Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 39. Donnerstag den 24 Februar. 1910 �Nachdruck verSoten.Z 30] Im JVamen des Gefetzes. Von Hans Hyan . Die in Todesangst auf die beiden Männer starrende Blonde wollte leise bitten. „Aber Jeorchl Jeorch!.. Er schrie sie an und wandte sich wieder an den Schwarz- haarigen, der das linke Auge zukneifend, plötzlich sagte: „Aber die blasie Adele, die braucht eenen, was?" Georg lachte. „Die braucht keenen und die hat noch keenen! Wat die braucht, det hat sei Nemlich'n Freund, der ihr bcschitzt vor solche Elemente, wie Du eena bistl Un der nie nich dran denkt, det arme Meechen ooch bloß een roten Pfennich ab- zunehmen. Du Dussel !" „Jeorch," sagte seine Schwester wieder,„laß ihn doch, er hat mir ja nischt jetan! Er war ja jutl..." „Jetan soll er Dir ooch noch wat hab'n? Na, det wer det letzte, denn könnt er wat erleben!... Js et etwa nich jenuch, det er Dir Dein Jeld abnimmt,>vat de Dir uff sonne hundsföttsche Art und Weise vadienen mußt! Js det noch nich jenuch, nee? Na, wat stehste denn da noch imma. Du?" wandte er sich jetzt im auflodernden. Zorn, wie ein gereizter Stier, dumpf aufbrüllend, an den andern, der einen Schritt zur Tür hintrat und die rechte Hand in die Tasche senkte... Doch Georgs Auge wich nicht eine Sekunde von ihm, und unter diesem flammenden Blick fand er die Kurage nicht. die Hand, in der das Messer bereit lag, aus der Tasche zu ziehen. „Raus!" sagte Georg und kam auf ihn los. Retierierend keuchte der andere: „Warte, Du! Det sollste sehn!... De Brieder, die wern Dir schon!"... Damit war er hinaus und Georg warf die Tür hinter ihm zu und riegelte ab. Dann ging er ein paarmal in dem rot erleuchteten Räume hin und her: Ella saß bedrückt auf dem Rande des auf- geschlagenen Bettes. „Nu wern se mir't Leben schwer machen, wie sc kenn'," seufzte sie,„Du hast ja keene Ahnung, wie die zusammen halten, und Du wirst et ooch bald sehn! Wer eenen aus'n Klub was tut, der hat se jleich alle uff'n Hals... lieber Jeorch, Du bist ja gut. aber wall soll ich denn nu machen? Denkste ich kann jetzt noch in'n Caf6 gehn? Un wenn wa ooch janz wo anders hinziehn, die Klubs sind alle einig mit- einander! Was der eene sagt, das muß der andere tun! Du sollst mal sehn, Jeorch, Dich beißen se ja ooch raus!..." Georg lachte sorglos. Zum erstenmal, solange er ihn kannte, dachte er voller Befriedigung an den grünen Heinrich. Die andern konnten ihm sonst was! Und jetzt wußte er auch, was er dem Grünen sagen wollte, morgen, wenn sie sich trafen!... Er beruhigte die Schwester und verstand es in dem langen Gespräch, was die Geschwister in dieser Nacht noch hatten, geschickt in Erfahrung zu bringen, daß Frau Amanda Poppe, weil sie jeden Tag mit ihrer Flucht rechnen mußte, ihr ganzes Geld in einem eisernen Kasten, im Schlaf- zimmer unter ihrem Bett verwahrte. Erst gegen Morgen schliefen Georg und Ella ein. Sie hatte ihm ihr Bett abgetreten und lag selbst auf dem Divan. Und da ruhte sie, nach langer Zeit zum erstenmal wieder mit einem reinen heitern Lächeln auf dem jungen Gesicht, das soviel Böses gesehen und dem das Schlimmste und Schmerz- lichste noch aufgehoben war. 26. „Det hettste nu vielleicht lassen kenn'!" sagte der grüne Heinrich, als er und Georg gegen 16 Uhr abends das Elisabeth- ufer hinuntergingen,„ick weeß nich, wenn ick det vameidcu kann, denn mach ick mir in meinem eijenen Kreis keene Lanzen!.... Na ja." fuhr er auf eine unwillige Bewegung Georgs fort,„ick weß,'t is Deine Schwester. Un Du bist cbent'n Mensch, der zu seine Familie hält... ick for meene Parte, ick kenn sowat janich! Sach' mal. Du kannst da jewiß nich erinnern, det ick da schon mal mit meine Familie belästigt habe... Un dabei leben se... Später, wie ick in Fi«> sorje kam, da Hab ick se wieder mal jesehn... Meine Olle hat denn'n Tischler jeheiratet un da is, soviel ick jehert habe, noch'n ganzet Jeheck Kinda... Na, mein Sejen haben se, aber Sehnsucht, Sehnsucht