alz ob sie jetzt einen schmachvollen Irrtum eingestehe. Ihre enormen schlammigen Arme schlangen sich dem Torero um den Hals und Tränen netzten eine seiner Wangen. „Juanillo, Herzenssohn... Wenn Dich Vater sehen könnte!...". ..Weine nicht. Mutter... Heut rst ern Freudentag. Bedenke, wenn Gott mir beisteht, werde ich Dir ein Haus kaufen, und Deine Freundinnen werden Dich� in einem schönen Wagen fahren sehen, und Du wirst die schönsten Manillatücher tragen, die in Sevilla zu haben sind..." Der Sattler nahm diese hochfliegenden Zukunfspläne mit beistimmendem Kopfnicken auf, zum Erstaunen seiner Frau, die diese plötzliche Wandlung nicht fassen konnte. �„Ja gewiß, Encarnacion , dieser Bursche wird Wunder wirken, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hat. Der ist zum großen Mann geboren. Ich habe den richtigen Blick für solche Dinge." Am Abend wurde in den Kneipen der populären Viertel von nichts anderem geredet als vom Erfolge Gallardos. „Der kommende Stern der Tauromachie. Man muß ihn gesehen haben, wie er seinen Stier abfertigte! Der Junge wird alle Größen von Cordova in den Schatten stellen." In diesen Behauptungen kam der Sevillaner Stolz, in fortwährender Rivalität mit den Einwohnern von Cordova, der Pfanzstätte ebenso guter Toreros, zum Ausdruck. Das Dasein Gallardos erfuhr von dem Tage an eine vollständige Umänderung. Die vornehmen jungen Herren grüßten ihn und luden ihn im Cafä ein, sich zu ihnen zu setzen. Die Dirnen, die ihn sonst gefüttert und ausgestattet. wurden nicht beachtet. Der Unternehmer des Stierzirkus bewarb sich um die Mitwirkung Gallardos, als ob dieser schon eine Berühmtheit sei, denn er wußte wohl, daß sein Name eine ungeheure An- ziehungskraft auf das Publikum ausüben mußte. Jedesmal, wenn Gallardo auftrat, war der Zirkus ausverkauft. Der Pöbel jauchzte begeistert dem„Jungen der Sennora Angustias" zu und wußte nicht genug von seiner Tapferkeit zu erzählen. Ter Ruf Gallardo breitete sich über Andalusien aus, und der Sattler mischte sich, ohne daß jemand seine Hilfe beansprucht hätte, in alles und maßte sich die Rolle eines Vertreters der Interessen seines Schwagers an! Da er, wie er selbst behauptete, ein kluger und geschäftserfahre- uer Mann war, so war in seiner Vorstellung sein Weg deut- lich vorgezeichnet.„Dein Bruder", sagte er abends, wenn er mit seiner Frau zu Bett ging,„braucht einen kundigen und praktischen Mann, der seine Interessen wahrnimmt. Glaubst Du, daß ich ihm nicht von Nutzen sein würde?" lFortsetzung folgt.), (Nachdruck v«rdot«n.1 8] Glenn die JVatur ruft» Von Jack London . Autorisierte Uebersetzung von L. LönS. Manchmal, wenn er so dalag und in die Flammen starrte. dann war es ihm. als ob es die eines anderen Feuers waren, und der Mann, der neben ihm war, ein anderer. Er hatte kürzere Beine und längere Arme, stärkere Sehnen und dickere Muskeln. Das Haar hing lang und wirr um den Kopf, kleine geschlitzte Augen blickten darunter hervor. Es waren unverständliche, nie ver» nommene Laute, die Buck hörte. Und der Mann hatte Angst vor der Dunkelheit, in die er sah; seine Hand umspannte einen Stock, an dessen Spitze ein Stein befestigt war. Er war ganz nackt; nur ein zerrissenes Fell hing über seinen Schultern, und sein Leib war behaart. Er stand nicht aufrecht, sondern sein Körper bewegte sich nach vorn, und seine Haltung war