Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 64.
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Die Arena.
Sonnabend den 2 April.
( Nachdruck berboten.)
Roman von Vicente Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Heute z. B. war er im Stierzirkus zu Ciudad Real aufgetreten und noch am selben Nachmittag mußte er, ohne sich umzukleiden, in den Zug springen, um am folgenden Morgen in Madrid einzutreffen. Beinahe schlaflos verbrachte er die Nacht, in halbliegender Stellung auf dem breiten Sitz, den ihm die übrigen Mitreisenden einräumten, indem sie sich eng aneinander drängten, aus Rücksicht gegen den Mann, der am andern Tag sein Leben aufs Spiel segen werde.
Seine Verehrer staunten über seine Widerstandskraft wie über die Tollkühnheit, mit der er auf den Stier losstürzte, wenn der entscheidende Augenblick, den Todesstoß zu führen, gekommen war.
"
Wir wollen' mal sehen, was Du heute nachmittag Leiftest," sagten sie in ihrem unerschütterlichen Glaubenseifer. Alle echten Aficionados haben ihr Augenmerk auf Dich gerichtet; Du wirst wohl alle Rivalen übertrumpfen.. Hoffentlicht arbeitest Du so flott wie in Sevilla ."
Die Bewunderer zogen sich allmählich zurück, um aufs Mittagsmahl loszusteuern und rechtzeitig zum Schauspiel zu gelangen. Gallardo wollte, als er sich allein sah, hinauf in fein Zimmer gehen, denn seine Nervosität ließ ihn nicht ruhig fiben, aber in demselben Augenblic tam ein Mann herein, der zwei Buben an der Hand führte. Beim Anblick des Toreros lächelte er gutmütig und näherte sich, ohne die Augen von ihm abzuwenden, wie ein schwanzwedelnder Hund. ,, Wie geht's Euch, Gevatter?"
Hierauf kam die Litanei der üblichen Fragen nach dem Befinden der Familie. Dann wandte sich der Mann zu den Kindern und sagte in feierlichem Tone:
"
,, Da habt Ihr ihn vor Euch stehen. Ihr fragt ja immer nach ihm. Seht Ihr, genau wie auf dem Bilde sieht er aus." Und die beiden Knirpse betrachteten ehrfürchtig den Helden der Bilder, die die Wände ihrer ärmlichen Wohnung schmückten; dieses übernatürliche Wesen, dessen Großtaten der Gegenstand ihrer Bewunderung seit dem ersten Aufdämmern ihres Bewußtsein gewesen waren.
Juanillo, füß' dem Paten die Hand."
Der Kleinste von den Zweien drückte sein gerötetes, von der Mutter im Hinblick auf den Besuch gewaschenes Mäulchen auf die dargebotene Hand des Stierfechters, der ihm zerStreut das Haar streichelte. Es war eines von den zahlreichen Patenkindern, die er in Spanien hatte. Die Bewunderer nötigten ihn, ihre Kinder aus der Taufe zu heben, in dem Glauben, auf diese Weise ihre Zukunft zu sichern. Von Taufe zu Taufe geschleppt zu werden, das war auch wieder eine Folge seines Ruhmes. Dieses Batenkind war ein Andenken an feine mageren Jahre, an die Sturm- und Drangperiode, da er ein Anfänger in seiner Karriere war. Damals wurden feine Fähigkeiten noch vielfach bestritten, während der Vater des Kindes am eifrigsten für ihn eintrat und seine einstige Größe prophezeite. Aus Dankbarkeit dafür war Gallardo der Pate des Buben geworden.
Und wie geht sonst das Geschäft, Gevatter?" frug Gallardo. Etwas besser?" „ Ach was!"
"
Der Aficionado verzog seine Miene. Er schlage fich fümmerlich durch als Zwischenhändler auf dem Gemüsemarkt. Er lebe aus der Hand in den Mund. Mitleidig blickte der Matador herab auf die dürftige Festkleidung des Mannes. " Ihr werdet Euch wohl die Corrida ansehen wollen, Gebatter, was? Geht hinauf auf mein Zimmer und sagt dem Garabato, er soll Euch ein Freibillett geben. Ihr, Noznasen, nehmt das, und kauft Euch Buckerstangen."
Während beide Buben ihm von neuem die Hand füßten, Steckte der Stierfechter jedem ein Paar Duros zu, der Vater zerrte die Rangen hinaus, unter konfusen Danksagungen, ungewiß, was ihn am meisten freute, das Geldgeschent an seine Sprößlinge, oder das in Aussicht stehende Freibillett.
Gallardo wartete noch ein wenig, um nicht in seinem Zimmer dem Beschenkten wieder zu begegnen. Darauf zog
1910
er die Taschenuhr hervor. Erst eins! Wie langsam verstrich die Zeit!
