oder Familieniraditionen durch ein Familienmitglied gilt als Ver-letzung der Ehre der verstorbenen Familienmitglieder und bringtder ganzen Familie Unheil; Verletzung der ständischen Moralbringt dem ganzen Stande Unheil. Verletzung der nationalen Ehr-begriffe dem ganzen Volke. Daher die Ueberwachung jedes einzel-nen durch die Familie, den Stand und den Staat, und umgekehrtdie Ueberwachung der Verwaltungsorgane durch die ganze Bevölke-rung. Eben diese uralte Anschauung hat es zum Teil erleichtert,die neuen Zustände ohne große innere Erschütterungen einzuführen.Die verfassungsmäßige Staatsordnung ist durch die wirtschaftlicheEntWickelung ins Leben gerufen worden, aber so leicht konnte siedoch nur eingeführt werden, weil sie keine Verletzung der nationalenGeister darstellt: eine Volksvertretung entspricht im Gegenteil denältesten Traditionen des Volkes und kann als besondere Ehrungder ältesten nationalen Geister betrachtet werden.Wie schon oben bemerkt, haben die Japaner manches fremdenReligionen entnommen. Ein Teil der Bevölkerung hat sichsogar zu fremden Religionen bekehrt, namentlich zum B u d d h i s-m u s. Aber der Seelenkultus blieb dabei aufrechterhalten, Kon-Zessionen wurden von beiden Seiten gemacht. Der Buddhismuserkannte die japanischen nationalen Geister als Verkörperung desBuddha, das Fortleben der Seelen in der japanischen Auffassungals einen Teil der buddhistischen Lehre von der Seelenwanderungan. Die Japaner, die sich zum Buddhismus bekehrt haben, habendie philosophische Begründung der ganzen Lehre, insbesondere derSeelenwanderung übernommen. Sie besuchen buddhistische Tempelund Kirchen, zu Hause aber besitzt jede buddhistisch-japanischeFamilie neben den Abbildungen von von verschiedenen Verkörpe-rungen Buddhas auch große Papierrollen, auf denen die Namender verstorbenen Ahnen aufgeschrieben sind, und kleine Täfelchen,von denen jedes den Namen eines jüngst verstorbenen Familienangehörigen trägt. Diese Papierrollen und Täselchen werdenviel öfter als die Buddhaabbildungen geehrt.Seinen Erfolg in Japan hat der Buddhismus seiner An-Passungsfähigkeit zu verdanken.") Keine großen Erfolge hat da-gegen das Christentum in Japan zu verzeichnen, trotzdem eSdort seit Mitte des 16. Jahrhunderts eifrig durch Missionare ver-breitet wird. Es wäre auch nicht leicht, das Christentum, das„dieToten den Toten zu überlassen" empfiehlt, in Zusammenhang mitder shintoistischen Verehrung der Toten zu bringen. Es existierenallerdings kleine römisch-katholische und griechisch-katholische japa-nische Gemeinden(letztere sind von russischen Misstonaren gegründet), aber auch diese sind in der letzten Zeit bestrebt, sich vonden entsprechenden europaischen Kirchen loszureißen und deySeelenkultus auch im Christentum einzuführen. Wie berichtetwird, soll der von der römischen wie griechischen Kirche gepflegteHeiligenkultus als Vermittclungsband zwischen Christentum undShintoismus dienen.III.Der Seelenkultus spielt auch heute noch eine große Rolle selbstIn den europäisch gebildeten Kreisen der japanischen Gesellschaft.