Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 4.

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Donnerstag, den 6. Januar.

1910

( Nachbruc verboten.) war, hatte seiner Vorliebe heute bis an die Grenzen des Möglichen nachgegeben. Sein Gesicht war sehr rot, und die Augen hatten einen trüben Glanz bekommen.

Im Namen des Gesetzes.

Von Hans Hyan .

Adalbert nahm den schwarzumrandeten Kneifer ab, putte mit der Serviette die Gläser und sagte, unwillkürlich den Ton des Inquirenten annehmend, der keinerlei Einwände gelten läßt:

Jeder Mensch ist durch seinen Beruf und durch die gesellschaftliche Sphäre, in der er lebt, an gewisse Ansichten und Rücksichten gebunden, für die er ja die Grenzen enger oder weiter stecken kann; seine..."

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seine Tischdame darf er aber auf keinen Fall ver­nachlässigen!" fiel ihm Nini ins Wort, entfesselte dadurch neue Heiterkeit und hatte sehr geschickt einem Disput die Spize abgebrochen, der unangenehm hätte werden können. Der Student nahm sein Glas, trank der Goldblonden zudas Gold war in der Tat Talmi- und sah dann zu feiner Nachbarin, die einen verweisenden Blid ihres Ge­liebten aufgefangen hatte und nun noch einfilbiger wurde.

it es Ihnen unangenehm, was ich zu Adalbert gefagt habe?" fragte der Student.

Ella schüttelte den Kopf, sie hatte zum ersten Male gegen ihren Liebsten ein ganz feindliches Gefühl. Wie eine Ge­fangene fam fie fich vor. Und war's doch nicht. Konnte doch jede Minute gehen. Das sagte sie sich auch, sowie, daß er sich immer gentlemanlike gegen sie benommen hätte. Doch das half ihr nichts, sie fühlte die Kluft und die Feindschaft, die zwischen Armut und Reichtum besteht, selbst wenn beide törperlich miteinander verbunden sind.

Und so schmeckte ihr selbst die Fürst Pückler - Bombe nicht. Voll heimlicher Neue fühlte sie, daß heute vor allen Tagen ihr Play an Mutters Seite gewesen wäre. Und sie wäre jekt gern gegangen, wenn nicht die Scheu sie gehindert hätte, Adalbert möchte das als Angst vor ihm auffaffen.

Nach dem Essen kamen noch ein paar Herren und daß der eine eine stadtbekannte Courtisane, die allerdings auch eine exzentrische Schönheit war, mitbrachte, wurde ihm keines­wegs berdacht.

Früher hatte Ella den wilden Jubel, die tolle Laune, in der selbst der gewagteste Scherz passierte, ohne Bedenken mitgemacht. Heute kam es ihr vor, als sei alles das von den Herren absichtlich auf die äußerste Spiße getrieben, um die Mädchen zu entwürdigen und zu kränken. Aber auch diese Damen waren ihr nie so zügellos, so gemein erschienen wie heute; jede der schlüpfrigen Bointen, in denen sich besonders ein Rechtsanwalt, namens Bander, hervortat, wurde mit hellem Gelächter aufgenommen und durch Blicke und Be­wegungen kommentiert.

Dr. Martin Bander" hatte er fich Ella vorgestellt. Und Kurt Solfershausen erzählte ihr voller Ironie seine Lebens­geschichte:

Banders Eltern waren kleine Leute, die in der Provinz irgendwo eine Pfandleihe besessen und damit Geld gemacht hatten. Jett lebten sie in Berlin als Rentiers und machten ein großes Haus. Der Sohn, ein feiner Kopf und guter Rechner, verdiente mit seiner Anwaltspraxis biel Geld auf welche Weise? das ist' ne andere Frage!" schloß Kurt von Solfershausen, und sehen Sie, Fräulein Ella, er läßt fein Auge von Ihnen!. Sie brauchten bloß zuzu­greifen!"

Die Blonde schüttelte den Kopf. Sein größter Schmerz ist die Visage!" ruddelte Kurt weiter. Delinquente nato", würde Lombroso sagen -was meinen Sie, was der Mann geben würde, wenn er wie Gottlieb Müller oder wie August Schulze aussehen fönnte!"

Ella mußte lachen, und da sie hinübersah zu dem Rechts­anwalt, begegneten ihr seine Augen in unverhohlener Be­wunderung.

