nach hartnackigem Kampfe durch Gewehr« und Geschützfeuer die »Ruhe" her: mehrere Hundert Menschen waren tot oder verwundet. Aehnliche blutige Vorgänge in Nottingham , Derby. Loughborough zeigten, daß beim Volk der Geduldsfaden zu reihen drohte und dah es höchste Zeit war. wenn die Reformfrage noch auf parlamentarischem Wege erledigt werden sollte. Nach dem Wiederzusammentritt des Parlaments im Dezember 1831 brachte Lord Russell eine neue Reformbill ein, die im wesentlichen mit der alten übereinstimmte. Infolge konservativer Verzögerungsanträge zog fich die Erledigung der Vorlage im Unterhaus bis über die Mitte des Monats März 1832 hinaus, unter zahlreichen Kund- gedungen zunehmender Ungeduld des Landes. In der dritten Lesung wies der Abgeordnete' M a c a u l a y, der bekannte Geschichts- schreiber. die Lords eindringlich darauf hin, daß es hier heißen müsse: Vogel, friß oder stirb. Es gebe nur noch die Alternative: Die Bill oder die Anarchie. Daß es ficki hier um kein Kinderspiel andle, war inzwischen wieder verschiedentlick klar geworden, so in ondon selbst, wo es bei einer großen Straßendemonstration zu den heftigsten Zusammenstößen mit der Polizei kam. deren Brutalitäten die Teilnehmer der Kundgebung keineswegs ohne Widerstand über fich ergehen ließen, sondern mit einem Steinhagel erwiderten. Ganz ohne Eindruck war die fieberhaft erregte Stimmung des Landes wohl auch auf einen Teil der konservativen Lords nicht geblieben. Darauf ließ wenigstens die veränderte Taktik schließen, zu der ihre Führer griffen, als die Reformbill nach der endgültigen Annahme durch die Gemeinen<22. März 1832) anS Oberhaus gelangte. Sie wiesen fie nicht wie zuvor ohne weiteres von der Hand, sondern ließen sie zur zweiten Lesung und zur Komiteeberatung kommen, um hier erst ihre Künste spielen zu lassen, den Ministern mit Verbesserungsanträgen zuzusetzen, auf die fie fich nicht ein- lassen konnten. Schon ehe diese neue Kampsart der konservativen Führer des Oberhauses{offen in die Erscheinung trat, schon in den Osterferien, bekamen die LordS wieder aus dem ganzen Lande maffenhafte Winke mit dem Zaunpfahl. Riefige Ver- sammlungen unter freiem Himmel wurden abgehalten. An dem großen Reformmeeting in Birmingham nahmen nicht weniger als 150 000 Menscben teil, die allesamt den Eid leisteten, für die Reform- fache einzutreten„mit ganzer Treue, durch jede Gefahr und Eni- behrung hindurch für uns und unsere Kinder". DaS war am 7. Mai 1832. Am gleichen Tage begannen die Komiteeberatungcn der Lords und brachten alsbald die vorläufige Entscheidung. Gleich die erste Abstimmung nämlich fiel zuungunsten der Regierung auö, worauf Lord Grey sofort Aussetzung der Verhandlungen auf drei Tage verlangte. Die Regierung entschloß fich nun zu dem. waS ihr als äußerstes Mittel vorschwebte, den König um Vornahme des PairSschubes an- zugehen. Am 9. Mai traten fie in diesem Sinne an den König heran und erhalten zunächst nicht eben ungünstigen Bescheid. Uebcr Nacht aber kam es ganz anders. Der König, der immer nur mit halbem Herzen bei der Reformbewegung gewesen war, unterlag über Nacht reaktionären Einflüsterungen, die seine Frau geltend machte, lehnte am nächsten Morgen daS Verlangen des Pairs- schubs ab und gab den Ministern ihre Entlassung. Das nächste, was daS Land von den königlichen Entschließungen vernahm, war die fast unglaubliche Tatsache, daß kein anderer als der Herzog von Wellington, der geschworene Gegner jeder Reform, mit der Bildung eines neuen Kabinetts betraut war. DaS bedeutete nichts Geringeres als eine reaktionäre Kriegserklärung nicht allein an die Reformbewegung, sondern überhaupt an die bis- herige Regierungsform, an das anerkannte Uebergewicht des Unter- hauseS. Daß man in den reaktionären Kreisen tatsächlich daran dachte, eS mit einer Politik der militärischen Gewalt zu versuchen, zeigte die Tatsache, daß Wellington Schreiben an die Offiziere des Beurlaubtenstandes ergehen ließ, fich zum Dienstantritt bereit zu halten. Die Truppen wurden in den Kasernen niarsch- bereit gehalten; allerdings bestanden starke Zweifel, ob sie auch durchweg bereit sein würden, gegen das Volk zu marschieren. Wie dem auch sein mochte, darüber ließ die Austiahine der konservativen Schilderhebung durch das Land keinen Zweifel, daß das Volk entschlossen sei, der Gewalt die Gewalt entgegen- zusetzen. Neberall fanden Massenversammlungen statt, die be- schloffen, nun die Steuerverweigerung ins Werk zu setzen. In Birmingham beschlossen 100 000 Mann, sich zu bewaffnen, um nötigenfalls die Gewalt mit der Gewalt vertreiben zu können. Die Arbeitermassen des Nordens bekundeten ihre Entschlossenheit, auf London zu marschieren. In London selbst herrschte die gleiche Erregung bis hinauf zu den Aldermen und dem Lord-Mayor. Diese städtischen Würdenträger verlangten vom Parlament, was überall die Losung deS Tages war, Steuerverweigerung, und im Unterhaus trat der Abgeordnete Hume mit einem Antrage in diesem Sinne hervor, der den Beifall der Mehrheit fand. Gleichzeitig begann bereits das be- fitzende Bürgertum, der Bank von England ihre Noten in Masse zurückzuaehen und fie dadurch au den Rand des Bankerotts zu treiben. Für die Reaktionäre war es nicht mehr sicher, fich auf den Straßen blicken zu lassen. Der König selber wurde mit Zurufen begrüßt, die alles andere als liebenswürdig waren, und es fehlte sogar nicht an Kotwürsen gegen seinen Wagen. Kein Zweifel, wenn die Reaktionäre fest blieben und ernstlich versuchten, mit Gewalt das Wahlrecht der verfaulten Flecken und die Alleinherrschaft der Junker und Jobbers aufrecht zu erhalten, so kam es zur Revolution. Aber eben, weil die Tories dies mehr und mehr merken mußten, kamen fie zur besseren Einsicht. Hein« meinte damals, ob die Tories vielleicht unter den Steinen, womit man ihnen die Fenster einwarf, zufällig den Stein der Weisen ge- funden hätten. Jedenfalls, sie wichen vor dem beginnenden Sturm zurück und unterwarfen sich dem Willen des Unterhauses oder viel« mehr des Volkes, von dem daS Unterhaus geschoben wurde. Am 15. Mai 1832 schon erklärte Wellington dem König, daß seine Ver- suche, ein Kabinett zu bilden, gescheitert seien. DaS Reformministerium trat alsbald wieder ins Amt, diesmal mit der königlichen Ein» willigung zu einem Pairsschub, wenn ein solcher nötig sein sollte. So weit ließ es nun aber die konservative Mehrheit des Oberhauses nicht kommen; sie verzichtete jetzt selbst auf den Widerstand gegen die Reform. Mehr als hundert LordS, mit Wellington an der Spttze, blieben den weiteren Verhandlungen in der Resormfrage fern, und so kam es, daß auch ohne Pairsschub im Oberhaus eine Majorität für die Wahlreform vorhanden war. Die Bill passierte ohne weitere Schwierigkeiten die letzten Stadien der parlamentarischen Beratung und am 7. Juni 1832 wurde die Reformvorlage durch die königliche Genehmigung Gesetz. Auf solche Art setzten die Engländer die erste Wahlreform durch, dieselben Engländer, die das preußische Ministerium samt seinen reaktionären Myrnudonen dem ums Wahlrecht kämpfen« den Proletariat als Muster vorhält. A. Conrad#. Die Entstellung der familien» namen.