Hlnterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 32. Dienstag, den 15 Februar. 1910 lNaSdru« WtCoten.) 82] Im jVamen dee Gcfctzca, Von Hans Hyan . Frau Poppe hatte Hellwigs Abwesenheit benutzt, um rasch hinter zu gehen in Ellas Zimmer, wo das Mädchen in haltlosem Schluchzen auf dem Bettrande saß. ..Aber, was is Ihnen denn, Kleinchen?" Die Blonde, deren reiner Teint schon gelitten hatte unter den täglich angewandten Schönheitsmitteln, antwortete nicht. Sie weinte so sehr, daß ihr zarter Körper wie im Krämpfe flog. Knnnten Sie den jungen Mann vielleicht früher?" fragte Frau Amanda vorsichtig. Es is... es is... mein Bruder!" brachte Ella stoß- weise heraus. Das energische Gesicht der Frau spannte sich noch mehr. Ihr Bruder... hm... wollen Sie mit ihm reden? Und ohne die Antwort des Mädchens abzuwarten, fuhr sie fort: Das heißt, das hat jetzt gar keinen Zweck! DaS würde nur Aerger geben.. Ich will auch nichl" schluchzte Ella dazwischen. Ziehen Sie sich schnell an!" sagte Frau Poppe be� stimmt,Huldine wird Ihnen helfen!... Ich werde sie gleich rufen!... Und dann, liebes Kind, sofort weg! Sie gehen die Hintertreppe runter, zu Frau Sternheim. Da bleiben Sie bis heute abend und kommen erst, wenn das Haus geschlossen wird, nach der neuen Wohnung. Sollte er mich fragen nach Ihnen, Ihr Bruder, da sag ich ihm einfach, er hat sich geirrt! Es laufen mehr bunte Hunde in der Welt ruml" Sie trat einen Schritt ins Nebenzimmer,: Huldine l" Eine Schwarzhaarige kam mit gewaltigen Brüsten, über denen die glänzenden, eben geflochtenen Zöpfe lagen." Sie sind wohl so freundlich und helfen Fräulein Ella ein bißchen, Dinchen, ja? Unsere arme Kleine!" Sie strich ihr, die, mit geröteten Augen vor sich hin starrend, auf dem Bett saß, über das goldige Haar,sie hat Kummer gehabt! Aber Kopf hoch. Ellachen!... Das is alles nicht so schlimm!... Drin sind wir nu mal und durch müssen wir!" Mit dieser ihrer Lieblingsredensart ging die Walküre wieder nach vorn, wo gleich darauf Georg mit den Getränken erschien, den sie von nun an nicht mehr aus den Augen ließ. Die anderen Männer waren schon emsig bei der Arbeit, die sie für einen Moment unterbrachen, um sich zu stärken. Georgs romantische Phantasie hatte sich in der kurzen Zeit immer tiefer hineingegraben in das Unrecht, das ihm und den Seinen auch hier wieder angetan wurde. Er hatte- sich all die harten drohenden Worte zurecht gelegt, mit denen er der blonden Dame jetzt entgegentreten und seine Schwester herausverlangen wollte. Er selbst war der erste gewesen, der Ellas Beziehungen nachspürte und ihr Unmoral vorwarf. Von der Mutter hatte er später erfahren, daß seine Schwester einige Zeit bei Wietze Blankenstein gewohnt hatte, und was das auf sich hatte, darüber war er sich vollkommen klar. Und trotzdem sträubte sich sein ganzes Ehrgefühl dagegen, seine Sc�vester hier als öffentliche Dirne wiederzufinden. Er selbst war ja auch von dem bürgerlichen Gleise der Wohl- anständigkeit abgeglitten, aber seine Großmannssucht war fest überzeugt, daß er trotz aller Fchlschläge nur zu wollen brauche, um wieder vollständig rehabilitiert zu sein: ja um die, die ihn jetzt noch über die Achsel ansahen, zu übertrumpfen und auszulachen. Daß man seine Schwester zur Prostituier- ten gewacht hatte denn Ellas eigenes Verschulden stellte sein Trotz jetzt entschieden in Abrede, das brachte ihn in Wut und stachelte seinen Haß gegen dieandern", diese große, nebelhafte Gestaltenmasse, die er wie ein feindliches Heer sich gegenüber stehen fühlte.... Als er jedoch oben war, in der großen, schon geräumten Wohnung, im Hin und Her seiner Mitarbeiter, die einzeln und zu zweien