Als er das Speisezimmer verließ und die Treppe hinauf gehen wollte, stürzte aus der Portierloge ein in einen alten Schal gehülltes Weib hervor, das ihm, ohne sich an die Einwendungen der Dienerschaft zu kehren, in vertraulicher Weise den Weg verlegte,
Juanigo!... Juan! Kennst Du mich nicht? Ich bin die Caraiola, die Gevatterin Dolores, die Mutter des armen Lechuguero." Gallardo lächelte der Alten zu. Es war eine lebhaft gestikulierende, dunkelbraune, runzelige, fleine Frau. Der Stierfechter erriet sofort, worauf sie es abgesehen hatte, und fuhr mit der Hand in die Westentasche.
Mir
,, Ach, Junge, unsereins kommt nicht aus dem Elend her. aus!. Sobald ich erfuhr, daß Du heute hier auftrittst, fagte ich mir gleich:" Geh' und sprich den Juanigo, der hat gewiß die Mutter seines unglücklichen Kameraden nicht vergeffen." Aber wie Du Dich herausgemacht hast, mein Junge! Da müssen sich ja alle Weiber in Dich vernarren geht's schofel, Herzensjunge. Nicht' mal ein Hemd hab' ich an. Ich hab' heut' noch nichts anderes genossen, als so'n armseliges Schnäpschen. Die Pepona- weißt Du ist auch aus Seviya, hält mich aus Mitleiden in ihrem Hause. Ein ganz anständiges Haus- weißt Du. Sprich' mal bei uns vor. Ich kämme die Mädchen und beforge Gänge für die Herren... Ach, wenn mein armer Bub' noch am Leben wärel Erinnerst Du Dich noch meines Pepino? Weißt Du noch, wie sie ihn ganz blutbedeckt ins Spital brachten?..
Nachdem Gallardo ihr einen Duro( Piaster zu etwa vier Mark) in die welke Hand gedrückt, suchte er sich aus dem Staube zu machen. Verdammte Bettel! War das ein Einfall, ihm gerade heute, am Tage der Corrida, den armen Lechuguero ins Gedächtnis zurückzurufen, den Jugendge noffen, den er auf der Plaza von Lebrija , als beide mit Novollos, mit jungen Stieren, kämpften, hatte sterben sehen. Das spike Horn eines der Tiere war ihm ins Herz gedrungen... Alte Here!.. Er schob sie etwas unsanft hinweg. Sie ging sofort, in der Sorglosigkeit ihres Vogelhirns, von der Rührung zur Fröhlichkeit über und schwelgte in begeisterten Lobreden auf die tapferen Kerle, die schmuden Toreros, die das Geld des Publikums und die Herzen der Weiber zu Hauf gewinnen.
Die Königin von Spanien solltest Du kriegen, Buckerfind. Frau Carmen mag gut aufpassen! Eines Tags stiehlt Dich noch eine Prinzessin und gibt Dich nicht mehr zurück. Aber fag' mal, Juanigo, willst Du mir nicht ein Billett für die heutige Corrida geben? Ich habe eine so unbändige Luft, Dich in der Arena zu sehen."
Das Geschrei der Alten und ihre überschwänglichen Komplimente erregten die Heiterkeit der Hotelbediensteten, und dank diesem Umstand gelang es einer Schar von Neugierigen und Bettlern, die draußen vor der Haustür standen, den Eingang zu erzwingen. Mit sanftem Schub die Bediensteten zurückdrängend, drangen sie in den Hausflur ein.
An dies Gesindel warf die Müzen in die Luft und jauchzte dem Stierfechter entgegen.
Olé, Gallardo! Hoch soll er leben. Vivat der Tapfere!" Die dreistesten waren die Zeitungsjungen; sie ergriffen seine Hand, drückten sie ihm kräftig und schüttelten fie unablässig, um so lange wie möglich die Berührung mit dem Nationalhelden zu genießen, dessen Bild sie so oft in den Blättern gesehen. Nicht zufrieden damit, wollten sie auch die Gefährten dieser Ehre teilhaftig werden lassen und schrien ihnen zu:
„ Gebt ihm die Hand. Er wird darum nicht böse. Wie Teutselig er ist!"
Und es fehlte nicht viel, daß sie in ihrer Begeisterung vor ihm niedergefniet wären. Von anderen schäbig gekleideten älteren Leuten wurde der Torero ehrerbietig begrüßt und direkt um ein Almosen angegangen, wobei sie ihn Don Juan betitelten und mit flüsternder Stimme von herzzerreißendem Elend erzählten. Andere wieder baten um ein Freibillett, nicht weil sie gerade für das aufregende Schauspiel schwärm ten, sondern mit dem Hintergedanken, es sofort wieder zu verkaufen.