter mit dem vorlieb nehmen muh, was ihm von den Krankenkassen gewährt werden kann. Aber auch das ist nicht wenig und wird in Zukunft noch mehr werden, wenn mit dem st eigen den Verständnis für die gesund- h ertliche und ästhetische Bedeutung guter Zähne in der Arbeiterschaft noch mehr Wert auf die Erhaltung der Zähne gelegt werden wird. Wenn der Arbeiter sich erst ein- mal daran gewöhnt haben wird, nicht erst auf Zahnschmerzen zu warten, sich dann die Zähne ausziehen und evcnt. durch Kautschuk- zahnersatz ergänzen zu lassen, sondern die eigenen Zähne vor Ein- tritt von Schmerzen durch Füllung erhalten zu lassen, so wird schon viel erreicht und zur Hebung der Volksgesundhcit ein wesent­licher Schritt vorwärts getan sein. Tonn auch der Laie weih, welche Bedeutung gesunden Zähnen für die Erhaltung des Körpers zukommt. Die Aufklärung über die Wichtigkeit dieser Dinge dringt in immer weitere Kreise und weckt Interesse und Ber- ständnis dafür. So darf denn auch die Ausstellung ein über die Kreise der Fachmänner hinausgehendes Interesse beanspruchen. In dieser Erkenntnis hat man sich dazu entschlossen, sie von Sonntag bis Mittwoch nächster Woche von 9 6 Uhr auch weiteren Kreisen zu- gänglich zu machen. Lebhaft zu bedauern ist nur das hohe Ein- trittsgeld von einer Mark, das viele, die sonst gewih gern den Be- such der Ausstellung mit dem des Reichstagsgcbäudes verbunden hätten, zurückhalten wird. Welche bleibende Bedeutung dem Kongreß in wissenschaftlicher, praktischer und sozialer Beziehung zukommt, das wird sich erst feststellen lassen, wenn die gesamten Verhandlungen im Druck vor- liegen. Sicherlich wird aber der Löwenanteil an dem Erfolge der deutschen Zahnärzteschast zufallen, die qualitativ wie quantitativ fast in allen Fächern voransteht. Zum Teil hängt das ja damrt zusammen, dah der Kongreh eben in Berlin stattfindet, und erst der nächste im Ausland stattfindende Kongreh wird es lehren, ob es diesmal mehr als ein Scheinerfolg der deutschen Zahnärzte ge- weseo ist; S. Öle freie Volksbühne.*) Ihr« Geschichte, ihr Wirken, ihre Ziele. In weniger als Jahresfrist wird unsere Volksbühne ihr LOsähriges Jubiläum feiern dürfen. Aus kleinen Anfängen er- wachsen, hat dieses Unternehmen der Berliner Arbeiterschaft, in dem das BildungSstreben, der Drang nach seelischer Bereicherung und Kultur, getragen von dem mächtigen Strom der allgemeinen prole- tarischen Bewegung, einen so markanten und verheißungsvollen Ausdruck gefunden, sich krastvoll entwickelt. Die Hoffnungen, die die Gründer auf die regsame Empfänglichkeit in unseren Reiben setzten, haben recht behalten, ja die rasche, von keinerlei Rückschlägen unter- brochene Ausbreitung des Vereins hat die Erwartungen wohl auch der kühnsten Optimisten von damals übertroffen. Aber freilich, jene Blüte einer neuen Dichtung, die sich Ende der achtziger Jahre anzukündigen schien, einer Dichtung, die den Gehalt der neuen Zeit, ihres Denkens und FühlenS, weit ab von allen ausgefahrenen Gleisen in lebens- vollen Bildern widerspiegeln würde und der vor allein unsere von jeder Fessel der Zensur befreite Bühne zur Stätte dienen sollte, hielt nicht, was sie versprach. Ibsen hatte, als unser Verein ent- stand, sein Größtes bereits gegeben und Hauptmanns junge Kraft erklomm den Gipfel ihres Könnens in der ersten Hälfte der neunziger Jahre, dann senkte sich seine Bahn. Und doch war er der unvergleichlich Reichste aus dem Kreise der Jungen, die damals, aller toten Konvention den Krieg erklärendmodern, modern