WnterhaltMgsblatt des'Dorivnrts Nr. 196. Freitage den 8. Oktober. 1909 (Nachdruck verdotea.) 6] Soldaten fein fchön!" Bilder aus Kaserne und Lazarett. Bon Karl Fischer. Einige Male haben wir Instruktion innerhalb der Kor- poralschaft vom Unteroffizier. Komisch ist es, meinen Unter- offizier zu betrachten, wenn er sich vor uns postiert, das In- struktionsbuch in der Hand, um denLehrer" zu markieren. Das Fragestellen ist für ihn ein schwieriges Unternehmen und geht auch nicht so schnell von statten. Dabei sind die Fragen oft solche, daß es mir Mühe macht, auf sein Bildungsniveau hiimnterzusteigen, um nur der Art der Fragestellung folgen zu können,(fr fühlt auch manchmal seine geistige Schwäche und sucht sich dafür durch ein ernstkluges Gesicht, das er sich herauszukehren bemüht, Ueberlegenheit zu verschaffen. Oft ist er ziemlich genrütlich, lacht mit, wenn er seine komplizierte Frage glücklich heraus hat, oder wenn Weidemüller nicht ein- mal die Arten der Hülsenfrüchte aufzählen kann, die zur mili- tärischen Beköstigung dienen. Dafür muß sich oft der arme Weidemüller zum Gaudium aller an die Wand als«Blöd- sinniger" aufstellen. Wenns mit dem Unterricht durchaus nicht klappen wollte, wie er sich auszudrücken pflegte, oder wenn feine geistige Im- Potenz seine Autorität zu sehr ins Wackeln brachte, suchte er durch halb ernst, halb spaßhaft gegebene Befehle, wie:Alle Mann auf die Spinde!" oderAlle Mann an der glatten Wand hinauf!" sein Ansehen wieder herzustellen. Nur gibt er dabei Obacht, daß der jeweilige Aufsichtführende, Feld- webel oder Leutnant, außer Sicht ist. Bor einigen Tagen wurde uns Rekruten beim Paroleappell vom Feldwebel eine kleine Broschüre, die Negimentsgeschichte, von einem früheren Offizier unseres Regiments versaßt, zum Preise von zwei Mark zum Kauf angeboten. Aber nur wenige kauften sie. Interessant ists, wie unser Leutnant während der letzten Jnstruktionsstunde für das Werkchen Propaganda wachte. Gleich bei Beginn der Stunde fing er damit an. .Ich habe vom Feldwebel gehört, daß nur einige von euch eine Geschichte unseres Regiments gekauft haben. Habt ihr so wenig Interesse für das Regiment, dem ihr angehört?! Ihr alle werdet euch ein Exemplar kaufen. Befehlen kann ichs euch freilich nicht! Aber ich verlange von euch, daß jeder Sinn und Liebe für eine so gute Sache hat. Ihr könnt auch auf Abzahlung Bücher bekommen, wenn ihr jetzt kein Geld habt." Dann fragte er jeden einzelnen, warum er sich nicht zu dem Kauf entschlossen hatte. Was wollten die armen Kerle machen? Nur um sich nicht in ein schlimmes Licht zu stellen. erklärte sich der eine und der andere bereit, das Buch zu kaufen. Weidemüller, der neben mir saß, murmelte vor sich hm: Da is nu wieder'ne Löhnung futsch wegen dem Dreckding." Gestern wurde uns Singen während des Malschs auf Kommando beigebracht. Vom großen Exerzierplatz, der eine halbe Stunde von der Kaserne gelegen ist. hatten wir unter Aufsicht des Leutnants den Rückweg angetreten. Da rief er in die Kolonne hinein: Singen! Keiner wußte was und wie; keiner hatte die Courage, anzustimmen.. Wenn Ihr Kerle nicht sofort singt, wie rchs befehle, gehen wir gleich wieder zurück und exerzieren noch ein paar Stunden!" Alle wurden durch diese Drohung nur eingeschüchtert oder erbittert und sangen erst recht nicht. Die ganze Kompagnie kehrt! Marsch Marsch!" Und zurück gings im Galopp auf den Exerzierplatz. Dort ange- kommen, rief er:Kehrt! Marsch! Nun will ich doch mal sehen, ob Ihr singen werdet oder nicht. Und wenn wir bis heute abend hier auf und ab marschieren, es geht nicht eher heim, bis gesungen ist." Nun gings los. Jeder brüllte mit gleichen Gedanken: Soldaten sein schön, ja das muß man gestehn! Sie leuchten von ferne, sie funkeln wie Sterne! Soldaten sein schön usw. Seht Ihr, wie das schön geht!" rief der Leutnant.Ich werds Euch schon beibringen!" Wir Rekruten lernen uns immer näher kennen. In denk erzwungenen Zusammenleben haben wir uns mittlerweile an- einander gewöhnt. Die guten Kerle zeigen sich