«eljmen, auch wenn er sich dagegen lieber verschließen möchie. End- lich besteht auch das Gesetz, daß alle Geräusche, die bedrohlich find, zwangsweise apperzipiert werden.— Für die praktische Seite des Kampses gegen Lärm sind jedoch alle diese Experimente weniger wichtig als die Feststellung der schlichten Grundtatsache, daß das NichtHören eines Geräusches nichts dafür beweist, daß es un- schädlich und spurlos an uns vorübergeht. Wie wir, uns selbst be- wüßt, von Sonne und Mond, von Regen und Wind in allen Schwankungen unserer Gefühle und Stimmungen, unserer Leistung und Arbeit fortdauernd abhängig sind, genau so hängt unser Geistes- und Seelenleben und unsere Gesundheit dauernd von der Ruhe oder Lautheit unserer Umgebung ab, auch dann, wenn wir uns keine Rechenschaft davon geben oder etwa überzeugt sind, daß der größte Lärm uns völlig gleichgültig und unbeeinflußt läßt. Der Mensch besitzt im Lärm einen geheimen Feind, der, gleich krank- haften Infektionen durch unsichtbare Bakterien, beständig seinen Energiereichtum verringert und an seiner Geisteskraft gleichsam «Aterirdisch nagt. Kleines feuilleton. Literarisches. Anton Nhström, Christentum und freies Denken, eine kritisch-historische Darstellung. Autorisierte Uebersetzung aus dem Schwedischen . g.�Auflage. Verlag von Oesterheld u. Co., Berlin 19i)S. Wir möchten wünschen, daß dieses Buch, wenn nicht in vielen Prolctarierfamilien(denn dazu ist es zu teuer), so doch in vielen Arbeiterbibliotheken Eingang fände. Es ist in gewisser Be- ziehung ein unmodernes Buch. Denn es sucht weder, wie die Masie heutiger historischer Literatur, die Schandflecke in der Geschichte des Christentums und der Kirche durch ein sogenanntes .religionsgeschichtliches Verständnis" zu beichönigen, noch seine Ent- Wickelung mit ihren Auswüchsen etwa hisiorisch-materialistisch zu „erklären". Es begnügt sich„ganz einfach"— darin liegt Lob und Tadel zugleich— die Tatsachen der Kirchengeschichte, wie sie die moderne lkrirische Geschichtsforschung ans Licht gebracht hat, aufzuzählen, übrigens mit nicht gerade sehr geschmackvollen, aber um so drastischeren Illustrationen. Es ist so_ ein anregend zu lesendes Propagandabuch ersten Ranges. Selbst wer(wie Schreiber dieser Zeilen) von Berufs wegen fcht alle die darin aufgezählten Tatsachen der„christlichen Geschichte" so und so oft schon gelesen hat, versenkt sich mit großer Freude noch einmal in die Lektüre. Es weht etwas vom Geiste der großen Aufklärung Voltaires und Kants in ihm. Und eine Persönlichkeit spricht-aus jeder Zeile, die selber das Beste ihres ganzen Leben? an die Propaganda der geistigen Freiheit hingegeben hat. Wir leben in vieler Beziehung in einem Zeitalter der Restauration. Schon gilt es vor lauter historischer Bildung für unpassend, der Kirche den Glauben an Hölle. Teufel und Dreieinigkeit vorzuwerfen. Unsere liberalen Wortführer sind ja lange„darüber hinaus". Nhström, der sich in unzähligen Debatten mit ihnen und ihren konsequenteren orthodoxen Kollegen herumgeschlagen har, zeigt an der Geschichte der Kirche und an den heutigen Zuständen in Schweden , wie haltlos ihr Standpunkt ist, wie insbesondere die Scheidung von„zentralen" und„peripherischen" Dogmen innerhalb des Kirchenglaubens sowohl unlogisch als unmoralisch ist. Einen besonderen Wert erhält das Buch durch die genaue Schil- derung des geistigen Befreiungskampfes in Schweden mnerhalb der letzten 50 Jahre. Da hören wir, wie August Strindberg und der Genofle Hjalmar Branting wegen Religions- vergehen« angellagt wurden. Wir hören von