-.Waltsr, Teurer, Liebster 1 Wo warst Du?" rief ilzn eine' warme, unendlich liebliche Stimme.„Ich Hab' mich so gequält ... War verhaftet... und Du?" Arsenjew stand schnell auf, faste Sascha mit leiöenschaft- licher Freude an der Hand und blieb plötzlich stehen. Seine Freude starb ohnmächtig. Er hatte das Gefühl, als wenn alles einerlei wäre. Sascha war zurück, aber die frühere Ruhe, das frühere, glückliche, helle Leben würde nicht wieder- kehren. In seine Seele war etwas Neues, Kaltes Entsetz- liches eingezogen, neben den für die früheren stillen Freuden rein Platz mehr war. Graues Licht stahl sich in die Fenster; es war trübe und kalt. Saschas große, dunkle Augen blickten betrübt und mit ganz neuem Ausdruck drein. Und plötzlich ballte Arsenjew mit schrecklicher Kraft die Fäuste, rollte in unaussprechlicher Wut und im Haß wie rasend die Augen und schrie keuchend: „Mein Gott, was ist das nurl... Sascha, liebste Sascha, ich vergesse diese Nacht mein ganzes Leben lang nicht I... Was haben sie getan!... Die verdammten Tiere!" Und er weinte und schüttelte sich ganz zusammenge- 'chrumpft. Alle stolzen, schönen Träume verschwanden aus seiner Seele, die freien, reinen Gedanken stockten. „Mein Liebster, Teurer!" sagte Sascha, weinend, über seinem Kopf.„Was sollen wir tun... Sieh, diese Opfer sind nötig für die Zukunft... die andern haben es dann leichter!..." „Die anderen!..." schrie Arsenjew mit schrecklichem Spott.„Wird denen etwa besser, die jetzt tot sind?... Sie sind doch einmal tot... Und geht es denen schlecht, die das getan haben?..." „Was willst Du?" meinte Sascha, ihm unruhig in die Augen blickend.„Sie kommen auch an die Reihe..." „Ich weiß.. i" erwiderte er, plötzlich lachend, mit eisiger Zurückhaltung. In seinem Gesicht ging eine sonderbare, schreckliche Ver- änderung vor: der schreckliche, ohnmächtig-würgende Ausdruck verschwand. Die Augen wurden groß und rund, und schielten in die Ecke, die Lippen wurden zusammengepreßt, auf den Wangen erschienen rote Flecke. „Walter, was hast Du?" schrie Sascha erschreckt und schüttelte ihn am Arm. Er antwortete nicht, schielte zur Seite und lachte fein. Er schwieg, weil die Raserei der Verzweiflung sein Inneres erfüllte. Er schwieg, obgleich alles in ihm schreien, sie zu Boden werfen, schlagen, alle Menschen vernichten und unaufhörlich schreien und schreien wollte, damit die ganze Welt diese dumpfe, drohende Stimme der Rache und Ver- zweiflung hörte. (Nachdruck drrdoken.I 141 Der Totengräber. Von Josef Ruederer . (Schluß.) Ehe er in den Kirchhof getreten war, hatte der Fried! die tleine Leiche noch einmal betrachtet, und da war es ihm mit der entsetzlichen Frage wieder so heiß durch das Hirn gegangen: Warum? warum? Denn alles war ja umsonst. Der Großvater lebte noch so sicher, als der Andredl nie wieder erwachte. Jede Stunde konnte er wiederkommen, der schreckliche Greis, unter lautem Jammergebrüll nach dem Kinde verlangen und seinem Sohne zum Trotz, Tag aus und Tag ein, wieder die Gräber durchwandern, bis sie selbst auf- sprangen am Tage des Gerichtes. Ein« furchtbare Verzweiflung bemächtigte sich des Totengräbers. Mit geballter Faust schlug er sich an die Brust und stöhnte laut. Hier ruhte sein Erstgeborener, dort im Hause sein letzter aus dem Totenbette, ein unsichtbares Gespenst schlich der Alte über die Erde, und da stand der Vater, der die Grube aufreißen sollte, wo sieben seiner Kinder ihm vorangegangen waren, während drüben die stöhnende Mutter ein neues zur Welt brachte. Das war das Lebenl Dafür hat man sich durchgerungen, dafür hat man ge- graben und gegraben, einundzwanzig Jahr die Schaufel ge- schwungen und in modernder Fäulnis gelebt, für nichts und wie- der nichts. „Andredll" rief der Totengräber und ließ die Schaufel fallen, „Andredll oh, wenn ich dich lebendig mackien könnt!" Dan sank er aus die Knie und schluchzte, daß es ihm fast die Brust zerriß. Aber kein Jammer, kein Bitten gab ihm das Kind zurück. Das wußte der Fried! schon. Er konnte keine Wunder wirken, und von Gott, der dort oben wohnen sollte und Leichen auferstehen ließ, hatte er kein Recht etwas zu»»erlangen. An ihm war er ver» zweifelt. Der kleine Hügel im stillen Winkel, vor dem er immer noch kniete, war das Erinnerungsdenimal jenes Tages und seines ganzen Lebens überhaupt. Ein teurer Platz war es ihm geworden, heiliger als jede andere Stätte des Friedhofs, die der Pfarrer mit Weihwasser besprengte. Mochten sie ihn auch einst an der gleichen Stelle einscharren, er verlangte für sich nichts Besseres. Dort unten ruhte das Wenige, was er geliebt hatte auf der Welt, nur der Andredl nicht. Warum nicht? Warum sollte er den Buben nicht gerade so gut hier eingraben können wie da drüben? Ein jäher