„Kein junger Student, der nach Europa zu seiner Fortbildung geht,kein Soldat oder Offizier, der sich für einen Feldzug vorbereitet,kein Beamter, der nach dem Auslande eine Dienstreise machenmuß, kein Kaufmann, der im Begriff ist, eine weitere geschäftlicheReise zu unternehmen— keiner wird es unterlassen, vor der Ab-reise den Friedhof seiner Familie zu besuchen, um von den ge-storbenen Verwandten Abschied zu nehmen und ihren Segen zuerbitten"— berichtet ein Beobachter des modernen japanischenLebens. Derselbe Gewährsmann(M. Azbelcw, Im Lande derSieger) teilt folgende, einem japanischen Schriftsteller entnommeneErzählung aus der Zeit des japanisch-chinejischen Krieges mit. Nachder siegreichen Beendigung des Krieges erbat sich eine zur Rückkehrnach Japan bestimmte Abteilung die Erlaubnis, von den gefallenenKameraden Abschied zu nehmen. Alle verabschiedeten sich von denToten in den wärmsten Ausdrücken. Besonders lenkte ein jungerSoldat die Aufmerksamkeit auf sich durch eine von Tränen mehr-mals unterbrochene Rede:„Mein Freund, Kuto! Ich kehre in dieHeimat zurück. Schulter an Schulter unter Regen und Wind,unter einem Hagel von Kugeln haben wir beide gekämpft. Dubist gefallen, ich lebe.... Ich habe das Gefühl, als ob ich Dirgegenüber eine Schuld begehe.... Mir tut es so leid, mir tutes so weh, Dich hier zurücklassen zu müssen. Jedoch sei nicht bc-sorgt: diese Halbinsel gehört jetzt uns. Hörst Du mich?... Dubleibst in keinem fremden Lande. Ich muß fort.... Lebe wohl!"Auch nach dem rusfisch-japanischen Kriege hat der AdmiralTogo eine feierliche Rede an die gefallenen Mitkämpfer gehalten,in der er ihnen für ihre Tapferkeit und Pflichttreue dankte.„IhreTapferkeit, ihre Vaterlandsliebe," führte er zum Schluß aus,„wirdimmer in unserer Flotte fortleben, wird immer Begeisterung inder Verteidigung des kaiserlichen Landes hervorrufen. Ich habe dieheutige Feier veranstaltet, um Eure Seelen zu ehren. Denn siefind aller höchsten Ehrungen würdig. Indem ich mich von Euch ver-abschiede, bitte ich Euch, unsere Geschenke wohlwollend inEnipfang zu nehmen. Verbleibet in Frieden und Ruhe."Die Seelen werden auch heutzutage nicht nur verehrt, sondernauch beschenkt. E. L.*) Heute gibt es in Japan an 86666 buddhistische Kirchen undsonstige Kultstellen; die Zahl der shintoistischen ist ungefähr 260 666..(Nachdruck ver»ot«t.ZDie Kinematographiedes dn sichtbaren.Eon Fred Hood.Der Kinemaiograph wird im allgemeinen nur als ein Mittelzur Volksbelustigung betrachtet, wenn auch einige Freunde dieserTechnik zugeben, daß er ebensogut auch der Volksbelehrung zudienen vermag. Aber den wenigsten dürfte es bekannt sein, daßauch die Wissenschaft im engeren Sinne, also die Gelehrtenwelt,den Kinematographen heute bereits trefflich zu nutzen weiß.Es ist selbstverständlich, daß es für die Naturwissenschaft undVölkerkunde einen wesentlichen Fortschritt bedeutet, Menschen undTiere lebend im Bilde vorführen zu können, so daß man seinsStudien am lebenden Bilde machen kann. Allerdings kann dasBild nicht vollständig das Original ersetzen, aber es bietet andere»seits doch wieder die Möglichkeit einer genaueren Beobachtung;der auf den Film gebannte fliegende Vogel kann nicht entfliegenund sich dem Beobachter entziehen, wie die Vögel in der Natur.Aber die Kinematographie hat in dieser Hinsicht auch etwasvöllig Neues geschaffen— die Vorführung der kleinsten Lebewesen,die sonst nur mit dem Mikroskop wahrgenommen werden können.Diese neue eigenartige Technik befindet sich allerdins noch inden Anfangsstadien; aber was heute noch lediglich ein Schauspielfür einen engen Kreis von Gelehrten ist, wird bald dem großenPublikum zugänglich gemacht werden. Wie ich einer Abhandlungvon R. Villers in„La Nature" entnehme, haben wir ganz treff-liche Resultate den Forschungen eines französischen GelehrtenDr. Comandon zu verdanken, der sich seit einem Jahre mit