Unterhaltungsblatt des VorwärtsNr. 17.Dienstag den 25 Januar.1910UlaAbtud DnBoten.)it] Im JVamen des Gefctzes.Von HanS Zyan.Gewv'lg sagte kein Wort der Begrüßung, sah seinen Sohngar nicht an, wandte sich nur an die Frau:„Was ist denn los, Mutta?"Die Frau, deren Schwäche für all dieses Ungemach nurdieses eine Mittel fand, weinte. Und schluchzend sagte sie:„Unser... unser... Jeorch is wieder dal..."„So." sagte der Alte, jetzt erst den jungen Burschen an-blickend, mit einer Art bitterer Ironie.„Unsa Jeorch II... na, dis' man scheen, diß se Dir nichjleich janz und jar drinbehalten haben I... un nu willstewieder hier wohnen un Dir rumdreiben wie früher... unfaule Zicken machen, bis se Dir Wieda bei'n Kanthaken habenun bis De Wieda drinsitzen dhust!... Ja, nich wah', detwillste?"All dem hielt der Knopfdrücker mit starrem Auge stand.nur seine Hals- und Kinnmuskeln strafften sich. Er hatte,hier vielleicht mehr als an irgendeinem anderen Ort. dasGefühl, gefehlt und, die ihm nahe standen, aufs bitterste ge-kränkt zu haben. So schwieg er. Aber der Vater hätte nunaufhören sollen, ihn zu reizen. Doch der dachte vorläufig nichtdaran.„Et frägt sich bloß," fuhr er fort,„wat De nu dis nächste-mal for'n Ding drehst!... So wie Du jewachsen bist.kannste noch weit kommen!... Un de Hauptsache is, det Dejleich wieder uff'n Athletenboden jehst und Deine Muskelnausbilden dhust, det is vor allen Dingen de Hauptsache!Denn kannste ooch mal, wenn't nottut. so'n Kriminalbeamtenbei de Pape fassen!... Denn kann Dir keena'wat un Dubist Meesta!..."Das war schon seit langer Zeit Vater Hellwigs größterAerger: der Athletensport! Er hielt diese Uebungen für denVerderb der jungen Leute und für den Anfang aller häßlichenLaster. In einer Zeit aufgewachsen, die als einzige Muskel-Übung die körperliche Arbeit kannte und wert hielt, fehlteihm jedes Verständnis für Sport und jugendliche Kraftspiele.Auch hatte er gehört, daß solche Veranstaltungen vielfach vonZuhältern besucht und gegründet werden, und er lieh nunseiner festen Ueberzeugung Worte, als er jetzt sagte:„Die Athletengefchichte, det wa Dein Ruin! Wie Dedamit anjefangen hast, da wa't ooch Ebbe mit Dein'n an-sten'jen Charakter!... Un det is ooch se natierlich: sagemir, mit wenste umjehst. un ick wer Dir sagen, wat De bist!...ja, ja, jrinse man. Du dummer Bengel, jrinse man noch!...ick will meinen Mund nich zum Bösen ufftun, aber..."„Na, ick finde. Du hast nu ooch jenuch jeredtl" meinteGeorg, die Lippen verziehend mit einem verkniffenen Lächeln.„So... jenuch Hab' ick jeredt?... ick habe jenuchjeredt..."Frau Hellwig, die stillweinend in dem Korblehnstuhl amFenster gesessen hatte, stand voller Angst auf.„Dadrieber hast Du Da' jarkeen Urteil zu alauben!"schrie der Alte,„nich im jeringsten nich. vastehste?... DuRotzlöffell Du Lausejunge, Du!... Du Verbrecher!!..."Der Sohn war rasch einen Schritt vorgetreten, als wollteer sich auf seinen Vater stürzen, aber er bezwang sich, dieMutter hätte gar nicht dazwischen springen und seinen Halsumfassen brauchen.Der Alte hatte seine kurze, gedrungene Figur mit derbreiten Brust, in der wohl Mut wohnen mochte, hochaufgereckt,als erwarte er den Angriff. Nun, wie der Sohn ruhig bliebund fast weich wurde im Arm der Mutter, da kam auch demBuchbindermeister ein Gefühl, als dürfe er den Zwist nichtbis zum Ende treiben, er dachte an Ella. Die war fort, erhörte nichts mehr von ihr, und es gab doch Stunden, wo heim-lich die Sehnsucht in sein Innerstes schlich, wo Reue an ihmnagte, daß er sie damals hinausgeprügelt hatte in die Nacht.Nur ein gutes Wort hätte Georg jetzt geben brauchen, einBlick, eine Miene vielleicht hätte genügt, um den Vater um-Lustimmen und zu versöhnen.Aber in dem Gefühl seiner Kraft, in dem Trotz gegenalles, was ihm befehlen, ihn Hofmeistern wollte, sprach