Entschluß ließ den Fried! die Haue ergreifen. Andredl gehörte auch da hinunter in den stillen Winkel, mochte der Pfarrer mit dem versammelten Dorfe ein Wehgeschrei erheben, daß die Berge zu zittern begannen. Friedls ganzer Trotz erwachte wieder. Keiner durfte ihm wehren, sein Kind zu begraban, wo er wollte, und müßte er gegen die ganze Welt ankämpfen. Mit wuchtigen Hieben schlug er in die Erde. So dachte er niederzuhauen auf die Köpfe der Bauern, wenn sie morgen den kleinen Sarg hinwcgreitzen wollten von der verrufenen Stätte. Die Leiche war sein Eigentum, und wer sie anrührte, dem wollte er eine Erinnerung mitgeben, daß er nimmer den Tag vergäße, an dem der Friedl sein letztes Kind begrub. Das letzte? Er setzte aus in der Arbeit. War das nicht ein Hilfeschrei gewesen, der bange Laut, der eben an sein Ohr gedrungen war? Gespannt horchte der Friedl. Da— jetzt tönte es wieder und gleich darauf noch einmal vom Hause herüber, bang und schmerzzerrisien. Der Totengräber kannte es, es war die Stimme seiner Frau. Wütend tobte es ihm in den Schläfen. Andredl blieb nicht sein letztes Kind, das neue Leben rang sich herauf ins elende Dasein, und der es gezeugt hatte, legte ihm als ersten Willkommgruß Fluch und Verderben auf den dornigen Weg, noch ehe es geboren ward. Mit rasenden Hieben fuhr er wieder in die aufgewühlte Erde, als gelte es ein Grab für die ganze Menschheit zu schaffen. Weg! Weg mit dem Kinde! Andredl mußte der Letzte sein, was jetzt noch kam, gehörte unter den Boden. Friedl hatte die Hacke beiseite geschleudert und war in die Grube hineingesprungen. Dort schwang er die Schaufel und warf Scholle auf Scholle empor, daß die Steine nach allen Seiten flogen. Immer weiter öffnete sich das Grab, immer tiefer kam der Friedl hinunter, immer wütender arbeitete er, um nichts hören zu müssen, was dort oben vorging auf der furchtbaren Erde. Aber jetzt, wo er einen Augenblick aussetzte, drang wieder ein Schrei zu ihm und gleich darauf noch einer. Das kam nickt vom Hause herüber, ganz nah bei dem stillen Winkel hatte es geklungen, zweimal kurz nach- einander. Hastig kletterte der Totengräber aus der Grube heraus und horchte. Dort, den Kirchhof kam etwas herauf mit polternden Schritten, immer näher und näher. Jetzt rief eS wieder, halb er- regt, halb spöttisch seinen Namen. War das nickt der Mödlinger Michl? Der Totengräber glaubte die freche Stimme zu erkennen. „Wer is da? Gieb a Antwort, Du Schuft, Du!" brüllte er rasend. Ein lautes Gelächter antwortete ihm. Gleich darauf stürzte der Michl auf ihn zu. „Bist da, Friedl? schrie er.„No, weil wir Di nur haben." Mechanisch griff der Friedl in seine Tasche. Da steckte noch das Messer, das er damals in der Nacht zu sich genommen hatte. „Was wollt Ihr von mir?" Michl klopfte ihn auf die Schulter. „Mußt kei' Angst hab'n, mei Lieber, i ru Dir nix, und die, die da hinten kommen, tun Dir a nix." Er deutete gegen den Eingang des Friedhofs. Ein wüstes Geschrei von vielen Menschen drang an FriedlS Ohr. Dorthin, zum Hause hinüber, schien sich der schauerliche Zug zu bewegen. „Hörst Du's?" lackte der Michl.„Und weißt auch, wen die bringen? Dein' Vater!" Friedl stand einen Augenblick wie erstarrt. So fest er geglaubt hatte, daß der Alte noch am Leben war. jetzt, wo man ihn lebendig wieder brachte, schien ihm alles ein wüstes Gaukelspiel, das der Satan vor ihm aufführte, um ihn zu narre». „Du lügst. Du Lump, Du verkommener", schrie er. „Wirft's ja gleich selber sehen", lachte der Michl.»Sie kommen ja schon alleweil näher'rauf. UebrigenS halt.... da, mach Deine Ohren auf, jetzt kannst ihn ja schon selber hören." Er packte ihn beim Arm und sah ihm fest in die Augen. Friedl hielt den Atem an. Ja, das waren sie, diese langgezogenen schauer- lichen Laute, die immer das Haus durchtönten. Er kannte sie nur zu gut. „Hörst ihn?" höhnte der Michl.„Jetzt kommt er. Im Hu- bertuswald haben's ihn g'funden, halb verhungert, weil er fi' nimmer heimtraut hat zu sei'm zärtlichen Herrn Sohn." Jedes Wort traf den Friedl wie mit Keulenschlägen. Er griff sich an die Stirne, ob er noch bei Sinnen sei, und gleich darauf war es ihm, als mrsse er zu Boden schlagen. Mit letzter Gewalt riß er die Latcr« Mpor. Nun taumelte er den Ankommenden entgegen und leuchtete hinein in die schwarze Menge. Lauter aufgeregte, wilde Gesichter, eines neben dem andern, und da... da... in der Mitte ein entstelltes, gelbes Antlitz, das ihn anstarrte so gräßlich wie ein verfaulender Leichnam, den man wieder aus der Erde gegraben hatte. Der Friedl glotzte es an wie eine Erscheinung des Jenseits. Das war sein Vater, dem ein
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27 (18.3.1910) 55
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