Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 214.
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Mittwoch den 3. November.
( Nachdrud berboten.)
,, Soldaten fein schön!"
Bilder aus Kaserne und Lazarett,
Von Karl Fischer,
Bolter! Komm schnell!, Wir müssen uns melden," rief Bornemann ihm zu.
Eilig wischte sich Volter die Tränen aus den Augen, nahm stramme Haltung an, und begab sich vor den Eingang des Konferenzzimmers, wo er mit Aufstellung nahm.
Wohltätig berührte alle Schüler der Aeußeren die ruhige Sicherheit Stabsarzt Bauers. Sie waren die polternde Unzufriedenheit vom Stabsarzt Renner gewöhnt und hier hörten fie fein lautes Wort.
Schnell ging die Visite vorüber, bei der der Stabsarzt Diejenigen Kranken bestimmte, die zum Verbinden ins Operationszimmer kommen sollten. Dort wurden die Wunden gefäubert, frische Verbände angelegt und mehr, wo die Schüler amit behilflich sein mußten. Alles war ihnen etwas Neues. Stabsarzt Bauer und Assistenzarzt Klinge verließen, fobald der letzte Kranke verbunden war, die Station.
So," fing Sergeant Bogdahn an, der mit den Schülern mun allein war," jekt stellen Sie sich mal auf in einer Kinie."
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" Nanu," dachte Bornemann, was wird denn da heraustommen?"
Aber nicht wie die Hottentotten, sondern wie Ihr's gelernt habt! Nach der Größe- so-"
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Stillgestanden!-Nennt Ihr das ausgerichtet? Nichten Sie sich aus, Bornemann, und ziehen Sie nicht so ein dämliches Geficht! Na endlich! Rührt Euch!" Kunze, mit der Brille auf der Nase, mußte sich das Lachen berbeißen, als Sergeant Bogdahn wie ein fommandierender General, mit dem Notizbuch in der Hand, vor ihnen auf und ab ging. Er wird doch nicht etwa mit uns hier im Operationssaal exerzieren wollen?
Sergeant Bogdahn mußte ein Vergnügen daran finden. Selbstgefällig strich er sich seinen großen Schnurrbart, dem er mit der nötigen Wichse eine übertriebene„ Es ist erreicht"- Form gegeben hatte. Seine spiße Nase stand in seltsamem Kontrast zu dem übrigen Teil des Gesichts, aus dem seine hervorstehenden falbsaugenähnlichen Sinnbilder der Obhut zuerst auffielen. An feinen merkwürdig ausgesprochenen Sächsischen Dialekt hatten sich die Schüler schon die Beit her gewöhnt, wenn sie auch noch nicht dienstlich mit ihm zu tun gehabt hatten.
Also, Sie find jetzt bei mir auf Station!" Ach, der will uns eine Rede halten! dachte Bornemann und machte eine treuherzig fromme Miene.
,, Da will ich Euch nun sagen, was Ihr zu tun habt! Vor allem will ich Euch das eine sagen: Wenn Ihr strikte Euren Dienst tut, wird Euch kein Mensch etwas anhaben. Sobald aber einer frech wird oder faul und führt nicht meine Befehle aus, dann sollt Ihr mich kennen lernen. Zuerst werde ich Euch beibringen, wie Ihr Eure Pfoten zu waschen habt, wenn Stranke verbunden werden sollen. Dann werden jeden Morgen die Instrumente ausgefocht. Die müssen allemal schon fertig dastehen, wenn ich rauffomme auf Station. Dann macht einer den sterilen Mann, der sich die Hände desinfiziert und beim Verbinden dem Arzt die Instrumente reicht. Das werden Sie von jetzt ab machen, Volter."
" Bu Befehl."
„ Sie fassen nichts an als Ihre Instrumente, und fümmern sich um weiter gar nichts! Wenn alles flappt, braucht Ihr bloß auf der Station zu sein, wenn etwas zu tun ist. Klappt's nicht, wird vorschriftsmäßiger StationsDienst eingehalten.„ Dann," damit fuhr er sich mit der Hand über seinen fetten Reib, über den die Unteroffiziersdrillichjade so fest gespannt war, daß sich Querfalten im Tuch geBildet hatten, dann wird mir jeden Mittag Effen geholt aus dem Blauen Löwen". Ich werde jedesmal bestimmen, wer gehen soll. Heute gehen Sie, Büchner. So. Nun wäre ich fertig. Tretet- weg!" tommandierte er im Kasernenton.
