Manuel, der Gärtnergehilfe, eine böse Leidenschast an sich hatte, zu der Geld gehörte, so viel Geld sogar, daß der Lohn eines Gärtner- gehilfen dafür nicht ausreichte. III. Das wilde Tier. Bei diesem Leben wurde das Raubtier in Bück immer stärker. Llber nur ganz im geheimen wuchs es. Die Schlauheit und Ver- scblagenheit, die er sich hier im Norden erworben hatte, halfen ihm, es im Zaume zu halten. Er hatte überhaupt noch keine Zeit ge- habt, sich darüber klar zu werden, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen war. Er hatte auch zu viel damit zu tun, um sich in die neuen Verhältnisse einzuleben. Deshalb bemühte er sich auch vorläufig nicht nur, keinerlei Streitigkeiten heraufzubeschwören. sondern er ging ihnen sogar nach Möglichkeit aus dem Wege; er war vorsichtig und bedachtsam geworden in all seinem Tun. Keine unbesonnene oder übereilte Handlung ließ er sich zuschulden kommen, und selbst der bittere Haß, den er auf Spitz geworfen hatte, verleitete ihn nickt zu einem Angriff irgendwelcher Art. Spitz dagegen, der in Buck einen gefährlichen Nebenbuhler erkannt hatte. versäumte keine Geleegnheit, ihm seine Zähne zu zeigen. Er reizte ihn, wo er nur konnte, und forderte ihn zu dem Kampfe heraus, der nur mit dem Tode des einen von ihnen sein Ende finden konnte. DaS wußten sie beide. Einmal wäre es beinah so weit gekommen, wenn nicht etwas ganz Unvorhergesehenes dazwischen gekommen wäre. Es war am Abend eines Tages, an dem sie nur einen ganz elenden Platz zum Nachtlager hatten finden können, unmittelbar am See Le Barge. Treibschnee und Wind, der wie ein glühendes Messer schnitt, hatte sie gezwungen, die Reise früher als gewöhnlich einzustellen. Einen schlechteren Lagerplatz hätten sie wohl schwer- tich finden können: Vor ihnen die Eisfläche des Sees und hinter ihnen nur schroffe Felscnwände. Die beiden Männer hatten keinen anderen Ruheplatz als das blanke Eis, auf dem sie ihre Schlafsäcke ausbreiteten und ein kleines Feuer von mitgebrachtem Holz an- zündeten. Das Zelt hatten sie schon lange zurückgelassen, um die Ladung leickter zu machen. Die glimmenden Holzscheite aber tauten das Eis auf, und das feuchte Holz verlöschte bald. Im Dunkeln mußte das kärgliche Mahl verzehrt werden. Ganz nahe an dem schützenden Felsen, hinter einem großen Block, hatte Buck sein Nest gemacht. So gemütlich und geschützt war es dort, daß es ihm schwer wurde auszustehen, um sein von Franeois am Feuer etwas aufgetautes Fischstück zu holen. Als er zurückkam, war seine Schlafstelle besetzt, und das ihm entgegenschallende Knurren sagte ihm, daß Spitz es war, der sich den Platz angeeignet hatte. Bis jetzt hatte Buck wirklich mit bestem Willen den Frieden aufrecht zu erhalten gesucht, aber dies war doch mehr, als er sich gefallen lassen durfte. Mit einem Wutgeheul stürzte er sich auf Evitz. Mit solcher Wiucht sprang er auf den Missetäter, daß er selbst erstaunt darüber war, mehr aber noch Spitz, der Buck stets für einen etwas feigen Kerl gehalten hatte, den die anderen Hunde nur seiner Größe wegen in Ruhe ließen. Auch Franeois war erstaunt, als sich die beiden als dunkle Masse daherwälzten. Er übersah die Sachlage sofort und ermutigte Buck durch Zuruf.