Während heute We Zahl dieser Arzneimittel an> den Fingem hergezählt werden kann, galt vor Zeiten eine Apotheke um so vor- nehmer, je mebr sie solche führte und je seltener und teurer diese waren. So besab die Dresdener Hofapothele im Jahre 1652 183 Sim» plicia aus dem Tierreich, die Medizintaxe für das Königreich Preußen kannte 1749 deren 119 und die Wormser aus dem Jahre 1609 102. Die Heilmittel wurden größtenteils auf Grund von Signaturen gewonnen. Unter solchen verstanden die alten Aerzte gewisse äußere und innere Eigenschaften, welche den Naturobjckten(Tieren, Pflanzen, Steinen) bei ihrer Erschaffung zum Heile der leidenden Menschheit mitgegeben und deren Erkennung und Anwendung bei etwaigen Kranlheitsfällen dem Scharssinn des Menschen überlassen war. Der« artige Signaturen wurden in allem Möglichen gesucht und gefunden: in der Gestalt, in der ftarbe, im Namen, bei Tieren sogar in geistigen Eigenschaften; auch Doppelsignaturen kommen vor. In der Pflanzenwelt gibt es heute noch eine ganze Menge von Namen, die an die ihren Trägerinnen einst zugeschriebenen Heilkräste erinnern, wiewohl die meisten dieser Pflanzenarten längst für die Heilkunde als unbrauchbar erkannt urfd gestrichen worden sind; es seien als solche nur Augentrost, Leberkraut, Lungenkraut, das.Heil aller Schönen" und das„Heil der Welt" genannt. Immerhin gehören dem Pflanzenreiche noch eine stattliche Zahl von Arzneiliefcranten an. Anders im Tierreiche. Von den diesem entnommenen Heil« Mitteln haben sick nur wenig bis heute erhalten, wenn auch einige moderne, wie Pepsin, Lebertran. Hämoglobin, hinzugekommen find. Die Lieferanten der Medikamente animalischen Ursprungs waren fast ausschließlich Bewohner von Wald und Feld. In Verhältnis- mäßig nur wenig Fällen gewann man Heilmittel von Haustieren, so von einer schwarzen Katze, einem schwarzen Bock oder einem ebenso gefärbten Huhn. Allerdings sollte das sogen. Ar-rsoum album des HundeS, das auS unverdaut abgegangenen Knochenresten her- gestellt wurde, gegen 31 Krankheiten gut sein. Von den Tieren deS WaldeS stand dem jagdliebenden Deutschen keines näher alS der Hirscb, und schier unzählig find die Heilmittel, die der König deS deutschenWaldeS den alten Apotheken liefert. So lernt man Bezeichnungen wie: Apotheke zum Goldenen Hirsch... zum Braunen Hirsch... zum Roten Hirsch... zum Weißen Hirsch... wohl verstehen l Von der Decke bis zum Herzkreuzlein, das sich beim Edelhirsch wie bei einigen anderen Wiederkäuern als Knöchelchen in der Scheide« wand zwischen den Herzkammern bildet, wurden fast jedem Körper- teil heilende Kräfte zugeschrieben. Wunderbar ist es aber, daß man noch nichts von einer Apotheke.Zum Hasen" gehört hat, wennschon Freund Lampe seinerzeit die Apotheken ebenso reichlich versorgte wie der Hirsch. Die Haare, der Grünrock mag da? Wort mit„Wolle" übersetzen, fanden zu mancherlei Dingen Verwendung: zu Tampon? zusammen- gedreht und in die Nase gesteckt stillten sie Nasenbluten— mit Honig zu Pillen geformt und innerlich genommen sollten sie Brüche heilen. Erfrorene Glieder suchte man gesund zu machen, indem man Asche von Hasenwolle darauf streute. Konrad von Meyen- berg. weiland Kanonikus am RegenSburger Dom , der im 14. Jahrhundert die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache herausgab, spricht auch von„Haarballen des Darmes", die gegen'Durchfall helfen sollen. Von der Haut war namentlich die des inneren Löffels geschätzt. Frisch abgestreist und mit Frauenmilch angefeuchtet, wurde sie auf kranke Augen gelegt. Zur Beseitigung und Heilung von Augenübeln bedient» man sich auch der frischen mit Honig vermischten Galle in gleichem Maße wie der Lunge. Hasenlunge galt wie die anderer