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fie schwach, auf ihre vormalige Zimmertür deutend. Heinrich so überspannt und unsinnig, wie das populäre Urteil glaubt, ist, sah jedoch, daß sie wankte, und sprang schnell, Schlimmes dieser Auswanderungsplan felbft für die nüchternste Beurteilung fürchtend, hinzu. An seine Schulter gelehnt, mit einem ver- denn doch nicht gemeint. Was Hugenotten   und Quäler geleistet neinenden, schaltischen Augenwinken, trat fie in ihre neue haben, tönnte ja immerhin jetzt auch nicht unmöglich sein.... Der politische Zionismus, wie er heutzutage uns entgegentritt, Stube. hat vereinzelte Borläufer schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts gehabt. Ein deutscher   Jude, der aber seinen Namen nicht zu nennen wagte, schlug schon Mitte der vierziger Jahre die Erwerbung und Befiedelung Palästinas vor. Mehr als fein Buch beachtet wurde Rom   und Jerufalem" von Moies Heß, der ja auch in den An­fängen des deutschen   Sozialismus eine Rolle gespielt hat. och herrschte in den Köpfen auch der Juden der Gleichberechtigungs­aber auch sein Buch war zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Liberalismus, den schon Jahrzehntetang vorher sowohl Karl Marg wie Bismard- jeder von einem andern Standpunkt- fritifiert hatten. Erft als der Nationalitätstaumel alle bürgerlichen Schichten ergriff, als er im Antisemitismus seine giftigste Frucht zeitigte, erst da tonnte ein nationalistischer Aufruf an die Juden des Erfolges sicher fein. Dieser Zeitpunkt war in den achtziger Jahren gegeben. Das mals begannen unter dem Einfluß des russischen Juden Dr. Pinter auch in Deutschland   weitere Kreise mit folben Gedanken wie Auswanderung und Gründung eines Nationalreiches zu spielen. Als nun gar ein so höchst begabter Schriftsteller wie Dr. Theodor Herzl seine Feder und sein Organisationstalent diesen Bestrebungen lieh, da war die Bewegung zum Bewußtsein gebracht und wuchs von nun an in wirklich imponierendem Maße.

So leg' Dich jetzt hin! Heute rührst Du mir keinen Faden mehr an, verstanden!" gebot er rechtschaffen besorgt und geleitete sie weiter bis zum Bett, darauf sich ihre Müdig­feit endlich mit einem ungeheuchelten Stöhnen Luft machte. Er selbst befreite sie von dem lästigen Zwang der Kleider. Keine Angst! Es hat sich bloß geregt!" vertraute fie ihm selig an, und da er hierzu ein ziemlich dummes Gesicht machte, sprach sie noch ein gar ergreifendes, rätselhaftes Wort: Du fannst jetzt sein kleines, liebes Herzchen hören, wenn Du willst. Hier-wo meine Hand ist!" worauf er bebend, neugierig sein Ohr an ihren heißen, schwellenden Leib drückte und in Wahrheit ein leises, feines Pochen vernahm. Himmel, was war denn das! nnig, selbstvergessen ver­fentte er sich in dieses Mysterium der Liebe, ja, bor lauter Andacht und Zuneigung füßte er die Stelle, die ihm das Ge­heimnis eines neuen Lebens verraten hatte. Dies war und blieb der höchste Triumph ihres Herzens. Die Ahnung, er werde noch einmal reuig vor ihrer Mütterlichkeit knien, hatte sie nicht betrogen.

Ich will ja zufrieden sein, wenn nur alles gut abläuft!" sagte er dann völlig versöhnt, eingedenk aller guten Wand­lungen, deren fie mächtig war. Was bedeuteten denn seine Nöte im Vergleich zu denen, die ihr bevorstanden? Und über­dies-strengte fie nicht stündlich jeden Nerv zu seinem Wohle an, als existierten für sie keine Freuden mehr, die nicht den Ursprung in seiner Seele hatten? Konnte sich seine Eitelkeit nicht genug tun an ihrer einfältigen Demut und anbetenden Hingabe? Es war nicht wohl möglich, daß eine wissende, vollverstehende Liebe, eine solche, die vor allem dem Künstler galt, tiefer furchte als die des armen, verschmähten -nun aber dankbarlich treuen Mädchens. Was hatte er noch zu befürchten, wenn erst einmal die wohltätige Zeit Schleier des Vergessens sinken ließ auf Schmach und Schande, die sich ihre Seelen selbst antun mußten?

