zucht ihren Aufschwung genommen zu haben und zur selben Zeit wird man wohl auch von der Ansicht abgekommen sein, daß Huhn mit seinem eigenen Fett beträufelt zu verzehren, eine Unsitte ist. Auch Sportzwecken diente das Huhn, und zwar bezog man zu diesem Zwecke solche von Rhodos und Tanegra, die besonders kämpf- lustig sein sollten. I» der christlichen Zeit lieg man durch die Bild- Hauer die Wände der Katakomben mit Hahnenkämpfen schmücken, die die Dcolesiu militana(kämpfende Kirche) versinnbildlichen sollten. In der späteren Zeit setzte man den Hahn als Sinnbild der Wach- samkeit auf Kirchtürme. Heule ist die Hühnerzucht über die ganze Erde verbreitet, selbst im Innern Aftikas besagt man sich mit ihr; nach Ainerika gelangte sie erst durch die Europäer. (Fortsetzung folgt.) Peftalo22is politische Ansichten. Die neue Pestalozzi- Biographie, die Paul Natorp in der Teubnerschen Sammlung„Aus Natur und Geisteswelt" soeben ver- öffentlicht hat, sncht zum erstenmal die Beziehungen klar heraus- zuschälen, die bei Pestalozzi , diesem Vater aller Pädagogik, zwischen seinen politischen(auch wirlschaftspolitischen) und seinen rein päda- gogischen Theorien bestehen. Natorp macht den fruchtbaren Versuch, die Mannigfaltigkeit der von Pestalozzi vertrete»« Anschauungen in eine einheitliche Theorie zu bringen. Ob dieser Versuch, aus Pestalozzis Art zu denken und zu philo- sophieren, gerechtfertigt werden kann, ist hier Nebensache. Für uns wichtig ist die Tatsache, daß dieser Versuch einer einheitlichen Durch- dringung der Pestalozzischen Gedankenmassen zum erstenmal die engen Beziehungen zwischen Pädagogik und Politik bei Pestalozzi , ja zum ersten Male überhaupt die Existenz einer wirklichen politischen Theorie bei Pestalozzi bewies. Daß Pestalozzis Wirken noch lange nicht abgeschlossen ist, be- weisen die gerade in den letzten Jahren sich mehrenden Schriften über ihn. Es ist höchstwahrscheinlich, daß er auch in Zukunft noch eineit viel tieferen Einfluß auf unsere gesamte Pädagogik ausüben wird, als es der außer ihm bedeutendste der deutschen Pädagogen, H e r b a r t, getan hat. Und zivar wird Pestakvzzi, was Natorp und seine Freunde immer betont haben, gerade wegen seiner vorgeschrittenen politischen Theorien, gerade weil seine Pädagogik in einer politischen Theorie des Demokratisnkus, ja Sozialismus wurzelt, diese große Bedeutung für die Pädagogik der Zukunft haben. Es kann sich für unS nicht darum handeln, die Stellung Pcsta- lozziS zu den verschiedenen politischen Problemen zu zeichnen, die ihm in seinem schweizerischen Vaterlande(es handelt sich um die unruhige Zeit um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts) entgegentraten. Obwohl er auch hier nie müde ward mit neuen Anregungen und Vorschlägen. Nicht vergessen werden aber darf sein Eingreifen in die schweizerische Steuerpolitik. In zwei Broschüren („Blätter über den Zehnten" nannte er sie) trat er scharf für die Ab- schaffung des Zehnten und für Staatssteuern nach dem Maße der Leistungsfähigkeit, also für progressive Einkommen- st e n e r mit Steuerfreiheit für ein reichlich be- messeneS Existenzminimum ein. Auch die ganze Fülle und Tiefe seine? sozialen GemütS muß hier unberücksichtigt bleiben. Obwohl man kaum in der Ge- schichte der Menschheit einen zweiten treffen wird, der— losgelöst von aller dogmatischen oder gar konfessionellen Religiosität— eine solche Genialität im Sittlichen und Altruistischen offenbart hat wie gerade der Winkelschullehrer in Burgdorf . Statt dessen soll hier einzig die politische Theorie Pestalozzis erwogen