Hlnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 241. Sonnabend den 11 Dezember 1909 IVZ �obelvolk. (Nachdruck vcrbote�l Eine Dorfgeschichte von V a u l I l g. Sie zog ihn geradezu mit sich fort. Kaum kannte er sie mehr, denn ausgelassen und selbstgewiß wie jetzt war sie noch nie gewesen! Gleich großartigen Käufern schritten sie dem belebten, wimmelnden Weihnachtsmarkt zu, sahen sich tausend wünschenswerte Dinge an, und jedes bedachte im stillen, womit es das andere zum Fest überraschen könnte. Der Marktplatz war voll von altersgrauen Bretterbuden. Gott , was gab es da für Ueberfluß! All das Spielzeug, die Berge von Honig- und Lebkuchen, der glänzende Flitterkram für die Christ- bäume— zuchel�fiir Augen und Ohren. Besonders hatte es Heinrich ein Filzjchuhstand angetan. Die vielen Bataillone stehender, hängender, aufgeschichteter— außen schwarzer, innen weißer— Studierpantoffeln nahmen ihn völlig ge- fangen. „Gott sei Dank, jetzt endlich weiß ich, was mir noch gefehlt hat zur Vollkommenheit!" sagte er zu seiner Be- gleiterin.„Da bin ich nun so alt geworden, und oft, wenn ich in meiner Stube grübelnd auf und ab ging, da vermißte ich sozusagen den letzten intimsten Reiz des Behagens und konnte nie darauf kommen, was es eigentlich sei. lind denke Dir, nun sind es ganz einfach solche Filzpantoffeln!" „O Du dummer Gimpel!" Sie mußte weidlich lachen. „Dann will aber ich Dir ein Paar schenken, damit das Be- Hagen desto größer ist!" Gleich hatte sie die Schuhe bei der Hand. Er mußte wie ein zu beschlagendes Pferd den Auß aufheben, und Elsbeth nahm das Maß von der Sohle. Als sie jedoch dem„armen Verkäufer" so recht hartnäckig einen halben Franken vom Preis abhandelte, lehnte sich Heinrich gegen solche Blutsaugern auf und wurde dafür mit Schimpf und Schande in die Flucht geschlagen. Dann kamen sie an einen Seidenstand. Elsbeth entwickelte alsbald ein Interesse und eine Sachkenntnis, daß ihm vor heidenmäßigem Respekt eine große Spinne den Rücken hinauflief. Wo nahm das Mädchen bloß diesen energischen Haussrauengeist her, der dem doppelten und dreifachen Alter noch Ehre gemacht hätte? Sie wühlte alles durcheinander, vertröstete den Mann auf bessere Gelegenheit, ohne einen Faden zu kaufen, und trotzdem machte ihr der Händler die ergebenste Verbeugung. Es tat Heinrich wohl bis in die Zehenspitzen. An der nächsten Bude revanchierte er sich. Ein dick ein- gemum meltes typisches Marktweib mit erfrorenen Händen und Backen, das beständig von einem Fuß auf den andern trat, hatte da Süßigkeiten feil. „Echte Basler Leckerle, Appenzeller Bibersladen, Pfeffer- nüsse!" plärrte die Dicke lieblos, wie wenn es Kohlköpfe wären. „So nun kommt die Reihe an Sie, gute Frau?" sagte der feine, junge Herr wichtig.„Lassen Sie sehen, was da Gutes zu haben ist!" Die Händlerin geriet in zappelnde Beflissenheit, nannte Qualitäten und Preise, betupfte dazu jeden Gegenstand mit den appetitlichen Fingern und war übrigens sicher, diesmal einen schönen Batzen einzuheimsen. Man kgnnte diese an- gehenden Hochzeitspärchen? Nach langem Mäkeln und Lungern nahm er ein winzig kleines Lebkuchenherz mit rotem Zuckerguß, steckte es in Els- beths Tasche und fragte die Frau mit der unschuldigsten Miene von der Welt, was er zu bezahlen habe. „Gott behüte! Das wird doch nicht etwa alles sein?" meinte diese, verdutzt über solch eine Unverfrorenheit, wäh- rend Elsbeth sich vor verhaltenen! Lachen hinter den Muff verstecken mußte. „Hier ist ein Franken dafür!" sagte Heinrich gelassen und verließ den Stand. Es war gut der zehnfache Preis. Und die Wirkung wie gewünscht! Elsbeth hörte sofort auf zu lachen, puffte ihn empört in die Seite und begann, ihm auf französisch den Text zu lesen. „Du bist nicht recht gescheit! Das kostet ja höchstens zebn Rappen. Was machst Du denn für dumme Witze? Es ist ja schad ums Geld!" „Das kommt bloß von Deinen Knausereien. Die muß ich wieder gutmachen— auf die Art. Vielleicht treib' ich Dir das gräßliche Markten, das ich nicht leiden kann, bei- zeiten aus!" O