bas Sascha nicht zurückgekehrt war. Vorne erwartete ihn unentrinnbarer Jammer und schwerer dichter Schrecken. Wenn man Arsenjews Seele hätte öffnen können, würde sein Kummer, sein Schrecken und ferne Verzweiflung vielleicht die ganze Welt erfüllt haben' in Wirklichkeit sah er ruhig, friedlich auf dem Rande der Schlittenbank und blickte un- verwandt auf den vorüberflkgenden Schnee: so ungeheuer war die Leere ringsum und so wenig Platz nahm seiner Mei- nung nach seine dunkle, schweigende, ohnmächtige Gestalt in dieser Leere ein. Ein berghohes, riesiges Gebäude, das Krankenhaus. tauchte hinter einer Stratzenbiegung vor ihni auf und rückte schnell näher. Der Schlitten hielt. In den Krankenhauskorridoren herrschten Leere und Helligkeit. Ein erstickender Krankengeruch lag in der Luft, und man traf überall Menschen in weißen, sauberen Kitteln. Einer gab Arsenjew ein Blatt Papier   mit den Namen der Verwundetem Er überflog es blitzgeschwind mit den Augen, konnte aber nichts fassen, als ob er das Lesen verlernt hätte. Neben ihm stand der Mensch in weißem Kittel und wartete bekümmert. «Hier ist sie nicht.. sagte Arsenjew endlich dumpf. Nein." Arsenjew schüttelte den Kopf, der so schwer war, das er das llcbergewicht bekam und den ganzen Körper in Schwanken brachte. Sprechen konnte er nicht, weil ein dicker, runder Kloß in feiner Kehle saß. Hieraus führte man ihn in den Korridor zwischen toten elektrischen Bogenlampen hindurch und öffnete eine Tür. In dem schwarzen Türviereck stand Finsternis. Jemand ging an ihm vorüber, strich mit der Hand an die Wand und die Finsternis verschwand mit schwachem Knacken. «Schluß folgt., (J!a<5Snitf»«tofenj 131 Der Totengräber. Bon Josef Ruederer  . Friedl zuckte zusammen. Zehn llhrl Und immer noch nicht hatten sie ihn heimgebracht! Jetzt mußte er sich selbst überzeugen. was mit dem Alten war. Länger duldete es ihn nicht mehr im Haufe. Er ging zum Godinger. Wie ihm das Sonnenlicht auf die Finsternis der Nacht so blendend in die Augen stach, als er die Dorfstraße entlang schritt! Jedem Menschen, dem er begegnete. sah er fragend in? Geficht, denn er meinte, man müßte es ihm Von allen Seiten zurufen: Du, Dein' Bater haben's'rauszogen drunten am ersten Wehr!" Aber alle gingen teilnahmslos an ihm vorüber und brummten «ur ei» verdrießlichesGrüß Gottl" Auf der Brücke hielt der Friedl ein und sah auf die stürnienden Wasser hinab. Gelb und schmutzig kamen sie her, und weit hinaus verloren sie sich in die überschwemmten Ufer. Wohin mochten sie den Großvater getragen haben? Vielleicht konnte ihm der Godinger doch etwas mitteilen. War mei Bater gestern da?" fragte er. als er in die schmutzige Spelunke trat. Ja, dei Vater war da," brummte er. Wann is er denn fort?" forschte der Friedl weiter. Der Wirt dachte nach. Des wird so um a eise g'wesen sein", meinte er endlich. So lang is er blieben?" Der Andredl is ja net kommen, auf den hat er alleweil g'wart't." Friedl atmete schwer. Der Andredl hat sich derfalln heut Nacht." «So? Wie hat er denn des ang'fangt?" Des sag i Dir a anders Mal. Jetzt will i wissen, wo der Baier is.' Der Wirt zuckte die Achseln und deutete auf den Ofen. Da hat er g'hockt, und alleweil brummt und«'schimpft hat er." Hat er stark g'laden gchabt?"" fragte der Friedl. Er hat scho g'rad g'nug g'habt." Drum!" Is er net heimkommen mehr?" Na, eben net." No, nacher wird's'n scho'nuntcrg'haut haben in' Bach", meinte der Wirt, ohne eine Miene zu verziehen. Das glaubte der Friedl jetzt selbst. Nachdenklich scharrte er mit dem Fuß auf dem schmierigen Boden. Der Wirt betrachtete ihn von der Seite. Ein höhnischer Zug spielte um seinen Mund. Mußt Dir'S net z' stark z' Herzen nehmen." Friedl fuhr auf. Was geht Dich des an, wie i über mein Bater denk. Du alter Esel. Du." Godinger lachte spöttisch. Mi geht'S nix an", meinte er sehr ruhig. Aber deö kann i Dir sagen, Totengräber: I bin fünfasechz'g Jahr alt und bin froh, daß mei Letzter, der mi no blieben is, im Zuchthaus hockt. Sonst tat er mi a'nunterdrucken in die Gruben, wie jeder andere im Dorf sein Bater. Aber da hat's gute Weg! Der tragt sichre Eisen an die Füg und kann net'raus. Erst in fünf Jahr lassen'S'n laufen, und bis dahin hat's mi scho lang fort gTjolt. Da is mir's