( Fortseßung folgt.]

Zionismus  .

Ein Teil des heutigen Judentums ist von heftigen inneren Kämpfen erfüllt. Dem Außenstehenden am interessantesten ist der Kampf um den sogenannten Zionismus. Er wird ausgefochten zwischen den Zionisten, die uns gleich beschäftigen werden, und den Reformjuden, die in der allmählichen Affimilation( An passung) und Nationalisierung der einzelnen jüdischen Staats­bestandteile in Europa   ihr Jdeal sehen. Dieses aufklärerisch gestimmte Reformjudentum ist ein Erzeugnis der großen aufflärerischen Bewegung des 18. Jahrhunderts, die in Moses Mendelssohn  , dem Freunde Leffings, ihr geistiges Haupt hatte. Zu diesen Reformjuden gehört auch eine Anzahl von intelligenten Köpfen, die in der Vater Landslosigkeit", dem Kosmopolitismus, den die andern beklagen, eben den Vorzug oder, wie sie es nennen, die historische Mission" des Judenvoltes erbliden. Der Zionismus   ist eine völlig innerjüdische Bewegung. Auch der Kampf gegen ihn wird lediglich von Juden geführt. So kommt es, daß wir Nichtjuden entweder gar nichts oder nur ein paar vage Allgemeinheiten über ihn wissen.

Schon hier muß bemerkt werden, daß der Zionismus   nicht in erster Linie eine Bewegung der jüdischen Intellektuellen ift. Dazu mag er nach dem Erwachen des jüdischen Proletariats einmal abflauen. Für heute ist er noch durchgehends eine Bewegung des wirklichen jüdischen Volkes. Es ist hier auf einen viel vera breiteten Jrrtum gerade der Westeuropäer aufmerksam zu machen. Die Judenfrage ist für manchen immer eine Frage der jüdischen Banfiers, Makler, Preffeleute und so fort. Die Judenfrage, wie der Bionismus fie fakt, fieht anders aus. Es sind teine härteren Worte über die jüdischen Millionäre geschrieben worden als von dem jezigen Führer der Zionisten, Mag Nordau  : Es gibt ein Judentum. Es gibt aber auch einen Auswurf des Judentums. Auch diefer Aus­wurf ist jüdisch. Das ist unser Schmerz, wir fönnen es Das Geldjudentum ist nicht zionistisch. indes nicht ändern." Der Zionismus ſtört wie Nordau   fagt feine Kreise. Das Judentum, das dem Zionismus am Herzen liegt, ist die große Masse der armen Juden. Die Bankiers werden den Pflug nicht an fassen, das wissen die Zionisten wohl. Sie hoffen auf die Taufende, die im Elend fizen, und von denen der Westeuropäer faum eine Ahnung hat.

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Ueber die Juden Rußlands   ist in den letzten Jahren genug bes fannt geworden. Ein Land wie Galizien   hat nach den Angaben des ersten zionistischen   Kongresses 772 000 Juden. Davon find 70 Broz. buch stäblich Bettler und Berufsarme, die Almosen verlangen. Für die Menge und die Verhältnisse der Juden in Westösterreich gibt der ebenfalls auf dem genannten Kongreß erstattete Bericht eines Dr. Minh an, daß von 400 000 Juden allein in Wien   25 000 wohnen. Von diesen 25 000 städtischen Juden werden 15 000 wegen Armut überhaupt nicht zur Stultus  -( Kirchen-) Steuer herangezogen. Bon den übrigen 10 000 Besteuerten find 90 Prozent zu dem niedrigsten Steuersatz veranlagt.

