plötzlich durch ein dumpfes Geräusch geweckt. Wie er sich auf-richtete, um zu lauschen, hörte er von draußen im Flur eilige,hallende Schritte, die immer deutlicher sich seiner Korporal-schaftsstube näherten. Hastig wurde mit einemmal, ohne Rück-ficht auf die Schlafenden, die Tür aufgerissen.„Unteroffizier vom Dienst."Durch den lauten Ruf wurden sämtliche Rekruten verStube wach.„Was ist los?" antwortete aus dem Verschlag Unter-offizier Beier schlaftrunken.„Schnell raus! Sofort zum Feldwebel!" rief es in derTür, und mit einem lauten Knall war sie wieder ins Schloßgeschlagen.Von den Rekruten wagte sich keiner zu rühren. Jederhorchte mit gespannter Aufmerksamkeit.Nicht lange darauf hörten die Rekruten, wie ihr Kor-poralschaftssührer, der sich inzwischen angekleidet hatte, demRufe folgte.Beunruhigt blieben die Rekruten liegen. Einige fragtenihre Nachbarn leise, was das zu bedeuten habe. Keiner wußteeine Antwort. Vom Flur her hörten sie Flüstern, dann wiederdas Klappen von Türen.„Alles im Bett liegen bleiben?" rief Unteroffizier Beierhalblaut in jede Korporalschaftsstube.lFortsetzung folgt.1(Nachdruck verdotrn.!23 Die Xloaha,Von Otto Alscher.Mrus war erwacht. Er lag da, die Augen weit offen zur ver-räucherten Decke emporgerichtet, lächelte und träumte von einemhellen läutenden Rattern. Da war eS ihm, als entstünde eö wirtlichwieder, nur klingender, dünner. Er kroch aus seinen Lumpen vordas Zelt, zwinkerte mit den Augen, in die ihm plötzlich grell dieSonne brach. Dann sah er, daß drüben vor dem Nachbarzelt Giza,der Schmied, saß und einen Kupserkessel aushämmerte. Der Knabekam und kauerte sich ihm gegenüber. Noch immer war er schlaf-trunken, schaute zu Giza auf und sein Blick sog Träume aus dessenbraunem Christusgesicht.Und aus diesen Träunien heraus fragte er:»Kannst Du aucheine Toaka aus Eisen machen?"Giza tat erst ein paar Schläge, lächelte dann, warf den Kopfzurück und fragte von der Seile den Knaben:»Soll ich Dir nichteine von Kupfer machen»Singt die schön?" Des Kleinen Augen leuchteten.»Die singt so laut, daß Du eine Stunde weit weg von ihrmit dem Wagen fahren kannst und sie noch immer hörst." Undder Zigeuner hämmerte, wie um ein Beispiel zu geben, scharf aufseine» Kessel los.Da richtete Anrus seine großen, scheuen Kinderaugen zitterndauf den Mann.»Mach mir solch eine Toaka."»Eh. da mußt Du mir Kupfer bringen."„Brauchst Dn viel?"»Gehe in die Stadt betteln, bringe mir täglich eine HandvollKupferkreuzcr, und wenn ein Jahr herum ist, habe ich geung."Der Kuabe wurde erst traurig, saß eine Weile still da, aberbald jauchzte wieder das Kind in ihm, er wurde voll Eifer, erhobsich und sagte:»Ich will in die Stadt gehen."Anrus lief und lief. Und endlich hatte er Dula und Mcila mitder verstümmelten Nase gefunden, und bat sie, mit ihm in dieStadt zu gehen, Kupferkreuzer zu erbetteln, dann würde ihnenGiza eine Toaka machen, die so laut singe, daß man sie von derStadt zum Dorfe höre.Die Zwei lauschten eifrig. Und bald darauf eilten sie mit ihrenbloßen Füßen durch den blossen Märzstaub, die breite Straße entlang,an der die schimmernden Silberpappeln standen, deren Aeste wie weicheArme in den Frühlingstag griffen.Und weil der Tag schön war, gingen so viele Menschen vor dieStadt spazieren. Denen folgten die Zigeunerkinder hinterdrein,bettelten und flehten:„Gib mir einen Kreuzer. Frau I" Wenn aberdies nicht gleich nützte, so tanzten und sangen sie ihr:.Tamo ritu,tamu ritu, ritu: tamo na!" Tanzten so lange und schnellten dielangen, nackten Füße nach rückwärts hoch, bis man ihnen den Kreuzerzuwarf.Oder ein Wagen kam. Da saßen geputzte, jauchzende Kinderdarin und Damen in hellen Frühlingskleideru. Dem Wagen liefendie Zigeuner nach, sie bettelten atemlos, keuchend, klatschten mit denHänden auf die Knie und bettelten wieder. Und aus Ueberdruß andem Gebettel oder aus Freude am Balgen, wenn sie sich um denKreuzer im Staube rauften, warf man ihnen ein Geldstück zu. Manch-mal aber auch schlug der Kutscher mit der Peitsche nach ihnen undmachte damit dem Betteln ein Ende.So trieben sie es, so lange sich Spaziergänger zeigten. Da«zwischen suchten sie die Avlagerungsstätten nach allem Eisen undBlechftückm ab. die Giza auch brauchen konnte. Und sie stöbertenin dem Schutt von Stroh, Lumpen und Glasscherben umher, bisder Hunger mit knochigen, langen Fingern in ihrem Magen wühlt«.Da eilten sie heim.Sie gaben Giza das Gesammelte. Der stieß mit dem Fuße inden Haufen von Eisen und Blechstllcken, wühlte träge darin undsichtete eS, indem er einzelnes beiseite legte, anderes das Bachbetthinunter warf. Darauf griff er nach dem Gelde. Er zählte es undließ es langsam in seinen breiten Ledergürtel rinnen. Eine Flaschesteckte er daneben. Und mit einem schnalzenden Schmatzen wandteer sich dem Dorfe zu.Die Kinder hatten ihm starr zugesehen. Dula aber schnellteauf, ihr mageres Gesicht sprang vor, ihre dünnen Finger formtensich zu Krallen.