Dann wurde Golfershausen, der nett Klavier spielte, aufgefordert, ein bißchen Musik zu machen. Und Ella ging mit ihm in das Nebenzimmer. Thr war der Lärm der Tafel und das schmetternde Lachen der dicken Nini sehr zuwider. Adalbert von Eckboom, der überhaupt ein starker Trinker

Der Rechtsanwalt Bander, der sich auf den Stuhl neben ihn gesezt hatte, meinte lächelnd:

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Herr von Solfershausen und Ihre kleine Freundin kennen sich schon sehr lange, Herr Baron?" Ja, wieso?.. von Eckboom begriff erst gar nicht. Na, die beiden sind doch unzertrennlich heute Abend!" So. ja das heißt... na, wir woll'n mal

gleich sehen!"

Und mit starker Stimme, unbekümmert um den Ein­druck, den das auf die übrigen machen mußte, rief er ins Nebenzimmer hinein:

,, Ella! Komm' mal sofort' raus!"

Das Mädchen erschien, rot bor Aerger über diese Takt­losigkeit.

Alles sah nun auf sie hin, wie sie in der Tür stand, alle lachten und lächelten, und jeder, fie aber am meisten, empfand, daß ihr Liebster sie im eifersüchtigen Verdacht so laut gerufen hatte. Sie hätte nichts Schlimmeres tun können als jetzt fagen: Ich habe Herrn von Solfershausen bloß die Noten umgewendet!"

Nun wieherten die meist schon angekneipten Herren, die Damen wollten sich für Ella einlegen und verschlimmerten dadurch nur die Situation.

Indem brach das Klavierspiel im Nebenraum ab. Kurt erschien, sich die schwarzen Locken aus der Stirn streichend, neben Ella.

Was ist denn?" fragte er harmlos. Da fah er Ella ihr Taschentuch hervorholen. Quält doch das arme Kind nicht!"

G

Mit stieren Augen beugte sich der Hausherr, der Kurts weitläufiger Vetter war, bor und sagte wieder in einer un­angenehm lauten Tonart:

,, Du scheinst Dich ja sehr für das arme Kind" zu inter­effieren!... Ich muß gestehen, daß ich dies Interesse etwas boreilig finde! Es sei denn, daß meine bisherige Freundin sich schon in anderer Weise entschieden hätte!... Kurt von Solfershausen blickte den Better ruhig an.

Du scheinst Streit mit mir suchen zu wollen, Adalbert ... aber in Deinem jebigen Zustande, da bedaur' ich! Wenn Du mir in dieser Hinsicht was Ernstliches zu sagen hast, so schlage ich vor, wir wollen das auf morgen verschieben!" Wo Du dann wieder nicht zu Hause bist!"

Kurts Züge bekamen einen gespannten Ausdruck, er

fragte: Wieder?... Habe ich mich schon jemals einer der­artigen Ehrenpflicht absichtlich entzogen?... willst Du das damit sagen, Adalbert, ja?"

Herr von Eckboom zuckte impertinent die Achseln und schob den schwarzrandigen Kneifer auf seiner dicken Nase zurecht. Aber ehe er noch antwortete, rief Ella schluchzend dazwischen:

Nein, ich gehe jet weg!... Das will ich nicht, daß Ihr Euch noch meinetwegen schlagen sollt!... und das is auch nich hübsch von Dir, Albert, daß Du sowas von mir denkst!..

Jetzt standen alle auf, die Mädchen drängten sich herzu und Martin Zander, der Urheber des ganzen Skandals, ver­fuchte nun mit feiner glatten Bunge den Zwist beizulegen. Das gelang ihm auch halbwegs: die beiden Vettern reichten sich, ihre innere Gegnerschaft wohl fühlend, kalt die Hände. und ehe sich noch Kurt an Ella wenden konnte, die er um Entschuldigung bitten wollte für die ihr ja allerdings ganz war Herr unabsichtlich bereiteten Unannehmlichkeiten, Dr. Zander schon an das Mädchen herangetreten und hatte mit einer höflichen Verbeugung gesagt:

Wenn Sie gestatten, gnädiges Fräulein, fahr' ich Sie mit meinem Automobil nach Hause!"

Die Blonde, noch aufgeregt und nur von dem einen Wunsche beseelt, hier fort und so schnell als möglich nach Hause zu kommen, gab ihre Einwilligung.

Freilich, wie fie da unten in das elegante Coupéauto stieg, ba dachte sie mit einem peinlichen Bedauern daran, daß