nach Hause... nee weeßte Jeorch, ick weeß ja nich wie son Ding aussieht. Ick find's ooch Quatsch!... Wenn zwe Menschen zusammen krauchen un machen'n Kind, det is schon schlimm jenuch, det dabei der Wurm nich jefragt wird, ob er will oder nich.... Ick sage Dir, ick hätte nich jewollt!... Denn wat ick vor ne Kindheit durchjcmacht habe— na, weißte, man sollt ja nich jloben, det son kleenet Jeschepf so jequält wern kann.... Die Frau, wo ick zuerst war, wo ick noch so dran denken kann, die hatte allcene viere und jing waschen.... Aber der Mann war zu Hause,'n Saifcr! Der hatte sich nun janz was Besonderes mit mir ausjedacht: Ick mußte'n de Beene hin- halten und denn schmierte er mir de Sohlen mit Faßfcefe in— Stiebel und Strimpfe jab et natürlich nich!— un denn mußt ick loosen. Ratierlich schlug ick immerzu hin un denn wollt er sich dodlacheil... Un wie ick't erscht raus hatte un lief brettbeenig, da schlug und stieß er mit so langen Stock, det ick doch hinplumpste... Na un Keile jab't ieba- Haupt bloß enmal'n Tag! Un zu essen war for mir so jut wie janischt da, die Wauptsache war, det ick fuffzehn Mark brachte... Ratierlich klaute ick schon als kleener Junge wie'n Rabe und denn nachher in Fiersorje...." Er schwieg und lachte tonlos in sich hinein. Georg, immerfort an ihr heutiges Ziel denkend und von einer ent- setzlichen Unruhe gefoltert, glaubte etwas sagen zu müssen. In einem Ton, aus dem man seine Zerstreutheit und die innere Angst heraushörte, sprach er: „Nc , dies kann ick wirklich nich sagen! Meine Eltern haben schön für uns jesorcht... bloß der Alte... na, det is n' Mensch, der sein Leben lang nischt Unrechtes jetan hat .... der kann sich nicht rinfinden in sowat... un denn will er in alles reinreden. Det jeht doch nich, dazu bin ick doch zu alt!..." „Ja, aber't is doch merkwirdig, det ihr denn so janich jeworden seid... Du und Deine Schwester... Dr sagst doch, dat se son anstendjet und nettet Meechen war...' seh mal, Jeorch, wenn sowat passiert, ick weeß nich, denn Hab ick imma de Eltern in Vadacht... aber Dir hab'n se doch wenigstens lieb jehabt, so lange de kleen wahst... bei mir, na Mensch! wenn Du det durchmachen solltest, wat ick in det rote Haus da draußen in Friedrichsberg ausjestanden habet Ne, mit mir hat, solange ick lebe, noch keen Mensch Mitleid jehatt... und darum habe ick ooch keen Mitleid! mit kecnenl ... ob se arm sind oda reich, vor mir sind et meine Feindet Un darum Hab ick ooch keene Angst nicht uff son Weg wie heite... Du hast det imma nich jloben wollen, wenn ick Dir sage, ick arbeete... siehste, det is eben meine Arbeet� un so Wien Arbeiter, wenn er früh rausjeht an seine Arbeits- stelle, so ruhig, wie der dabei is, so ruhig bin ick ooch!... Passiert mir wat, na schcen, damit muß ick eben rechnen... aber eben so leicht kann ooch'n andern wat passieren... de Hauptsache is kalt Blut und warm anjezogen!..." „Aber ängstigste Dir denn nich, det is doch..." Georg stockte, und sein schweres Atmen ließ das, was er von seiner eigenen Furcht und Verzagtheit sagen wollte, erraten.... „Det is bei Dir ooch bloß det erste oder det zwete Mal," meinte der andere mit vollkommenem Gleichmut,„ick sage Dir, man jewehnt sich daran jenau so jut, wie an wat anderes. .... Na, un denn, wat bleibt Dir denn schließlich ooch weiter iebrig?!" „Ja, ja," sagte Georg tonlos," was machen muß ich ja ... hier in Berlin bleiben, nee, det jeht vielleicht noch'n paar Tage, aber denn..�.." „Un Du mecnst wirklich, det se hinter Dir her sind... weeß denn die Olle bestimmt, det's Jeheime waren, die nach Dir jefragt haben?" „Na jewiß!" Georg machte eine ungeduldige Gebärde, „det war ja'n reener Zufall, det ick se in de Rothenburjer Straße in Jemüsekeller getroffen habe..." Er verschwieg, daß er an dem Morgen, wo er aus Ellas Wohnung kam, lange angstvoll und mit Gewißheit den Besuch
Ausgabe
27 (24.2.1910) 39
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten