Nnterhattungsblatt des Vorwärts Nr. 65. Dienstag den 5 April.* 1910 lLachdruck vertoien.) 8] Die Evern. Roman von Vicente Blasco Jbanez. Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Allein in seinem Zimmer, fühlte er, wie plötzlich die durch den Zudrang der Bewunderer verursachte Erregung einer seltsamen Ernüchterung Platz machte. Es nahten die schlimm- sten Augenblicke der Corridatage, Bangigkeit und Beklem- mung der letzten Stunden unmittelbar vor Aufbruch nach der Plaza. Stiere von Miura und das Madrider Publikum!.. Die Vorstellung der Gefahr, die, in der Nähe besehen, ihn be- rauschte und zu tollkühnen Leistungen anstachelte, stieg jetzt, wo er allein war, ins Riesenhafte und bedrückte ihm das Ge- ntüt mit entsetzlicher Wucht, wie ein Alb, wie ein übernatür- liches Schrecknis. Er fühlte sich gebrochen, als ob sich auf einmal die ganze Müdigkeit der letzwergangenen Nacht auf ihn legte. Es wandelte ihn die Lust an, sich auf einem der Betten im Hintergrund des Zimmers auszustrecken. Aber gleich darauf benahm ihm die Aufregung den Schlaf. Unruhig ging er im Zimmer auf und ab und entzündete eine weitere Havanna an dem Stumpf der soeben gerauchten. Wie wird sich für ihn die beginnende Madrider Saison .gestalten? Was werden seine Feinde sagen? Wie werden seine Rivalen abschneiden? Er hatte schon viele Miura- Stiere getötet, schließlich waren es Stiere wie alle anderen. Aber unwillkürlich mußte er der in der Arena gefallenen Be- rufsgenossen gedenken, die fast alle das Opfer der Tiere aus dieser Züchterei geworden. Verdammte MiurasI Nicht ohne Grund verlangten er und die übrigen Espadas beim Ab- schließen ihrer Verträge eine Zulage von tausend Pesetas, wenn Kampfstiere dieser Art zur Verwendung kamen. Er maß das Zimmer mit nervösen Schritten. Ab und zu blieb er stehen, um wie stumpfsinnig zu seinem Gepäck ge- hörende Gegenstände anzuglotzen: darauf sank er schwerfällig auf einen Lehnstuhl, als überkäme ihn eine plötzliche Ohn- macht. Zu verschiedenen Malen schaute er auf seine Uhr. Noch tvar es nicht zwei Uhr. Die Zeit rückte wirklich nicht vom Fleck. Um seine Nerven zu beruhigen, hätte er sich am liebsten sofort angezogen und wäre zur Plaza gefahren. Die wogende Menge, der Lärm, die Neugierde der Leute, das Bestreben, angesichts der öffentlichen Bewunderung ruhig und fröhlich zu erscheinen, und besonders die Nähe der Gefahr, einer wirk- lichen greifbaren Gefahr, verwischten mit einem Schlag die Anfechtungen der Einsamkeit, in das der Espada, fern von allen äußeren Anregungen, etwas verspürte, das eine ver- dämmte Aehnlichkeit mit der Furcht hafte. In dem Bestreben sich zu zerstreuen, fing er an, die Brust- tasche seiner Jacke zu durchsuchen, und zog gleichzeitig mit einem Portefeuille ein parfümiertes geschlossenes Briefkuvert hervor. Er näherte sich einem Fenster, durch das aus einem engen Jnnenhof ein dämmeriges Licht hereinschimmerte, be- sah sich das Kuvert, das man ihm überreicht lMtte, als er das Hotel betrat, und bewunderte die feine Handschrift der Adresse. Dann erbrach er das Kuvert und zog mit Wonne den seinem Innern entströmenden unbestimmbaren Wohlgeruch ein. Ha, wie doch Personen von Rang und die viel gereist sind, sogar in den kleinsten Einzelheiten ihre unnachahmliche Vornehmheit verraten!... Immer wieder las er den Brief mit einem seligen Lächeln, voll Stolz und Wohlgefallen. Es war weiter nichts daran, nur ein halbes Dutzend Zeilen: ein Gruß aus Sevilla ; man wünschte ihm viel Glück in Madrid und gratulierte ihm im voraus zu feinen Erfolgen. Der bewußte Brief konnte verloren gehen, ohne irgendwie den Ruf der Frau, die ihn unterzeichnete, zu gefährden. Er begann mit den Worten: „Freund Gallardo", in einer eleganten Handschrift, die die Augen des Toreros gleichsam liebkoste, und schioß mit„Ihre Freundin Sol", alles in einem kühl freundlichen Stile, wobei er gesiezt wurde, in einem liebenswürdig überlegenen Tone, als ob die Worte nicht einem Gleichgestellten, sondern einem Untergebenen gälten. Indem der Stiertöter den Brief mit der scheuen Ver« ehrung des im Lesen nicht sehr bewanderten Mannes aus dem Volke betrachtete, mußte er sich unwillkürlich ärgern, weil er herauszufühlen glaubte, daß mm ihn geringschätze.