bald als solche. Der Greskser aus dem Elsaß  , der schon wegen seines Dialekts allgemein als Wackes bezeichnet wird, versucht hier, in Un- sauberkeit weiter zu schwelgen. Ein unglaublicher Schmier- sink ist das! Zum Ergötzen der anderen gibt er sich als Maurer aus und behauptet, viel Geld verdient zu haben. Das Innere seines Spindes hat ständig das Aussehen einer Rumpelkammer, und bei allen außerdienstlichen Arbeiten trägt er eine kurze Pfeife im Mund, die die Bezeichnung Stinkkloben" von den Kameraden genießt und einen er- stickenden Qualm verbreitet, nach dem die Qualität des der- konsumierten Knasters leicht zu beurteilen ist. Keiner nimmt ihn ernst. Jeder macht sich über ihn lustig und sieht ihm vieles nach. Das weiß er auch ganz gut und nützt die Nach- ficht der anderen gehörig aus. Der arme Weidemüller tut mir sehr leid. Schon eine Zeitlang ist er der Sündenbock der ganzen Kompagnie. Seitdem seinetwegen ein Gefreiter in Arrest gekommen ist, wird ihm jeder denkbare Schabernack angetan, wo es nur möglich ist. Beim Innendienst muß er die unsaubersten Arbeiten der- richten, vor den alten Mannschaften kann er sich kaum sehen lasten, ohne Püffe zu bekommen, ohne daß die fürchterlichsten Drohungen an feinen harmlosen Schädel geschleudert werden. Der arme Mensch ist dabei noch auf seine Löhnung und die Militärkost angewiefen. Seine Mutter, eine alte Witwe, hat selbst zu kämpfen, daß sie sich durchbringt. Ich fühle mich zu dem armen Kerl hingezogen und rede ihm oft gut zu, wenn er gar zu betrübt seinen Kopf hängen läßt. Tränen kamen mir in die Augen, wie er kürzlich ein kleines Paket, das ihm die Mutter geschickt hatte, im Fensterwinkel auskramte. Sorg- sältig entzog er das fremden Blicken, damit ja kein anderer Rekrut Anlaß zu einer hämischen Bemerkung über den Inhalt fände und ihm so seine Freude verringern könnte. Einen Polen   haben wir in unserer Kompagnie, einen gutmütigen Kerl, der von allen bespöttelt wird wegen seiner unbeholfenen Aussprache. Sein einzigster Trost ist seine Liebste in der Ferne, die ihm ab und zu ein Lebenszeichen schickt. Mich interessiert er sehr und ich unterhalte mich oft mit ihm. Bis jetzt hatte ich wenig Glück. Uns alle betrachtet er mit einem durch nichts zu erschütternden Mißtrauen. Hinter feinen vorstehenden Backenknochen und seiner mit starken Brauen bewachsenen Stirn vermute ich viel stummes Weh, das er in unterwürfig gezogenen Gesichtszügen zu verbergen sucht. Seit einigen Tagen scheint er mir noch eingeschüchterter als sonst, und ängstlich geht er allen Fragen aus dem Wege. Eben höre ich das erste Zapfenstreichsignal. Ich muß nun schließen. Seit unserer Rückkehr vom Ausgang bis jetzt habe ich geschrieben. Bin ganz überrascht, daß es schon so spät ist. Hab also keine Sorge um mich und schreibe mix recht bald. Dein Veit." Einer Wetterwolke gleich lagerte auf allen Rekrute» während der siebenten Woche ihrer Dienstzeit eine nieder- gedrückte Stimmung. Der tägliche Dienst nahm wie bisher seinen gewöhnlichen Fortgang. Der lärmende Verkehr in der Kaserne war der gleiche, bloß an den Gesichtern der Re- kruten fah man die bei dem monotonen Einerlei des Kasernen- lebens bis zum höchsten Stadium entwickelte Unlust zu allem. Hatten es die Unteroffiziere den neuen Rekruten gegenüber während der Anfangszeit nicht an gewisser Nachsicht fehlen lassen, so brachte es der Dienst mit sich, daß die Behandlung immer militärischer und strenger wurde. Das Verhältnis zu den Vorgesetzten wurde immer gespannter. Alles das wirkte auf die Rekruten ein. Auch auf Volter wirkte dies alles verstimmend. Schweig- samer als fönst tat er seinen Dienst. Müde und mißmutig kletterte er am Abend nach dem Zapfenstreich auf sein Lager. Dort war er wenigstens ungestört. Wenn er auch schlecht fchlief und in der Nacht oft aufwachte, so hörte und fah er doch auf Stunden von dem unleidlichen Getriebe nichts. Von früh an sehnte er schon wieder den kommenden Abend herbei. In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag wurde er