die eines Wesens, das immer in Angst lebt, und der auf der Flucht vor etwas ist, das er nicht hören und nicht sehen kann. Katzenartig waren seine Bewegungen. Ein anderes Mal war es ihm, als ob der haarige Mann neben ihm am Feuer säße mit hochgezogenen Knieen, die seine Hände umspannt hielten. Und hinter dem Feuer sah er glühende Kohlen, immer zwei und zwei zusammen. Aber Kohlen waren es nicht, das wußte er wohl, sondern die glänzenden Augen von Raubtieren. So träumte er an den Ufern des Dukon von einer anderen Welt. Seine Rückcnhaare sträubten sich, er fletschte die Zähne, knurrte und bellte, bis der Mulatte ihn anrief:„He. auf- gewacht, Buck, alter Kerl. Wach auf!" Tann war seine Welt verschwunden, und die wirkliche lag wieder vor ihm, und er stand auf, streckte sich, gähnte, als ob er geschlafen hätte. Es war eine lange Reise mit schwerer Ladung, und in jämmer- lichem Zustande kamen sie in Dawson an. Sie hätten mindesten? einer zehntägigen Ruhe bedurft, um wieder frisch und munter zu werden, aber schon nach zwei Tagen mußte die Mckfahrt angetreten werden, um die Menge der Briefe und Pakete der Leute aus Alaska hinauszuschaffen in die zivilisierte Welt. Die Hunde waren noch immer erschöpft, die Führer nicht minder; dazu schneite es Tag und Nacht. Die Bahn war weich, und die Kufen sanken tief ein. Die Arbeit war schwerer als je zuvor, aber die Leute taten für die Hunde, was sie nur konnten. Jeden Abend rieben sie die Tier ab, ehe sie an Ruhe für sich dachten. Erst bekamen die Hunde ihre Mahlzeit, dann aßen die Männer. Und doch nahm die Kraft der Tiere immer mehr ab. Einige von ihnen hatten schon achtzehnhundert Meilen in diesem Winter vor dem Schlitten gemacht, eine Arbeit, die auch den Stärksten zerbricht. Buck aber ertrug sie, und er hielt auch die anderen in guter Ordnung. Mit Billy ging es schlecht; er winselte selbst im Schlafe. Joe war schlechter gelaunt als je zuvor, und Solleks war gänzlich unzugänglich; auf der blinden Seite wie auch auf der anderen durste sich keiner in seine Nähe wagen. Dasch aber war es, der am meisten zu leiden hatte. Er hatte sich wohl innerlich durch die Ueberanstrengung verletzt und wurde jeden Tag elender. Manchmal, wenn der Schlitten auf einen Stein oder sonst ein Hindernis stieß, und mit einem plötzlichen Ruck zum Stillstand kam, schrie er laut auf vor Schmerzen, unp abends, wenn das Geschirr ihm abgenommen wurde, fiel er hin, wo er stand. Dann kamen die Leute, fütterten ihn und deckten ihn zu. Keiner wußte, was ihm fehlte, und die Leute berieten bei jeder Mahlzeit, was wohl zu tun wäre, und auch abends bei der letzten Pfeife sprachen sie davon. Manchmal holten sie ihn dann her, legten ihn ans Feuer, rieben und strichen an ihm herum, aber keiner fand, wo es ihm fehlte. Als sie Eafsiar Bar erreicht hatten, war es so schlimm ge« worden, daß Dasch nicht mehr eingeschirrt werden sollte. Er lollte ausruhen und nur frei hinter dem Schlitten herlaufen. Er der heulte und winselte, als Solleks seinen Platz einnahm, um lief anstatt hinter dem Schlitten auf fester Bahn nebenher im lockerer Schnee. Alle Augenblicke war er neben Solleks, versuchte ihn zur Seite zu drängen und biß ihn in die Beine. Und immer"ünHte er und schrie zum Erbarmen. Der Mulatte trieb ihn mit>er Peitsche fort, aber es half nichts; fest schlagen mochte er nicht, denn der Hund