Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 191.
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Freitag, den 1. Oktober.
1909
( Nachdruck berboten.) für den Krieg; was der Soldat während seiner Dienstzeit gelernt hat, soll er auch im Beurlaubtenstande sich er halten
,, Soldaten fein schön!"
Bilder aus Kaserne und Lazarett. Von Karl Fischer.
Erstes Buch.
,, Tauglich! Infanterie!" rief der Stabsarzt der Aushebekommission den Schreibern zu, nachdem er den nackt vor ihm stehenden Veit Volter untersucht hatte.
"
Beim Artikel Fünf machten die neuen Rekruten ganz merkwürdige Gesichter.
,, Dagegen trifft denjenigen Soldaten, welcher seine Pflicht verlegt, die verdiente Strafe. Die Strafen, auf welche gerichtlich erkannt werden kann, sind Arrest, Festungshaft, Gefängnis, Zuchthaus und in den schwersten Fällen Todesstrafe. Festungshaft, Gefängnis und Zuchthaus sind ent weder von zeitlicher Dauer bis zu fünfzehn Jahren oder lebenslänglich."
Also doch!" dachte Volter. Im letzten Stellungsjahre!" Den tauglich Befundenen war befohlen, sich vorläufig Ganz verdukt wurden auf einmal die Sänger von im Gestellungslokal aufzuhalten und sich nicht aus dem Hause unten. Bolter fummte das Lied noch in den Ohren:„ Soldaten zu entfernen. Als Volter aus dem Untersuchungszimmer fein schön, das muß man gestehn!" hinunterkam, herrschte im Bierlokal wüstes Treiben. Die Der Schlosser zwinkerte Volter mit den Augen zu, als Nichttauglichen tranken und sangen vor Freude, davon- wenn er sagen wollte:„ Alles faule Wichse!" gekommen zu sein. Die frischen Rekruten lärmten, teils um ihre Verstimmung in Galgenhumor zu verwandeln, oder sie protten und überhoben sich im Vollgefühl ihrer Tauglichkeit. Dabei floß das Bier durch die Arbeiterkehlen. Bunte Schleifen wurden angeſtedt- die Müße oder der Hut aufs Ohr gerückt - und freigehalten, wer Durst und kein Geld hatte.
Was soll das Geld noch nüßen? Wir sind verkauft!" rief ein großgebauter Bauernbursche mit dem Kavallerieabzeichen am Rock, dem Wirt über den Schenktisch zu.
Für zehn Glas! Hier eine Mark! Der Soldatenstand soll leben, hoch!"
Einige sangen:
„ Soldaten sein schön, das muß man gestehn! Sie leuchten von ferne, fie funkeln wie Sterne! Soldaten sein schön
Der hohlwangige Schreiber machte ein ganz verzagtes Gesicht. Volter, der neben ihm stand, nickte ihm aufmunternd zu:„ Gar so schlimm wird es wohl nicht werden."
Als man wieder unten im Bierlokal war, waren alle Buchthaus- und Gefängnisstrafen rasch vergessen. Der unterbrochene Tumult war bald wieder im Gange.
Nur in den Gesang wollte die ausgelassene Stimmung nicht wieder hineinkommen.
Mensch! Müller!" rief ein Schlosser in blauer Bluse einem Bäder zu. Du mußt auch mit? Wo haben sie Dich denn hingesteckt? Infanterie? Da kannste tippeln! Na fammen. Ihre Vergnügungen hatten für ihn feinen Reiz. mach nur nich so en trauriges Geficht! Sauf! Is doch alles ene Wichse!"
Ja, Du hast gut reden! Was wirst Du denn?" " Ich? Artilleriste! Bumser! Mit meinen frummen Beenen werde ich mindestens Stangenreiter!"
" Sie leuchten von ferne, sie funkeln wie Sterne! Soldaten sein schön! Ja, das muß man gestehn!" Der Gesang übertönte einige Minuten alles. Volter hatte sich in einer Ecke auf einen Stuhl gefekt und sah dem Treiben refigniert zu. Verstimmt und niedergeschlagen, wie er war, wäre er am liebsten heimgegangen und hätte sich niedergelegt. Er mußte aber seinen Militärpaß noch empfangen und war gezwungen, zu bleiben. In seiner Nähe faßen noch einige solche Stille, die düster vor sich hinblickten. Arme Schreiber schienen es zu sein. Hatten vielleicht auch Luftschlösser gebaut, und nun kam ihnen die Militärzeit dazwischen.
