Nnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 6. Freitag den 7 Januar. t910 (9la$scus wteotes.) c] Im JVamen des Gesetzes. Von Hans Hyan . Cka war plötzlich nicht mehr dieselbe. Sie glaubte das, was sie sagte, am Ende wohl selbst nicht, aber es brachte ihr momentan eine Erleichterung, auf die Kreise zu schimpfen, in denen sie doch so brennend gerne festen Fuß gefaßt hätte. Hätte sie das belustigte Lächeln um Martin Zanders, vom schwarzen Schnurrbart schlecht verdeckte dicke Lippen geschen, so wäre sie vielleicht doch stutzig geworden. So schwadronierte sie noch ein Weilchen weiter, bis Zander sie fragte: Werden Sie ihm denn nun abschreiben, Ihrem bis- herigen Bräutigam, Fräulein Ella?" Die Blonde schwieg. Diese Frage kam ihr zu unerwartet. Und der Anwalt, der aus keinen Fall eine peinliche Empfindung in ihr aufkommen lassen wollte, die gegen ihn selbst gerichtet war, setzte rasch hinzu: Das heißt, ich meine, Herr von Eckboom hat Ihnen ja eigentlich gar nichts getan... nur daß er diesen häßlichen Verdacht gegen Sie hegt und ihn sofort vor allen Leuten aus- gesprochen hat.. Ja," sagte Ella ticfaufatmend,ja, ich schreibe ihm abi... Was Hab' ich denn davon?!... bloß lauter Unan- nehmlichkeitenl Weiter gar nichts! Schon dadurch� daß wir uns immer so spät treffen, und daß ich dann solange fort- bleiben muß. Das is doch natürlich nich angenehm, schon wegen meine Eltern... un'n nächsten Morjen bin ich immer wie zerschlagen! Unsereina muß doch arbeiten un kann«ich den janzen Vormittag ins Bette liegen!..." Es war, als wenn jetzt, wo sie sich auch innerlich von diesen Leuten schied, ihre Manieren, ihre Sprache vulgärer wurden. Der Rechtsanlvalt bemerkte das wohl, es störte ihn auch, aber er ließ es sich nicht merken. ..Dann lieben Sie ihn wohl auch nicht mehr... Herrn von Eckboom, meine ich?.. Lieben?" Sic lachte fast frivol auf. Jott, was heißt denn heutzutage lieben!... Da kommt irgendeina uff de Straße oda sonstwo, der spricht ein' an! Na, un jefällt er einen nu, denn is gut, un jefällt er einen nich, dann wart' man. bis'n andrer kommt, der ein' bessa zusagt!... Ich, wissen Se, Herr Rechtsanwalt, ich könnte jeden Tag zehn Bekanntschaften machen, so oft wird man angequatscht!..." Ella hatte vor diesem Mann, der da an ihrer Seite saß und der, wie sie wohl wußte, hauptsächlich seines Reichtums wegen in jenen Kreisen geduldet wurde, lange nicht den Respekt wie etwa vor Kurt von Solfcrsl)ausen darum ließ sie sich jetzt absichtlich gehen. Daß sie so diesem klugen und gewissenlosen Menschen deutlich das Vabanquespiel ihres jungen Lebens zeigte das lag freilich nicht in ihrer Absicht. Und zuletzt kam ihr wohl auch die Erkenntnis, sie sei zu weit gegangen in ihrer Selbstentschleierung. Sie lehnte eine Weile schweigend in den Polstern des dunklen Eoupäs, in dessen geschliffene Fenster die Straßenlaternen ihre matt- zuckenden Lichter hineinwarfen, und sagte plötzlich mit weicher Stimme: Das heißt, lieb gehabt Hab ich'n doch!... Sonst tut man das ja nicht, nich wahr, das könn' Se sich doch denken, Herr Doktor!... Aber sehen Sie mal, ich kann nich lieben, wenn ich nich wieder geliebt wer'!... Solange einer mich lieb hat, Hab' ich'n auch lieb und bin ihm auch treu, aber..." ..Aber?" sagte Zander und hielt sie fest mit seiner lächelnden Stimme,wenn er Ihnen Anlaß zur Unzufrieden- heit gibt, dann... dann sind Sie auch der Meinung, Sie können tun und lassen, was Sie wollen!..." Er nahm ihr die Erwiderung abermals von den Lippen: Und da sind Sie auch vollständig in Jhrcin Recht: licht er Sie nicht mehr, dann ist er Ihnen auch nicht mehr treu, wenn er's überhaupt jemals gewesen ist.. Ja, zuerst war er's!" Nun schön!... aber jetzt, wo er's nicht mehr ist, da tun Sie eben auch, was Ihnen beliebt, das ist nicht mehr wie recht und billig.. 