Georgdas Wort nicht. Nur seiner Mutter zu Liebe blieb er nocheinen Augenblick. Dann nahm er seine Kopfbedeckung undging, von der weinenden Frau gefolgt, während der alteHellwig zurückblieb und sich über die Schlechtigkeit seinerKinder entrüstete.Der Alte schritt dabei im Zimmer hin und her, nahmseinen Hut auf, legte ihn wieder hin und war ganz un»schlüssig. So kam er an dem kleinen Spiegel vorbei: seinewässerigen Augen überflogen den schon ergrauenden Kopfmit den groben, hartnäckigen Zügen: ein schreckliches Gefühlder Unsicherheit und Einsamkeit bemächtigte sich des alterndenMannes und er fühlte, daß es ihm heiß aufstieg in der Brust.Aber er bezwang diese Weichheit, die ihm so selten nahte, setzterasch den Hut auf und ging an seiner Frau vorbei, die ebenwieder hereinkam, zur Tür hinaus.Georg stand noch unten im Hauseingang. Auch ihm warweh, so weh, wie lange nicht mehr in seinem jungen Leben.Drinnen in der einsamen Gefangenenzelle hatte ihn dieseVoraussicht erschreckt: er würde keine Heimat mehr haben, derVater würde ihn nicht mehr sehen wollen... Nunwar's so weit; an diesem kalten, windigen Oktoberabend stander auf der Straße wie ein herrenloser Hund— keinenPfennig Geld in der Tasche und vorläufig auch noch keineArbeit... Wo würde er heute schlafen und wovon sichmorgen was zu essen kaufen?... Gekräftigt hatte ihn derAufenthalt im Gefängnis nicht, und mit einer Nervosität, dieihm früher fremd war, horchte er auf den Lärm der jetzt fastdunklen Straße.Sein Vater trat aus dem Haus.Georg wandte sich ab, mehr noch aus Scham, als weil erböse war auf den Alten.Der räusperte sich, spuckte aus und blieb stehen. Dakonnte Georg nicht anders, er mußte sich umwenden. Und indem Augenblicke, wo der eine darauf wartete, daß der anderedas erste Wort sprechen sollte, flog es mit einem hellen,jauchzenden Schrei an dem jungen Manne empor, zweiKindcrarme umschlangen ihn, und die kleine Mascha jubelte?„Jeorch! Jeorch!... unsa Jeorch is Wieda da!...Warum wahste denn so lange nich bei uns. Du!... Du!...Fritze! Fritze!" Sie wandte sich zurück, zu des Buchbinder-meisters Jüngsten, der jetzt auch herbeilief vom Spielen,während ein paar Kameraden von weitem stehen blieben.«Du?... unsa Jeorch is Wieda da!"Der Knopfdrücker hob sie hoch, beide. Auf jeden Armnahm er eins und ließ sich von den roten Mäulchen ab-wechselnd küssen: sprechen konnte er nicht, die großen Tränenrannten ihm über die Wangen.„Na, laßt man noch was von ihm übrig!" sagte der Buch-bindermeister, und seine Stimme klang heiser,„un Du, komm'man wieba mit ruff, Jeorch, wir müssen doch Abendbrotessen!"Der Sohn wollte sich sträuben, aber die Kleinen zogenihn fort.... Und heimlich war Georg Hellwig auch froh,daß er die Nacht nicht mit knurrendem Magen auf der Straßezubringen mußte.Der Alte war zufrieden und die Mutter selig.Als man gegessen hatte— ganz feierlich in der Wohn-stube, während doch sonst die Familie ihre Mahlzeiten in derKüche einnahm— und die Kinder zu Bett gebracht waren,da mußte Georg von seinen Leiden im Gefängnis erzählen,Frau Hellwig nahm seine Hand und streichelte sie mitnassen Augen, wie Georg mit rollenden Augen und ver-kniffenen Lippen von der Ungerechtigkeit der Richter sprach.Aber selbst der alte Buchbindermeister empörte sich,� als ervon der schimpflichen Behandlung seines Sohnes im Ge-fängnis hörte....„Is denn dis'ne Art un Weise,'nMenschen, der sozusagen jar nichts jetan hat, zu maltretiercn!Da muß ma ja schließlich Sozialdemokrat wer'n!... Undwenn sich da einer widersetzt un schlägt s'on Kerl, so'n Je-fängnisuffseher nieda, kann man'n denn det so iebelnehmen?!"...Große, entrüstete Rauchwolken aus seiner Zigarrepassend, dachte Vater Hellwig über das Schicksal seinesSohnes nach und über die Möglichkeit, ihm eine recht ekla-tante Genugtuung zu geben.