Erscheinung imd Vorgang und wie sein personliches Erleben war. Er hat also auch als Gestalter eine seltene Höhe erreicht. Den Dingen, die seine Dichterschast reizten, hat er ein Recht auf ein Eigenleben auch ein Gedicht eingeräumt. Er fühlte den Dingen ihren eigenen Rhythmus ab, und diese Eigenschaft erhob ihn weit über viele andere für die Eindrücke der Außenwelt stark empfängliche Dichternaturen, die neben ihm schufen und deren rhythmisches Empfinden nicht aus fich heraus konnte. Auch der mit wundersamer Innigkeit den Reichtum aller Natur durchlebende Maximilian Dautheudey gehört zu den rhythmisch Beengten. Er ist einer der Lyriker der neunziger Jahre und gerade jetzt steht sein Schaffen in reicher Blüte: Buch um'Buch schickt er auZ. Ein lauschender Liedplcwderer ist er. WaZ er sagt und darstellt, klingt immer wie abgelesen aus der Natur. Er sieht und hört das feinste Geschehen, erspürt die geheime Mufik, die überall webt und tönt und im Frühlingsdrängen ein tausendfälliges Getön der Liebe ist, und empfindet das Erschaute und Erlauschte in höchst verfeinerter seelischer Kultur immer als Gleichnis menschlichen LebenZerfahrenS. Das führt seinen Blick tiefer ins Leben hinein, denn vieles, was wir empfinden, ist in seiner Größe und Besonderhett nur mit der Sprache deS in der Natur erlebten GleichniffeS auszusagen und zu bezeichnen. Man kann sagen, das Leben, das in diesem Dichter nach Ausdruck der- langt, hole fich seine Sprache aus dem unendlich seinen Bewegen der Natur. Es ist kein Zufall, daß Dautheudey der Dichter des heimlichen, dem Auge verborgenen Reims ist, den man nicht ficht, weil das Reimwort oft mitten in der Zeile steht, und deffen tönendes, erlöfend-zusammenschlietzendeS Wirken man doch verspürt. In Dauthendeys Gedichten richten sich unkörperliche Dinge plötzlich mit körperlichen Eigenschaften seltsam bedeutungsvoll auf. Das gibt manchem Gedichte einen visionären Zug; man denkt an Mombert, aber mrr wehenden Saumes streift Dautheudey in dieses kosmisch-visionären Dichters Reich, er ist gegen ihn bodenständig durchaus, in nichts der grünenden Erde ent- hoben. Ein liebliches Frühlingsbuch ist der Band Gedichte, den Dautheudey nach Walter von der Vogelweides Susamgärtlein in Würzbmg genannt hat(Axel Junkers Verlag, Stuttgarts . FrühlingSlieder auS Franken nennt eine Nebenzeile sie, und es ist ein Buch, in dem der Frühling vom ersten Keimregen an bis zur Johannisfeuernacht seine Wunder wirkt, überreich an Schönheit, namentlich an Einzelschönheit, aber auch an Gedichten, die als Ganzes schön sind, so reich, daß das Buch nur in langsamem Schlürfen genofien werden kann. Immer ist eine einzelne Zeile des Gedichts als Ueberschrist herausgehoben, und die Ueberfchrrften für sich lesen sich als ein seliges Lenztagebuch, das ein beglückt fchguender Dichter schrieb. Rythmisch freilich hält die Lyrik dieses Buches fich allzusehr in immer derselben Tonart.! Dautheudey plaudert'nur imd ist darin ein Meister geworden, der in seiner Plauderrhythmik auch mächtige Vorgänge der Natur heran- zuführen weiß. Er ist allem, dem Lauten wie dem Leisen, hin- gegeben, aber er zwingt's dem, der ihm zuhört, nicht blitzschnell ins Blut. Man muß sehr laufchen können, sonst dringt's nicht ein. aber es ist wert, daß man's dem Blute heranholt. Das Lufamgärtkein ist trotz seiner rhythmischen Eintönigkeit ein neues und einzig schönes Buch des Frühlings und der Liebe, eine Schatzmehrung der deutschen lyrischen Dichtung. Zu den lyrischen Hoffnungen um die Wende des letzten Jahr- Hunderts gehörte Margarete Beutler . Im Kreise der Kommenden um Jacobowsti wurde sie zuerst gesehen. Aber sie gibt nur spärlich von ihrem