dem kühnen Freiheits- apostel Viktor Lennstrand und dem unbeugsamen Schul- meister von Tolanga, Sven NilSso n. In lebhaften Farben, die überall verraten, daß der Verfasser hier selber keine kleine Rolle gespielt hat, wird uns der anlikirchliche Kampf um Darwin ge- schildert, so daß uns der Wunsch kommt, für Deutschland eine gleiche Darstellung zu besitzen. Es könnten verschiedene gelehrte Ein- Wendungen gegen das Buch gemacht werden, besonders was die Beurteilung der fachwisienschaftlichen Literatur betrifft. Doch wurde dadurch der Wert des Bruhes nicht im mindesten beeinträchtigt. Naturwiffenschastliches. Die zeitweise Aufhebung deS Lebens bei ge» Wissen Samen. Austrocknung und Kälte sind große Feinde de? Lebens. Trotzdem vertragen viele Samen und Sporen hohe Grade der Abkühlung und der AuStrocknung, ohne daß sie ihre Lebens- fähigkeit und Keimfähigkeit einbüßen. ES hat sich sogar gezeigt, daß manche Samen unter Bedingungen ihre Lebensfähigkeit be- halten, unter denen die Atmung ausgeschloflen ist. Einige Forscher zogen daraus den Schluß, daß in solchen Samen das Leben zeit- weilig aufgehoben sei. Neuerdings hat Paul Becquerel darüber neue Untersuchungen angestellt. Er prüfte die Wirkung der Lustrocknung, der Kälte und der Lustleere auf Samen von Luzerne, weißem Senf und Weizen. Damit die Wirkung dieser Faktoren unzweifelhaft sein konnte, durchbohrte er die Samenschalen und setzte sie bei einer Temperawr von 40 Grad unter Anwesenheit von Aetzbaryt sechs Monate lang der Luftleere aus. An der Beständigkeit des Gewichts konnte man erkennen, daß die Austrocknung eine vollständige geworden war. Die Samen lvurden nunmehr in luftleer gepumpte Glasröhrchen eingeschmolzen und darauf im Kältelaboratorium des Herrn Kamerlingh OnneS in Lehden zuerst drei Wochen lang der Temperatur der flüssigen Lust(—191 Grad) und dann 77 Stunden hindurch der des flüssigen Wasserstoffs(—253 Grad) ausgesetzt. Sodann wurden sie wieder nach Paris gebracht, die Gläschen zerbrochen und die Samen bei 28 Grad zum Keimen ausgelegt. Von allen Samen keimte nur ein einziger des Weizens nicht mehr. Die Samen keimten ebenso wie Samen unter noruialen Bedingungen sonst, die man zur Kontrolle ausgesät hatte. Becquerel meint:„Ohne Wafler, ohne Sauerstoff, bei einem Atmosphärendruck, der fast Null beträgt und bei einer dem absoluten Nullpunkt nahen Temperatur wird das Protoplasma so starr, so hart und so untätig wie Stein: sein kolloidaler Zustand(Leim, Eiweiß, Gummi sind Kolloidsubstanzen), der für die physikalisck- chemischen Vorgänge der Assimilation und Desassimilation(Stoff- Wechsel) notwendig ist, verschwindet also ganz". Becquerel meint, daß das Leben in jenen Samen also ganz verschwindet, die un» unterbrochene Folge der Prozcffe. die die Lebenserscheinungen bilden, sind seiner Ansicht nach unterbrochen. Will man dem nicht beipflichten, so stehen zwei Möglichkeiten offen. Entweder muß man annehmen, daß die Veränderungen, die das Leben selbst unter den erschwerten Bedingungen noch erhalten, so langsam vor sich gehen, daß wir sie nur nicht mehr beobachten können, oder man muß sich auf den Standpunkt stellen, daß das Leben noch etwas außerhalb der materiellen Welt stehendes sei. DaS darf die Wissenschaft nicht annehmen, sie begäbe sich dann auf die schiefe Ebene, wo alle Wisienschaftlichkeit aufhören würde, weil die Dinge außerhalb unserer Erfahrung lägen. Es ist nicht bloß die biologische Seite, die hieran interessiert, sondern auch die astronomische. In seinen Büchern über:„Das Werden der Welten" behandelt Arrhenius