tat ihm zu leid. Es war aber zu anstrengend, auf die Dauer im Schnee zu laufen, und immer weiter blieb er zurück. Als dann die ganze Reihe der Schlitten ihn überholt hatte, heulte er so jämmerlich, daß der Führer seines Gespanns hielt, um auf ihn zu warten. Ein Weilchen dauerte es bis zur Weiterfahrt, da der Mulatte seine Pfeife stopfte und die eines anderen Mannes anzündete. Dann sollte es weiter gehen. Die Hunde zogen an, aber im nächsten Augenblick schon standen sie und wandten die Köpfe. Der Führer wunderte sich, denn der Schlitten hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Dann rief er die anderen, damit sie sehen sollten, was geschehen war. Dasch hatte Solleks beide Stränge durchgebissen und stand nun auf seinem alten Platze vor dem Steuer. Mit den Augen redete er eine so deutliche Sprache, daß der Führer wußte, was er wollte. Sie waren erst alle sprachlos, dann aber wußte jeder etwas von einem ähnlichen Fall zu erzählen von Hunden, denen das Herz gebrochen war, weil sie ihre Arbeit nicht mehr tun konnten und andere an ihrer Stelle sahen. Sie meinten. es wäre am besten, dem Hunde den Willen zu tun; es sei barm» herziger, ihn in den Sielen sterben zu lassen, als ihm die letzte Freude zu versagen. So schirrten sie ihn wieder an, und mit stolz erhobenem Kopse und glänzenden Augen schritt er in der Reihe der anderen und zog mit allen seinen Kräften. Nur dann und wann, wenn er gar zu große Scbmcrzen fühlte, heulte er auf. Einmal stolperte er auch, und die Schlittenkufen gingen ihm über die Hinterbeine, so daß er fortan hinkte. Bis zum Abend hielt er aus, und die Leute machten ihm ein warmes Lager am Feuer. Am anderen Morgen aber war er zu schwach, sich aufzurichten. Als die anderen eingeschirrt wurden, kroch er näher heran, bald aber verließ ihn die Kraft ganz. Als ihn die Kameraden zum letzten Male sahen, lag er lang aus» gestreckt im Schnee, und jämmerlich hörten sie ihn noch winseln. als der Schlitten um eine Felsenecke bog. Da ließ der Mulatte halten und ging zurück. Auch die anderen Schlitten standen still, und die Leute hörten auf zu sprechen. Ein Revolverschuß tönte durch die Stille. Dann kam der Mann zurück; die Peitsche knallte und die Schlittenglocken klangen hell. Buck aber und die anderen Hunde wußten, was geschehen war, da hinten auf dem Schneefeld hinter dem grauen Felsen. Dreißig Tage, nachdem sie Dawson Verlaffen hatten, kamen sie mit ihrem Postschlitten wieder in Skaguay an. Die Hunde waren in einem jämmerlichen Zustand. Bucks Gewicht war von 140 auf IIS Pfund zurückgegangen. Die anderen Hunde hatten verhältnismäßig noch mehr zugesetzt. Peik. der Heuchler, der so manches Mal in seinem Leben schon ein lahmes Bein vorgeschützt hatte, um sich von der Arbeit zu drücken, hinkte jetzt wirklich. Solleks lahmte auch, und Dub hatte sich das Schulterblatt ausgesetzt. Wunde Füße hatten sie alle; Lebensmut war in keinem von ihnen mehr. Kaum konnten ihre Füße den Körper noch tragen; sie ivaren todmüde. Monatelang hatten sie nun bis an die Grenzen ihrer Kraft gearbeitet; jeder Muskel, zede Sehne, jeder Tropfen Blut in ihnen verlangte nach Ruhe. In fünf Monaten hatten sie nicht weniger als Lö0v Meilen zurückgelegt, und nur fünf Tage
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27 (19.4.1910) 75
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