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Für diese Massen sucht die zionistische Bewegung einen neuen Die Zionisten traten Ende August Blag auf der Erde. Vertreter anwesend, Wieviel die Menge betrug, die hinter ihnen 1897 zum ersten Male in Basel   zusammen. Es waren 204 gewählte stand, ist nicht zu sagen. Im Dezember 1901, als der Stongreß zum fünften Male zusammentrat, wurde die Zahl der wirklichen Wähler auf 180 000 angegeben. Der Jahresbeitrag, Schefel"( lutherischer Ueberfegung nach Sekel) genannt, betrug 1 M. Es gab eine einzige Die Welt  ". gwei wirt deutsche zionistische Wochenschrift schaftliche Unternehmungen wurden damals in Angriff ge Der Bionismus ist nicht eine religiöse, sondern eine national- nommen: die Gründung einer Jüdischen Rolonialbant", politische Bewegung. Wir müssen ihn schon als ein Glied der deren Aktienkapital zwei Millionen Pfund beträgt, und Nationalfonds" in der Höhe von 200 000 Schaffung eines politischen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts aufzufassen suchen. Und da gehört er zweifellos unter die nationalistischen Pfund Sterling. Wenn die hier in Aussicht genommenen Summen Ideologien, die in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts alle Völker vollständig beiſammen find, gedenkt die Leitung des Bundes dem ergriffen haben. Auch der Antisemitismus ist nur in diesem Zusammenfüdische Kolonialbant in Palästina zugunsten jüdischer Unter Landerwerb näher zu treten. Schon heute arbeitet indessen die hange zu verstehen. Die Antisemiten sind bekanntlich die tur bulentesten Vertreter des nationalistischen Gedankens. Ebenso nehmungen und bewegt sich als ein fräftiger Gärungserreger im stellen sich die Zionisten, die eigentlich erst im Kampfe dortigen Wirtschaftsleben.

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und in der Abwehr gegen den Antisemitismus das geworden find, Unabhängig vom offiziellen Zionismus haben auf eigene Fauft was sie heute darstellen, für einen vorurteilslosen Blid als die vor bald dreißig Jahren einige hundert Zionisten in Balästina geistigen Brüder der Rationalitätsfanatiker des 19. Jahrhunderts dar. Kolonien zu gründen versucht. Sie gingen ohne Vorbereitung, zum Sie haben zwar in mannigfacher Weise versucht, dieses ihr fraß Teil ohne Mittel, ohne alle Fachbildung und ohne bestimmten Plan nationalistisches Jdeal wirtschaftlich zu begründen und moralisch zu feiern. Sie haben dabei viel Opfermut und nicht wenig Scharfsinn bewiesen. Aber das ändert an der Tatsache nichts, daß ihre Politit auf einer Ideologie und zwar, was die Hauptsache ist, auf einer teils im Sterben begriffenen, teils schon überwundenen Jdeologie beruht.

Was will der Zionismus  ? Er will die Juden aus den einzelnen Staaten auswandern und insgesamt in einem anderen Lande, womöglich Palästina, sich ansiedeln lassen. Sehen wir zu, was er sich darunter verstellt. Denn so sehr wir immer das nationalistische Element dieser ganzen Bewegung verurteilen mögen

daran. Ihr Unternehmen ist gescheitert. Nicht, wie immer wieder von den Zionisten betont wird, weil das Land ihnen keine Rahrungs­quellen bot, sondern weil sie ohne hinreichende Hilfsmittel, zum großen Teil mit dem Gelde eines später wantelmütig ge­wordenen Wohltäters wirtschafteten. Der offizielle Zionismus   hat diese Kolonisten von seinen Rockschößen geschüttelt. Nüchtern be trachtet hat er damit wohl getan. Wie überhaupt das nachdrückliche bei den heutigen Betonen des wirtschaftlichen Gesichtspunktes Führern der Bewegung fein ungünstiges Zeichen ist.

Die Ansiedelung der Juden in Balästina wäre ein politisches Problem, ja ein politisches Problem nicht nur der Türkei  . Bon