Sie hat'n Herzfehler l. � Wenn fie jetzt was Passiert, denn bist Du schuld dran!.. Der Wachtmeister wand sich wie ein Aal...„DaS war ja gar nicht so schlimm mit dem Herzfehler I... aber ja,.. gesagt hatte ein Arzt mal sowas ähnliches...." Er wuhte gar nicht, was er tun sollte. Zuletzt sagte er in einer Art dumpfen ZorneS: .Was kann ich denn da machen? Wir werden einfach ab- kommandiert I Und wenn der Hauptmann sagt:.Schuppen runter!" oder.Attacke marsch 1* dann müssen wir eben reiten l Dann müßt ich reiten..." Er schlug sich in der Erregung mit der großen Hand bor die Brust, daß eS dröhnte..Denn müßt ich reiten, und wenn Du selber mit drin in der Masse ständest I..." Das hätt' er nicht sagen sollen, der Herr Wachtmeister Göricke— die Frau wurde förmlich rasend! Ihre Augen erweiterten sich funkelnd, ihre Naslöcher spannten sich und fie schüttelte die Fäuste bor seinem Gesicht, al-Z wollte sie sich auf ihren Mann stürzen! Dabei sprudelten die Worte nur so aus ihrem schmalen, blassen Munde hervor: .Also so bist Du... so I ,.. Das ist Deine Liebe zu Deiner Familie I Uns würd'ste auch totschießen I Wie's die Soldaten machen sollen I Du I Du I Du erbärmlicher Hallunke I... Das ist Deine Pflichttreue l Deine Anständigkeit I... Die jämmerlichen Fetzen da I" sie schlug mit der verkehrten Hand gegen seinen Uniform- rock,„in die Ihr Euch für ein paar elende Mark einwickeln laßt, die sind Dir lieber wie Deine Fran, wie Deine ganze Familie i.., Du I Du I... Du Scheißkerl!... Der Du bist!.. D c Wachtmeister wollte opponieren. Aber er kam nicht dazu, die Frau hatte ihm noch so viel zu sagen, daß das Mittagbrot jeden« falls ganz ins Ungewisse hinausgeschobe» wurde. „Was wärst Du denn beute, wenn ich damals beim Militär nicht meine paar Spargroschen sür Dich hergegeben hätte? I Weißt wohl nicht mehr, wie Du vor mir aus den sbien gelegen hast und ge« beten, vom Himmel zur Erde gebeten 1 1 Da hält' ich Dich man drin lassen sollen, daß Du den Betrug nicht hättest decken können, in der Regimentskalle I—' Denn wärste heute nich Wachtmeister bei de Pollezei und würdst.nich in de Leute reinreiten mir den ollen däm- lichen Gaul!... Un aus Deine Frau schießen, wenn sie in de Menge steht I... Verstehste Du!... Du Hanswurst! Du Schafs- kopp I Du!..." Werkmeister Göricke sah ein, daß der Feind heute zu stark sei, er beschloß, den Rückzug anzutreten, auch ohne Mittagbrot.... Schließlich konnte er ja auch mal in der Kneipe essen.... Natürlich zog er daS, was er verbrauchte, der Frau vom Wirtschaftsgelde ab I... Jetzt war er im Rückwärtsschreiten an die Küchentür gekommen, die er, der Held von Treptow, hinter seinem Rücken, immer sein Weib, wie der Tierbändiger den Löwen , im Auge behaltend, vor- sichtig öffnete, um sich dann vor der egal schimpfenden und schreienden Frau rasch zu drücken. Aber noch auf der Treppe hörte er sie. Und schlich förmlich die Stufen hinunter, froß, daß er keinen der übrigen Hausbetoohner traf, die ihn seit einiger Zeit übrigens so wie so nicht mehr grüßten...._ Der punktierte Goethe. Vom Privateigentum an Kulturwerten. In den Seminaren deutscher Universitäten, deren Professoren Beziehungen zum Weimarer Goethe-Archiv haben, pflegt man den aushorchenden Studenten mitunter Proben von