Ausschweifungen sie zerstörten! Lieber blindlings hindurch, als seufzend vorüber. Einer hatte es offen ausgesprochen: «Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren, Was nicht genügte, liest ich fahren, Was mir entwischte, liest ich ziehn«»* lFortsetzung folgt.) Die ewigen Hrbeiter* Eine soziale Wanderung von Kurt Eisner . I. Die Tragödie der großen Masse, der namenlos Vorübergehen- den, Vorübergewehten, lebt und vollendet sich in der toten Ware, die allen Glanz dieses Daseins ermöglicht. Die blutige Runen- schrist der Waren entziffern, heißt die Bedingungen unseres gesell- schaftlichen Daseins erkennen. Geronnene Tränen, geschliffene Seufzer, verwebte Lungen, zerhämmertes Hirn, das sind die ge- sellschaftlichen Urelemente, die sich unsichtbar mit den natürlichen Stoffen und der kunstfertigen menschlichen Weisheit verbinden. Und je Heller die Ware schimmert, desto dunkler ist die Höhle, in der sie geboren ward. Gäbe es ein Gesetz, das den Käufer ver- pflichtet, jeder Ware einen Ursprungszettel beizugeben, in der die soziale Zeugungsgcschichte des Gegenstandes wahrheitsgetreu ver- zeichnet ist, die verhärtete Menschheit würde diese Urkunde nicht er- tragen. Der grausamste Spiegel aber menschlicher Not, die zur Ware wird, ist der Spiegel. Wenn er sich selbst bespiegeln könnte, wenn er wiedergäbe, nicht was vor ihm steht und das Echo seiner Eitel- keit zu hören begehrt, sondern wenn in ihm das Bild, die Bilder seiner Entstehung sichtbar würden, das hellste Kristallglas würde in grauenhaften Blutflecken erblinden. Eine Leidcnsstation des Spiegels hat vor Jahren Bruno Schönlank der entletzten Ocffent- lichkcit geschildert: die menschcnfressenden Quecksilberbeleg-Anstal- ten in Fürth . Aber das ist nur eine Station. Von Anbeginn bis zu Ende, von der Herstellung des ersten Rohprodukts bis zur letzten Veredelung wandert der Spiegel in wirren Kreuz- und Querzügen von Not zu Not. Alle Sinnlosigkeit und alle Qual der kapitalistischen Verfassung häufen sich in diesem schimmernden GlaS, das dann den Selbstgenuß der Schönheit zeugt. Von Feuer zum Wasser und vom Waffer zum Feuer wandert das Produkt, und indem in ihm die Spuren der Unzulänglichkeit des Stoffes bis zum letzten Rest getilgt werden, schleppt es rastlos häufend mit sich die Male gemarterten und zerbrochenen Menschentums. In der Obcrpfalz am bayerischen Wald, fernab von den grohen Heerstraßen, beginnt das Leben des Spiegels. In der Höllenglut der Glashütten opfern Menschen ihre Lungen, um das rohe Spiegelglas zu blasen. Zwar lieft man wohl im Konversations- lexikon, daß die schon 1688 erfundene Glasgiesterei das Blasen der Spiegelscheiben vollständig verdrängt habe, aber die Lungen von Menschen sind immer noch die billigsten Maschinen und so wird in der Oberpfalz das Spiegelglas eben immer noch geblasen. Die glühende Masse, die der Glasmacher durch die Pfeife hin- und herschwingend mit dem Munde aufbläst, wiegt bis zu 80 Psund und die Fertigkeit, die er anwenden muß, um den Hals der Riesenflasche abzusprengen, die so entstehende Röhre zu spalten und sie dann in Flammen flach zu walzen, ist für den Zuschauer unfaßbar. Dan» wandert das rohe Glas in die Schleif - und Policranstalten, die die Flusttäler des bayerischen Waldes be- siedeln. Das Elendskind des rauhen Waldes kommt dann in die rauchige Stickluft von Fürth . Auch hier wandert das Glas noch durch manche Hände, bis die Veredelung vollendet ist. Unablässig rinnt das Wasser über die Hände des Arbeiters, der in den Polier- und Facetticranstalten die Kanten