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Aber auf seinem Gefichte war ein neuer Zug, der Bug einer schmerzlichen Starrheit. Es mußte eine große innere Bewegung in ihm vorgegangen sein, und ihr Eindruck hatte sich auf seinem Gefichte eingegraben, wie sich auf einem Totenantlik der legte Schmerz eingräbt. Seine Hände stützten sich auf das Schalterbrett, ihre Muskeln und Adern schwollen an von dem Gewichte, mit dem er sich auf sie stüßte. Mit der tonlosen Stimme der Entschlossenheit sagte er: " Ich bin einverstanden... Gott steh mir bei... Möge mein Enkel auch die Zinsen bekommen. Ich nehme die Sünde auf mich. Denn Gott sieht es, schwere Zeiten werden kommen Schreiben Sie auf, daß mein Enkel die Zinsen auch bekommen soll." Das Dokument wurde umgeschrieben. Auf dem Gesichte des Alten aber spiegelte sich deutlich das Bewußtsein der schweren Sünde, die er auf sich geladen hatte. und die schwerer war, als alle, die er je begangen in seinem schlechten Leben doch man las auch die Entschlossenheit, mit der er sie auf sich nahm, um sie dereinst zu verantworten.
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Die Angst vor den kommenden schweren Zeiten, nur deshalb hatte er es getan fie hatte ihm den Mut gegeben zu seiner letzten Sünde. Und nun er fie um des Kindes willen auf sich genommen hatte, ward es ruhig und friedlich in ihm.
( Nachdrud verboten.)
Buchara ! Märchenbilder aus„ Tausend und eine Nacht" fteigen vor meinen Augen auf. Vor mir sehe ich im Geiste die zinnengeschmückten Mauern der heiligen Stadt, hinter denen das buntschillernde Leben des Morgenlandes wogt. Scheherejades Gestalten werden lebendig: der Fürst, der über Leben und Tod gebietet, der hohe Beamte in goldstroßendem Gewande, vor dem die Untertanen auf die Knie finken, der weise Mullah mit langem Barte und der bettelnde Derwisch. Ach, hätte ich Flügel wie Tauben, so enteilte ich und nähme Wohnung dort in der Wüste." Sehnfucht nach dem fernen Wunderlande weckt das Wort des königlichen Sängers in meiner Geele.
Wohl in teiner Stadt des Morgenlandes hat sich der Orient in seiner typischsten Form so rein, so unverfälscht erhalten wie in der Residenz des Emirs von Buchara . Fast spurlos ist die alles gleichmachende Neuzeit an ihr vorübergegangen. Bu ihr dringt nichts von den weltgeschichtlichen Ereignissen, die den übrigen Erd ball in Aufregung versehen. Buchara ist eine Welt für sich; was fie bewegt, bringt nicht über die brödlige Lehmmauer hinüber, die fie umgibt. Wie lange noch?
Buntes Leben und Treiben herrscht von morgens früh bis zum Sonnenuntergang auf dem Basar der Stadt, kaleidoskopartig wechfelnd. Durch die engen, zum großen Teil gedeckten Straßen drängt sich eine bielsprachige Menge, bie in allen Farben des Regenbogens leuchtet: Sarten, Mongolen, Kirgisen, Afghanen, Perser, Turkmenen, Chitinen, Barsen, Inder, Juden und Zigeuner. Alle unter scheiden sie sich voneinander durch den Gesichtstypus, die Farbe der Haut, die alle Stalen vom dunkelsten Braun bis zum hellsten Weiß zeigen, den Kopfpub, die Haartracht und die Kleidung. Wir bewundern die stattliche Größe der männlichen Garten, der eigentlichen Bewohner der Stadt, mit ihren sorgfältig gepflegten schivar zen Bärten. Ihre schlafrodähnlichen Gewänder, Chalate genannt, reichen bis auf die weichen Schuhe aus buntgefärbtem Biegenleder herab. Das nach Landessitte glatt rasierte Haupt ist mit einem Stäppchen bedeckt und auf diesem thront der schneeweiße, funstvoll gewundene Turban, der Tschalma. Er ist