nacher Wurscht." Er zog seine Dose und nahm eine gehörige Prise. Friedl er- widerte nichts mehr. Er hatte den Godinger groß und verwundert angeschaut, wie einen Prediger, der einen Satz aus dem Evan- gelinm dem staunenden Volke verkündet. Einer Antwort war er nicht fähig gewesen. Nun schlich er mit dem Bewußtsein von dminen, daß ihn der alte Mann, der seinen Sohn lieber im Zucht- haus wußte, um freier atmen zu können, bis ins innerste durch- schaut hatw. Unruhig wanderte er den Dach auf und nieder und blickte unter die Wcidenbüschc vom Großvater keine Spur. Er ging an daS obere Wehr, wo eine Sögemühle stand und fragte die Arbeiter er schritt am Fluß entlang eine ganze Stunde ins freie Feld hin­aus. Alles umsonst. Wo war der Alt«? Bon nagenden Gedanken verfolgt, bewegte sich der Friedl ein paarmal im Kreise herum. Dann ging er inS Dorf zurück und erstattete Anzeige beim Ortsvorftand. Dort bekam er Unterstützung von mehreren Holzknechten, und nun begann die Suche wieder von vorn«. Eine Menge Dörfler begleitete sie. Der Abgang des Alten war bekannt geworden, und in kurzer Zeit eilten Manner. Weiber und Kinder stromauf-- und stromabwärts vom Mittag vis zum Abend. Da gab man die vergeblich« Mühe auf und suchte nicht weiter. Langsam ging Friedl nach Haus« und setzte sich mit stieren Augen in die Eckstube an die Leiche des KindeS. Wo war der Alte? Wo war er? Die Wellen des Gießbachö mußten ihn ja unfehlbar zu Boden geschleudert und in der nächsten Sekunde erstickt haben, aber die Leiche, wo war die Leiche? DaS schnell treibende Wasser ging nicht tief es hatte ihn entweder zum Wehr getrieben oder ans Ufer gespült. Und doch war er nir- gends zu finden. Die ganze Nacht blieb der Friedl an dem offenen Sarge, der einzigen Stelle, wo er noch«in bißchen Ruhe finden konnte. Einmal hatte er beim Schein des Totenlichts fragend zum Herrn Meier emporgesehen, aber da war ihm ein furchtbares Grauen angekommen vor dem knöchernen Freunde. Schnell hatte er wieder die Augen gesenkt und den Schatten des Baters verfolgt. Wo war der Alte? So schrie es immer lauter in ihm. Alle Wege des Dorfes, alle Winkel und Büsche ging er im Geiste noch einmal ab, und überall meinte er. müßte der Alt« liegen. Aber nirgends war er zu sehen. Friedl klopfte mit beiden Fäusten gegen den Schädel und rang nach Luft. Plötzlich fühlte er. daß er den Gedanken nicht mehr zurück- halten konnte, der ihm gleich aufgestiegen war, als man die Leiche am Wehr nicht finden tonnte. Damals hatte er ihn mit aller Entschiedenheit zurückgedrängt, aber jetzt kam er wieder und bohrte sich tiefer von Stunde zu Stunde. Der Alte lebte noch! Und als ihn das übermannte wie mit einer felsenfesten Sicher- heit, an der es nichts zu rütteln gibt, da konnte er sein wteS Kind nicht mehr anblicken, sondern krampfte die Hände vor das Gesicht. Wenn alles umsonst wäre, wenn sich der gräßliche Traum erfüllte und der Alte etwa zurückkehrte? Den Friedl litt es nicht mehr tm Zimmer. Er stand auf und rannte eilends hinaus in den dämmernden Morgen. Noch einmal lief er den Bach ab. Die Gewässer waren ein Weniges zurückgegangen, aber immer noch tobten sie mit heftigen Wellenschlägen durch die Brücke. Friedl wollte sich die Augen heraussehen. Es war das verzweifelte Suchen eines leicktsinnigen Spielers, der das Letzte darangegeben hatte, um wenigstens den Einsatz zu retten. Aber, wie er auch suchte, der Alte zeigte sich nicht. Dafür stieg eS immer schrecklicher, immer deutlicher in Friedl empor: Er lebt noch, er lebt noch! Gut denn, so wollte er die umliegenden Dörfer abfragen. Hatte es den Großvater wirklich verschont, und war er die Straße hinausgewandert, dann mußte man ihn doch noch erfragen können. Und wieder suchte der Friedl einen ganzen, langen T-g. Stumpf und müde kam er am Abend von seiner Wanderung wieder zurück. Nix is, weit und breit nix", sagte er, als er zu seiner Frau ins Zimmer trat. Sie lag ganz erschöpft auf ihrem Bett. «Hast nix g'hört?" Kein Mensch hat'n g'sehn." Also is er tot." Na, der Vater lebt", sagte er fest. Um Gotteswillen, wo soll er denn sein?" Ja, des weih kei' Mensch." Er trat an das offene Fenster und blickte hinaus in die nun mächtig einfallende Dunkelheit. Die Frau unterbrach die tiefe Stille.