Goetheschen Bersen zu geben, die nur den Intimen des verschlossenen Schatzes zugänglich sind. Selbst die unendliche Bändezahl der nur sür Millionäre be- rechneten Weimarer Goethe-AuSgabe birgt diese Aeußerungen Goetheschen Urwesens nicht; nur in dem gelehrten Beiwerk dieser Ausgabe sind Proben und Andeutungen— lediglich für die Kenner der germanistischen Tabulaturen aufftndbar— verstreut, aber keines- weg? vollständig. Diese willkürliche Konfiskation Goethescher Schöpfungen ist nicht der Sorge entsprossen, daß nur Wertvolles unters Volk kommen solle. Ganz im Gegenteil. Man hat jeden Papierketzen veröffent- licht, auch wenn auf ihm der gleichgültigste, leerste Tand verzeichnet war. Jene unterdrückten Werke aber gehören zu dem Gewaltigsten, was Goethe hervorgebracht, und gerade ihre die Grenzen allen ein- gepferchten Menschenmins sprengende Freiheit hat jene Bormünder des Genius und seiner Gemeinde gereizt, diese Eingebungen der kühnsten Schrankenlosigkcit zu versperren. Die innersten Ausfafiungen des Dichters vom christlichen Kirchentum und vom menschlichen Geschlechtswesen offenbaren sich in diese» der Oeffentlichkeit ent- zoaenen Zeugnissen, und die feige und niedrige Angst vor der un- befangenen Regung des Großen hat diese Verstümmelung des Goethe- Werks unternommen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Goethe gerecht zu werden. Entweder begnügt man sich, Goethes Werke immer wieder so zu veröffentlichen, wie er fie selbst in seiner Ausgabe letzter Hand unter die Leute gehen lassen wollte; oder— hält man sich einmal für befugt, den ganzen Goethe, wie ihn sein Nachlaß gestaltet, zum Gemeingut zu machen, dann haben wir ein Recht, wirklich den ganzen Goethe zu verlangen, in seiner ganzen Unbefangcuheit, und nicht einen von Zivergenhand ausgewählten, zensurierten Goethe. Nur der künstlerische Wert darf für die Veröffentlichung entscheidend sein, niemals die fittliche Gesinnung, die Prüderie und Frömmelei nach ihren Maßen zurechtzuschnitzen sich vermißt. Diese freche Willkürherrschaft einzelner zufälliger Personen über die höchsten geistigen Güter ist ein deutscher Skandal, der endlich einmal die Gesetzgeber bewegen sollte. Die Entziehung kulturelleir Gemeinbesitzes durch angemaßtes Privateigentum ist die unerträg- lichste Erscheinung der bcsitzmonopolistischen Wirtschast überhaupt. Es find besonders drei Werke, an denen die Konfiskatoren und ensoren sich vergangen haben, die Werke, in denen Goethe sein etzieS auszusprechen begehrte und in denen er zugleich beweist, wie die künstlerische Form jeden Inhalt adelt, wie nichts Menschliches der Kunst an sich fremd zu sein braucht. Die römischen Elegie» heidnischer Sinnlichkeit sind immer noch nicht vollständig veröffent« licht, und wer da etwa daS Gebet an die Götter, den Dichter vor der Syphilis zu schützen, kennt, der ahnt, welche Herrlichkeiten reinster Kunst hier die unkeusche Einfältigkeit geraubt hat. Man hat weiter von den Faustftagmenten vieles unterschlagen, Verse und Szenen, in denen Goethe den mephistophelischen Unflat zu unerhört kühnen Weltphantasien in dämonischer Bildkrast gestaltet. Und end- lich hat man in den Venetianischen Epigrammen , den holdesten Ver- wegenheiten eines freien Geistes, barbarisch gehaust. Das