Mnterhaltungsblatt des Horwärls Nr. 189. Mittwoch, den 29. September. 1909 il Der Hrzt. (Nachdruck verboten.) Von N. Falejew. Deutsch von Werner Peter Larsen. 1. Ueberall war Stille. Sie stand hinter den Türen der Zellen und wehte über die alten Gefängnistreppen, die Stille des großen Hauses: als habe jemand alle Luft aufgefangen und stehe nun da und schweige. Der Kranke erwachte und sah jedesmal, wenn er die Äugen auftat, die weißen Wände und das Leitungsrohr. Den Hals zwickten die Schmerzen, das Lämpchen blendete lind zu den Füßen schimnierte das gelbe Guckauge in der Tür. Es blinzelte, war groß und blöde und schaute unverwandt in die Zelle und zum Fenster, hinter dem die Nacht verblich..-. Als jedoch das Stöhnen bis auf die Gänge drang und Las Gesicht des Kranken sich verzerrte, verschwand das Auge und die Tür sprang auf. Ein Soldat trat ein. berührte die Schulter des Kranken Und flüsterte: Das geht nicht I Im Gefängnis heißt's schweigen. In Einzelhaft... wird das bestraft." Aber das Stöhnen nahm nicht ab. Der Mund des Kranken verzog sich, die Zähne schlugen aufeinander und knirschten so laut, daß der Soldat die Lippen zusammen- preßte und die Hände an den Mund drückte. Das ist einer.-.. Wenn er aufwacht wird er still, wenn er einschläft stöhnt er. Das geht nicht.... Hier ist das Gefängnis... Die Brust des Kranken hob sich gewaltsam, die Brauen bebten. Hören Sie... Herr... Sie sollten sich umdrehen. Sie stöhnen nur, weil Sie schlecht liegen...." Der Kranke öffnete die Augen und sein Gesicht erstarrte gu einer Grimasse. Was ist die Uhr? Wo bin ich-- Die dritte Ablösung. Gegen vier." Der Kranke betrachtete den Soldaten, als verstehe er nicht, was er wolle. Der trat verwirrt von einem Fuß auf den anderen, wußte nicht, wie zu gehen und fürchtete sich, zu bleiben. Beide sahen sich in die Augen. Hier gibt es morgens Pfefferminztee," sagte der Soldat. Der Arzt hat es befohlen, gegen Krankheiten,.- Sie be- kommen auch welchen. Danach wird es besser.. Pfefferminz?" \.... Erst jetzt erinnerte sich der Soldat, daß er gehen mußte, daß das Sprechen mit denPolitischen " untersagt war. Er hob das Kinn, zog die Brauen zusammen, trat hinweg. Der Befehl lautet: Schweigen! Hier ist das Ge- jfängnisl" Er verschwand hinter der Tür und sogleich begann das gelbe Auge wieder zu blinzeln und zu forschen, als wolle es eindringen bis ins Gehirn.,.. 2. Dem Kranken ward leichter. Der Schmerz ließ nach.... Wenn er sich nur hätte umsehen können! Hinter ihm war das Fenster, ein kleines, absichtlich hohes Fenster. Aber er war gefesselt von Verbänden, von den Wunden. Er rollte die Augen zurück und sah doch nichts als die Decke, ein graues Gewölbe. Sich nur umsehen können, nur ein Zipfelchen Himmel sehen und nicht immer die Erde mit den blinden Lichtern! Einmal nur die Welten ahnen, wo das Menschliche versiegt, wo keine gelben Augen mehr sind, keine Verbände, keine Schmerzen.... Wen kümmert es. daß auf einem Riesen- körper der Erde ein mikroskopisch kleines Wesen liegt und leidet? Die Leitung braust. Das Wasser fließt. Vor dem Fenster wogt ein Meer von Luft. Es schmerzt wieder. ... Die Zähne knirschen.--. 3. Morgens trat der Feldscher in die Zelle, nach ihm der Aufseher. Wie hat er geschlafen?" fragte der Feldscher flüsternd. Phantasiert?" Geschlafen hat er schlecht. Nachts war er aufgeregt, knirschte mit den Zähnen...." Nervenzerrüttung l" Der Feldscher beugte sich über das Bett, nahm die Hand und zählte den Puls. Der Kranke schlug die Augen auf und schloß sie wieder« Schwach ist er.... Von dem Blutverlust... Der Soldat wollte etwas Weiches und Gutes sagen, aber er winkte nur mit der Hand und stand stramm: der Arzt trat in die Zelle. Jetzt schläft er," sagte der Feldscher«Aber nachts soll er gestöhnt und phantasiert haben." So, so.... Das ist nicht gut, gar nicht gut.. Nimm den Verband ab!" Während der Feldscher die Binde von der Hand löste, griff der Arzt sich an die Wange, als habe er Zahnweh und fuhr sich über die Stirn. Die anfangs weiße, dann braune und zum Schluß rote Binde fiel zu Boden und ballte sich zu Füßen des Feldschers zusammen. Er schleuderte sie mit dem Stiefel zur Tür. Der Arzt sah ihr nach, zuckte die Achseln und begann die Wunde zu untersuchen: sie tropfte, man sah die roten Muskelstränge, die Sehnen und den Knochen. Der Kranke stöhnte auf. In seinem Gesicht, in der Augengegend schimmerten blaue Flecks, die blutleeren Lippen preßten sich zusammen. Draußen aber ward es hell und da« durch erschien das ganze untere Gesicht dunkel und tot. Der Arzt untersuchte die Wunde. Inzwischen erwachte das Gefängnis, Stimmen erschallten, Wasser lief durch die Röhren. Stiefel schlürften, man rief und klingelte. Den Blick des Arztes trübten rote Schatten, seine Hände berührten nervös den Kranken. Er stand auf und trat in eine dunkle Ecke. Leg den Verband an," sagte er zum Feldscher.Ich kann heute nicht recht." Der Feldscher hockte sich hin und begann langsam die Binde anzulegen. Der Kranke stöhnte laut und dem Arzt war es, als er« bebe irgend etwas in ihm. Vorsichtig!" Der Feldscher seufzte. Ins Lazarett müßte er. Er braucht doch Pflege." Ins Lazarett sagst Du?" Der Arzt dachte nach.Maß» wird den Direktor bitten müssen...." Erneutes Stöhnen. Der Feldscher ließ die Hände sinken: die Binde hing herab. Du sollst doch vorsichtiger-. Warum regst Du Dich auf?!" Der Arzt schüttelte den Kopf, trat an das Bett und machte sich selbst an dem Verband zu schaffen. Immer ruhig bleiben.-. Der Kranke kam nicht zu sich. Es war bereits völlig Tag: draußen tobte, weiß der Schneesturm. In der Zelle roch es nach scharfen Arzneien..«, '4« Der Feldscher sammelte die Instrumente zusammen und schritt zur Tür. Der Arzt kam hinter ihm, den Kopf ge« senkt, und erst als die Tür ins Schloß schnappte, blieb ey stehen und ein eigentümliches Lächeln zuckte um seine Munt), Winkel. Wozu ist das?" Befehlen?"'- Wozu wird da geschlossen, frage ich?" Die Zellen sind stets zu schließen, ausgenommen in Fällen, wenn" Der Arzt wußte, was der Aufseher sagen werde, wußte, daß Gesängniszellen dazu da sind, um verschlossen zu werden, und doch unterbrach er ihn: Aber wozu wird denn jetzt geschlossen?" Der Soldat schwieg. Also es bleibt zu?" Zu Besehl.«. der Vorschrift gemäß..* Ahl Aber ich muß ihn sehen! Mach auf!"