nicht eigentlich Kopfbedeckung, sondern das Leichentuch, das jeder rechtgläubige Muselmann als memento mori ( Aufforderung, an den Tod zu denken) stets bei sich tragen muß. Es gehört ein ganzes Studium dazu, den Turban, der bis 24 Meter lang ist, schnell und elegant um den Kopf zu wideln und ein ebenso großes, die verschiedenen Turban arten unterscheiden zu können. Die einzelnen Stände: Adlige, Gelehrte, Beamte, Mullahs, und Kaufleute pflegen nämlich den Turban verschieden zu winden, so daß der Kenner an der Art des Bindens den Stand eines jeden erkennen fann. Gewöhnlich sind die Enden des Turbans verborgen, nur beim Gebet läßt man sie an der Seite herunterhängen, was bei den Afghanen und Kirgisen immer der Fall ist, sofern letztere nicht ihre ganz eigenartigen großen Hauben mit Nacken-, Ohren- und Backenschutz aus rotem Samt oder Bela tragen. Den Juden ist der Gebrauch des Turbans verboten, fie bededen ihr Haupt mit schwarzen Samtfäppchen. Die Inder, von denen die Hindus durch das auf der Stirn eingebrannte Rastenabzeichen zu erkennen sind, stülpen hohe, vierzipfelige Müßen bon schwarzem Kaliko auf ihr Haupt, die mit den Birets der latholischen Geistlichen viel Aehnlichkeit haben und viel leicht mit diesen auf gemeinsamen Ursprung zurüdgehen. Selbst beim größten Sonnenbrande legen die wildaussehenden Turkmenen ihre gewaltigen Belzmüßen nicht ab. In furzgeschorenen Fellmüßen erscheinen die Berser.
Zu der Mannigfaltigkeit der Gewänder und Kopfbededungen tommt die seltsame Buntscheckigkeit der Chalate. Wohin unsere Augen sich wenden, erblicken sie leuchtende Farben, als hätte ein Maler die Vorübergehenden mit allen Resten seiner Palette bestrichen.
In merkwürdigem Kontrast zu der Vielfarbigkeit der männ lichen Bewohner steht die traurige Einförmigkeit der Frauen. Ein graues oder schwarzes Gewand, das wie ein Schal über den Kopf gelegt ist und vor der Brust mit einer Agraffe zusammengehalten wird, umgibt ihre Gestalt. Nur bisweilen sehen wir freundliche Farben an den weiblichen Chalaten. Die Aermsten sehen die Welt, die für fie ebenso beschränkt ist wie ihr geistiger Horizont, nur durch den schwarzen dichten Roßhaarschleier, der ihr Gesicht bedeckt. Ein trauriges Los, zu dem der Islam die Frauen verdammt! Hier in seiner Hochburg Buchara , wo der Mohammedanismus sich seit einem Jahrtausend wie an feinem anderen Ort rein und underfälscht erhalten hat, ist es besonders bellagenswert. Selten berlassen sie ihr trostloses Heim. Aengstlich suchen sie ihren Weg durch die Menge, stets in Sorge, überfahren oder überritten zu werden. Da haben es die Kirgisinnen besser. Hoch zu Roß oder auf dem Kamele erscheinen sie im Gewühl; auf dem unverschleierten Haupte mit dem rabenschwarzen Haar thront der mächtige Turban, der den Sartinnen versagt ist. Die Kirgisen sind schlechte Mohammedaner und fümmern sich wenig oder gar nicht um die Weisungen des Propheten.
Durch dieses vielfarbige Menschengewirr, das die Straßen des Basars durchflutet, drängen sich die Scharen der Vierfüßler. Langsam schreiten die unförmlichen Kamele der Karawane, bon einem Esel an der Spike geführt, im Gänsemarsch dahin, riesige Lasten auf ihren Rücken schleppend: Tee, Baumwolle, Matten, Teppiche und andere Erzeugnisse des Landes. Reiter zu Roß und Esel suchen ihren Weg durch die Menge:" Boscht, poscht," Vorsicht, Vorsicht, tönts bald rechts, bald links, bald vor uns, bald hinter uns und schnell flüchten wir in eine Nebengasse, um nicht unter die riesigen Räder einer Arba" zu fommen.