Schaffen in die Oeffentlichkcit. Dem ersten Bande Gedichte, der vor Jahren erschien und durch seinen starken sozialen Einschlag auch in Arbeiterkreisen wirkte, ist setzt ein Band Neue Gedichte sCasfierer, Berlin ) gefolgt. Bezeichnend setzt er ein mit dem Spruch von Omar Chijam:Allein was Hilft'S: Wie Gott mir gab das Sein, so bin ich." Kraft, Beftimnnhcit, klarer Klang ist ihr Lied wie ihr Wesen. Sie will deutlich sein und stark. Zartes lyrisches Gesäusel ist ganz imd gar nicht ihre Lust. Scharfe Umriß- linicn, kräftig herausgearbeiteter Bildmhall, klug pointierende Be» leuchtungen find die Merkmale ihrer Dichterart. Sie weiß, daß sie mit dem Durchschnitt nichts gemein hat, und so ist sie ernsthafte Bekennerin, die sich durch mutiges Bekennen das Gefühl erobert, sie dringe vorwärts zu befreiteren Lebenshöhen. Sie hat viel Gegner. fühlt fich von Widersachern umgeben, hat zur Abwehr eine gutgeschärste Satire, verlacht und brüskiert den Philister und auch den Nicht- Philister, wenn sie ihm hinter die B orhänge geguckt und ihn in seiner Schwäche erkaimt hat. Schlimme Literaien-Epigramme wie die auf Frank Wedekind und Kurt Aram stehen neben wonnig durchgeführten längeren Spritzgüssen bohemienner Satire, wie dem Erlebnis aus dem Cafö Größenwahn und dem Gedicht von der literarischen Kegelbahn. Naturen wie Margarete Beutler ist es nicht gegeben, dauernd in einem Menschenkreise festzuwurzeln. Ihre Wurzeln wandern: im nächsten Lenz werden sie über das Sttick Boden hinaus sein, das sie heute mit Leben beglückte. So macht auch dieses Buch den Eindruck von Abwelken und Reuwnchs in den Lebensbeziehimgen und im Lebensverlangen. Manchmal auch wieder scheint's, als hänge die Dichterin zu sehr in Menschen- kreisen fest, die unterhalb des FeldeS ihrer Wirkensmöglichkeit fiedeln. Menschen von ihrer Kraft und Eigenart können sich hohe Aufgaben stellen. Und sie fühlt sich durchaus als Eigene und hat das Sonnen- gefühl reinen Adels der Natur.»Ins Licht gebannt und in die Nacht verloren."»Bald pflanzenzart und bald voll Gotteskraft." Solche Selbstschau ist auS ihrem weibgeschkechtlichen Triebleben heran» gewonnen. Ihre Art hat nymphomane Züge, und sie hat's ja auch genug erlebt, daß bürgerfrauliche Ehrbarkeit sich vor ihr bekreuzte. Sie taucht in viele Dinge ein, die wohl die Masse der Frauen scheut, aber ihre Liebesopfer, wie sie's nennt, ziehen sie nickit in den Schlamm hinab, sie geben ihr Läuterungen. Ihre Erotik ist ganz ohne Lüsternheit, man darf Magarete Beutler nicht in der Sphäre der Cypros-Sängerin vermuten. Ihre sexuelle Sucht gibt sich als höchste Lebeusfteude. Und auch als Selbsitreue. Ich kenne niemand, dem ich Treue hielt, weil ich mir selber Treue halten wollte." Ihre Frauenlyrik, die den weichen, gefährlichen, die Persönlichkeit tötenden Femininismus nicht kennt, ist durchwirkt von Gedankengefühlen, die mit stolzer Lust die trotzig angeeignete Selbst- bestnnmung des WeibeS auch in Liebesdingen durchkosten. Die Märthrerrolle des Weibes, das doch der Wurzelgrund alles neuen Lebens ist, soll ausgespielt sein. Sklavin oder Herrin, so steht das Entweder Oder im Liebesleben. Die Dichterin ist also in Kampsstellung. Sie will nicht bloß Liebesfreiheit, die Liebe soll auch nicht Knechtschaft bringen für das Weib. So flackert oft Mannesfeindschaft auf und überloht die stachligen Verse gegen die Zottelgreise und Marabus und Impotenten und Prüden beiderlei Geschlechts. Sie ist todfeind dem Ehebett und zugleich voll starker gesunder Muttergefühle. Auch Mutterschaft soll Willenstat sein und ko kann in gesunden Naturen ungewollte Schwangerschaft dunkle Gramgefühle auslösen. Die GedichteAn meinen Sohn" und »Wandlung" sind ergreifend und voll herben Ernstes: Natur, du Törichte k Nimm diese Bürde, Die Frucht, die ohne Segen schwillt und Glück, Die ich hinschleppe ohne Mutterwürde, Eh' fie ins Leben reift! Nimm sie zurück! Und noch em zweites Buch Frauenlyrik: Gedichte eines Mädchens, dem der Tod vor zehn Jahren die Lebenssehnsüchte aus- löschte. Aus dem kleinen BüchleinPasstfloren", das Ausgangs der neunziger Jahre die Gedichte der jungen todkranken Bernerin Gert- rnd Pfander erstmals bekannt machte, ist nun ein rechter Band geworden. Karl Henckell , der damals der Dichterin Wegbereiter war, ist auch diesmal Ivieder der Führer. Eine nicht geringe Zahl in dem Pasfifloren-Bmrdcken noch nicht gedruckter Gedichte konnte er der Sammlung hinznfiigen, schöne, blutvolle Schöpfungen, und vor allem auch ist nun Biographi'chrs beigegeben, von einer Art, die Charakterbild und Schicksal dieser jungen Dichterin lebendig der- gegenwärtigt. Das verdient Dank. Denn Gertrud Pfänder ist ein Geschöpf, deffen Leben Anteil fordert und verdient, nicht weil ihr Schicksal Mitleid gebeut, sondern weil ihre persönliche Art stark cm- zieht. Mitten in den Jahren, die im Menschen daS höchste Lebens­verlangen erblühen lassen, wird der Tod ihr Begleiter. Er fällt sie nicht mit raschem Schlage, sondern schreitet neben ihr und gibt ihr die Gewißheit, daß sie bald hinsinken wird. So geht unabwend- liches Todesnahen imd glühende Lebensbegier Hand in Hand, aber nicht ein klagend-schwermütiges Geschöpf ist das Ergebnis, sondern ein Mensch, derbis ans Ende imerschrocken der Seele stolze Kraft bewahrt". Und der mm auch die Dicbterkrast hat, von dieser Herr- lichen Art der Seele so zu zeugen, daß jeder fühlen muß, was sie als Erscheinung des Lebens bedeutet hat. Die Gruppe Gedichte Unter der Ottobersonne", die durch diesen Band erstmals bekannt wird, ist an wundervollen Stücken reich. Zumal die vier Gedichte.Henngang" eine Totenwache der Seele, sind von einziger Schönheit, ergreifend in ihrer Kraft, mächtig aufrichtend im An- gencht des Todes. Einmal hat Gertrud Pfander ihr Dichten selbst gekennzeichnet:Trotz dem erhellten, ruhigen Antlitz hat meine Muse immer ein schwarzes Schleppkleid an. Es wird immer seltsam und Halbdunkel, ohne Trauer oder Miserere.. Das Wort hat den Titel des Buches veranlaßt: Helldunkel, und man mag dieses Wort mit dem Ton auf der ersten Silbe lesen: denn das erhellte, todgetroste Antlitz kämpft sich immer deutlicher ans�dem Schrnerzdimkel vor, je mehr man aus den Gedichten und Briefworten das Wesen der Dichterin heransgewinnt. Stille starrt und Dunkelheit Mir zu Häupten, mir zu Füßen, Schwergetroffeu, totbereit Werd' ich lang noch siechen müsse», Doch in meines Geistes Rächt Immer wieder, immer wieder In betörend heiliger Pracht Klingen deine gauberlieder. Weil jene Bricfworte tiefer einfiihren in das Wesen der tod- bewußten Dicknerin, die dem Leben, seine Größe und Herrlich left selig in fich fühlend, jubelnde LebenSIieder singt, deshalb hoffentlich wird den, Herausgeber überall Dank werden für die Beigabe der Stellen ans Briefen Getrund Pfanders. Auch für die kurze Selbst- biographie der Dichterin, zu der als Ueberschrist das Brieswort paffen würde:Meine Lehrerin ist das Leben und zwar meistenteils daS unglückliche Leben". Die Lehrerin ihrer Dichter» schaft nämlich. Henckell Hot diese Selbstbiographie ergänzen können, so daß man nun auch erfährt, wie sich da» besondere Wesen der Dichterin in den Kinderjahren eigen- artig ausdrückte. Gertrud Pfander war unehelicher Geburt, und ihre bürgerliche Verwandtschaft hatihr unregelrechtes Auftrete» im Zivilregister" schwer an ihr geahndet. Ihre junge Zeit war voll