die schweren Möbelstücke hinausschleppten, wie er sich so der ihn mit großen, heiteren Augen anblickenden Frau gegenüberfand, die fortwährend kommandierte, mahnte und sprach da kriegte er kem Wort heraus! Er verschob seine Absicht von einer Minute zur anderen, trank, soviel er nur bekam und wurde dadurch innerlich immer erregter. Eben wollte er sich von dem Kleinen. Breitschultrigen eine ziemlich sckMere Bücherkiste auf die Achsel hinaufhelfen lassen, als wieder zwei Mädchen eintraten, schon fertig zum Ausgehen/ in langen Pelzstolas über den dunklen Schneider- kleidern und mit mächtigen Federhüten auf deg frisierten Köpfen. Georg hatte sie nur von der Seite gesehen. Die eine war von zartem Wuchs und hochblond wie Ella, und im festen Glauben, er habe seine Schwester vor sich, warf der ehemalige Knopfdrücker, förmlich aufbrllllend,, die Kiste von sich. Auf den fürchterlichen Krach flog Frau Amanda vom Korridor ins Zimmer: Was is denn?... Was is denn los?!" Der junge Hellwig hatte sich schon von seinem Irrtum überzeugt. Aber den Damm aus Zagheit und Respekt hatte seine Wut durchbrochen. Vor die Frau hinspringend, brüllte er und drohte mit der zur Faust geballten Linken: Wo is meine Schwester!... Augenblicklich lassen Se se raus aus die verfluchte Hurenbude l... Raus, sag ich!... Her mit ihr!... Oder ick schlag Ihnen Ihren janzen Krempel kurz un kleene!..." Und aus dem Paroxismus seines Zornes, der sich in Worten gar nicht austoben konnte, schrie er fortwährend: Ella!... Ella!... Ella!..." Die Frau zitterte leise, wie wenn sie ein heftiger Schlag getroffen hätte. Sie wußte genau, was jetzt für sie auf dem Spiele stand, und gerade das half der Vielerfahrenen ihre Besonnenheit bewahren. Ich verstehe Sie nicht!" sagte sie mit lauter Stimme, aber scheinbar ohne jede Unruhe. Denn wer'n Se mir dastehen lernen!... Jleich, sag ick Ihnen! Passen Se mal uff!,.. Sie altes Sticke Modder!" Er stürzte an ihr vorbei, in die hinteren Räume, um selbst nach seiner Schwester zu suchen, die längst die Hinter- treppe hinunter zu jener Frau Sternheim geeilt war, die der Poppe als Zutreiberin diente und die eines schönen Nach- mittags so auch die gänzlich verzweifelte Ella Hellwig ge- troffen und sie überredet hatte, bei Frau Amanda Wohnung zu nehmen. Die Frau rannte bis an die Korridortür, winkte die Möbelleute herein und schloß die Entreetür hinter ihnen. Und schon wieder hielt sie das Zaubermittcl in ihrer großen. schöngepflegtcn weißen Hand, diesesSesam , öffne dich!", vor dem die Herzen der Armen so selten verschlossen bleiben. Was kam es ihr auf ein paar Mark mehr oder weniger an, wenn es nur gelang, diesen schändlichen Lärm zu stillen, ohne daß etwa gar die Polizei sich einmischte!... Und die Ziehleute, rabiate Brüder, die auch dem Neuen nicht sehr grün waren, traten sofort auf die Seite der Frau. Wenn Sie sagen, et is so, junge Frau," meinte der Große mit dem fuchsigen Schnurrbart,det jenicgt uns voll- kommen!"...Wat hat'n der Kerl ieberhaupt hier rum- zuschrcienl! Steckt kaum erst de Reese rin in det Geschäft un wird hier gleich'ne Lippe riskieren! Det wer ja noch scheener! nich wah, Eduat?!" Der Kutscher, etwas wortkarger Natur, fragte bloß: Wo is er denn?" Die Frau zeigte nach hinten, wo man sich näherndes Stimmengewirr vernahm. Jetzt schimpft er mit den armen Mädchen!" Das war geschickt! Die Ritterlichkeit dieser durchweg angeheiterten Kraftmeier brauchte sie nur noch anzurufen! Alle fielen sie da iiber den Kameraden Herl Und der Breit- schultrige schrie: Na, wirste jefällichst rauskommen. Du? Wat hceßt denn det, sich hier in fremde Wohnungen rumzudreiben!.., Nachher fehlt wat!,,