Die einzelnen, überaus engen Basarstraßen, laufen strahlenförmig in gewölbten Rotunden, die mit einer hohen Kuppel bedeckt find, zusammen. Wie früher in Deutschland , so liegen auch in Buchara die Läden der gleichartigen Gewerbe in den verschiedenen Rotunden, Straßen und Höfen zusammen. Alles, was das Land erzeugt, oder der Buchare braucht, kann man hier kaufen. Wir wandern durch den Müßen-, den Teppich, Seiden- und Chalat basar, und erfreuen uns an den leuchtenden Farben der ausliegenden Sachen. Auf dem niedrigen Ladentisch hockt mit untergeschlagenen Beinen der Verkäufer, neben sich die unvermeidliche Schale mit grünem Tee. Mit unendlicher Geduld zeigt der Mann Eins der herrlichen Seidentücher nach dem uns seine Waren. andern holt er hervor und breitet es vor uns aus; immer neue Teppiche, bucharische, persische, afghanische, immer neue Chalate aus Baumwolle, Seide oder föstlichem Brokatstoff schleppt er herbei. und mit derselben Geduld, mit der gleichen Ruhe, ohne ein Wort des Mißfallens faltet er seine Sachen wieder zusammen, wenn wir, ohne etwas zu kaufen, weitergehen, um uns die Schätze seines Stonkurrenten, dessen Laden nur durch eine dünne Bretterwand oder ein Teppich von dem seinigen trennt, zu bea trachten. Kismet! Allahs Willen war es, daß wir nichts bei ihm erstanden haben.
In anderen Gaffen haben die Apotheker und Drogenhändler ihre Stände, in jenen Reihen verkauft man Schuhe, Waffen, Bücher, Stidereien, Metallwaren, Schmucksachen, dort wieder Zuderzeug in schier unermeßlicher Fülle und getrocknete Früchte: Weintrauben, Bistazien, Mandeln, geröstete Aprifosenterne und vieles andere. Auf den Ladentischen der Geldwechsler, meist Inder, liegen Haufen des einheimischen Geldes, an dessen Gebrauch wir uns gewöhnen müssen. Für wenige Buhls, eine fleine Messingmünze im Werte von einem halben Pfennig, erstehen wir uns einige Scheiben der herrlichen Melonen, die allenthalben feilgeboten werden; oder Schaschlik, am Spieß gebratenes Hammelfleisch, in einer der vielen Garküchen, oder kleine, dreiedige Fleischpastetchen, wozu wir eine Tasse Tee trinken, die zwei Buhl, also einen Pfennig fostet. Alle größeren Ausgaben bestreiten wir mit der Denga", einer Silber. münze, die etwa 30 Pfennig gilt.
Im Schatten gewaltiger Ulmen liegt, wie das Traumgebilde eines Märchens, eine hochragende Moschee. Die heiße Sonne Asiens spiegelt sich in dem leuchtenden Kachelschmuck des kuppelreichen Gotteshaufes und zaubert tausendfache buntfchillernde Reflere aus einem heiligen Teich hervor. Auf den Stufen, die ihn umgeben, lagern die Bewohner der Stadt mit ihren malerischen Gewändern und den schneeweißen Turbanen, in süßem Nichtstun. Ein würdiger Märchenerzähler hat einen großen Kreis andächtiger Zuhörer um sich versammelt. Zu den Klängen seiner Laute singt er Weisen aus alter Beit; jest springt er auf, er wird lebendig, das Feuer der Begeisterung kommt über ihn: von Tamerlan era zählt er, dem Gewaltigen, vor dem der halbe Erdkreis erzitterte. Lautlose Ruhe ringsum; nur die Stimme des begeisterten Erzählers und das Windesraunen in den alten Baumriesen durchbricht die weihevolle Stille. Ein Märchenbild, erhaben und erhebend, das nur der erschaut, den ein glüdliches Geschick nach Bu chara geführt hat.
Kleines feuilleton.
Literarisches.
Detlev Biliencrons Vermächtnis. An einem Mitt sommerteg ist er zur großen Armee abmarschiert, und am ersten