„Faß ihn, Buck, faß den elenden Kerl, den schleckten Dieb, faß ihn fest!" schrie er. Spitz hatte keinen leichten Standpunkt. Von allen Seiten ve&- suchte er vergeblich, an Buck heranzukommen. Knurrend und zähne- fletschend standen sie einander gegenüber, und gerade waren sie im Begriff, aufeinander nochmals loszustürzen, als das Unvorher- gesehene geschah und den Austrag des Streites auf die Zukunft verschob. (Fortsetzung folgt.), (Nachdruck verboten.) Sine neue Sutengesdricbte. ii. Wenden wir uns nun dem speziellen Teile des Fuchsschen Werkes zu, der Renaissance-Epoche und ihrer Sittlichkeit. Die Renaissance(Wiedergeburt) hat ihren Namen hauptsächlich von der Wiedereinführung antiker Kunstformen in die Architektur"Italiens . Für uns allerdings bedeutet jene Zeit die Entstehung eines ganz neuen Wirtschaftsprinzips, nämlich den Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Warenproduktion und der hieraus rcsultie- renden Geldwirtschaft. Es ist von hohem Interesse, zu sehen, wie Fuchs diese geschichtliche Erkenntnis zum erstenmal an dem ge- fellschaftlichen Jndividuallebcn und besonders am geschlechtlichen Dasein der einzelnen nachprüft. Hunger und Liebe sind die beiden Pole, die wie zwei fürchterliche Medusenhäupter über die Grenzen der Menschheit hereinschauen. Von dem einen Triebe wurde viel und ernsthaft von de» Forschern geredet; Fuchs stellt nun die Be- Ziehungen zu dem anderen her und weist damit auch der ökono- mischen Untersuchung neue Wege. Im Mittelalter hatte der Mensch einen kleinen Horizont; er saß auf seiner Scholle, produ- zierte den eigenen Bedarf und frondete dem feudalen Gebieter. Der Hader zwischen Nachbarn war ihm gleichsam schon ein Welt- krieg. Denn alles kommt auk die Verhältnisse an, mit denen man sich zu vergleichen hat. Run aber beginnt von Südeuropa her i der neue Handelsbetrisb die alte Welt zu revolutionieren. Man tauscht nicht mehr Ware um Ware; alles geht nur noch um Geld.' Der Erwerb von Geld, um da» man jede» veliebige Ding und jeden Dienst erkaufen kann, wird plötzlich zum Ziel der Tätigkeit. Für uns ist das jetzt selbstverständlich; aber den damaligen Um- schwung alles Bestehenten kann min sich nicht lebhast genug aus» malen. Der Handelsherr sieht mit einem Male, daß es für feine Gewinnmöglichkeiten keine Grenzen mehr gibt; es entsteht daS Kapital und seine nie geahnte Macht. Das Kapital sucht sofort einen Rückhalt in der tatsächlichen Gewalt der Souveräne, beide stützen sich gegenseitig, verdrängen die kleinen Feudalen, und so entstehen schließlich allenthalben Nationalstaaten mit Rational - sprachen. Dies sind die Grundzüge der Renaissancerevolution. Und nun die Einzelheiten. Das Schönheitsideal. Revolutionäre Zeiten sind aus- gesprochen schöpferisch. Schöpferisch aber und erotisch-sinnlich ist ein und dasselbe. Daher ist auch die Renckissance.durchtränkt von einer ungeheuren und überwältigenden geschlechelichen Sinnen» frcudigkeit. Nicht, als ob es sich um bewußte Handlungen drehte, die programmatisch zu verfechten wären; aber die Zeit mag an. fassen und gestalten, was sie will, immer ist die Sinnlichkeit der stark mitklingende Unterton. Das voraufgegangene Mittelalter und gar die Byzantiner, liebten in der künstlerischen Darstellung die ausgemergelten Heiligen, behangen mit faltenreicher und gold- strotzender Gewandung. Ter Leib galt, nach der Lehre der Welt- gebietenden Kirche, als kündiger Madensack und Fraß für Wür» mer. Jetzt wird de nackte Körperlichkeit neu entdeckt; alle Heid- nischen und christlichen Halbgötter und Göttinnen entblößen üppigste Fleischcspracht, und man vermag sechsunddreißig ver- schiedene Schönheiten des Weibes zu besingen. Natürlich geht in der Menschheit kein physischer Wechsel vor: aus verhutzelten Büß- tonten werden nicht über Nacht Rubenssche Dianen, wie es irgend- eine illustrierte Mär vom Jungbrunnen ausmalt. Der Vorgang ist vielmehr rein geistig. Man sieht die Leiblichkeit anders. Wenn einem Weibe die Fülle der Gesundheit aus allen Poren strotzt, so kommt sie in den Augen der Zeit dem Ideal am nächsten. Der Inbegriff des Bewundernswerten