sei der Poet, modern vom Scheitel bis zur Sohle", sang Arno Holz in seinemBuch der Zeit" zur Bühne drängten. Manch interessanter Wurf gelang, indessen das soziale Drama großen Stils, das sich an innerer Bewegtheit, komprimierter Spannung, an Reichtum der Gedanken und Gestalten neben Ibsens bürgerliche Familiendramen oder Zolas Germinalroman hätte stellen können, blieb aus. Auch Hauptmanns packendes Weberstllck malte nur das Elend, nicht die von Zuknnftskeimen geschwellte Kraft des aufwärtsstrebenden Proletariats. Wenn in der Technik und einem großen Teil der Wissenschaften das Bedürfnis nach Lösung bestiminter Aufgaben, für die die Zeit gekommen, auch zugleich die Männer und Talente zu schaffen scheint, die das Notwendige vollbringen, so kann von einer solchen Sicher- heit des Fortgangs aus den Gebieten künstlerischen Schaffens nicht die Rede sein. Dort sind die Linien und Methoden vorgezeichnet, es ist ein gegenseitiges Sich-in-die-Hände-Arbeiten, ein Kesseltreiben, Die Freie Volksbühne eröffnet am Sonntag ihr neues Spiel- jähr gleichzeitig im Leffing-Theater und Neuen Schauspielhause. Aus diesem Anlaß mag der von Konrad Schmidt verfaßte Rückblick, der in dem neuen Jahrgang derFreien Volksbühne " veröffentlicht wird, auch hier eine Stätte finden. das seine Ringe eng und enger zieht, bis die umlagerte Erkenntnis fich dem vereinigten Bemühen ergeben muß. In der Kunst, wo mittelmäßige Talente, die in dem Rahmen wissenschaftlicher Kooperation wohl ein nützliches Scherflein zu dem endlichen Er- folge beisteuern, es zu keinerlei fruchtbarer Leistung bringen können, hängt, so viele Anregungen aus dem Milieu und dem Geiste de» Zeil nach einer Richtung drängen, die Erfüllung doch schließlich immer von dem unberechenbaren Auftreten wirklich genialischer oder doch original selbständiger Begabungen ab. Die reichste dichterische Ernte das Beispiel unserer deutschen klassischen Literatur im achtzehnten Jahrhundert zeigt das zur Genüge kann auf einem politisch und sozial noch dürren unftuchtbaren Boden wachsen, wie umgekehrt gewalsige, ein ganzes Volk in seinen Lebensttefen auftüttelnde Umwälzungen, gleich der fran- zösischen Revolution, manchmal vorüber rauschen, ohne einen Aus» druck ihres Wesens in machtvoll-poetischen Werken zu hinterlassen. Nach jenem Aufschwung, in dem das Drama einen engeren Abschluß an bedeutsame Ideen und Strömungen der Gegenwart zu suchen schien, ist jetzt Erschlaffung und ein unsicher tastendes Experimentieren in allen möglichen Slilarten eingetreten eine Mode, die von vielen ihrer Mitläufer und ästhetifiercnden Zeichendeuter als Ucber- Windung des Naturalismus ausgerufen wird, aber in Wahrheit nichts anderes beweist, als daß es augenblicklich an Poeten fehlt, die soviel inneren Gehalt und Konzentrationsvermögen besitzen, um in dem Rahme» naturalistisch-dramatischer Form Bedeutsames gestalten zu können. In der Zwischenzeit, bis die Erhofften kommen, wird unsere Bühne fortfahren, wie bisher das Erbe an Tüchtigem und Gutem zu pflegen und es durch eine Auswahl charakteristisch inter - essanter Proben aus der bunten Mannigfaltigkeit des dramatischen Schaffens überhaupt zu ergänzen. Es ist nur noch eine verhältnismäßig kleine Zahl der Mitglieder, welche die ganze Geschichte unseres Vereins miterlebt haben. Die meisten kennen ihn nur als etwas längst Fertiges, Selbstverständ- liches, als ein Unternehmen, dessen Darbietungen sie mit Genuß und Teilnahme, je nachdem auch mit kritischen Einwendungen und