Hlnterhaltungsvlatt des HorwärtsNr. 16.Freitag ven 21 Januar.1910Maitdnta 0« Boten.)15]Im JSfamen des Gefctzes.Von Han» Hyan.Georg wäre umgekehrt, aber dann hätten sie ihn ja fürfeige halten können! Und ehe er einen Zweifel an seinemMut aufkommen lieh, da würde er noch ganz etwas anderesgetan, als sich hier in der wenig anheimelnden Gesellschaftniedergelassen haben. Trotzdem wollte er. mit einem letztenVersuch, dieser Sorte zu entgehen, an dem großen Tisch vor-bei, aus dem in der Mitte ein Holzfaß stand, das Schnupf-tabak enthielt. Da hörte er. wie der Dicke mit der Säufer-nase sagte:„Na, sehste! Wat Hab' ick denn vorhin jcsagtl Det is'n Achelkesser'), der noch nich weeß, wie't in de Welt zu-jehtl... Dem muß erscht mal richtich de Reese jeputztwer'n!"„Von Dir?" sagte Georg stehen bleibend und den Säufermit zugekniffenem Auge filierend.„Jawoll, von mir!" brüllte der andere, aufspringend undmit seinen vom Alkohol trüben Augen den Gegner anglotzend,„von wem denn fönst, Du Schlamassel!"„Na. komm doch mal raus!" lachte Georg. Aber derDicke, der bei diesem Kampf wahrscheinlich eine schlechte Figurgemacht hätte, blieb gern hinter dem Tisch zwischen seinenFreunden. Der ihm zur Rechten saß— Georg sah vorläufignur den breiten Rücken und den blanken Scheitel desSchwarzhaarigen— der sagte:„Warum zankt a' Eich denn... Wir haben doch wah'-haftig alle keene Veranlassung, hier Radau zu machen ununs womöglich noch de Polente�) uff'n Hals zu laden!...Komm' lieba her. Du, un jibb' eenen aus, wenn Dekannst!... Wie heeßt a denn?" Er wandte sich mit denletzten Worten an den. der Georg vorhin nach seinem„Bürgerbrief" gefragt hatt, einen hübschen Menschen mitblondem Haar und flottem Schnurrbart, der sich in derKleidung wie ein Seemann trug.„Det weeß Matrosenemil ebensowenig wie wir!" sagteder Jugendliche vorweg, und der Blonde selbst setzte hinzu:„Ja, det wa't ja eben! Wie wa vorhin aus Tejel kamen.da..„Na. det kann ja nu sind, wie't will," unterbrach der mitdem schwarzen Scheitel, sich halb umwendend:„Der Herr setzt sich hier mit ran, un wenn er PinkuS inde Taschen hat. denn wird er schon selba wissen, wat'n zu-kommt!..."Georg setzte sich. Der große, breitbrustige Mensch mitfeiner sehr ruhigen Art hatte ihm sehr imponiert. Er waretwas bester gekleidet wie die übrigen, trug ein Oberhemdohne Kragen und einen goldenen Siegelring auf dem rechtenZeigefinger. Man sah ihm an. daß er Kräfte und Ent-schlossenheit besaß.Georg ließ sich nun nicht länger nötigen und bestellteeine Lage Bier, der gleich eine zweite folgte, da die Gläserauf einen Zug leer waren. Da er sah, daß die drei anderenwarmen Schweinebraten aßen, bestellte er sich auch davonund hieb tapfer ein in die reichliche Portion. Aber ehe erdas tat, hatte er überrascht aufgeblickt: statt der Alten, diebisher bedient hatte und von den Anwesenden„Mutter Ratzke"genannt wurde, war jetzt ein Mädchen aus der Küche ge-kommen, ein starkes, vollbusiges Geschöpf mit brennendenAugen.