gnügien Wochett für sie ein langer Zeitraum verbraucht durch da? Leben, vom Baum herab. Dann wird fie von der Ameise entdeckt, die als echter Freibeuter stets auf der Suche ist; diese zergliedert und zerschneidet sie zu Krümchen, die ihren Pro- viantvorrat vermehren sollen. Nicht selten kann man beobachten, wie die in den letzten Zügen liegende Zirpe, deren Flügel noch im Staube zuckt, gevierteilt wird durch eine Rotte dieser Schinder, die ihren ganzen Körper bedecken, so daß er-dadurch schwarz aus- sieht. So ist tatsächlich das Verhältnis zwischen den beiden In- fetten. Für den Naturforscher stand es ja von vornherei fest, daß die Fabel Lafontaines auf einem Irrtum beruhen mußte. Es gibt kein Tier, das im Winter hungern muß, weil es nichts gesammelt hat. Diejenigen, die nichts gespart haben, fliegen entweder wie unsere Zugvögel in warme Länder, wo sie Nährung in Fülle antreffen, oder sie verfallen in Winterschlaf. Der dem Menschen so nahe- stehende Bär lebt während der Wintermonate nicht nur ohne Nahrung, ja, die Bärin wirft noch während dieser Zeit Junge und säugt sie. Die Singzikade steht also glänzend gerechtfertigt da. Merk- würdigerweise hatten die Alten eine viel bessere Meinung von ihr als wir; bei den alten Griechen stand fie in hohem Ansehen. Homer vergleicht zum Beispiel die Redner im Rat mit Zikaden. Nach einer griechischen Sage hatten fich zwei Tonkünstler, EunomuS und Ariston, in einen Wettstreit eingelassen. Eine Zikade flog zu dem erstgenannten, setzte sich auf seine Harfe an Stelle einer ge- sprungenen Saite und verschaffte ihm den Sieg. Den alten Grie- chen erschien daher eine auf einer Harfe sitzende Zikade als das Sinnbild der Musik. Ihre Dichter verherrlichten die Tierchen in ihren Gesängen und priesen sie als die glücklichsten und un- schuldigsten Geschöpfe. Ein Anakreon widmete ihnen eine Ode. Übrigens hatten bereits die Griechen beobachtet, daß nur die Männchen singen, und sehr bissig betont das Xenarchus von Rhodus , indem er sagt: Glücklich leben die Zikaden, Denn fie haben stumme Weiber. Experimentelle VerlucKe über clen Lärm. Von Dr. Theodor Lessing. Seitdem der Deutsche Antilärmberein den Kampf gegen ent- behrliche Geräusche im öffentlichen und privatwirtschaftlichen Leben überall aufgenommen hat, sind viele Stimmen laut geworden, die über moderne Ueberempfindlichkeit klagen und in diesem Kampf nichts anderes als einen Ausdruck von Neurasthenie und Reizbar- keit finden wollen. Man beruft sich gern auf die Untersuchungen bedeutender Neurologen und Nervenärzte, die, wie Dr. Otto Dorn- blüth in seinem Buch:»Ueber die Hygiene der geistigen Arbeit" die Gewöhnung an Lärm als eine Art von Nervcnghmnastik und also ein Schutzmittel gegen die Nervosität empfehlen. Solche Empfehlungen der Anpassung an die Geräusche des Lebens sollten freilich ein wenig verdächtig erscheinen, wenn man die heftigen Worte liest, mit denen Kant, der mit seiner SchriftUeber die Macht des Gemüts, seiner krankhaften Empfindung Meister zu werden" als Vater der Diätetik der Seele gelten kann, un- erbittlich gegen den Lärm zu Felde zieht. An einigen Punkten versagte offenbar die Macht seines Gemüts vollständig. Derselbe Geist, der einem gebrechlichen, empfindlichen Körper die höchsten geistigen Leistungen abzuringen vermag, zeigt sich doch nicht im- stände, gegen das Krähen eines Hahns oder den Mißbrauch eines Klaviers fich mit Geduld zu wappnen. Ja, es ist vielleicht emS der auffälligsten Beispiele inneren Widerspruchs, daß der Vater aller stoischen Weisheit, Seneca , in einem seiner Briefe gegenüber dem Lärm