ist also, wie Fuchs es nennt, die Zweckschönheit. Man könnte dies anders auch so ausdrücken: das in der Zeiten Lauf hin und her pendelnde ästhetische Schönheitsideal fällt damals mit dem konstant bleibenden rein geschlechtlichen Schönheitsideal nahezu zusammen. Und ebenso wie das sexuell reizvolle Ideal nur unbewußt die Tendenz zu kräftiger Nachkommenschaft in sich schließt, so lag auch der Sinnlichkeit der Renaissance das instinktive Ziel(Fortpflanzung einer tüchtigen Nasse) nicht in erster Linie im Bewußtsein. Gleich. wohl ging die ästhetische Uebereinstimmung mit dem Instinkt so weit, daß man das schwangere Weib schön fand; ein in der Ge- schichte des kultivierten Kunstempfindens merkwürdigerweise selte- n«r Fall. Fuchs erkennt den Zusammenhang ohne weiteres, wäh» rend andere Kunsthistoriker mit der angeblichen Gcschmacksver- irrung in arge Verlegenheit geraten sind. Vom männlichen Schön- heitsideal der Renaissance läßt sich weniger sagen, als vom Weib- lichen. Es scheint, daß unermüdliche Gatteneigenschaft den Frauen als das höchste galt. Es ist aber zu berücksichtigen, daß die Doku- mente aller Kunstgattungen über den Mann stets spärlicher fließen, weil die Kunst in der Hauptsache immer von Männern über das Thema„Weib" gemacht wird. Liebe und Ehe. Es ist nicht leicht, ja unmöglich, diesen Abschnitt des Werkes in einigen Zeilen zu skizzieren, denn hier werden die Details verwirrend vielseitig. Nicht nur dies; auch widerspruchsvoll, weil die Sittlichkeit der verschiedenen Klassen durcheinander Beiträge zum Niveau ein und derselben Zeit liefern muß. In der Rittcrzeit schon setzte die höhere Form der Liebe mit den« Ehebruch ein, so daß letzten Endes die Ritterkaste nach Fuchs nichts war, als eine Gesellschaft für Ehebruch auf Gegen- seitigkeit. Dieser Protest gegen die Unnatürlichkeit der Konve- nicnzehe wird in der Renaissance allgemeiner und nimmt zu» weilen Formen der Ausgelassenheit und Brutalität an. Hand- greiflichkciten werden von der Frau nicht nur geduldet, sondern erwartet als Huldigung vor den Schönheiten, die sie in der Kleidung oder Nichtbckleidung gegen jedermann offen zur Schau trägt. Witwen müssen von Amts wegen gewarnt werden, nicht gleich schon im ersten Trauermonat wieder zu heiraten. Die sechzehn- zährigc Tochter schmollt mit der Mutter um die weggekaperten Liebhaber. Die kirchliche Trauung vermag sich nur äußerst lang- sam durchzusetzen; die aus der Eheschließung sich ergebenden Rechte werden vielmehr aus dem öffentlichen und erfolgreichen Beilager der Neuvermählten abgeleitet. Neben all diesen robusten Trieb- äußerungen sehen wir. daß auf die unverletzte Tugend der Jung» frau ein großer Wert gelegt wird, der sich in drastischen Volks» brauchen äußert. Vieles erklärt sich aus der allgemeinen Leichtig- keit der Eheschließung. Das einfache„Handgeben und Zusagen" zweier Personen verschiedenen Geschlechts genügte, um im Nahmen der Gesellschaft den Instinkten freien Lauf geben zu können. Da- zu paßt es, daß die Klagen der Frauen gegen ihre Männer wegen böswilligen Verlassens geradezu eine Kalamität darstellten. Fuchs unternimmt in diesen Zusammenhängen auch� eine Ehrenrettung der nmnsterischen Wiedertäufer, die interessieren dürfte. Von einer regellosen Vermischung der Geschlechter könne keine Rede gewesen sein, da auf Ehebruch und Verführung die Todes- strafe gesetzt war. Es habe sich einzig um eine Anpassung der Haushaltorganisaiion an die abnormen Verhältnisse in der be- lagerten Stadt gehandelt. Acht- bis neuntausend Frauen waren
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27 (13.4.1910) 71
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