Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 34.

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Donnerstag. den 17. Februar.

( Nachdruk berboten.)

8 Im Namen des Gesetzes.

Von Hans Hyan .

Georg lächelte ein bißchen verlegen, diese Denkweise, Seren Logik er wohl erkannte, war ihm noch zu neu.

Na, wie jehts ihr denn, die Emma?" sagte der Grüne nun wieder, macht se sich denn schon' n bisken?"

Georg zudte unbehaglich die Achseln. Er war seit vier Tagen nicht mehr draußen gewesen im Krankenhaus; nicht weil es ihm an Interesse mangelte, sondern aus der Un­schlüssigkeit, der Tatenlosigkeit des Darbenden heraus, der fich schämt, einem anderen, der noch schwerer leidet, mit seiner Not zu quälen.

Na denn wird et woll am Ende janich wieder mit ihr werden? Det sollte ma aber wirklich leid dun! Sonne träftje jesunde Person! Wte tam denn det eijentlich? ach so ja, Fliegenfuß hat ma schon jesagt: ne Fehljeburt... hat woll wat jemacht, wah

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..Ne, id hatte ihr iestoßen, aus Versehen!..." Georg war glühend rot geworden. Die beiden anderen Buhälter, die an jenem Abend ja auch im Varieté gewesen waren, und wohl wußten, wie fich alles zugetragen hatte, fahen sich einen Augenblid an und blickten dann gleichgültig vor sich hin. Aber Georg hatte ihre rasche Verständigung wohl bemerkt und Scham und Zorn machten ihn ganz unsicher, wie er sagte:

Na ja, unfaena, wenn der mal wat in de Krone hat un se kommt ein in Weg!... Abfichtlich hab ic't doch nich ge­tan! Un id würde Gott wees wat drum jeben, wenn ich fe wieder jesund machen könnte!... Denn die, die war so jut zu mir, wie feen anderer!.

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Er hatte den runden Marmortisch mit den Händen ge­faßt, der unter des Mannes tiefinnerster Bewegung zitterte. Dann sagte Georg:

" is ooch besser, id jehe wieder! Idk passe nich unter Menschen... vielleicht wenn se wiederkommt!... sonst.. na, schließlich een Ausweg findt ja jeder!"

Er wollte aufstehen und fort, aber der grüne Heinrich faßte ihn fest beim Arm.

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Du machst een ja ordentlich iraulich, Mensch!... Aber die trieben Jedanken, die laß man fahren, dafor biste noch biffe zu jung!... die laß man fahren. Hier steck da' n an­ständie Bigarre an und denn trinkite en Ronjad!... pit, Du, Theo! bring uns mal ne Lage Sonjaden, aber jleich na doppelte, damits Jerenne nich immer is! So, nu weßte, wat wa nu machen. Nun bleib'n wa erst hibsch noch' n bisfen sitzen und schmettern ne Schale Schusterpunsch und denn machen wa uns beede uff und pilgern raus nach'n Friedrichs­Hain zu Emmaken!... Wat meenste, wat die vor Dogen machen wird! Je na ne olle jute Beere! Idk habe mir nie ieber ihr zu beklagen jebatt! Natierlich hat sie bei mir manchmal ooch' n Dings gefriegt! Det ist nich anders! Det jehert zu! Und dat det mal schif abloft, jrade wo se in andre Umstände war, na davor kann man nich!"

Der Kellner brachte die acht Gläser Kognak und den schon vorher bestellten Staffee und der grüne Heinrich zahlte mit splendidem Trinkgeld.

Det muß erst alle wern!" lachte er, wat' n anständjer Jannef is, der hält nischt von die 3- Minze!"*)

Sis nemlich sein Arbeiterverdienst aus de Lehrter Straße ," fagte Fliegenfuß, wo er die letzten drei Jahre Stühle jeflochten hat!"

Nee zuletzt wa if bei de Tischler," korrigierte ihn der Grüne, id fage Eich, ich hau' ne Kommode zusammen, det es man fonne Art hat!"

Ja un det nachher feen Kasten mehr heile von is!" lachte Fliegenfuß, ihn absichtlich mißverstehend.

Als der Kaffee getrunken war, drängte der Grüne selbst zum Fortgehen. Hatte ihn auch die Sehnsucht nach der ehe­maligen Liebsten so gepackt oder trieben ihn andere Absichten aus der Knutigen Sieben" hinaus auf die Straße?

*) Das im Zuchthaus verdiente Geld.

1910

Georg dachte nur an das arme Mädchen, das die Mutter feines Kindes und sein Weib hatte werden sollen und das ihm jetzt so not war wie nie vorher.