Mar!" überschrie der Schlosser, der alle zu fennen schien, den Tumult. Deinen frummen Budel können sie auch brauchen? Und dabei noch Rawall! Uff drei Jahre?" " Halt Dein Maul! Kümmere Dich um Dein Gestell!" Mar, ein Maurer, nach seinem Aeußeren zu schließen, schien keinen Spaß zu verstehen. Eine große fnochige Gestalt, mit weiten hellen Hosen und rotem Halstuche. Sein start mit Fett gewichstes Haar hatte er sich bis dicht übers linke Auge gefämmt. Sicher war er feiner, der die Faust in der Tasche zu ballen pflegte.
Einen Schnaps will ich haben!" rief er, zum Büfett gehend, dem Wirt zu.
Dir werden sie's noch beibringen!" rief ihm Schlosser nach.
der
Alle Tauglichen rauf! Pässe empfangen!" schrie eine martige Stimme in den Tumult hinein.
Wie elektrisiert sprangen alle auf und gingen nach oben.
Die Zeit bis zu seiner Abreise zum Truppenteil verbrachte Volter völlig gefaßt. Mit demselben Eifer wie bisher ging er seinem Berufe nach. Er war seit früher Jugend an den Ernst des Lebens gewöhnt. Seit dem Tode seiner Eltern war er so verschlossen, daß er alles geduldig ertrug. was das Schicksal ihm auferlegte. Der Verkehr mit fremden Leuten machte ihn mißtrauisch und auf sich selbst angewiesen. Voller Unbehagen war er mit seinen Altersgenossen zuDieses Alltägliche haßte er. In seiner Einsamkeit entwickelte sich in ihm ein Bildungsdrang, ein Wissensdurst, der ihn feinen Bekannten noch mehr entfremdete. Seit seiner Lehrzeit begannen die stillen Stunden in seiner Stube hinter den Büchern. Je mehr er sich in seiner freien Zeit mit ihnen beschäftigte, desto mehr Fragen tauchten in ihm auf, und desto mehr verzweifelte er, seinen Vorbildern ähnlich zu werden, zu werden wie die, die geistig viel höher standen als er. Wiederum wurde er zum Studium angespornt, wenn ihm die Halbheit seiner Altersgenossen recht zum Efel geworden war. Eine Anzahl billiger gemeinverständlicher wissenschaftlicher Werke bildete in seiner Stube schon eine ganz ansehnliche Bibliothek. Sein Verständnis wurde immer größer und sein Gesichtskreis weiter. Das alles bewirkte, daß er frühzeitig gefeßter und männlicher wurde. Bei seiner Verschlossenheit beobachtete er die andern, und was er an ihnen nicht gut fand, suchte er von sich selbst abzustreifen.
Sein Geficht war nicht gewöhnlich geformt. Markante Büge hatte er trok seines jugendlichen Alters. Eine leichtgebogene Nase gab dem Gesicht einen etwas stolzen Ausdruck, und seine kleinen dunklen Augen blickten scharf und prüfend unter den dünnen Brauen hervor. Ein dünnes blondes Schnurrbärtchen hing ungepflegt über den Mund.
Seine Kleidung war immer sehr einfach. Je länger er einen Rod trug, desto lieber wurde er ihm. Er hatte überhaupt eine große Abneigung gegen alles Geschraubte, Gefünftelte. Mit dem Wachsen seines Wissens und seiner intellektuellen Kräfte entfremdete er sich dem Kreise, in dem er verkehren mußte, immer mehr. Täglich fleinliche Herbheiten und Unannehmlichkeiten beim Umgang mit den Menschen waren ihm bald etwas Gewöhnliches. Seinen einzigen Halt und Trost fand er in seinen Büchern.
Ein unerwartetes Ereignis sollte entscheidend auf sein Leben wirken. Ganz zufällig lernte er ein junges Mädchen kennen, dem er bald mit aufrichtiger Liebe zugetan war. Es Nach dem Verteilen der Bässe wurden die Kriegsartikel war nicht der Reiz ihres Aeußern, was ihn feffelte, es war vorgelesen. Der Bezirkshauptmann gab dem Feldwebel die gleiche Anschauung, der gleiche Wissensdrang, gleiche den Auftrag dazu. Interessen, dasselbe Ringen und Kämpfen mit sich selbst, wie
,, Eingedenk seines hohen Berufs, Thron und Vaterland er es an sich erfahren hatte.
zu schützen, muß der Soldat stets eifrig bemüht sein, seine Sie stand auf eigenen Füßen in ihrem Beruf wie er. Pflichten zu erfüllen. Der Dienst bei der Fahne ist die Schule Ihre Ideengemeinschaft führte sie einander zu. Das Glück