werden.. Wir fragen, wie er sich im ganzen zu den großen Problemen von Arbeit, Industrie, Eigentum, Gesell- schaft, Staat usw. stellte. Da ist zunächst seine Betrachtung des Menschen über- Haupt hervorzuheben. Gegenüber dem Liberalismus, der ja be- kanntlich nicht nur eine parlamentspolitische Theorie war, sondern sich auf allen Gebieten der Kultur als eine charakteristische, nun freilich längst überlebte Anschauung breit niachte, bebauptete Pestalozzi in den„Abendstunden" wie in dem pädagogischen Romane „Lienhard und Gertrud", daß der Mensch für die Erziehungslehre wie für die Politik überhaupt nur als soziales Wesen, als Gemeinschaftswesen, als vergesellschafteter Mensch in Betracht käme. Seine Vorgänger, in gewisser Weise auch Rousseau , hatten sich um den Menschen nur als ein für sich stehendes, ab- geschlossenes Individuum gekümmert. Nach Pestalozzi steht die Gemeinschaft höher als das Individuum, kann daS Individuum nur erzogen werden, wenn man die Gemeinschaft, die Schicht, in der es lebt, erzieht. Mit einem seiner wnnderbckr anschaulichen Vergleiche drückt er daS einmal so aus:„DaS Er- ziehen des Menschen ist nichts als daS Ausfeilen deS einzelnen Gliedes an der großen Kette, durch welche die ganze Menschheit unter sich verbunden ein Ganzes aus- macht, und die Fehler in der Erziehung bestehen meistens darin, daß man einzelne Glieder wie von der Kette abnimmt und an ihnen künsteln will, wie wenn sie allein wären und nicht als Ringe an eine große Kette gehörten. Es komint darauf an, daß das einzelne Glied nngeschwächt an feine nächsten Nebenglieder wohl angeschlossen zu dem täglichen Schwung der ganzen Kette und zu allen Biegungen derselben stark und gelenkig genug sei." Diese Grundüberzeugung, daß„die Umstände", d. h. die Gesell- schaft, den Menschen machen, spricht sich besonders in der zweiten Hälfte des erwähnten Romans aus, Ivo von der Pathologie und Therapie(Heilkunst) der sozialen Erkrankungen, von den Ursachen und der Heilung des Verbrechens die Rede ist. Der einzelne Mensch erscheint hier fast von Verantwortung frei; jeder kann in die gleiche Schlechtigkeit versallen wie der schlimme Verbrecher, wenn er in soziale„Lagen" gerät, die geeignet sind, den Samen des Bösen in ihm zu entwickeln. Die Gesellschaft ist nicht nur mitschuldig am Verbrechen, sondern sie ist die Hauptschuldige. Auf Grund solcher Aussprüche zählt Natorp Pestalozzi mit Recht zu den Vätern der niodernen S o zi a l p ä d a g o g i k, die die alte liberale Judividualpädagogik ablösen soll. Als einen der ersten Ueberwinder des Liberalismus kennzeichnet unseren Pädagogen auch seine wirtschaftSpolitische Auffassung. Er denkt— wie auch Natorp sagt— die soziale EntWickelung„nicht bloß im Sinne des LiberaliSnius, sondern in deutlicher Näherung zum Sozialismus". Er faßt nicht nur die Aufhebung des Feudalismus, sondern auch ernstliche Eingriffe in das Eigentums- recht ins Auge; denn, wie er wiederholt fagt, das Eigentum ist um des Menschen und nicht der Mensch um des Eigentums willen da. Er will die Ausbeutung des Volke? durch die Grundherren nicht etwa bloß beseitigt wissen zugunsten der Ausbeutung durch daS Kapital; eS soll nicht„der Kaufmann die Brotquellen des Volkes in seinem Portefeuille herumtragen wie ehedem der Edelmann in seinem Stiefel". Er will Befreiung des Volkes zur vollen Wirt- schaftlichen und rechtlichen Selbständigkeit, als den Voraussetzungen gesunder«Selbstsorge' auch für seine allseitige, geistig sittliche Bildung. Die Frage der Staatsform steht für Pestalozzi immer erst in zweiter Linie. Seine Vorschläge