Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Hin und wieder sahen sie nach des Kranken Geficht oder fühlten seinen Puls. Volter dachte an diesem Schmerzenslager an ein anderes. Das marternde Sitzen an dtin Krankenbette seines besten Kameraden, dem er mit nichts helfen konnte, der in den letzten Tagen vor seinem Tode langsam dahin schwand. SSie qualvoll alle diese Stunden! Mit welchem Weh im Herzen sah er den Fre ud scheide:' Bornemann war nicht in solche traurigen Betrachtungen versunken. Der Anblick eines Sterbebettes poftfe nicht zu seinem sonst harmlos-heiteren Wesen. Es war mehr Neu- gier, mit der er den Krauken betrachtete. Er war nicht ohne Mitgefühl, aber ein trauriges Ereignis war bei ihm bald wieder vergessen. Volter, jetzt hat er sich bewegt!" Aufmerksam blickten sie dem Kranken ins Gesicht. Wie aus einem schrecklichen Traum erwacht, schlug dieser die Augen auf. Sein Schmerz mutzte ihn aus seiner Be- täubung geweckt haben, denn seine Züge verzogen sich zu einem schmerzvollen Ausdruck. Leise fing er an zu wimmern. Entsetzlich schmerzte ihn die Wunde. Bornemann und Volter hörten seine Zähne knirschen und sahen, wie er die Lippen zusammenpreßte und seine Augen schloß. Fest ballte er die Hände. Hilfsbereit waren Voller und Bornemann aufgesprungen «nd stellten sich links und rechts vom Bett auf, gewärtig, ihn zu halten und eine Bewegung seines Rumpfes zu verhindern. Einige Minuten lag der Kranke mit verzogenem Geficht und verhaltenen Schmerzen da. Langsam glätteten sich, mit dem Schwinden des vorübergehenden Anfalls, seine Züge und groß öffnete er die Augenlider. Wie gläsern blickten die Augen zur Decke. Regungslos standen die beiden Schüler lange Zeit am Bett und beobachteten den Todkranken. lFortsetzung folgt.) Sin Sbrenbanäel. Bon Dlasco Iba ö ez-Madrid Autorisierte lkberfetzunz von Mascha Eckmann. Als Viseniico, der Sohn der Serafina. aus Kuba zurückkehrte. geriet die ganze Straße in Aufregung. Um ihn und seine mit echtem Havannataoak gefüllte Zigarrentasche drängte sich die gol- dene Jugend des Stadtviertels, stets bereit, sich Zigaretten zu drehen und zum Dank mit erstaunlicher Gläubigkeit haarsträubende Geschichten anzuhören. In Motonza hatte ich ein Mulattcnmädcl, die wollte mich auf der Stelle heiraten. Sie besaß Millionen, aber ich mochte sie nicht. Hatte zu viel Heimweh nach meinem Städtchen." Das war nun allerdings eine derbe Lüge. Sechs Jahre lang war er fort von Valencia , und trotz seines viel gerühmten und be- seufzten Heimwehs behauptete er, den heimischen Dialekt ganz und gar vcrgrffen zu haben. Er hatte seine gesunde Zunge anscheinend in Kuba gelassen und führte nun statt ihrer ein rätselhaftes In- strument im Munde, durch welches seine Wort: den süßlichen Klang einer melancholischen Flöte bekam» n. Durch feine Sprache und Erzählungen seiner geträumten Großtaten wurde Visentico der König der Straße, das Gesprächs- thema des Stadtviertels. Seine rot gestreifte Leinwandjacke, die fesche Soldatenmütze, das vergoldete Bandelier, von dem der Ur- lauberstock herabhing, die verbrannte Saut und das spitze Schnurr- Kärtchen, alles das gewann ihm die Herzen aller jungen Leute, die neidlos seinen Ruhm ausposaunten. Und Mutter Serafina war stolz auf diesen Sohn, der sieMama" nannte. Sie übernahm e-'f zur Steigerung