1,.Ncin, das heißt... ich... wollte Ella antworten, da hielt das Auto. Wie schade!" meinte Zander. r Aber Ella reichte ihm die Hand und sprang, sich be>- dankend, heraus. Ach, mein Vater ist noch auf!" sagte sie draußen, und er hörte den Schreck in ihrer Stimme. Wie er sich dann aus dem Schlage beugte, sah er oben im vierten Stock des kasernenartig gebauten Hauses ein offenes und erleuchtetes Fenster, aus dem sich ein Mann beugte. Er wollte der Blonden»och etwas zurufen, aber diese, wohl aus Scham, daß der Rechtsanwalt ihre Angst bemerkt haben könnte, verschwand schon im Hausflur... Ella schloß oben auf der dunklen Treppe leise, wie sie sich das bei ihren nächtlichen Exkursionen längst angewöhnt l)atte, die Entrcetür auf. Als ob sie ihn damit hätte täuschen können! Diesen Vater, der sie wütend erwartete! Und der doppelt ergrimmt war, weil seine Tochter herumbummelte, während er gezwungen war, zu Hause zu sitzen und sich zu langweilen!... Sie war noch nicht einmal richtig im Korridor, da hatte sie schon die erste Maulschelle von der väterlichen Hand, die sie taumeln ließ. Nanu!" schrie sie auf,was heißt denn das?!..." Was das heißt?!... Was das heißt?!..." Der Buchbindermeister trieb fein Kind mit einem wahren Hagel von Püffen und Schlägen vor sich her bis ins Zimmer hinein. Ich will Dir zeigen, was das heißt. Du Saustück, Du!... Dir will ich's zeigen!... Da, da!... Du Huret Du Straßenfrauenzinnner! Du Mensch, Du!..." Er schlug unablässig auf sie ein,Dir wer' ich!... Mit'n Auto ankommen, nachts um ein Uhr!... Mit wen hast'n Dich rumjetrieben. Du Aas?... Mit was für'n Kerl, was?... Du!... Du!..." Er hatte sie bei ihrem langen, Rchtblondcn Haar gepackt, das sich gelöst hatte, und während er sie mit seinen gemeinen Schimpfworten überschüttete nnd immer noch gemeinere her- vorsuchte, warf er die halb Bewußtlose, deren Arme haltlos in der Luft herumflogen, aufs Sofa, um sie dann wieder emporzureißen und weiter mit ihr umhcrzutoben. Seine Frau, die schon zweimal versucht hatte, ihm Ella zu cntteißen, und die jedesmal, von einem rücksichtslosen Stoß getroffen, zur Seite geflogen war, hing sich jetzt so fest an ihn, daß er das Mädchen loslassen mußte. Das Mädchen, mit zerwirrtem Haar, dessen lichte Strähnen in ihr todblasses Gesicht fielen, mit zerrissener Bluse und pfeifendem Atem, vergoß doch nicht eine Träne. Ihre blauen Augen blickten nnt einer unendlichen Verachtung auf den Vater, der schon wieder auf sie loswollte. Weiter kannste ja auch nichts'" sagte sie dann und kämpfte tapfer dos Zucken ihrer blutenden Lippen nieder. ...Wat willjte?!" Er kam nochmals auf sie los. Da kreischte sie auf. Nebenan im Schlafzimmer weinten die beiden Kinder laut... Und dann, wie er von neuem nach ihren Haaren greifen wollte, stieß Ella nach ihm mit denr Fuß und kratzte mit ihren scharfen Nägeln in sein Gesicht, daß er ganz verdutzt über diese unvermutete Abwehr von ihr abließ. Ella heulte. Und plötzlich fand sie auch Worte für ihre Empörung, die sie, obwohl die Mutter sie umfaßte und aus dem Zimmer bringen wollte, dem Vater förmlich ins Ge- ficht svie. Du wißt Dich beklagen, daß wir zu lange wechblciben, Du... Du?... der jeden Abend bis in de späte Nacht wech is und rumsnmpst und besoffen nach Hause kommt auf seine ollen Tage!! Du wißt mich schlagen?!... Pass' doch auf auf Deine Kinder! Un jeh' nich jeden Abend in de Kneipe, 's Jcld vabr-ngenl... Warum laben wa denn alle schon in't Geschäft jemußt, wo wa noch kaum injesegnet waren? Weil Du immer Dein halbes Lohn versoffen Haft! jawoll, versoffen!... Der Alte, den dieser Widerstand seiner Tochter Zuerst um seine Fassung gebracht hatte, kam jetzt, den breiten Brust-