Verfahren der Goethe-Hüter läßt sich jetzt anschaulich er« kennen, seitdem kürzlich der Leipziger Verlag von Zeitler die Vene» tianischen Epigramme in einer besonderen Ausgabe herausgegeben hat. Diese Ausgabe will alles zusammenstellen, was von den Vene- tianischen Epigrammen zu ermitteln ist. Es sind 64 Stücke mehr veröffentlicht, als Goethe selbst in Druck gegeben hat. AuS den ge» lehrten Noten der Weimarer Ausgabe, aus Inhaltsverzeichnissen und Registern, selbst auS einem Belegbeispiel des Grimmschen Wörterbuchs der deutschen Spracbe sind Bruchstücke mühsam zusammengetragen worden. Und doch sind alle Epigramme vollständig im Goethe-Archiv vorbanden. Aber, so klagt der Herausgeber dieser Sammlung,„daS deutsche Volk ist nicht reis, den Dichter der Venetianischen Epigramme ganz zu besitzen. Das ist wenigstens die Meinung der leider maß» gebenden Stelle in der Verwaltung des Goethe-ArchivS zu Weimar , die einen beträchtlichen Teil der handschriftlich vorhandenen Vene« tianischen Epigramme von dem Abdruck in der Weimarer Goethe» Ausgabe ausschloß. Man erzählt, daß diese„nicht mitteilbaren" Epigramme von der verstorbenen Großherzogin von Sachsen , der ersten Eigentümerin des Archivs, eigcnbändig unter Verschluß und Siegel genommen und seitdem von keines anderen Menschen Auge wieder erblickt seien". Ein paar Stücke hat ein Zufall durchschlüpfen lassen, eines der „unanständigsten" siin Sinne der erlauchten Dame) offenbar, weil sie nicht lateinisch verstand. Sonst deuten nur ein paar Anfangsworte auf den versiegelten Reichtum hin und dann folgen— Punkte. Die geistige Leitung der Weimarer Gocthediener besteht offenbar darin, daS Leben durch Zeuiurpunkte zu ersetzen, Goethe bat die Venetianischen Epugramme so geliebt, daß er das Büchlein sich ins Heidengrab gewünscht hat: „So umgebe denn spät den Sarkophagen des Dichter? Diese Rolle, vom ihm reichlich mit Leben geschmückt." Aber die fromme Zucht hat dann die Grabschändung verübt und die Rolle zertrümmert. Und so finden wir in der Sammlung unter Nr. 6 ein Epigramm, das dieses Aussehen hat: In dem engsten der Gäßchen..... In dem engsten der Gäßchen schlüpften augenscheinlich die hurtigen Lazerten, die Goethe mehr achtete als alle Herzoginnen der Erde. Das von Goethe selbst veröffentlichte 11. Epigramm— Frau Sophie hätte es sicher sonst auch versiegelt!— gewinnt erst Farbe, wenn man die folgenden des Nachlasses kennt. Aus den gewöhn- lichen Ausgaben kennen wir die Verse: Wie sie klingeln die Pfaffen! Wie angelegen sie'S machen, Daß man komme, ja nur plappre, wie gestern so heut! Scheltet mir nicht die Pfaffen; fie kennen der Menschen Bedürfnis! Denn wie ist er beglückt, plappert er morgen wie heut! Darauf folgen eine ganze Anzahl„schlimmerer" Epigramme: Höllengespenster seid ihr und keine Christen, ihr Schreier, Die ihr den lieblichen Schlaf mir von den Augen verscheucht! » Heraus mit dem Teile des Herrn, heraus mit dem Teile des GottcS Als die heiligen Reste Gründonnerstag Abends zu zeigen, In Sankt Markus ein Schelm über der Bühne sich wies. „Offen steht das Grab! Welch herrlich Wunder! Der Herr ist Auferstanden I" Wer glaubt's? Schelme»», ihr trugt ihn ja wen.
Ausgabe
27 (7.4.1910) 67
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