seiner Popularität den Nachbarinnen von den Unzen Goldes' zu berichten, die er von drüben mitgebracht habe, und die guten Leute beeilten sich, der reichlich vergrößerten Summe noch einige Nullen anzuhängen. Da war eS nicht verwunderlich, daß ein Mann mit so reichen Vorzügen und dem Ruf mystischer Nbenteuer, der hübschen Bepeta>en Kopf verorehte. Pepeta verkaufte morgens Früchte auf dem Markt. Das war ihre einzige Beschäftigung. Den übrigen Teil des Tages»er. brachte sie, hübsch aufgeputzt in der Tür ihres Hauses, und zankte mit den Nachbarinnen und sorgte für die nötige Aufregung der «traße durch zeitweilige Ausbrüche eines ungczähmten Dirnen- temperamentes. Man fand die stets intimer werdenden Beziehungen von Pepeta und Visentico natürlich und gerechtfertigt. Sie waren das distin- gniertefte Paar des Vier'els. Außerdem munkelte man, daß schon vor seiner Kriegsfahrt nach Kuba etwas zwischen ihnen im Gange gewesen sei. Bedenkliches Kopfzerbrechen machte den guten Leuten nur, was wohl Mcnut dazu sagen würde, Menut, ein schwächlicher, lasterhafter Bursche, der im Schlachthof Fleisch verteilte. Ein Sckurke mit heimtückischem Blick und Locken hinter den Ohren, schleichend wie das böse Gewissen, von dem man erzählte, daß er bei guten Gelegenheiten ganze Lämmer um die Ecke gebracht habe. Sicherlich, die Pepeta war besessenewescn. Wie hätte sie sonst zwei Jahre lang die Eisersucht, die tyrannischen Forderungen dieses kleinen Wüterichs ertragen, sie, das starke Mädel, fähig, mit einem einzigen Schlag ihrer Hand ihm das Gesicht zu zerschlagen. Und jetzt würde also etwas geschehen. Na, und ob etwas ge» schehen würde! Das lasen die Nachbarn dem Menut an der Stirne ab, der wie ein verlassener Hund tagsüber durch die Straße irrte. Er verteilte nicht mehr Fleisch an die Schlächter der Stadt. Vergaß seinen schmutzigen Karren, und. noch tierischer durch den erlittenen Schlag, wußte er nichts Besseres zu tun. als im Cafe Parchaburta sich zu betrinken und dann hinter Pepeta herzulaufen, bescheiden, feig, mit Blicken sprechend, da seine Zunge schwieg. Das Mädel aber war unzugänglich, endgültig ernüchtert. Wo hatte sie nur ihre Augen gehabt? Jetzt schien es ihr unmöglich, daß sie jemals diesen brutalen, sihu,utzigen, trunkenen Menschen geliebt haben sollte. Welch ein Abgrund zwischen Visentico und ihm! Visentico mit seiner Würde wie ein General! Visentico, der so gewählt' zu parlieren wußte, der Liedchen sang und den Tango" tanzte wie ein Gott, der eine Mulattin mit vielen Mil- lionen hätte befitzen können, wenn ihn nicht die Heimaterde so ge» fesselt hätte! Sie war höchst entrüstet, daß dieser Straßenjunge sich einbildete, daß das noch bestehen könnte, was dock nur eine Laune von ihr gewesen war, mitleidige Herablassung. Kurz, sie tat, als höre und sähe sie nichts, und seit der Zeit gab es in der Straße eine Seele in Röten, und das war Menut. In den Sommernächten, wenn die Hitze die Menschen hinaus auf die Straße trieb und sich Kreise um die kleinen Tische bil- beten, auf denen das Abendessen verzehrt wurde, dann sah. man den eifersüchtigen Kleinen sich schön in den Schatten drücken, geheim» nisvoll und schicksalsschwer, wie der Verräter im Melodrama. Welche Nächte! Pcpetas junge Liebe hatte die Straße zum Sckauplatz und als Publikum jene