halten zmiächst an der Fort- cxistenz von Fürsten und Adel fest. Nachdem sich dann aber gezeigt halte, daß auf diese nicht zu rechnen war. stellte er sich rückhaltlos auf die Seite des Recht fordernden Volkes. In der f r a n z ö s i- schen Revolution sah er nur die unausbleiblich« Fol�e der Revolution von oben, die längst im Gange war. in ihren„Greueln" sah er nur die Folgen des alten Zustandes, aus dem sie heraustrat, nicht des neuen, in den man erst hinein- treten wollte. Sein scharf treffendes Urteil über die Revolution zeigt namentlich darin einen bemerkenswerten Fortschritt über die früheren Schriften hinaus, daß die Eutwickelung des sozialen Lebens entschieden ins Auge gefaßt und in Rechnung gezogen wird.„Er sieht die große Bewegung vom Feudalismus durch die absolut« Monarchie zur Revolution in klarem Zusammenhang mit der Wandlung der Wirtschaft vom vorwaltenden Landbau zur Industrie, in Verbindung mit der Eutwickelung des Welthandels und des Geld- Verkehrs". Er erkennt nach einer anderen Stelle in der großen Be- wegung seiner Tage geradezu eine„Revolution in Brot- angelegenheiten", die freilich im ersten Augenblick Zer- rüttung wirke und alte Bande löse, später aber neue und engere knüpfen werde. Von Anschauungen wie den eben(nur in großen Zügen) ent- lvorfenen sind nun auch die mehr schulpädagogischcn Gedanken Pestalozzis durchdrungen. Die gesamte Erziehung, soweit sie nicht im Hause vor sich geht, muß mit dem sozialen Leben in Ein- klang gebracht werden. Das will besagen: nicht nur die Schule muß sich nach den sozialen Ordnungen(der Kinder, die sie erzieht) richten, fondern auch umgekehrt: die fozialen Ordnungen müssen so beschaffen fein, daß sie eine ihnen gemäße Erziehung der Jugend in Haus und Schule sichern. Zu dem Zweck muß vor allem das Wirtschaft?- wesen des Volkes in eine gesunde Ordnung gebracht werden. Darüber zu spotten, daß Pestalozzi nicht angegeben hat, wie das zu bewerkstelligen sei. ist billig. Sein Verdienst besteht darin, als einer der ersten Politiker und Pädagogen den Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Kulturpolitik erkannt zu haben. So werden wir auch in folgenden Gedanken, die an einer Ueberschätzung der Staatsmacht leiden, den großen richtigen Kern nicht abweisen: Pestalozzi fordert, daß der Staat die wirtschaftliche Regelung übernehme. Die Staatssorge für das Eigentum darf sich nicht dar- auf beschränken, daß nicht gestohlen wird; es soll auch derGebratich, den ein jeder von seinem Verdienst macht, einer öffentlichen Aufsicht unterstehen. Er fordert Aufhebung der Leibeigenschaft, Befreiung der Güter und Personen von herrschaftlichen Abgaben. Er wagt zu hoffen, daß es dann der„Galgen-, Rad- und Galeeren-Gerechtig- keit" nicht mehr bedürfen wird, die Galgen und Rad darum brauchen muß, weil man das Volk zuvor verwahrlo st und selber zu dem ge in acht hat, wofür man e ß hinterher straft. Und Ivenn an einer andern Stelle Pestalozzi erklärt, nicht auf Almosen und Spitäler, sondern auf Recht käme es an,„die Perle des Rechts dürfe nichtinderMist- grübe der Gnade verscharrt werden", so erhebt er sich weit über die philanthropischen Tiraden seiner frommen GesinnungS- zenoffen, der Groll des vierten Standes scheint in solchen Worten »orzullingen. Noch auf einen Zentralgedanlen muß hingewiesen werden, ans den Gedanken von der Gleichberechtigung alles dessen, was Menschenantlitz trägt.»Gehört denn diesen unseren Mitmenschen,
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26 (29.10.1909) 211
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