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1909
Wollt Ihr gleich nochmal her? Ist das eine Kehrtwendung, wie Ihr sie gelernt habt?"
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Tretet weg! Go! Das muß man nur üben." Der neue Polizeiunteroffizier des Lazaretts verstand sich mit allen gut. Er wußte, daß mit den Lazarettbummlern, wie die Sanitätsschüler allgemein genannt wurden, nicht viel anzufangen war. Da drückte er oft ein Auge zu. Es war das erstemal, daß er als Frontunteroffizier ins Lazarett auf ein Vierteljahr kommandiert worden war. Ein hübscher Ruheposten, nach dem er sich gesehnt. Seine ganze Funktion war, die Zu- und Abgänge zu überwachen, für Ordnung und Ruhe zu sorgen, die Meldungen der Stubendienstwachhabenden der Schülerstuben beim Zapfenstreich anzuhören und früh das Personal zu wecken. Mit dem Wecken ging es nicht so streng zu, wie in der Kaserne. Wecken tat er wohl; ob aber die Schüler auch aufstanden, darum kümmerte er sich weniger. Wer sollte auch so früh kommen und revidieren? Und was sollten die Schüler auch in aller Herrgottsfrühe anfangen. Die Kranken schliefen noch, und was eventuell getan werden konnte, machten sie bis zur Visite vollständig. Nur die Krankenwärter mußten an das pünktliche Aufstehen glauben. Die mußten früh mit der Lazarettreinigung beginnen, um zur Zeit fertig zu werden.
Todmüde, wie Bolter fich allabendlich zu Bett legte, war er doch der erste, der aufstand, sobald geweckt worden war. Sein erster Gang war auf die innere Station zum franken Freund.
Seit zwei Tagen stand ein Wandschirm um Weiners Bett. Volter wußte, was das zu bedeuten hatte. Kummer im Herzen stieg er morgens hinauf.
Auf das Schlimmste gefaßt, öffnete er die Tür des Saales, in dem Weiner lag.
Was war das? Assistenzarzt da? Flüsternd sprach dieser auf die Krankenwache ein, die sich am Bette Weiners zu schaffen machte. Wie er Volter bemerkte, wandte er sich um. Was wollen Sie? Doch es ist gut, Sie können mit helfen, den da ins Leichenhaus zu schaffen.' Weiner war tot. Kein Blick verriet sein inneres Gefühl, als Volter hinzutrat, mit anzufassen.
Erschreckt wollte er zurückfahren, als er die nackte Reiche sah. Ein mit weißer Haut überdecktes Gerippe lag da vor ihm. Wie auf ein Gespenst fiel durch das Fenster das Morgenlicht, das diesen entseelten Körper noch schrecklicher erscheinen ließ. Weit geöffnet standen die Augenlider, zwischen denen die Pupillen herausstarrten. Die Mundwinkel der halbgeöffneten Lippen waren herabgezogen, als ob er noch in der legten Sekunde dem Schmerz über die ihm versagt gebliebene Freiheit Ausdruck gegeben hätte.
mit zu!"
Na, guden Sie ihn nicht erst lange an und faffen Ste Erschreckt fuhr Volter aus seiner traurigen Betrachtung empor und sah wie geistesabwesend dem Assistenzarzt ins Gesicht.
Mit anfassen sollen Sie!" rief ihm dieser entgegen.„ Er beißt nicht, er ist tot."
Wie im Traum tat Bolter seine Pflicht. Er sah nichts mehr. Seine Hände halfen, wie mechanisch, dem Befehle gehorchend, die Leiche ins Leinentuch hüllen. Ganz gedanken los hob er den toten Körper auf die Bahre und trug ihn mit zum Obduktionshaus.
Erst nachdem der hinzugerufene Polizeiunteroffizier die Tür des Leichenhauses verschlossen, in dem sein toter Freund niedergelegt war, und er, mit dem Unteroffizier allein, das Knarren des Schlosses hörte, fam er wieder zum vollen Be wußtsein.
ft Ihnen übel?" fragte ihn der Unteroffizier, wie er ihn allein noch vor der Tür stehen sah.
,, Nein, nein!" antwortete Bolter. ,, Na, bleiben Sie noch ein wenig hier im Garten in der frischen Luft. Das wird Ihnen wohltun." Nun war Volter allein.
Müden Schritts ging er zur nächsten Bank und ließ sich nieder. Er spürte nichts von dem falten Wintertag. Sein