Der grüne Heinrich tat alles, um ihn von dem Hinstieren auf diese traurigen Dinge abzulenken. Doch all seine Er­zählungen aus dem Leben im Buchthaus, denen Georg sonst mit dem größten Interesse gelauscht, die er verglichen und ausgetauscht hätte mit seinen eigenen Schicksalen im Ge fängnis, des Grünen noch so farbene und übertriebene Schil­derungen konnten heute feine Teilnahme bei Georg er. wecken... So ging der Verbrecher, der gut beobachtete, eine Weile schweigend neben Georg her und dachte nach... Er wollte den da haben, für sich und seine dunklen Pläne! Sein schwacher Instinkt witterte in dem starken, jungen Menschen einen Komplizen, wie er ihn brauchte. Und ohne vorläufig etwas von seinen Absichten preiszugeben, suchte und grübelte er, wie er den Verschlossenen, dessen harte Schweigfamkeit ihn am meisten imponierte, beizukommen sei.

Is doch eintlich merkwirdig," fing er nach einer Weile an, als hätte er so lange über das Problem nachgedacht, daß irade die stärksten und brauchbarsten Menschen in de Welt rumloofen, ohne Arbeet und ohne Jeld!... d weeß nich. Du bist doch nu eener, der Baime ausreißen fennte, un hast doch nischt! Und' s nimmt Dir och keener! Rannst machen, wat de willst!... Denn daß Du Dir alle Mihe tibbst, daß de von frih bis spät rumloofst, um wat zu kriejen, det weeß icht Det feh ick Dir an de Neese an! Aber Du frichst nischt! Dir will feener un warum?... Fliejenfuß hat ma schon davon ieflistert, Du hast ooch Dein Kinast wech, wie wir alle!"

Ja un unjerecht!" schrie Georg laut auf, ohne Rücksicht auf die Passanten in der belebten Straße, absolut un­ierecht!"

Sott jat" sagte der andere mit gutmütigem Spott ,,, na­türlich unjerecht... unjerecht is allens! Wat heeßt über­haupt unjerecht?... Der eene hat was und der andere hat nischt. Un wer nischt hat, na der nimmt sich eben wat! Un wen er dabei jekappt wird, denn saust er rin und jeht hoch. is dat etwa jerecht? Det is Quatsch, sage ic Dir! Wenn ic so schlau bin, det ick en andern wat wechynehme un er merkt et nich, oda idk bin stärka wie er, na, davor kann ich doch nischt! Laß' n doch besser uffpassen... Is doch seine Sache und nicht meine!..."

Nein, nein!" beharrte Georg mit einem ärgerlichen Kopfschütteln, davon is ia ja keene Rede! Idk bin zu Un­recht rinjekommen! Denn ich habe nischt jemacht! Nich so­biel!" Und nun erzählte der ehemalige Knopfdrücker dem Aufhorchenden an seiner Seite jene fast lächerliche Geschichte von der Talmiuhr, die aber doch sein Leben zerstört und ihn für immer aus der Bahn geworfen hatte.

Der Grüne ging mit schlenkernden Armen, den dicken Kopf leicht gesenkt, neben dem eifrig Redenden her. Und die Maske eines verwunderten Interesses verbarg seine Freude, daß er nun endlich heraus hatte, an welcher Stelle Georg an­zufassen sei und wie er ihn am besten in das Net seiner ver­brecherischen Pläne verstriden könnte.

Da is' t Dir ja ebenso jejang' wie mir!" sagte er schlich lich und erzählte, im Handumdrehen erfindend, eine Räuber­geschichte, in der er selbst als reiner Unschuldengel zum ersten­mal seiner Freiheit beraubt wurde.

Wie alt warste denn da?" fragte Georg.

Bierzehn," sagte der Grüne etwas unvorsichtig, merkte aber sofort, daß Georg diesen allzu frühen Konflikt mit dem Strafgesetzbuch stubig machte.

Seh mal," sagte der ehemalige Förster, und jetzt sprach er die Wahrheit, wenn eener, wie ich, als unehelichet Kind bei fremde Leute for fuffzehn Mark uffgezogen wird und frischt nischt als Reile, denn is doch ooch feen Wunda, wenn man sich dajejen empeert, wenn man iroß wird, un zahlt se det heim, wat se een jesindicht ham! Idk bin' n janz juter Mensch, aber ick will auch meine Pochtzjohn ham aus den iroßen Topp, wo de Reichen dranfißen und dun nischt un machen siebenmal in de Woche Fettlebe! Ich bin nich etwa vor die alliemeine Teilung, ib ott bewahre! Laß jeder sehn wie er fertig wird! Aber det equaf von Sinde un Verbrechen. Wenn ich heute Fabrikbesiger bin, denn schind