*) Als die Menschen anfingen, sich in der Welt einzurichten, da gaben sie den Gegenständen, die sie um sich sahen, Namen, und ebenso bezeichneten sie sich auch gegenseitig mit bestimmten Worten, um die Personen, zu denen oder von denen sie sprachen, zu unter- scheiden. Aber während bei den Tieren und leblosen Dingen ein Wort immer zur Bezeichnung einer Menge gleichartiger Gegen- stände diente, wie Löwe, Baum, Haus. Stein, die Gattungs- namen, und während hier nur einzelne große Gegenstände ihre besonderen Namen erhielten wie die Berge, Flüffc, Ansiedelungen, erhielt von den Menschen jeder seinen besonderen Namen, der ihm allein eigentümlich sein sollte. Das ist der Begriff, den wir noch heute mit dem Worte Eigenname verbinden, daß dieser näm- lich einer Person oder einem Dinge allein gehören soll. Wie es nur eine Dongu, nur einen Sinai, nur ein Hamburg gibt, so sollte auch bei den Menschen jeder Name nur eine ganz bestimmte Person bezeichnen und keine andere. Bekommen auch die den Menschen umgebenden Tiere, die Hunde und Pferde, Einzelnamen, zuweilen auch leblose Dinge wie Schiffe, berühmte Waffen, so werden auch sie eben dadurch aus der Gattung heraus und gewissermaßen zu Personen erhoben. Ein Name genügt in der ältesten Zeit zur zweifelsfreien Bezeichnung der Personen: bei allen Völkern tragen die Menschen zunächst nur einen Namen. Ein Name genügt, denn die Zahl der Menschen, die miteinander in Berkehr stehen. ,ft klein, so daß man im ganzen nicht allzuvieler Namen bedarf, und andererseits ist die Sprache noch schöpferisch und bringt eine Fülle von Namen hervor. Sinnvoll wird für das neugeborene Kind der Name ge» bildet. Im Alten Testament wird fast bei jedem Namen Herleitung und Bedeutung angegeben. Ebenso schafft man in Teutschland sinnvoll die Namen: Das zeigen uns die in derselben Familie ver» einigten Siegmund, Siegclind, Siegfried; Heribra itd, Hildebrand, Hadubrand. Auch hier bot die Zusammensetzung zahlreiche Möglich» leiten der Abwechselung. Viele deutsche Namen beginnen oder schließen mit dem Worte hild Kampf: Hildebrand. Hildegunde « Kriemhild , Brunhild . Sinnvoll wird der Name gebildet, ein Ge- schenk fürs Leben soll das 51ind mit ihm erhalten, all das Gute und Schöne, was z. B. der Name Siegfried enthält, soll der Knabe, der den Namen erhält, dereinst als Mann an sich tragen.„Schöne Namen reizen auch zu schönen Taten", diesen Grundsatz, den Fischart so im Gargantua ausspricht, haben zu allen Zeiten die Eltern bei der Namengebung bewußt oder unbewußt befolgt. Im Gegensatz zu der Einnamigkeit der alten Zeit führt nun der Mensch heute im wesentlichen zwei Namen. Wir nennen den ersten den Vornamen, den zweiten den Familiennamen. Und zwar sind unsere Familiennamen im wesentlichen von vierfacher Art: Es ist entweder noch ein zweiter Vorname *) Wir entnehmen obcnstehende Ausführungen dem 290. Bänd« chen der Sammlung„Aus Natur und Geisteswelt":„Die deut» scheu Personenname n". Von Professor Alfred Bähnisch in Kreuzburg sO.--D.)(Verlag von B. G. Tcubuer in Leipzig . Preis geh. i Mk., in Leinwand gebunden 1,25 Mf.), das, aus, gehend von einer Schilderung der ursprünglichen Zeit der Ein« namigkcit und der Entstehung der Familiennamen im Beginn de» Mittelalters, und einer Erörterung über die ursprünglichen Einzel» namen und ihre Verwendung als Familiennamen, eine durch eine Fülle von Beispielen belebte, erklärende Uebersicht über das ge». amtc Gebiet der deutschen Vor- und Familiennamen gibt, ein- chließlich der aus fremden Sprachen übernommenen,
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27 (12.2.1910) 31
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