„Jefällt Da woll, unse Emma?" meinte sein Nachbar mitdem Auslug eines Lächelns. Aber Georg antwortete nicht.vorläufig unterdrückte der Hunger jede andere Regungin ihm.S.Während des EssenS beobachtete Georg Hellwig nur,Und er kam zu der Ueberzeugung, daß ihn der Zufall undvielleicht der Wunsch, der alle die anderen hierher brachte—') Neuling, Grüner,') Polizei.nämlich einen recht versteckten Winkel aufzusuchengeradenwegs in eine Kaschemme geführt hatte.Neben seinem Nachbar zur Linken, der„Schnepper" ge«nannt wurde, saß ein langer, dürrer, trotz seiner Dürftigkeitmit einem gewissen künstlerischen Schmiß gekleideter Mensch:sein Spitzname war„Hundewilhelm". Dann einer mitfürchterlich entstellten Zügen, den sie„Narbenemil" nanntenund in dessen unheimlichem Gesicht die Spuren dieser grauen-haften Verletzungen rot aufflammten, sobald er Alkohol zusich nahm. Auf der anderen Seite die drei, denen der Knopf»drücke? auf der Straße begegnet war, und schließlich einkleiner dürrer Jude mit einer unglaublichen Nase, aus desseneigentlichen Namen„Isidor" seine Zunftgcnossen das fastzärtlich klingende„Dorchen" gemacht hatten. Dorchen warheute früh ebenfalls aus Tegel gekommen, wo er zwei Jahrewegen Taschendiebstahl abgemacht hatte. Eben erzählte er»der überhaupt sehr drollig war. von den Streichen, die er derGefängnisverwaltung mit seiner Religion als orthodoxerJude gespielt hatte.„Herr Direktorleben," Hab' ich gesagt,„wenn ich schotreife eß, auf de Werktäg', muß ich wenigstens haben mcikoscher auf Jomkippur und Raschaschone' l... Nü, undwie se mir haben gebracht's Achelchen1'), is dringelegenä Hoor!... ä Hoor von'ne goite°)I Hab' ich mer vor-melden lasten bei'n Herrn Wirtschaftsinspektor un hab'ngesagt, wenn soll'n sein Hoor in de Suppe, verlang' ichwenigstens jüdisches Hoor! Das Hoor von de goite soll erreintun lassen in sei Essen!..."„Na, un wat ham' se da jemacht mit Dir. Dorchen?"fragte Pfefferneese, der vorhin mit Georg angebunden hatteund noch immer wenig freundliche Blicke herüberwarf.„Nu. se haben kommen lasten ä Beamten un haben mergebracht in'n Keller," erzählte der Jude, der wie alle wirklichkomischen Menschen beim tollsten Gelächter seiner Freundeselber ganz ernst blieb.„Na un wie De nu in'n Keller warst, Dorchen?"Der mit der Raubvogelnase zuckte die Achseln.„Wie ich war in'n Keller, Hab' ich gefragt'n HerrnAmtsschautcr�), ob er nix hat zu verkaufen, alte Hüte, alteKleider, alte Stiebeln un Hab' gezeigt auf'n Herrn Ober-schauter') sei Röckelach, der is grade vorbeigegang un Hab'gefragt, was es soll kosten, das Röckelach... ich zahle dehechsten Preise!"Selbst Georg mußte lächeln, aber wie jetzt die schwarzeEmma kam und das Geschirr vom Tisch räumte, da wurdeHellwigs Aufmerksamkeit ganz gefesselt durch das Mädchen,das, ihm zutachend, die Perlenreihen seiner Weißen Zähnezeigte.Schnepper stieß ihn an und sagte:„Du! da laß Da m»n nich bei treffen! Det is'n jrünenHeinrich seine, der jetzt seine drei Jahre runterreißt, weil a'n Förster halbdotjeschlagen hat..."„Denn is er woll'n Wilddieb?"„Nee, aber er frottiert so jerne... Du weeßt doch, so'nkleenet Ding, so'n Frettchen, det wird in'n Karnickelbau rin»jelassen un denn komm' de Karnickel raus un renn' in deNetze, wo se über de Löcher jezogen haben.,. Det nenntman frottieren..."„Un dabei hat er'n Förster dotjeschlagcn?"„Janz bot nich! Aber jewinkt hat er'n ecne mit deSchippe... ick war ooch bei, aber mir ham se nich jekricht...ick Hab n Wandersmann jemacht")..."Der Knopfdrllcker war ganz Ohr: diese Jagd auf wildeKaninchen interessierte ihn ungemein, und er nahm sich festvor, sich, sobald nur irgendüne Gelegenheit käme, auch ein-mal daran zu beteiligen... Er war flink und würdesich so leicht nicht kriegen lasten!„Wie lange sitzt er denn schon. Dein Freund?"„Warte ma'..." Der Breitschulterige dachte nach,„na,') Jüdische Feiertage.') Essen.') Christenmädchen.') Gefängnisaufseher.') Oberaufseher.*) bin ausgerissen.