im alten Rom sich völlig außerstande erklärt, von seiner stoischen Philosophie Gebrauch zu machen. Diese Erfahrung nun, daß alle Charakterstärke, aller Vorsatz gegenüber dem quälenden Eindruck unnötiger Geräusche machtlos wird, findet eine eigentliche Begründung und Bestätigung in gewissen Experimenten der Physiologen und Psychologen. Schon vor Jahrzehnten kon- struierte Max Rubner , Professor der Physiologie an der Berliner Universität, einen alsLärmmesser" bezeichneten Apparat, der mit großer Genauigkeit die Anzahl und Stärke vom Lärmreizen auf- zeichnet, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums in einem Räume auftreten. Durch diesen und ähnliche Apparate gelangte man zunächst zur Feststellung der Tatsache, daß die Lärmreize, die bewußt von einem Menschen wahrgenommen werden, an Zahl nur geringfügig sind gegen all die Geräusche und akustischen Reize, die unter der Schwelle des Bewußtseins bleiben und unbe- wüßt beständig auf Gehirn und Nerven einwirken. Experimente in allergrößtem Maßstabe wurden erst in den letzten Jahren plan- mätzig an der Columbia-Universität in New Dork in die Wege ge- leitet. Ein Professor der Physiologie verteilte eine Anzahl mit Apparaten bewaffneter Studenten während der Nacht an verschie- denen Stellen der Stadt New Kork, insbesondere in der Umgebung der Häfen, mit der Aufgabe, festzustellen» wie viele verschiedene Geräusche innerhalb einer bestimmten Zeitspanne von den Lärmi« messern verzeichnet werden würden. Und hierbei ergibt sich, daßl die Bewohner von New Dort in der Umgebung des Flusses und der Häfen im Verlauf einer einzigen Nacht im Durchschnitt etwa 3000 Signale zu erdulden haben, die allein von den riesigen Sirenen und Nebelhörnern der Schiffe kommen. Während diese Versuche sich darauf beschränken, die in einer bestimmten Zeit zu- sammengedrängten Lärmreize einfach der Zahl nach zu ermitteln, haben andere für Psychologie und Neurologie fruchtbarere Arten des Experiments sich zur Aufgabe gestellt, die Wirkung akustischer Reize auf Seele und Nervensystem zu ermitteln. Hier- her gehören zunächst die besonders von Wundt und seinen Schülern immer wieder angestellten, zahllos variablen Untersuchungen über Unterschiede in der akustischen Reizempfänglichkeit, namentlich in der Schnelligkeit des Reagierens auf Gehörreize bei verschieden ge- arteten Individuen oder ein und demselben Individuum während verschiedener Tageszeiten oder in verschiedenen Gemütszuständen. Auch bei dieser Art von Untersuchungen ergab sich die Wichtigkeit einer Unterscheidung der perzipierten(ohne unser Wissen von uns aufgenommenen) und der a p p er zipierten(bewußt aufgefaßten) Töne, Klänge und Geräusche. Sehen wir von den ganz außer- ordentlichen Unterschieden ab, die zwischen Mensch und Mensch in der Empfänglichkeit für Lärmrcize obwalten und die so stark sind, daß man danach einen optischen(vorwiegend durch Gesichtsbildcr orientierten) und einen akustisch-motorischen(vorwiegend durch Gchörsvorstellungen orienfterten) Menschentypus trennen kann; sehen wir auch ab von den ganz erstaunlichen Schwankungen der Empfänglichkeit gegen Gehörreize, die ein und derselbe Mensch unter verschiedenen Umständen, am Morgen und am Abend, auf dem Lande und in der Stadt, in geschwächtem oder gefestigtem Nervenzustande, in Gesundheit oder Krankheit erfährt, so bleibt als wichtigstes Moment der Lärmexpcrimente die Tatsache zu be- rücksichtigen, daß die Wirkungen der Geräusche fast durchweg unter der Schwelle des Bewußtseins sich betätigen. Sie sind mit kleinen feindlichen Zwergen zu vergleichen, die uns