anschleift, die Hände schwellen auf wie Leichenhände, aber der Arbeiter achtet des nicht; mit ge- spanntem Körper und starrem Blick, unermüdlich zwingt er dem spröden Glas die Facetten ab. Drüben, ein paar Straßen weiter, hat wieder daS Feuer die Herrschaft, hier erhält der Spiegel seine Seele, den Metallbelag. Seit Schönlanks Schrift sind die Fa- briken, die Quecksilber benutzen, bis auf zwei ausgestorben. Das Gewissen hat sich seitdem beruhigt. Aber eS ist trotzdem kaum viel besser geworden, denn nun müssen Arbeiterinnen in lähmender dumpfer Hitze, in Sommer und Winter überwärmten Räumen. die Luft voll ätzender Dämpfe, 12 Stunden lang die Silberlösung auf das Glas bringen. Kein Luftzug ist zulässig, denn er würde schwarze Flecken in den Ganz wehen. Mädchen von 16 Jahren verlieren in dieser Temperatur von 85 Grad und mehr schnell ihre Jugend, und Greisinnen mit 66 Jahren, den verrunzelten Körper notdürftig bekleidet, mühen sich gleichmütig, stumpf und längst hoffnungslos geworden über derselben Arbeit, in der sich schon ihr Tod spiegelt. Ich war in einer der bcsteingerichteten dieser Fürther Spicgelanstalten; die kurze Zeit meines Aufent- Haltes genügte, um mich für ein paar Tage meiner Stimm- mittel zu berauben... Nun aber folgt auch die Tragödie, das freche Sarirspiel. In der Veredelung des Glases gehen all die fleißigen Arbeiter zugrunde. Wenn aber der Spiegel fertig ist, wenn gar nichts mehr an ihm gearbeitet wird, dann veredeln sich plötzlich die Menschen, die mit ihm zu tun haben. Der Spiegel , der mit dem Hunger genährt wurde, solange an ihm gearbeitet wurde« beginnt auf einmal Gold zu hecken, nachdem die Arbeit abgeschlossen ist. Die Menschen werden Millionäre, Kommerzienräte, geheime Kommerzicnräte, sogar Wohltäter der Menschheit, stiften patrio- tische Denkmäler und fühlen sich als Herren der Welt. In der Tat: der Spiegel ist die Ansammlung aller denkbaren kapitalistischen Monstrositäten. Die längsten Arbeitszeiten kuppeln sich mit den niedrigsten Löhnen. Der Raubbau der Akkordarbeit wuchert auf allen Leidensstationen seiner Herstellung. Die Ar- beitsteilung, die den Menschen zur Maschine macht, ist bis in die feinsten Verästelungen durchgeführt. Ein vielfaches, kompli« ziertes tückisches Zwischenmeistersystem, das einzelne Leute be- reichert, drückt schwer auf die Löhne der Arbeit. Die Arbeit selbst wird hin und her geworfen zwischen toller Ueberarbeit und un- freiwilligem Feiern: wenn die Bäche zu viel oder zu wenig Wasser haben oder wenn auf dem Markt Krise herrscht. Auf dem ganzen Wege wird nirgends unter gesunden, nicht einmal unter erträg- lichcn Verhältnissen gearbeitet. Uebergroße Hitze wechselt mit verheerender Kälte und Nässe. Beizender Staub, quälende Dämpfe. verfaulte Luft verbreiten Krankheiten. Nirgends Schutz gegen ge- fährliche Unfälle. Schon die früheste Jugend wird in diesem Mal- ström verwüstender Arbeit hineingerisscn, die Frauen werden noch schlimmer und schneller zerstört als die Männer und selbst die ver- botenc Kinderarbeit blüht insgeheim und unausrottbar noch fort. Der aber, der endlich diese ungeheure Ernte des Todes in Geld ummünzt, leistet nicht einmal die organisatorische Arbeit des Unternehmertums. Es ist der Exporteur, der Händler, der die Saat mäht. Er leistet nicht nur gar nichts zur Herstellung des Produkt?, er ist sogar befreit von aller kapitalistischen Veram- w.ortung und jedem finanziellen Risiko. Diese Unternchmerintellt- genz besteht darin, daß sie ohne jede eigene Leistung den höchsten Ge- winn erzielt. Während die