„Wohin gehst Du mit unserem Geld?"Doch Giza blickte sie nur spölttsch an und deutete dann miteiner Kopfbewegung auf das Dorf.„Gib das Geld zurück. Du sollst eS nicht vertrinken I" Sie eill«ihm nach.Aber er lachte und lief leicht hin:„Bringt mehr, das ist nichtgenug!" Er ließ die Münzen in seinem Gürtel Hingen.»Nicht derMühe wert, anzufangen", wieder lachte er laut.„Du Teufel, Du Bösewicht!" Und Dula schimpfte noch, alS erschon längst verschwunden war.AnruS konnte eS noch immer nicht fasten. Er schaute den Pfadhinab, den Giza gegangen war. Und er kauerte sich auf einenStein, schaute, wartete und hoffte, ihn wieder kommen zu sehen,hoffte, daß er dann ins Zelt gehen, die Kohlen zusammenscharren,den Hammer ergreifen und den AniboS klingen lasten werde, so daßdieser sang wie die Toaka, die er zu schmieden gedächte. Dabeiwürde er rufen:»Komm', bring' den Blasebalg I" Und er spränge.brächte den Blasebalg, würde auch die Zange halten, mit der Gizadas sprühende Metall auf den Ambos legt.Aber Giza kam nicht.Giza kam nicht und der Knabe fühlte eS plötzlich heiß in derBrust brennen, so heiß, daß er all seine Sehnsucht dem Rumänen-burschen zuivandte, der gestern vor der Toaka im Garten stand undsteif und wichtig die Klöppel schallen ließ. Wieder sollte er dortstehen, sollte sich dann wenden und AnruS freundlich ansehen. Dannwürde dieser lachen und sie wären Freunde geworden. Er könntesich zu ihm gesellen, zusehen und lauschen, und— und vielleichthätte auch er einmal die Klöppel in der Hand, ließe sie auf dieToaka tanzen, daß es in heller und doch weicher Fülle klänge.Der Sonne unerträglich heiße Scheibe trübte sich schon von derStaub- und Rauchwolke über den Häusern, in die sie sank. Und dawar es, als wolle sich der Tageslärm im Dorfe zu letztem Akkordaufschwingen, zum letzten Kräfteverbrauch.Nun mußte auch bald von allen Seiten der Fastenzeit hölzernesGeläute erwachen. Und Anrus lag wieder auf der Mauer und seineBlicke richteten sich wartend in den Garten.Leer und still war es da noch immer. Hühner scharrten eifrig,ein Beet war frisch umgegraben, der Zwetschkenbäume Aeste be-schnitten.Leer»md still blieb eS. bis weit draußen die erste Toaka anhub.Da kam auch der Rumänenknabe. Aber er ging nicht geradewegsauf das Buchenbrett zu, sondern nahm Steine auf und vertrieb dieHühner. Und immer, wenn sein Wurf eins traf so daß esflatternd und gackernd hoch aufsprang, verzog sich sein Gefichtin boshafter Genugtuung und eifriger wurde sein Schelten und Ver«folgen.Als da-Z letzte Huhn sich verflattert hatte, stellte er sich breit undzufrieden vor die Toaka hin. Aber als er die Klöppel zur Handnahm, bemerkte er den Zigeuner auf der Mauer.„Was suchst Du da!" herrschte er ihn an.Aber Anrus lächelte nur, denn er verstand ja nicht, was derRumäne sprach.Da hatte dieser ein Aststück ergriffen und schleuderte es plötzlichnach dem Zigeuner. Knapp neben diesem krachte es an die Mauer.Der Knabe fuhr tödlich erschrocken zurück und eilte zitternd fort.Als er bedrückt ins Zelt kroch, klang die Toaka hinter ihmdrein. Doch nicht weich und singend, sondern scharf und gebieterisch.Da kroch er noch mehr in sich zusammen und blieb wie gelähmtund reglos, so lange noch ein harter Schlag über die Mauer sprang.Es wurde füll drüben. Anrus hob den Kopf und schaute ver-wirrt umher. Es war ganz finster geworden, nur das Feuer inder Zeltmitte gloßte noch mit ersticktem Schein. Anrus schaute dasGlühange an. Voll eines großen Trostverlangens war sein Blick.Aber sein beklommener Kindersinn vermochte nichts, als immerwieder die Frage zu wiederholen:„Warum verjagte er mich? Ichhatte ihn ja so lieb, weil er die Toaka so schön singen läßt, und erwirft nach mir!"BodaS hatte wieder seinen Tag, wo er mit listigen Augenumherging und Gelegenheit suchte, jemanden zu ärgern. Erst kauerteer mit anderen Kindern unten im Dorfe im Straßengraben, umhöhnisch zu fingen, wenn ein Rumäne vorbeiging:„Guter Mann ist der Walach,Der Walach, der Walach.Selbst den Läusen läuft er nach,Läuft er nach, läuft er nach..