weh, machte sie da giftige Augen an ihn heran! „Seht mir doch den großen Herrn! Wohl, Du mußt es ja recht leicht verdienen. Dein Geld, daß Du so närrisch da- mit umgehst. Pfui, nein, mit so einem nichtsnutzigen Ver- fchwender fange ich überhaupt keinen Hausstand an!" schalt sie halb im Ernst, halb im Scherz. Sie hatte nun einen so köstlich überlegenen, vormundschaftlichen Ton gegen ihn an- genommen, daß er am liebsten immer nur dumme Streiche ersonnen, ihren Zorn herausgefordert hätte. Auch vor dem Christbaumwald blieben sie eine Weile andächtig stehen. Heinrich wurde schier ein wenig traurig gestimmt, als sie erzählte, daß bei ihr daheim noch jede Weih- nachten ein Baum brenne wie zu Kindszeiten.„Ach, wenn wir doch wenigstens Weihnachten übers Jahr zusammen feiern könnten?" seufzte er leise, worauf auch Elsbeth in me- lancholische Gedanken versank. Ach ja, ja,— es sah halt noch gar nicht so recht danach aus! Ihrer Liebe mußten noch starke Flügel wachsen, um über alle die trennende Zeit, die großen Hindernisse hmwegzutragen. Auf den Beistand der Eltern durfte sie nicht zählen. Und Heinrich, ohne deren Segen, in die entsetzliche Lebensungewißheit folgen—? Der bloße Gedanke daran machte sie frieren! „Weißt Du was?" sagte sie dann plötzlich sehr ernst. Er sah, daß sie selbst erschrak vor dem, was sie offenbaren wollte. Eine Weile blickte sie mit ungewissen, suchenden Augen zu Boden. „Ja, so sag' doch— woran denkst Du? Heraus mit der Sprache!" Ihm sagte eine gute Ahnung, daß er ihr Mut machen mußte. Doch da faßte sie schon wieder seinen Arm, schmiegte sich dicht an ihn heran und erklärte mit einer Entschiedenheit, die Berge versetzen konnte:„Wir gehen jetzt ganz einfach zusammen zur Tante Gritta und stellen uns als Verlobte vor. Hast Du Lust? Ich muß jemand haben, der's weiß. Und außerdem kann uns die noch einmal gute Dienste leisten. Umsonst ist sie nicht des Vaters Schwester! Wenn Du ihr nur ein bißchen gefällst, steht sie zu wns wie ein Soldat." Er hätte nie gewagt, diesen Vorschlag zu machen. Immer ging sie voran, tatkräftiger, ehrgeiziger als er für's gemein- faine Glück. Beschämt, innig erfreut drückte er ihren Arm an seine Brust:„Daß Du so tapfer sein könntest, hätte ich nie; nie geglaubt. Du bist ja heute tollkühn wie ein Kosak." „Aber das sage ich Dir gleich!" unterbrach sie ihn, wieder stehenbleibend,„Du mußt denn nicht etwa mich allein reden lassen. Je mehr Du auftrumpfst und tust, als wenn Du nur die Hand auszustrecken brauchtest, desto besser für uns!" Wahrhaftig, er mußte sich beständig an die Stirn fassen. ob denn diese fleisch- und blutgewordene Kriegserklärung. dieses Lauffeuer an seiner Seite noch die geringste Aehnlich- keit hatte niit jener sanften Elsbeth Stadler, die er vor zwei Monaten zum erstenmal ans Herz drücken durfte. „So hat mir denn das goldene Kreuz doch zum Segen geleuchtet!" fiel ihm wieder ein. Erfaßt von ihrer mutigen Stimmung, versprach er seinem Mädchen, jetzt und künftig wie ein Mann für sie zu kämpfen. Als sie aber so bräutlich verschlungen vor dem inr Villen- quartier gelegenen Haus ankamen, an dessen Pforte ge- schrieben stand: Oberst Hardmayer— mußte er doch alle Kraft zusammennehmen. Rem, gar so leicht wars nicht, die Hand auszustrecken nach den begehrtesten Gütern und sich auf gleichen Fuß zu stellen mit den wurzelstarkeu, altehrwürdigen Familien! Wenn man zeitlebens zum Tobelvolk gehört hatte! Etwas von jener Erdenschwere und sklavischen Ehrfurcht des Armenguartiers blieb immer hängen an dem, der nicht die Frechheit zum Gevatter hatte.-- Vollgestopft mit Verlob ungskuchen, ausgerüstet mit dem Segen und hundert guten Ratschlägen der resoluten Tante, den Rücken gehörig gestärkt, wanderten die zwei am Abend seelenvergtiügt dem Bahnhof zu. Sie hatten den gewohnten Heiinkchrzug versäumt: es war halb acht. Und vom Moment an, da Heinrich dies bemerkte, ergriff ihn eine fröstelnde
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26 (11.12.1909) 241
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