Arbeiter durch eine feindselige gemeinsame Haftpflicht aneinandergekettet sind, während sie— und zum Teil auch die kleinen Zwischcnmeister oder Zwischenfabrikanten— die ganze Verantwortung auch für die möglichst große Produktivität der Arbeit aus sich nehmen, während einer den anderen in seiner Arbeit kontrolliert, weil nicht nur mißratene Ware von dem Ar- beiter ersetzt werden muß, sondern weil auch jede Pfuscherei eines Gliedes in der Kette alle in der Teilarbeit folgende Glieder in ihrer Leistungs- und Verdienstfühigkeit vermindert— bedarf der Kaufmann, der am Schluß erntet, was die anderen gesät haben. nur eines Hauptbuches und eines Geldschranks. Gerade in diesem System, wo nicht der Arbeiter und auch nicht der Fabrikant, son- dern der Exporteur der Ausbeuter ist, entblößt sich sinnfällig und unentschuldbar der Aberwitz einer Gesellschaftsordnung, in der zu- gründe geht, wer die Güter der Gesellschaft mit seinem ganzen Leben verantwortet, wo gebietet und emporsteigt, wer verant- wortungSlos nur die Arbeit der anderen rafft. Von einer Station nun des Spiegelmartyriums möchte ich einiges erzählen, von Zuständen, wie man sie in Deutschland nicht für möglich halten sollte, und die radikal zu ändern eine unauf- schicbbare Aufgabe der Gesetzgebung ist. Ich will von den„ewigen Arbeitern" in den Schleif - und Polierwerken des bayerischen Waldes reden, den„ewigen Arbeitern", wie sie sprichwörtlich ge- nannt werden, weil sie in Wahrheit niemals zur Ruhe kommen. solange sie arbeitsfähig sind, das heißt zumeist: bis sie das Grab umsängt._ JMciic GrzablungsUtcratur. Bruno Wille : D i e Abendburg.(Eugen DiedenchS Verlag, Jena .) Chronika eine-Z Goldsuchers in zwölf Abenteuern nennt sich dieser Roman, der zum Jubiläum des„Universums" vom Verlag Philipp Rcclam mit dem stattlichen Preis von 30 000 M. gekrönt wurde. Preisgekrönte Dramen und Romane haben uns icho» oft eine rechte Ernüchterung bereitet. Hier darf man sich aber einmal aus ganzem Herzen freuen, denn ein deutsches Buch im allerbesten Sinne führt den Leser wieder einmal in das roman- tische Land, darinnen die geheimnisvollen Märchen, die bunien Rätsel blühen. Wer am Acußeren klebt, wird den Roinan unter die historischen reihen, denn die Ereignisse des dreißigjährigen Kriegs umweben die Begebenheiten, der Untergang der Watlensteiner. Magdeburgs Zerstörung gibt den dunklen Hintergrund zur frei erfundenen Fabel. Doch es ist keine mühsam zitierte Hiftoria. Bruno Wille zeigte in keinen früheren Bücher» Vorliebe fürs Didaktische und Lust zu spintisieren. Nun hat er die Lust zu fabulieren gefunden und sich zu künstlerischer Gestaltung frei gemacht. Von der Magie deS Goldes handeln die Kapitel, die im alten, glücklich beherrschten Chronilstil seltsam lebendige Geschehnisse berichte». MartinuS Tilesius erzählt seine Geschichte, wie er ausging, um den Goldschatz zu heben, der in der Abendbnrg verborgen liegen soll. Die Abendburg ist ein Gebilde von steinernem Geröll, Sonntagskinder sehen in ihm die Märchenburg mit glänzenden Lichiern und goldenen Sälen, umspielt vom Sagenzauber deS sch lesischen Riesen» gebirges. Tilefins gewinnt den Schatz, allein wie er das Gold in Glück umsetzen will, wird ihm die Ohnmacht des gleißenden Hortes offenbar. Den Menschen seiner Heimat möchte er Erlösung bringen, doch Enttäuschungen nur muß er erleben. Das Gold ver- mag kein Wunder zu vollbringen, daß den Leidenden, Glücks-
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26 (21.12.1909) 247
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