Be- denken, wenn eines der gewählten Stücke nicht ihren Beifall fand, verfolgen. Alles was sich durchringt und Bestand gewinnt, wird ein Gewöhnliches, dem man nicht weiter nachsinnt. Anders damals, als der Gedanke zuerst an die Massen herantrat! Es war in den letzten Jahren des Sozialistengesetzes, unter dessen brutalen Vergewaltigungen sich die Partei nur immer geschlossener und mächtiger entwickelt hatte, in einer Zeit freudigen TriumphgcsühlS und angemessenen Hoffens, die für jene, welche damals jung in der Bewegung standen, noch heut in der Erinnerung von einem eigen­artigen Schimmer Poesie umflossen ist. Mit beflügelter Schwung- kraft schien alles vorwärts, großen Entscheidungen entgegen zu treiben. Die Marx-EngelSsche Gedankenwelt mir ihren grandiosen Eutwickelungs-Perspektivcn, ihrer überraschenden Ver- einigung realistischer und idealistischer Gedankengänge früher die geistige Nahrung kleinerer Zirkel drang nun, dre hergebrachten Anschauungen von Grund aus revolutionierend, in immer breitere Schichten der Partei. Insonderheit die von Schippe! geleiteteVolks- tribüne" war in Berlin in diesem Sinne tätig. Eifrig als bedeutsames Zeichen der Zeit wurde daneben die Gärung in der Literatur, die in erster Reihe an die beiden großen Namen Ibsen und Zola anknüpfte, beobachtet. Des Norwegers Wahrheitsforderung, sein Aufruf zur Emanzipation der Persönlichkeit von dem Gespenstervolk ererbter gehorsam übernommener Meinungen, des Franzosen finster- monumentale, überall auf ökonomische Hintergründe und die Klassenstruktur zurückgreifende Gesellschastsschildernng fand bei der Stimmung in den vorgeschrittenen Kreisen der Be- wegung regste Sympathie. So' bedurfte es nur noäj des An­stoßes durch die von Brahm und Schlenther im Herbst 1869 gegründeteFreie Bühne ", die, durch ihre VereinSform vor der Zensur geschützt, Hauptmanns soeben erschienenes bahnbrechendes Erstlingswerk, mit den, recht aus der Zeit gegriffenen TitelVor Sonnenaufgang", zur Aufführung brachte, um die Form zu finden, in der das neue von so starken Ünterströmungen getragene Literatur- interesse der Arbeiter die verschlossenen Bühnenpforten sprengen konnte. Im März 1899 erschien imBerliner Volksblatt", dem späterenVorwärts". Bruno Willcs Aufruf zur Gründung einer Freien Volksbühne ". Er hebt den Gegensatz hervor zwischen der Wirklichkeit der kapitalistisch organisierten auf äußerliche Kassenerfolge erpichten obendrein noch von der Zensur ab- häugigen Theater und einer Schaubühne, wie sie dem Bildungsdrangc der Arbeiter entsprechen würde, und schlägt die Gründung eines Arbeitervereins nach den, Vorbilde der bürger- lichenFreien Bühne" vor mit ganz kleinen Monatöbeiträgen, der durch seine Leiter Aufführungen künstlerisch wertvoller und freiheit» sicher Dramen für die Mitglieder veranstalten soll. Die Idee fand, wie nicht anders zu erwarten, weithin lebhaste Zussimniung; ein Komitee trat zusammen und Ende Juli wurde in einer von 2009 Personen besuchten Volksversammlung im Böhmischen Brauhaus nach einen, Vortrag, in dem Wille das Nähere über das künstlerische Programm und den Organisationsplan auseinander- setzte, unter allgemeiner Begeisterung die Konstituierung deS Vereins beschlossen. Eine Woche später konnte bereits die erste Mitgliederversammlung stattfinden, die Bruno Wille , Karl Wildberger, Julius Türk, Kurt Baake. Richard BaginSki, Wilhelm Bölsche , Konrad Schmidt, von Richtparieigenossen Otto Brahm , den späteren Direktor des Deutschen , jetzt des Lessing -