Kreise, inmitten derer das Akkordeon tönte, und die sie als Königin feierten. An ihrer Seite fehlte nie ihre Mutter, eine unbedeutende Alte, die den Mund nie austat, ohne von ihrer Tochter einen Verweis zu erhalten. Die Straße, ausgedörrt von des Tages Hitze, atmete auf in der ersten Kühlung der Nacht. Die Laternen, deren unbewegte Gasflammen wie mit Ocker an die Wand gemalt erschienen, ließen alles in einem erfrischenden Halbdunkel. AuS den Haustüren leuchteten als weiße Flecke die Hemdärmel der Leute, von den Ballonen tönte rhyth- misch das Geriesel begossener Pflanzen. Darüber ein dunkler und doch wie durchsichtiger Himmel, von dem«in weickes Licht herab- floß auf die Erde, die, wie neubelebt durch den kühlfeuchten Hauch tief aufzuatmen schien in neuem Leben. Aus allen Türen tönte das melanckolische Akkordeon, träume- risches Guitarrezupfen. auch tönender Chorgesang. Aus dunklen Ecken drang von Zeit zu Zeit lauter Kampfeslärm feindlicher Hunde, bis ein Nachbar die Streitenden durch Fußtritte verjagte. Ueberall wurden Unmengen von Wassermelonen vertilgt, und im milden Stumpfsinn der Verdauung verwandelten sich die Töne des Akkordeons in Engelschöre. In diesen Stunden allgemeiner Fröhlichkeit, inmitten der Straße, geschmeichelt durch die Aufmerksamkeit der Nachbarn, schä- kcrten Pepeta und ihr Urlauber. Er flüsterte ihr mit öliger Stimme süße Dinge ins Ohr. Sie jedoch markierte in ihrer Hal» tung Ernst und feierliche Abwehr und kniff die Lippen zusammen. als sei sie in ihrer Keuschheit beleidigt. Es war uämlick ihre An» ficht, daß ein Mädchen, das auf sich hielt, stets dem Bräutigam eine ernste Miene zeigen müsse. Denn die Männer sind so eingebildet. and wenn man sie merken läßt, daß man nicht kalt bleibt o jek Währenddessen saß die ame Seele in Nöten in der Tür des kleinen Cafes, die Gurgel schier verbrannt durch den Branntwein und das Herz verbrannt durck die Liebe, und hörte in seiner Nähe die Witze schadenfroher Freunde und in der Ferne die Gesänge des Kreises der Pepeta. Und der frische Wind, der die Gardine in der Tür des Cafes leise blähte, trug getreulich alle Geräuslb« der Straße in den dumpfen Raum, über dem ein dichter Dunst von Gas und schlechten Spirituosen lagerte. Eben sang der Chor in Pepetas Haus:Komm mit mir und fürchte dich nicht..." Er glaubte die Stimme des Mädchens zu unterscheiden, kalt und schnei- dcnd wie stets, und dann die andere, die des Kubaners, der das Komm mit mir" mit so zärtlichen Tönen flötete, daß eS dem Menut wie mit Messern die Brust durchdrang. Heilige Mutter Maria! Noch in dieser Nacht mußten Flammen sprühen in der Straße! Und er stürzte aus dem Cafe, unbeachtet von den übrigen Gästen, die an derartige Ausbrüche sckvn gewöhnt waren. Jetzt war er nicht mehr die Seele in Nöten, jetzt ging er kalt entschlossen auf sein Ziel los, auf diesen vcr- dämmten Kreis von Menschen, der ihn manche lange Nacht zur Raserei gebracht hatte. He, sieh da, der Kubaner, Du Schurke!" Eine allgemeine Bewegung des Schreckens, de? Staunens. Die Drehorgel schwieg, der Chor verstummte, Pepeta hob stolz den Kopf. Was wollte denn der Strolch? Hier gab es doch keine Hammel zu stehlen? Aber seine Frechheiten sollten ihm nichts nützen! Der Urlauber erhob sich behäbig und zog mit einer bramarbasierenden Geste seine Jacke herunter.