beständig geistige und seelische Energie stehlen und binden, ohne daß wir selbst etwas davon merken oder ahnen. Man hat experimentell gezeigt, dafi Geräusche, von denen ein Individuum gar nichts weiß, die gröbsten anatomischen Wirkungen auf das Nervensystem ausüben können; daß man z. B. im Zustand der Hypnose die Atmung, den Herz» schlag, den Blutkreislauf, die Verdauung durch akustische Reize de- einflussen kann, während diese Reize doch gar nicht in das Bewußt- sein des durch sie geschädigten Individuums treten. Der schwere Verlauf der Fieberkrankheiten in den Städten zeigt den Einfluß unbewußt perzipierter Lärmreize. Die Direktoren und Aerzte vieler Kliniken und Krankenhäuser, die in unruhigen Stadtvierteln gelegen find, haben schon seit Jahren Klage darüber geführt, daß durch eindringenden Lärm der Verlauf mancher Krankheiten, wie des Nervenfiebers, der Gehirnhautentzündung aufs entschiedenste beeinträchtigt werden, auch in solchen Fällen, wo die Kranken sich persönlich der Einwirkung des Lärms gar nicht bewußt sind. In der medizinischen Literatur ist bereits eine Reihe von Fällen bc- glaubigt, in denen Nervenleidende durch die Einwirkung unabstcll- baren Lärms in Geisteskrankheit verfallen sind. In solchen Fällen bewährt sich nichts schlechter als die wiederholte Aufforderung, die Aufmerksamkeit von dem störenden Geräusch abzulenken. Man kann wohl, ohne daß der andere davon weiß, dessen Aufmerksam- keit von Geräuschen abwenden. Niemals aber kann der Vorsatz, auf Geräusche nicht achten zu wollen, einen Einfluß erlangen. Wenn Leute versichern, es sei ihnen gelungen, ein Geräusch vor- sätzlich zu überhören, liegt eine Selbsttäuschung vor. Möge jeder den einfachen Versuch machen, sich das Anhören eines im gegen- wärtigen Augenblick auf ihn eindringenden Schallreizes zu ver- bieten. Die Folge davon wird sein, daß er nun erst recht auf den Schallreiz hinhört, den er ohne diesen Vorsatz vielleicht nicht be- achtet hätte. Für jeden Menschen gibt es einen Punkt, an dem er nicht mehr fähig ist, sich gegen ein Geräusch zu verschließen, diesen bezeichnet man als die quantitative Reizschwelle des Betreffenden. Jeder beliebige akustische Reiz kann sich durch nur quantitative Steigerung die Aufnahme ,n das Bewußtsein erzwingen. Neben dieser quantitativen besteht für jede Art von Geräusch eine qualitative Reizschwelle. Es ist z. B. ein Gesetz, daß sich niemand gegen ein ungewohntes Geräusch verschließen kann. Ein Müller mag beim Kloppern seiner Mühle, ein Uhrmacher beim Ticken seiner Uhren scheinbar ruhig schlafen; sobald sich in das ge- wohnte Geräusch irgend ein neues einmischt� wird auf einmal das Bewußtsein gleichsam aus dem Schlaf gerüttelt. So kommt es, daß eine Kompagnie Soldaten im Manöver beim Knattern von Geschützen ruhig schlafen, auf das kleinste ungewohnte verdächtige Geräusch in der Umgebung aber sofort erwachen würde. Neben diese Bedeutung des Neuen und Ungewohnten tritt nun noch eine ganze Reihe von anderen Eigenschaften der Geräusche, die bazn führen, daß sie zwangsmätzig zum Bewußtsein kommen müssen. Dahin gehört z. B. die Taffache, daß Geräusche, die autzergcwöhn- lich lust- oder unlusterregend sind, sofort ins Bewußtsein aufge» nommcn werden. Wer in einer sehr lauten Umgebung, scheinbar ohne Schaden, zu leben gewohnt ist, erfährt dennoch plötzlich eine heftige Störung, sobald irgend ein besonder? widerwärtiges und unlusterregendes Geräusch unter den gewohnten Geräuschen auf- taucht. Ganz ebenso ist jeder gezwungen, lusterregende Geräusche, etwa Klänge eines flotten Walzers, zwangsmäßig aufzu-