Unter-stützung der Firma Pathe Fröres beharrlich mit dieser Aufgabebeschäftigte.Dr. Comandon studierte gewisse Blutparasiten, und zwavunter Benutzung des Mikroskops. Um die Bedeutung der kine-matographischen Vorführung von Parasiten zu begreifen, müssenwir uns die Mängel der mikroskopischen Forschung»ergegen-wärtigen. Beim gewöhnlichen Mikroskop wird das auf die Objektiv-platte des Apparates ruhende Präparat von unten her belichtet.Die Lichtstrahlen dringen in der Richtung der Achse beäMikroskops in das Auge, so daß das vergrößerte Objekt sichschwarz von leuchtendem Grunde abhebt. Sehr häufig aber sinddie unendlich kleinen Wesen des Präparates lichtdurchlässig, sodaß der Beobachter sich besonderer Vorkehrungen bedienen muß,um sie überhaupt sichtbar zu machen. Er muß die Mikroben durchein Gift töten, dann die Präparate färben, so daß schließlich diemikroskopische Vergrößerung nur noch gefärbte Kadaver zeigt.In den letzten Jahren sind aber Mikroskope konstruiert worden,die die Beobachtungen der kleinsten Lebewesen ohne weitere Hilfs-mittel gestatten, also nicht die Tötung und Färbung erforderlichmachen. Wie mir Professor Dr. E. Raehlmann in Weimar, derausgezeichnete Kenner dieses Gebietes, mitteilt, ist das von Dr.Comandon benutzte Hyper-Mikroskop im Prinzip identisch mitdem von Zsigmondy im Jahre 1662 erfundenen und von Zeißin Jena konstruierten Ultra-Mikroskop. Beim Ultra-Mikroskopwird das Präparat durch ein senkrecht zur Achse des Apparatesauffallendes Strahlenbündel getroffen, so daß in die Röhre desMikroskops kein direkter Lichtstrahl dringt. Die auf diese Weisebeleuchteten kleinsten Lebewesen geben aber infolge der Licht-brechung sehr intensiv leuchtende Strahlen von sich, wodurch siein allen Teilen und in allen ihren Bewegungen deutlich sichtbarwerden.Dr. Comandon kam nun auf die Idee, das Leben der Blut-Parasiten mit Hilfe des Kinematographen darzustellen; dennauch die vollkommenste Beschreibung und die besten mikroskopischenZeichenapparate, die zum direkten Nachzeichnen der imMikroskop gesehenen Bilder dienen, vermögen uns doch keine klareAnschauung von dem Wesen der Parasiten zu geben, währendeine kinematographische Vorführung die Natur in der Tat znersetzen vermag. Dr. Comandon beschritt jedoch nicht als ersterdiesen Weg; die Anregung erhielt er von Viktor Henri, der vorkurzem damit begann, den Kinematographen zum Studium derbrownianischen oder pedetischen Bewegung zu benutzen. Dr.Comandon führte Herrn Villers, dessen Abhandlung ich ve»schiedene Einzelheiten verdanke, unter anderem einen Film vor,der den Schwanz eines Kaulquappenembrhos zeigte. Man sahinmitten einer Menge von Zellen einen Blutkanal, in welchemlängliche Blutkörperchen zirkulierten, die den von einem Stromabgeschliffenen Kieseln nicht unähnlich waren. Zur Gewinnungdieses Bildes war das gewöhnliche Mikroskop benutzt worden.Im Ultra-Mikroskop gesehenes Vogelblut wicS gleichfallslängliche Blutkörperchen auf, die ziemlich unbeweglich in einermit kleinen weißen Punkten besäten Flüssigkeit standen. DiesePünktchen sind HämokonieN und zeigen ganz einfach nur, daßdas Tier kurz vorher ölige Fette zu sich genommen hatte. DieFette erzeugen nämlich in den Eingeweiden milchige Tropfen,die die Eingeweidemembranen durchdringen und in das Blut ein«treten, wo man sie noch drei bis vier Stt...den noch der Vwrdauung findet.Nach den friedlichen Bildern entrollen sich wahre Kampf«szenen. Wir sehen einen Tropfen Hühnerblut von einem Tier.