schnellfüßiger Tiere als vortreffliches Heilnsittel der erkrankten AtmungSorgane.'Auch vom Hirsch und Fuch» trocknete man sie, um Tuberkulose, Asthma und Stickhusten mit dem daraus gewonnenen Pulver zu heilen. Es wurden aus diesen Lungen auch Umschläge für erfrorene Füße und andere Beinschäden hergestellt. Welch prächttge Signatur! Der schnellfüßige Hase liefert dem lahmen und schwindsüchtigen Menschen das wirksamste Heilmittel. Fast zahllos sind aber die Mttel der rnateria rnedica der Alten, die auS SSugetierblut hergestellt wurden. Auch hier galt der.rote Saft' als etwa» ganz Besonderes. Um ihn von einem Hasen zu gewinnen, fing man einen solchen im Mai, schnitt den armen Burschen bei lebendigem Leibe auf und tränkte mit dem herausfließenden Blut ein Leinenttlchlein, das dann sorgfältig verwahrt wurde, um, sobald jemand im Hause oder in der Nachbarschaft an der Rose litt, das Tüchlein aufzulegen. Solch.Tüchlein mit Hasen« blut' bildete noch im Jahre 1652 eine Nummer der Dresdener Arzneitaxe. Luch eine Doppelsignatur ist hier zu erwähnen: van Helmont empfiehlt gegen Rotlauf das rote Blnt eine» im Laufe ge« töteten Hasen. Wennschon Doppelsignaturen im allgemeinen selten vorkommen, kann doch der Hase noch einmal mit einer solchen aufwarten: wer Ohrenleiden hat. mische in den Harn de» langohrigen Hasen pulverisierte Ohrwürmer und träufele diese Medizin in da« kranke Ohr. Die alten heilkundigen Waidgesellen bewahrten übrigens von dem erlegten Hafen stets die Blase nebst Inhalt auf. Dieser, mit einigen Tropfen Oel versetzt und inS Ohr gebracht, verttieb Schwer- Hörigkeit. Eine-stattliche Serie bilden die Aphrodifiaka, welche die alten Offizinen führten. Wenn diese Mittel auch harmloser Natur waren. so ist eS immerhin doch zu verwundern, daß sie überhaupt feilgehalten werden dursten, da sie doch sicher nicht nur zum Selbst« gebrauch gekauft wurden. Unter den verschiedenen Tieren, die solche Nittel lieferten, befand fich natürlich auch Freund Lampe . Wie man freilich auf den Gedanken kam. das Gerinsel(Magen« inhalt) säugender HäSlein in diesem Sinne zu verwenden, ist eigentlich kaum zu erklären. C. 3. Aus dem Gebiete der Chemie. Alkoholische Milchprodukte Daß auch die ge«. wöhnliche Milch zur Bereitung alkoholischer Getränke seit Jahr- taufenden schon von manchen Völkern benutzt wird, ist weiteren Kreisen nur wenig bekannt. Die meisten Menschen denken, sobald vom Alkohol die Rede ist, an Branntwein oder Bier. Diese Ge- tränke sind, namentlich das erstere, wegen ihres hohen Gehalte» an reinem Alkohol für die Gesundheit des menschlichen Organis- mus, wenn sie in großen Quantitäten genossen werden, eminent schädlich, zumal in ihnen andere Substanzen, die den Wert von Nahrungsstoffen haben, also Eiweiß, Fett oder Zucker, fast völlig fehlen. Ganz anders verhalten sich dazu die aus der Milch her- gestellten alkoholischen Getränke. Dies sind vor allem Kefir und Kumys. Kefir wird von den Einwohnern Kaukasiens seit undenklichen Zeiten aus gewöhnlicher Kuhmilch bereitet. In diese werden zu dem Zweck die sogenannten Kefirkörner gelegt, die mehrere Gärungserreger, Hefepilze, enthalten, die jedoch nicht mit unserer gewöhnlichen Hefe identisch sind. Durch die Kefir- körner wird der in der Milch enthaltene Milchzucker, eine unserem gewöhnlichen Rübenzucker verwandte Zuckerart. in einfachere Stoffe gespalten und vergoren. Bei jedem Gärungsprozeß bildet sich aus einer einfachen Zuckerart, dem Traubenzucker, Alkohol und Kohlensäure. Da der Milchzucker auch zur Hälfte aus Trauben- zucker, der nicht unserem gewöhnlichen Eßzucker(Rüben-, Rohr- zucker) gleich zu setzen ist, besteht, so ist es verständlich, daß auch aus der Milch ein