„Ach, aus der wird man nie klug!" murmelte er,„die kriegt man nicht so leicht unter. Teufelskerl!„Sie" zu mir zu sagen! Zu mir! Fürwahr, nicht übel!" Aber angenehme Erinnerungen zwangen ihm wieder ein wohlgefälliges Lächeln ab. Der kühle Ton paßte zum Schrei- ben: das waren Gewohnheiten einer großen Dame, so die Art einer Frau von Welt. Sein Aerger machte nun der Be- wunderung Platz. Was die nicht alles wußte! Mit der mußte man aufpassen, wollte man nicht über den Haufen geworfen werden. Und in seinem Lächeln machte sich ein leiser Anflug von Selbstzufriedenheit bemerkbar, etwas wie der Stolz des Tier- bändigers, der den eigenen Ruhm verkündet, indem er die wilde Kraft der gebändigten Bestie hervorhebt. Während der Torero in die Lektüre des Briefes versunken war, ging sein Diener Garabato ein und aus und brachte Kleidungsstücke und Schachteln, die er auf das Bett und aus einen daneben stehenden Lehnstuhl legte. Es war ein in seinen Bewegungen geräuschloser Bursche mit flinken, geschickten Händen, der fcheinbar keine Notiz von der Anwesenheit des Matadors nahm. Seit mehreren Jahren schon begleitete er ihn als Kammerdiener überall hin. Er hatte in Sevilla gleichzeitig mit Gallardo als Sticrfechter- lehrling die ersten Schritte in der Karriere gemacht; aber alle Püffe und Stöße waren für ihn bestimmt, so wie die Fort- schritte und Erfolge seinen Kameraden vorbehalten waren. Eine gewundene, schlechtvernähte, weißliche Narbe, die Spur eines fürchterlichen Hornstoßes, durchfurchte das schwarz- braune, greisenhafte Gesicht des schmächtigen Quirutes wie ein kritzliger Fcderzug; daher fein Spitzname Garabato (Schnörkel). Er war überhaupt mit Narben am ganzen Körper bedeckt. Durch ein wahres Wunder kam er lebendig aus der erfolglosen Lehre davon, und das Grausamste war, daß die Leute oben- drein über sein Unglück lachten und ein Vergnügen darin fanden, ihn von den Stieren gestampft und zerrissen zu sehen. Schließlich wurde es ihm doch zu bunt, er entsagte seinen Illusionen und begnügte sich damit, der Begleiter und zuver- lässige Diener seines glücklicheren Kameraden zu werden. Er war der begeistertste Bewunderer Gallardos, obschon er die Vertraulichkeit feinem Herrn gegenüber gewöhnlich zu weit trieb, indem er es sich herausnahm, ihn zu kritisieren und ihm Ratschläge zu geben. Mehr als einmal hörte man ihn sagen, wenn er in der Haut des Meisters steckte, würde er noch viel besser mit den Stieren umzugehen wissen. Die Freunde Gallardos machten sich oft einen Spaß daraus, das unverstandene Genie der Stierfechtekunst auf alle mögliche Weise zu hänseln, aber er reagierte gar nicht darauf. Das hielt er unter seiner Würde. Jedenfalls wollte er nicht voll« ständig auf den geträumtcn Ruhm verzichten. Nie und nimmer!... Um die Erinnerung an seine glorreiche Vergangenheit vor der gänzlichen Vernichtung zu bewahren, sorgte er dafür, daß sein borstiges Haar in gekräuselten Büscheln seine Schläfen bedeckte und daß den Hinterkopf der geheiligte Zopf schmückte, das Abzeichen der Stierfechter, wie er es in den Jugendjahren getragen, um sich von den übrigen Sterblichen zu unterscheiden. Wenn Gallardo aus irgend einem Grunde über ihn un« tvillig wurde, schwebte dieses liaarige Anhängsel manchmal in großer Gefahr.„Was, Du Hundcseele, unterstehst Dich, den Zopf zu tragen! Den werde ich Dir jetzt gleich abschneiden. Aber sofort, Dl Schweinekerl!" Garabato nahm immer diese Drohungen mit Geduld hin, umsomehr, als er wußte, daß sie nie zur Ausführung kommen würden, und er rächte sich dadurch, daß er ein über- legenes Schlveigen beobachtete, kombiniert mit einem verächtlichen Achselzucken. Wenn dann am selben Tag der Meister nach glücklich überstandener Corrida als Triumphator zurück- kehrte, pflegte Garabato in seiner Gegenwart zwischen den Zähnen zu murmeln: „Es gibt Leute, die Glück haben. Aber nicht, Werl sie« verdienen."
Ausgabe
27 (5.4.1910) 65
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