auch die Frage nach der Bewohnbarkeit und der Ausbreitung des Lebens durch den Weltraum. Er nimmt an, daß die Erscheinung des StrahlungS- druckes winzig kleine Lebenskeime von bewohnten Welten nach anderen Sternen zu übertragen vermag. Die Keime sollen auf ihrer Wanderung durch den Weltraum durch die grimmige Kälte nicht getötet werden, sondern ihre Lebenstätigkeit so außerordentlich verlangsamen, daß sie selbst Jahrtausende zu überdauern vennögen. Diese Möglichkeil, die sich durchaus im Einklang befindet mit chemisch-physilalischen Gesetzen über die Intensität mit der chemische Vorgänge ablaufen, wurde von den Biologen lebhaft bestritten. Arrhenius ' Anschauung von der Panspermie, von der Uebertragung des Lebens von beivohnten auf unbewohnte Weltkörper, ersährt durch Paul Becquerels Untersuchungen eine gewiffe Möglichkeit. Verkehrswesen. DaS Weltkabelnetz. Im Jahre 1903 hat die„Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik" eine Aufstellung über das Kabelnetz der Erde gegeben; seit dieser Zeit hat, wie die gleiche Zeitschrift jetzt ausführt, das Wcltkabelnetz gewaltig zugenommen. Seine Gesamtlänge kann für Mitte 1909 aus 475 332 Kilometer veranschlagt werden; dazu kommen aber noch gegen 27 000 Kilo- meter projektierte oder noch nicht fertige Kabel, so daß Anfang 1910 die Gesamtlänge des Weltkabelnetzes über 500000 Kilometer be- tragen wird. An der Spitze steht England mit einem Kabelnetz von 255 307 Kilometer; davon sind 25 039 Kilometer Staatskabel und 230 738 Kilometer im Besitz von Privatgesellschaften. Die Zunahme seit 1903 beträgt hier 7630 Kilometer. Weit bedeutender ist sie m den Vereinigten Staaten; sie betrug im gleichen Zeitraum 27 172 Kilometer. so daß die Union jetzt 98 783 Kilometer Kabel besitzt. Das größte Staatskabelnetz hat Frankreich mit 25 786 Kilometer. Dazu kommen 22 413 Kilo- meter Privatkabel; die Gesanitsumme: 48 199 Kilometer stellt Frank reich an die dritte Stelle. Dann erst kommt Deutschland , besten staatliche Kabel eine Länge von 5331, besten private eine solche von 24 303 Kilometer haben. ES folgen in größeren Abständen: Dänemark (17 772), Japan (3419), die Niederlande(5720). Spanien (5578), Italien (1998). Rußlands Anteil macht nur 1216, der Oesterreich -Ungarns nicht mehr als 415 Kilometer aus. An vorletzter Stelle erscheint die Schweiz mit 31, an letzter Siam mit 24 Kilometer. Von Deutschlands Kabeln ist die wichtigste Linie Emden — Vigo , die der Deutsch -Atlantischen Telegraphen- gesellschaft gehört, ferner die direkte Verbindung mit Long-Jsland bei New Jork. Auch die ostasiatischen beziehungsweise pazifischen Linien Menado— Jap — Guam und Jap— Schanghai— Kiautschou— Tschifu find von großer Bedeutung. Durch die eigenen Kabel Frank- reich?, Amerikas und Deutschlands ist innerhalb der letzten sechs Jahre die früher unangefochtene Monopolstellung Englands stark erschüttert worden. Eine Konkurrenz der Kabel durch die drahtlose Telegraphie Marconis ist vorläufig noch nicht zu befürchten; die Marconilinien enttäuschten bisher, was Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Geheim» Haltung der Depeschen betrifft. Die Gesamtlänge der Marconi - Funkentelegraphenlinie beträgt nicht mehr als 8—10 000 Kilometer, also sehr wenig im Vergleich zu der halben Million Kilometer, die das Kabelnetz der Erde ausmacht. Kerantw. Redakteur: Emil Unger, Grunewald.— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u-�rUgtanstaU Paul Singer �Co., Berlin 5W.
Ausgabe
26 (12.10.1909) 198
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