alkoholisches Getränk gewonnen werden kann. Andererseits liegt es in der Natur der Sache, daß diese Getränke nur einen sehr geringen Alkoholgehalt haben können. Kuhmilch enthält nämlich 4—6 Proz. Milchzucker, der zur Hälfte auS Galaktose, zur Hälfte aus Traubenzucker besteht. Nur letzterer läßt sich vergären, also zur Alkoholerzeugung verwenden. Der Traubenzucker zerfällt nun wieder annähernd zu gleichen Teilen in Alkohol und Kohlensäure. Der Alkoholgehalt der aus Milch bereiteten Getränke kann also nicht groß sein; er beläuft sich in der Tat selten auf mehr als 1— 1,5 Proz., während Bier 3—6, Wein 5— 10, Branntwein 20— 50 Proz. Alkohol enthalten. Außer» dem befinden sich in den vergorenen Milchprodukten zum großen Teil noch dieselben kostbaren Bestandteile, die den hohen Wert der Milch als Nahrungsmittel bedingen, also vor allem das Milch- eiweih(Kasein) und das Butterfett. Deshalb besitzen diese Produkte sowohl den Wert vorzüglicher Nahrungsmittel als auch wegen des geringen Alkoholgehaltes die Bedeutung anregender. aber nicht schädlicher Genußmittel. Man hat in der Schweiz , in Italien , in den russisch-sibirischen Steppen Sanatorien ein- gerichtet, in denen Tuberkulose und andere an zehrenden Krank- heiten Leidende speziell mit Kumys und besonders mit Kefir ge- pflegt werden. Ein großer Teil des Heilerfolges wird allerdings der staub- und bazillenfreien Luft zuzuschreiben sein, die über diesen entlegenen und von der Industrie noch nicht berührten Ge- bieten liegt. Der Kumys ist ein dem Kefir sehr ähnliches Ge- tränk; ebenfalls seit langen Zeiten in Gebrauch. Schon der alte griechische Geschichtschreiber Herodot erwähnt es als ein Lieblings- getränk der wilden Skythen; heute bildet er das Nationalgetränk der russischen Steppenvölker jenseits de? Kafpifchen Meeres und wird von ihnen hoch geschätzt. Er wird wicht aus Kuhmilch. sondern aus Stutenmilch bereitet, und mag vielleicht deshalb dem verfeinerten Geschmack europäischer Zungen nicht so gut munden wie Kefir, der aus gewöhnlicher Kuhmilch hergestellt wird. Ein ähnliches und durch dieselben Vorzüge ausgezeichnete? Produkt ist der mit großer Reklame neuerdings angepriesene F o g h u r t, eine Art dicker Milch, das Nationalgericht der bulgarischen Völkerschaften. Im Aoghurt sind ebenfalls verschiedene Bakterien enthalten, die in einem be- sonderen Verfahren die abgekochte Kuhmilch zum Gerinnen bringen. Nach verschiedenen chemischen und klinischen Unter- suchungen soll Uoghurt in der Tat ein sehr empfehlenswertes Nährprodukt darstellen, und mag in der Tat bei manchen Krank- heiten zweckmäßig an Stelle der stets schwerer verdaulichen und die Darmbakterien in höherem Grade vermehrenden Fleischkost zu setzen sein. Alle diese Produkte haben nur den großen Nach- teil, daß sie viel zu teuer sind und Minderbemittelten kaum zu« gänglich werden, wenn sie nicht etwa für Erholungsbedürftige ärztlicherseits verschrieben und von den Krankenkassen geliefert werden. Bemerkenswert bleibt immerhin, daß auch aus tierischen Rohprodukten alkoholische Getränke hergestellt werden können, während die vorwiegend gebräuchlichen und lange nicht so empfehlenswerten ausschließlich aus pflanzlichen Rohstoffen be- ueitet werden, entweder aus stärke-(Kartoffel, Getreide) oder zuckerhaltigen(Weintrauben, Pflaumen, Kirschen usw.). Die Grundbedingung für alle Rohstoffe ist, daß sie entweder Zucker selbst enthalten oder ein Material wie Stärke, auS dem leicht Zucker gebildet werden kann. lverantw. Redakteur: Emil v?ger, Grunewald.— Druck u. Verlag: vorwärt« Bucbdruckerei u.Verl«g»anstalt Paul Sing« ScEo.. Berlin SW.
Ausgabe
26 (22.10.1909) 206
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